4 Probleme/Projekte/Prozesse | Geschichte des Königsstädtischen Theaters |
Ruth Freydank
Hier wurde Nante geboren Die Geschichte des Königsstädtischen Theaters Wenn von den Ereignissen des Jahres 1848 in Berlin die Rede ist, berichten Kenner immer wieder von den Schüssen aus dem Königsstädtischen Theater, was, je nach dem Standpunkt des Erzählers, von einem bedeutungsvollen Augenaufschlag oder einer wegwerfenden Handbewegung begleitet ist. In der Tat, die ganze Angelegenheit ist mehr als dubios. Es gibt noch viele weiße Flecken in der 27jährigen Geschichte des Königsstädtischen Theaters in Berlin. Die offizielle Geheimniskrämerei, mit der dieses Theater umgeben wurde, gab Spekulationen immer wieder Nahrung. Erst nach 1924, als die bis dahin unzugänglichen Aktenbestände des Geheimen Staatsarchivs, des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs und
insbesondere die Akten der Generalverwaltung des ehemaligen preußischen Königshauses der Forschung zur Verfügung standen, kann von einer sich auf die historischen Quellen stützenden Darstellung gesprochen werden.1)
| 1824 eine festlich gestimmte Menge zum erstenmal das neuerbaute Haus auf dem Alexanderplatz betrat, tat sie es im Hochgefühl ihres endlich errungenen Sieges eines bürgerlichen Sieges. Selbst der König und die Mitglieder der Königlichen Familie
hatten es sich nicht nehmen lassen, diesem Ereignis beizuwohnen, dem Berlins Bürger so lange entgegengefiebert hatten. Der Andrang zur Eröffnungsvorstellung war so groß, daß sich all die glücklich schätzen durften, die in den Besitz einer der begehrten Eintrittskarten gelangt waren. Die allgemeine Erwartung hatte sich »zu einem förmlichen Königsstädter Theater-Delirium ausgebildet«, schrieb Caroline Bauer in ihren Erinnerungen. Sie war es auch, die in jener denkwürdigen Eröffnungsvorstellung den Prolog sprach. Die Berliner Presse bedachte den Liebreiz ihrer Erscheinung und ihren Vortrag mit ungeteiltem Beifall, und die »Spenersche Zeitung« schrieb: »Der Ausdruck war hinreißend, jedes Wort kam aus der Seele und jede Modulation ihres wohltönenden zarten Organs traf die Seele ...«2)
Die Eröffnungsvorstellung wurde ein durchschlagender Erfolg. Schon der erste Abend hatte gezeigt, daß sich im Ensemble Künstler befanden, die durch Persönlichkeit und Können das Publikum zu überzeugen wußten. Die Auswahl des Programms freilich erwies sich als eher schlicht. Es war nach dem bewährten Rezept einer bunten Mischung anspruchsvoller Unterhaltung zu- | |||
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sammengestellt. Dennoch dem Publikum gefiel es. Kritik sollte sich erst später
zu Wort melden. Caroline Bauer hatte es in ihren Begrüßungsworten ausgesprochen.
Ihr wißt es ja, es soll dies heitere Haus Thalien angehören, und dem Momus. Dort drüben, wo der Stadt Paläste stehen, Im hohen Tempel unterm Säulendach, Da mag Erinnys ewig mitleidslos Ihr strenges Amt verwalten, würdig herrschen Melpomene in ihrem ernsten Reich. Hier sei es anders; dieses heitere Haus Gehör' der Freude an, dem frohen Lachen, Und bei des Scherzes wechselvollem Spiel Sollt' Ihr der Erdensorgen gern vergessen ...3) Die neue Bühne sollte ganz dem heiteren Genre gehören. Sie stellte sich damit in direkten Gegensatz zu den beiden Hofbühnen, die bislang unangefochten ihre führende Stellung im Berliner Theaterleben behauptet hatten. Die Idee des »Volkstheaters« hatte nach dem Wirken von Aufklärung und Klassik unter dem Eindruck der Befreiungskriege gegen Napoleon neuen Auftrieb erhalten. In der allgemeinen nationalen Hochstimmung dieser Zeit tauchte in der Berliner Öffentlichkeit auch wieder der Ruf nach einem Volkstheater auf. Schriftsteller wie Gubitz und Holtei wurden zu dessen eifrigsten Wortführern. Auch Ludwig Tieck verband mit einem solchen Theater die Hoffnung, daß sich die heruntergekommene Bühnenkunst aus dem Spiel der Komödiantenbuden wieder verjüngen könnte.4) Treffend kenn- | zeichnete Willibald Alexis die Situation:
