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Bitterkeit, von der Enttäuschung.«1) Die SPD war am 22. Juni 1933 verboten worden. Mit dem Parteiverbot endete eine halbjährige innerparteiliche Auseinandersetzung um den Kurs ihrer Politik. Nachdem Hitler (1889–1945) am 30. Januar 1933 an die Macht gelangte, war nicht abzuschätzen, wie lange sich seine Regierung halten würde. Auch das Ausmaß des künftigen Terrors war nicht abzusehen. Die SPD-Führung war sich in der Bewertung der neuen Regierung und der Situation einig. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sei im Rahmen der Weimarer Verfassung erfolgt, seine Regierung »verfassungsmäßig« und »parlamentarisch fundiert«, und »Berlin werde niemals die Hauptstadt eines Faschistenreichs werden«.2)

Rudolf Breitscheid:
»Bereit sein ist alles«

Rudolf Breitscheid (1874–1944) erklärte am 31. Januar vor dem SPD-Parteirat zu den von vielen Mitgliedern und Anhängern erwarteten Aktionen: »Ist der Augenblick einer großen außerparlamentarischen Aktion gekommen? ... Ich will meine Meinung dazu sagen. Wenn Hitler sich zunächst auf dem Boden der Verfassung hält, und mag das hundertmal Heuchelei sein, wäre es falsch, wenn wir ihm Anlaß geben, die Verfassung zu brechen.« Vielmehr käme es darauf an, »für den Augenblick dieses Verfassungsbruchs

Herbert Mayer
Nach der deutschen Katastrophe

Von der Halblegalität zum Verbot der SPD 1933

»Nach der deutschen Katastrophe«, so betitelte die internationale Organisation der Sozialdemokratie, die Sozialistische Arbeiter-Internationale (SAI), ihren Band mit den Beschlüssen der Konferenz, die sie vom 21. bis 25. August 1933 in Paris durchgeführt hatte. Auf dieser Konferenz erörterten die Vertreter der sozialdemokratischen Parteien unter dem einzigen Tagesordnungspunkt »Die Strategie und Taktik der internationalen Arbeiterbewegung in der Zeit der faschistischen Reaktion« die Entwicklung in Deutschland, um Schlußfolgerungen für ihre Politik abzuleiten. Der SPD-Vorsitzende Otto Wels (1873–1939) faßte dies in die Worte: »Im Mittelpunkt des Interesses stehe die durch den Zusammenbruch der deutschen Sozialdemokratie geschaffene Situation für den internationalen Sozialismus. Wir wußten, daß wir einer Kritik entgegengehen, einer Kritik, die stark und hart sein, die mit uns rechten würde, und wir wußten, daß diese Kritik auch diktiert sein könnte von der

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   25   Probleme/Projekte/Prozesse Zum Verbot der SPD 1933  Vorige SeiteNächste Seite
gerüstet zu sein«, denn »bereit sein ist alles«.3) Und im gleichen Sinne hieß es in einem SPD-Aufruf vom 30. Januar: »Wir führen unseren Kampf auf dem Boden der Verfassung ... Jeder Versuch der Regierung, ihre Macht gegen die Verfassung anzuwenden oder zu behaupten, wird auf den äußersten Widerstand« stoßen.4) Vorbereitungen dazu wurden aber – wie sich bald zeigen sollte – nicht getroffen. Rückblickend hieß es 1934 in einer sozialdemokratischen Denkschrift: »Wir konnten abwarten und den Gegner beobachten – aber eine Rüstung für eine gewaltsame Auseinandersetzung war völlig ausgeschlossen.«5) Die Hoffnungen auf ein verfassungsmäßiges Agieren der Regierung kennzeichneten die Positionen der SPD-Führung. »Der Parteivorstand sah ... die Perspektive einer verfolgten, gehemmten, terrorisierten Partei vor sich, die aber noch existiert und auf die Zukunft hofft.
     Er glaubte nicht an völlige Vernichtung wie in Italien.«6)
     Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933, als der KPD jede politische Betätigung verboten war, richtete sich der NS-Terror auch immer stärker gegen die SPD. Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete kamen in Haft, sozialdemokratische Organisationen wie z. B. Eiserne Front oder Reichsbanner wurden verboten, die sozialdemokratische Presse durfte nicht mehr erscheinen. Otto Wels hoffte in der Reichstagssitzung am 23. März in der Kroll-
Oper: »Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren.«7) Zur gleichen Stunde bewiesen die 94 sozialdemokratischen Abgeordneten großen persönlichen Mut, als sie im Sitzungssaal, der von bewaffneter SA umstellt war, gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten.
     Unter der sozialdemokratischen Mitglieder- und Anhängerschaft zeigten sich gegensätzliche Tendenzen. Zunächst war ein großer Teil der Mitglieder und Funktionäre zu Aktionen gegen die Nazi-Regierung bereit. Seit März/April griffen aber mit dem Anwachsen der faschistischen Terrormaßnahmen und bei der ausbleibenden Orientierung durch die Parteiführung in den sozialdemokratischen Organisationen verstärkt Auflösungserscheinungen um sich.
     Die Verbindung der Mitglieder und unteren Organisationseinheiten zu den übergeordneten Vorständen war zerstört, die innerparteiliche Kommunikation zerriß, das sozialdemokratische Organisationsleben kam zum Erliegen. Vielfach gab es, so in Hamburg, Aufforderungen, die Partei lediglich »als feste und unzertrennliche Gesinnungsgemeinschaft« zu wahren.8) Ein zeitgenössischer Bericht von 1934 charakterisierte die Situation im Frühjahr 1933 wie folgt: »Die Ortsgruppen waren schon
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   26   Probleme/Projekte/Prozesse Zum Verbot der SPD 1933  Vorige SeiteNächste Seite
damals vielfach aufgelöst, weil man die SPD für erledigt hielt.«9)
     Zur gleichen Zeit verstärkten sich Bestrebungen an der Basis, die Parteiorganisationen und ihre Arbeit auf die Illegalität vorzubereiten. Das geriet in Widerspruch zur Linie der SPD-Führung, die weiterhin glaubte, daß der Partei kein Verbot drohe. Der innerparteiliche Konflikt spitzte sich zu, als in Berlin Anfang April