»Das Nationaltheater war ein Hoftheater geworden ... Aber der Begriff Volk war mit den Befreiungskriegen plötzlich aus dem Schlummer erwacht. Das Volkstümliche spukte in ehrenwerther Absicht, aber in wunderlicher Weise ... Unter allen den volkstümlichen Wünschen, welche wie Schaumblasen aus jener chaotischen Aufregung in die Luft stiegen, war auch der nach einem Volkstheater. Man war überein gekommen, es war ein nothwendiges Bedürfnis, daß die preußische Hauptstadt ein Volkstheater erhalten ... Es war ein schönes Modewort, ein Ding, für das der Name fertig war, aber sonst nichts. Ein Begriff, dessen Wesen noch keiner kannte, aber mit so schönen Illusionen umwoben und gefärbt, daß man dafür schwärmen konnte. Wer hatte denn schon ein Volkstheater gesehen? Wer in Wien war und die Leopoldstadt5) besucht hatte ... Ließ es sich thun, Wien zu übersetzen für Berlin? Wie hätte sich dagegen unsere wirkliche und unsere affektirte Bildung gesträubt! Es mußte etwas ganz Neues geschaffen, von vorn angefangen werden. Ein Volkstheater mußten wir haben, koste es, was es wolle. Aber was für eins? Ein norddeutsches, ein preußisches, ein berlinisches? Welche Verwirrung von Ansichten und Vorstellungen verdeckte da der allgemeine Wunsch!«6) Das Fehlen eines eigenen geistigen Konzepts sollte sich als eine der wesentlichen Schwächen dieses Theaters erweisen. »Uns | |||
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fehlte nichts weniger als alles zur Erfüllung dieses Wunsches und doch war er allgemein. Das Publikum, die Dichter, Schriftsteller, Künstler, alle wiegten sich in der süßen Illusion.«7)
Die Konzession erhielt ein Mann, den bisher niemand kannte Preußen war in seiner Theaterpolitik ausgesprochen konservativ. Als Indiz dafür
steht die Gewährung der sogenannten Theaterfreiheit. Sie wurde erst 1869 in Verbindung mit der Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit gewährt und erlaubte nun jedermann, gegen eine einfache polizeiliche Genehmigung sich als Theaterdirektor zu versuchen. In Österreich hingegen hatte Josef II. bereits 1776 »Spektakelfreiheit« deklariert und damit der Entfaltung des Theaters den Freiraum geschaffen, der dann jene Blüte der Wiener Vorstadttheater hervorbrachte, die in der Zeit des Vormärz und des Wiener Kongresses ihre faszinierende Wirkung auf ausländische Beobachter nicht verfehlte.
| als am 13. Mai 1822 Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsorder die Einrichtung eines dritten Theaters in der Stadt verkündete. Ganz und gar unerhört war indessen die Tatsache, daß die Konzession einem Manne erteilt worden war, den niemand bis dahin kannte. Erst 1816 hatte er seinen Wohnsitz in der preußischen Hauptstadt genommen und das Bürgerrecht erworben.
Der so Begünstigte war »ein gewitzter jüdischer Handelsmann«8) namens Friedrich Cerf, dessen sonstige Lebensumstände bis in die heutige Zeit nie völlig aufgeklärt werden konnten. Selbst bei Angabe des Geburtsjahres schwanken die Aussagen zwischen 1771 und 1782. Über den Geburtsort finden sich Vermutungen vom Elsaß über die Rhein-Main-Gegend, Magdeburg bis Ostpreußen. Selbst die Eintragung im Berliner Bürgerbuch lautet höchst allgemein: »Herr Cerf ist aus Mainbernheim gebürtig und 40 Jahre alt.«9) Wer die sprichwörtlich gewordene Genauigkeit preußischer Behörden kennt, kann nicht umhin, zumindest den Verdacht zu schöpfen, daß hier von offizieller Seite kein Interesse an genauen Aussagen zur Person Cerfs bestanden hat. Zwischen 1802 und 1811 hatte dieser in Dessau gelebt, wo er mit Pferdehandel sein Geld verdiente. Von 1813 bis 1815 stand er unter dem Kommando des Fürsten zu Sayn-Wittgenstein- Ludwigsburg in russischen Diensten. Seine Übersiedelung könnte er der Fürsprache seines ehemaligen Vorgesetzten | |||
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Königsstädtisches Theater vor 1851 | ||||
zu verdanken gehabt haben, der ihn dem Fürsten zu Sayn-Wittgenstein- Hohenheim empfahl, der, in unmittelbarer Nähe zum König, zu den einflußreichsten Persönlichkeiten am preußischen Hof gehörte. Diese Verbindung wäre jedoch kein hinreichender Beweis für Cerfs bevorzugte Behandlung durch das Haus Hohenzollern. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf das in dessen Biogra- | phie gänzlich vergessene Jahr 1812. Am 24.Februar jenen Jahres kam es zum Abschluß eines Militärvertrages zwischen Preußen und Frankreich. Preußen mußte sich verpflichten, 20000 Mann für Napoleons Rußlandfeldzug zu stellen und der französischen Armee freien Durchzug und das Requisitionsrecht zu gewähren. Preußen sah sich veranlaßt, seine Beziehungen zu Ruß- | |||
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land auf die Ebene der Geheimdiplomatie zu verlegen. Zu den ausgewählten Emissären jener Zeit könnte auch Cerf gehört und sich durch besondere Zuverlässigkeit
ausgezeichnet haben. Eigenschaften, die ihn im Umfeld des preußischen Königs für die Lösung einer höchst delikaten Angelegenheit als geeignet erscheinen ließen.
Der Gedanke, den beiden Hofbühnen eine dritte hinzuzufügen, an der vornehmlich das leichte Genre gepflegt werden sollte, war bereits zu Ifflands Direktionszeit in Hofkreisen ausgesprochen worden. 1817, nach dem Brand des Schauspielhauses, hatte selbst Graf Brühl, seit 1815 Generalintendant der Königlichen Schauspiele, detaillierte Pläne für ein solches Theater unterbreitet. Der Hof hatte jedoch immer wieder abgelehnt. Gesuche von Privatpersonen wie z. B. Julius von Voss waren stets abschlägig beschieden worden. Insgeheim liebäugelte man jedoch mit dieser Idee. Der König selbst war einer ihrer wärmsten Befürworter. Während seiner Teilnahme am Wiener Kongreß hatte er wiederholt die Aufführungen der Wiener Vorstadtbühnen besucht und Gefallen an dieser Art Theater gefunden. Das hatte den Wunsch bestärkt, in seiner Residenz gleichfalls ein Theater dieser Stilrichtung zu besitzen. Deshalb kam es dem Hof recht gelegen, als in Berlins Bürgerschaft der Wunsch nach einem eigenen Theater geäußert wurde. Nach Bekanntwerden der Konzessionsvergabe erfuhr die überraschte Öffentlich- | keit, daß Herr Cerf seine Konzession einem Aktienverein übertragen werde. Die
preußische Regierung gestattete, durch Vergabe von 400 Aktien 120000 Taler zum Bau eines eigenen Theaters zu beschaffen. Sowohl in Berlins Großbürgertum als auch unter
vermögenden Handwerksmeistern, Händlern und Hausbesitzern fanden sich genügend Käufer. So konnte die erforderliche Summe innerhalb kurzer Zeit beschafft werden.
Der erst 22jährige Architekt Carl Theodor Ottmer, ein Schinkelschüler, erhielt den Auftrag zum Bau des Theaters. Ausgestattet mit dem Privileg der Selbstzensur Den größten Teil der Aktien erwarb ein finanzstarker Personenkreis, aus dem auf der Generalversammlung am 23. September eine siebenköpfige Direktion gewählt wurde. Diesem »börsenkundigen« Gremium gehörten an: die Bankiers Jacob Herz Beer, Wilhelm Christian Benecke von Gröditzberg, Joseph Maximilian Fränckel, Alexander Mendelssohn, Johann David Müller, der Jurist Georg Carl Friedrich Kunowski und der pensionierte Hofschauspieler Heinrich Levin Bethmann. Cerf hatte nichts mehr mit der Leitung des Hauses zu tun. Kunowski, der mit seinem Aktienanteil im Wert von 6000 Talern zum Syndikus und Generalbevollmächtigten ernannt wurde, übernahm die Direktion. Da er auch in dem für die | |||
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künstlerische Arbeit gebildeten Regie-Komitee den Vorsitz führte, vereinigte dieser Mann in seiner Person die eigentliche Leitung des ganzen Unternehmens. Gleichzeitig übte er für damalige Verhältnisse gänzlich ungewöhnlich für eine private Bühne die Funktion des Theaterzensors aus. Dieses Privileg der Selbstzensur wurde in Preußen ausschließlich den Königlichen Theatern zugestanden. All dies legt die Vermutung nahe, daß Kunowski im Auftrag handelte. Fürst Wittgenstein, der Minister des für alle Theaterfragen zuständigen Königlichen Hausministeriums, war der eigentliche Herr im Hause. Diskret im Hintergrund agierend, hatte er seinem König das gewünschte Theater verschafft, ohne daß der Krone daraus nennenswerte finanzielle Belastungen entstanden waren und ohne die Hofbühnen allzu offensichtlich zu brüskieren. Denn Graf Brühl war gegen den unerwünschten Konkurrenten Sturm gelaufen. Er tat alles, um es diesem unmöglich zu machen, einen selbständigen Spielplan aufzubauen. Das Fehlen jeglicher Theaterfreiheit in Preußen hatte einen rechtsfreien Raum geschaffen, der es der Willkür der herrschenden Staatsmacht überließ, jede unerwünscht erscheinende theatralische Produktion bereits im Keime zu ersticken. So durfte das neue Theater ganz im Sinne Brühls weder das sogenannte ernste Drama noch die heroische Oper aufführen. Alle übrigen Werke konnten erst dann in den Spielplan aufgenommen wer- | den, wenn sie an den Königlichen Bühnen zwei Jahre lang nicht mehr gespielt worden waren oder diese an einer Aufführung kein Interesse zeigten. Mit dieser Einschränkung war das neue Theater eindeutig auf den engen Bereich des heiteren Genres verwiesen.
Die höfische Partei konnte zufrieden sein. Sie sah ihr Konzept von einem Volkstheater der leichten, unverbindlichen Unterhaltung verwirklicht. Dem hatte das junge Unternehmen nichts an eigenem künstlerischen Wollen entgegenzusetzen. »Je näher die Eröffnung der Anstalt war, um so empfindlicher zeigte sich die Armuth und der Mangel. Es fehlte an Gegenständen und an Dichtern, an Eintracht und an Zusammenhang. Man machte die traurige Erfahrung, an der man zum Theil selbst Schuld war, es war nichts vorbereitet. Als man mit Eifer an die Materie gegangen war, hatte man gedacht, der Geist müsse sich von selbst einfinden. Er war nicht einzutreiben.«10) Die in Theaterdingen gänzlich unerfahrene Leitung mußte die bittere Erfahrung machen, daß Enthusiasmus und finanzielle Opferbereitschaft allein nicht ausreichen, um ein derartiges Unternehmen zum Erfolg zu führen. Da eigene künstlerische Vorlagen fehlten, wurden die alten Sachen, mit denen Iffland und selbst Doebbelin einst erfolgreich waren, wieder hervorgeholt. Die erste Spielzeit stand ganz im Zeichen der alten Posse und des Singspiels aus den Jahren vor den Befreiungskriegen. Dittersdorfs »Der Apo- | |||
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theker und der Doktor« und Lessings »Minna von Barnhelm« standen als die
klassischen Vertreter des heiteren Genres auf einsamer Höhe. Der Stückemangel sollte
die empfindlichste Schwäche dieses Theaters werden. Unter diesen Bedingungen tat sich ein Stückeschreiber hervor, dem die Zeitgenossen ein hohes Maß an Theaterroutine
nachsagten: Louis Angely. Er lieferte dem Theater, wessen es so dringend bedurfte, das Zeitstück. Aber es war wohl eher ein Zeitbild Genremalerei, biedermeierlich durchleuchtet, liebenswürdig und witzig, intelligent in Wortwitz und Wortspiel, leichtfüßig, musikalisch und nicht ohne einen Schuß Sentimentalität, angefüllt mit den Jedermannsgestalten der heraufziehenden kapitalistischen Epoche, die doch auch gleich wieder kunstvoll zu Typen stilisiert wurden. So kündeten sich die ersten Vorboten eines neuen Realismus auf dem Theater an.
Angely wird nachgesagt, er habe sich seine literarischen Vorlagen aus dem Französischen geholt. Das in der Zeit des nachrevolutionären Frankreichs entstandene Volkstheater mit Vaudevilles, Possen und Singspielen erwies sich offensichtlich als das geeignete Vorbild für die dramatische Gestaltung der deutschen Zeitverhältnisse. Der berlinischen Mentalität stand es näher als das Wiener Volksstück, das dann in den 30er Jahren in seinen Originalen den Weg auf die Bühne der Königsstadt fand. Raimund und Nestroy sind in wiederholten | Gastspielen hier aufgetreten. Sie vermittelten dem hiesigen Publikum einen neuen Typ des Schauspielers, der in seiner Berliner Variante mit Namen wie Beckmann, Schmelka, Plock und Grobecker erst noch geboren werden mußte. Diese Künstler verhalfen dem zum Siege, was heute mit dem Begriff »Berliner Lokalposse« verbunden wird. Seine besten literarischen
Beiträge schuf Louis Angely mit seinem »Fest der Handwerker« und der »Reise auf gemeinschaftliche Kosten«. Neben ihm steht Karl von Holtei, der mit der Posse »Ein
Trauerspiel in Berlin« in der Figur des Dienstmannes Nr. 22 die dramatische Vorlage für
den legendären Eckensteher Nante schuf, dem der Schauspieler Beckmann mit seiner
Darstellung zu ungeahnter Popularität verhalf und die dann von Adolf Glaßbrenner zur
literarischen Gestalt des Berliner Volkswitzes geadelt werden sollte.
Henriette Sontag löste eine Völkerwanderung aus Nachdem die erste Spielzeit ohne nennenswerte künstlerische Erfolge dahingegangen war, suchte die Direktion ihr Heil in der Oper. Angesichts des Dilemmas, das durch die Repertoirebeschränkungen hervorgerufen worden war und das natürlich auch alle gängigen Werke der Opernliteratur einschloß, wurde verzweifelt nach einem Ausweg gesucht. So kam man auf die italieni- | |||
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sche Spieloper, die mit den Werken von Rossini und Donizetti die Opernhäuser der europäischen Hauptstädte zu erobern begann. Die Königsstädter erkannten hier
ihre Chance. Denn, so berichtet der seit 1825 als Direktionssekretär, Regisseur und
Hausautor dort tätige Karl von Holtei, »das Königliche Hofinstitut hatte sich an mehreren Versuchen auf diesem Felde die Zähne ausgebissen, weil es keine Künstler dafür hatte«. So wollte man »den Sieg auf einem Felde« suchen, »wo die Reihen der Gegner am dünnsten standen«.11) Dem Hause fehlte jedoch ein alle Rollenfächer abdeckendes Opernensemble. Da kam der Direktion ein seltener Glücksfall zu Hilfe. In Wien hatte der Hof seiner italienischen Oper die finanzielle Unterstützung entzogen. Die zum Ensemble gehörenden Künstler erhielten ihren Abschied. Zu ihnen gehörte auch eine junge Sängerin, Henriette Sontag.
Am 3. August 1825 stand sie zum ersten Mal auf der Bühne des Königsstädtischen Theaters und eroberte die Herzen der Berliner im Sturm. Die Sängerin war damals gerade 19 Jahre alt. Sie verfügte über all jene äußeren Attribute, die ihre Erscheinung auf der Bühne wirkungsvoll unterstützten. Was ihre gesanglichen Qualitäten betraf, so mag dafür das scharfzüngige Urteil Rahel Varnhagens stehen: »Engländer erfinden gewiß nächstens eine Maschine, die so vortrefflich singt. Kein Fehlerchen! Überlegen des Effekts. Höchste Leistung des Kehlchens! | Glücklichstes Intonieren, immer fertig bereiter Ton der Kehle, tadelloseste Ausübung, glücklichste Remiscens der Lehrer und Vorbilder mit Intelligenz aufgefaßt, mit
künstlerischer Ruhe bewundernswert wiedergegeben! Aber die Seele, die Leidenschaft nicht mit aufgenommen, der tief belebende Herzpuls fehlt.«12)
Das Berliner Publikum geriet in einen Taumel des Entzückens. Jedes Auftreten der zierlichen Schönen löste eine wahre Völkerwanderung zum Alexanderplatz aus. Das Sontag-Fieber, von dem Berlin 1825 bis 1827 erfaßt wurde, lag in der Atmosphäre der Zeit. Das Engagement der Sängerin, das als Sieg der Königsstadt über die ebenfalls als Bewerber aufgetretenen Hofbühnen gefeiert wurde, hatte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hier entluden sich die aufgestauten Gefühle, die als öffentliche Meinung unter dem politischen Druck, der nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 allgemein geworden war, nach einem Ventil suchten. Von dieser Bewegung erfaßt wurde gerade der Teil der Bevölkerung, »der mit dem Drange nach Bewegung, nach Äußerung seiner Kraft, alle Richtungen der Öffentlichkeit sich verschlossen sah. Das Theater war freigegeben, insoweit, daß die Stimmen zu einem Chor wurden, daß der einzelne eine Gemeinschaft suchte, um dem inneren Drange Luft zu machen. Fand er kein Volk, das mit ihm anstimmte, so doch ein Publicum. Ich sage, die Sontag war | |||
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nicht allein ein Ereignis, sondern eine Nothwendigkeit. Jene Zeit vor der Julirevolution bedurfte eines Symbols.«13)
Als 1827 die Sontag-Ära zu Ende ging, stand das Königsstädtische Theater vor seiner ersten Krise. Auf der von den Aktionären einberufenen Generalversammlung wurde die Ablösung des sechsköpfigen Direktoriums beschlossen. An die Stelle der Bankiers traten nun »Zimmermeister, Maurermeister und andere ehrenwerte Geschäftsleute, die an das Theater noch bedeutende Forderungen hatten«.14) Die neue Direktion sah keinen anderen Weg, als im Sinne der alten weiterzumachen. 1829 war das Theater endgültig bankrott. Am 14. Mai 1829 beschlossen die Aktionäre die Auflösung des Vereins und die Schließung des Theaters. Da meldete sich Friedrich Cerf zu Wort. Unter Berufung auf seinen Vertrag kaufte er sämtliche Aktien 20 Prozent unter ihrem Nennwert. Mit der gleichfalls vertraglich vorgesehenen Rückübertragung der Konzession wurde er auch alleiniger Herr des Theaters. Mittlerweile ist nachgewiesen, daß Cerf bereits seit 1827 Aktien mit Geldern aufgekauft hatte, die nicht ihm gehörten. Auch die letzte Transaktion geschah mit fremdem Kapital. Daß es sich dabei um Gelder der Krone gehandelt habe, belegt nach Willi Eylitz ein 1832 von der Krone unterzeichneter Vertrag, der Cerf eine jährliche Rente zusicherte und ihn damit faktisch zum Verwalter seines Theaters | machte. Der Hof hatte die Dinge von langer Hand vorbereitet und sich dabei der Person Cerfs als Strohmann bedient, der diskret und zuverlässig die Geschäfte seines Auftraggebers besorgte. Cerf führte das Theater bis zu seinem Tode ohne eigene künstlerische Intension. Das Haus besaß ein Orchester, das ständig über 45 bis 50 Musiker verfügte, und einen fest engagierten Chor. Die hohen jährlichen Defizite wurden stillschweigend von der Krone beglichen. Die Situation änderte sich erst, als 1840 Friedrich Wilhelm IV. die Regierung übernahm. Der neue Monarch war nicht gewillt, das inzwischen recht
lästig gewordene Theater weiterhin uneingeschränkt zu finanzieren. Der Tod Cerfs am 6.November 1845 beendete für das Theater eine Periode, die ihren besonderen Charakter aus der Mischung Privattheater und heimliche Hofbühne zog.
Nach Friedrich Cerf übernahmen dessen Witwe und die älteste Tochter die Direktion, um sie eher schlecht als recht zu führen. Schließlich gelangte die Bühne wieder in die Hände künstlerisch Kompetenter. Dazu gehörten der Regisseur Barthels und vor allem der Schauspieler Philipp Gorbecker, der 1839 engagiert , die erste Generation der großen Komiker abgelöst hatte. Die politische Situation des Jahres 1846 veränderte die öffentliche Stimmung, deren zunehmende Radikalität sich auch dem Theater mitteilte. In der Königsstadt inszenierte man »Marie Anne, eine Mutter aus | |||
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dem Volke«, ein Stück aus dem Französischen von Dennery. In ihrer Besprechung bemerkte die »Vossische Zeitung«: »Es ist dies Stück der erste Versuch, eine bedeutende, vielleicht die bedeutendste Zeitbewegung in einen dramatischen Rahmen zu fassen.«15) Je deutlicher sich in jenen Wochen und Monaten die reale politische Bühne zu wandeln begann, so politisierte sie auch die des Theaters.
Mit Stücken von David Kalisch gelang der Durchbruch Nun stand auch der Dichter bereit, der dieser Stimmung poetischen Ausdruck verleihen sollte, David Kalisch. Im Herbst 1847 öffnete ein Bekannter aus Pariser Tagen diesem den Weg ins Königsstädtische Theater. Zunächst wurde seine Vaudeville-Posse »Herr Karoline« angenommen, und, da das Stück gefiel, folgte wenig später »Ein Landstand«, beide nach französischen Vorlagen gearbeitet, aber gefärbt mit kräftig berlinischem Kolorit. Am 23. Dezember 1847 gelang dann der entscheidende Durchbruch: »Einmal hunderttausend Taler«. Wiederum nach einer französischen Vorlage gearbeitet, traf diese Posse mit ihren Lokaltypen und zündenden Couplets voller zeitgemäßer Anspielungen genau den Nerv des Publikums. Das politische Zeitstück war geboren. Es gab sich in der vormärzlich gestimmten Hauptstadt Preußens im Gewande der »Berliner Lokal- | posse«. Am 28. Dezember schrieb der Kritiker der »Vossischen Zeitung«: »Der
neuen Posse, wie wir das von dieser Kunstform fordern, liegen im burlesken Gewande ernste Weltanschauungen zum Grunde, deren Wahrheit wir ebensowenig ableugnen können, als das Wünschenswerte ihrer Anerkennung . . . Treffliche aus dem Leben gegriffene Charaktere, gesunde Lebensmaximen, eine derbe, in den Situationen wie in dem Dialog sich bekundende Komik,
höchst ergötzliche Impromptüs, hier und dort grotesker, die Lachmuskeln bewältigender Unsinn, das sind die Vorzüge des neuen Stücks, welches uns auf Berliner Boden um so vertrautere Elemente erblicken läßt. A.T.W.« Das Stück wurde das am häufigsten gespielte des Jahres 1847.
Als nach den blutigen März-Ereignissen die Berliner Bevölkerung sich zu einer großen Solidaritätsaktion für die Hinterbliebenen der Opfer zusammenschloß, standen auch die Mitglieder des Königsstädtischen Theaters nicht abseits. Am 26. März 1848 veranstaltete das Ensemble eine Feierstunde, die, bezeichnend für die Bedeutung des Werkes, mit Kalischs Posse beschlossen wurde. Zuvor hatte das festlich gekleidete Personal um einen mit schwarzrotgoldenen Fahnen geschmückten Altar auf der Bühne Aufstellung genommen und gemeinsam das Lied »Ich bin ein Deutscher« angestimmt. Das Publikum war stehend in den Gesang eingefallen. Auf den die revolutionären Er- | |||
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eignisse würdigenden Prolog antwortete das Publikum mit Jubelrufen und Fahnenschwenken, bis der Regisseur Barthels vor die Versammelten trat und mit dem Ausruf, »Es lebe das freie deutsche Bürgertum«, die improvisierte Freiheitskundgebung zum Abschluß brachte. Darauf folgte Kalischs Posse, die der Verfasser mit »neuen der Zeit entsprechenden Couplets« versehen hatte. Auch am Trauerzug für die Gefallenen der Revolution nahm das Personal geschlossen teil. Das Orchester marschierte an der Spitze des Zuges, gefolgt von den Mitgliedern der italienischen Oper und des eigenen Ensembles, denen zwei Fahnenträger mit den beiden Nationalflaggen vorangingen. Diese eindeutige Parteinahme für die Ziele der Revolution scheint bei Hofe übel aufgenommen worden zu sein. Der König zahlte zwar
weiterhin für seine Loge, aber er erschien zu keiner Vorstellung mehr. Diesem Beispiel folgte natürlich auch die übrige Hofgesellschaft. Das Theater blieb leer. Dennoch
versuchte es mutig, den einmal eingeschlagenen demokratischen Kurs zu halten. Im Sommer 1848 erreichte man endlich auch die Aufhebung der unsäglichen Repertoirebeschränkungen. Laut Kabinettsorder vom 31. Juli sollte von nun an freie Konkurrenz zwischen dem Königsstädtischen und den Hoftheatern in allen Fragen der Stückeauswahl herrschen.
Unterdessen hatte sich die politische Lage zugespitzt. Nach dem Sieg der Konterrevolu- | tion in Wien in den letzten Oktobertagen holten nun auch die reaktionären Kräfte
in Preußen zum entscheidenden Schlag aus. Friedrich Wilhelm IV. verfügte die
Bildung eines neuen Kabinetts unter Leitung des Grafen von Brandenburg, der am 8. November die Vertagung und Verlegung der verfassunggebenden Versammlung nach Brandenburg an der Havel verkündete. Am 10.November marschierte General Wrangel mit seinen Soldaten in die Stadt ein. Zwei Tage später wurde der Belagerungszustand ausgerufen. Darauf folgte die Entwaffnung der Bürgerwehr, das Verbot aller politischen Klubs, Vereine und demokratischen Zeitungen. Die Wiedereinführung der Zensur zog den Schlußstrich unter die kurze Epoche bürgerlicher Freiheit.
Auch dieser Zeit härtesten politischen Druckes hielten die Königsstädter stand. Als die meisten Bühnen des Revolutionsjahres längst verstummt waren oder sich arrangiert hatten, spielten sie immer wieder zeitkritische Stücke: Im April 1849 Kalischs »Berlin bei Nacht« (95 Vorstellungen). 1850 waren »Der Prophet« von Räder und Kalischs »Junger Zunder, alter Plunder« erfolgreich. Das offenkundige Einverständnis zwischen Bühne und Publikum rief die Polizei auf den Plan. 1850 schrieb die »Nationalzeitung«, daß nunmehr »ein Kabinettbefehl ergangen sei, politische Anspielungen, die aufregen die das Publikum mit lebhaftem Beifall begleitet , durchaus nicht mehr zu dulden«. Dem Schauspieler Grobecker | |||
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wurde in dem gleichen Artikel angekündigt, daß er »nötigenfalls von der Bühne weg arretiert und ausgewiesen werde, wenn er seine Vis comica ferner zu politischen
Anspielungen Partei nehmen lasse«.16) Als das Königsstädtische Theater es wagte, an des Königs Geburtstag eines jener aufrührerischen Stücke zu spielen, erregte das den allerhöchsten Unwillen: »Von der Theaterdirektion, die alle Ursachen hätte, sich durch gutes Benehmen der Gnade Sr.M. des Königs dankbar zu erzeigen, ist es
höchst unverantwortlich, wie dieselbe in solcher demokratischer Art an einem so hohen Fest, das Stück hat geben können.«17)
Am 30. Juni 1851 wurde das Theater »auf höhere Veranlassung« geschlossen; wie es offiziell hieß: wegen zu hoher Kosten und Baufälligkeit des Gebäudes. Seitdem hält sich hartnäckig das Gerücht, der König habe persönlich die Schließung verfügt. Seitdem lebt die Legende vom Königsstädtischen Theater als des ersten Bürgertheaters Berlins. »Ein unsichtbares Band, ein stiller Bund war zwischen allen geschlungen, welche die Königsstadt besuchten. Es waren nicht nur junge, es waren Männer in Jahren und Ehren darunter, es war unser Klub, unser Meeting, eine literarische Börse. Man war identifiziert mit der moralischen Person des Theaters. Man trauerte, wenn die Bänke leer waren, man blickte sich vergnügt an, man schüttelte sich die Hand, wenn das Haus voll war, wie zu einem Familienereigniß.«18) | Quellen:
1 Die erste und bislang einzige Arbeit zur Geschichte des Königsstädtischen Theaters, die sich auf das originale Quellenmaterial stützen konnte, ist die von Willi Eylitz an der Universität Rostock vorgelegte Dissertation »Das Königsstädtische Theater in Berlin« 2 Caroline, Bauer, Aus meinem Bühnenleben, Weimar 1917, S. 93 3 Willi Eylitz, a. a. O., S. 103 4 Ludwig Tieck, Dramaturgische Blätter, März 1827 Nr. 7, Spl. 49 ff. 5 Gemeint ist das Theater in der Leopoldstadt in Wien, gegründet 1781 6 Willibald Alexis, Erinnerungen, hrsg. von Dr. Max Swert, Berlin 1905, S. 361 7 Ebenda, S. 362 8 Ebenda, S. 359 9 Willi Eylitz, a. a. O., S. 44 10 Willibald Alexis, a. a. O., S. 362 f. 11 Karl von Holtei, Vierzig Jahre Lorbeerkranz und Wanderstab, Berlin o. J., S. 217 12 Rahel Varnhagen, Brief an den Bruder Ludwig Robert Lewin vom 25. 9. 1825, in: H. Stümcke, Henriette Sontag, ein Lebens- und Zeitbild, Berlin 1913, in: Schr. d. Ges. F. Theatergeschichte, Bd.20, S. 44 13 Willibald Alexis, a. a. O., S. 370 14 Caroline Bauer, a. a. O., S. 104 15 Vossische Zeitung, 1846, Nr. 35 16 Nationalzeitung vom 12. 1. 1850 17 Willi Eylitz, a. a. O., S. 310 18 Willibald Alexis, a. a. O., S. 374 Bildquelle:Stadtmuseum Berlin | |||
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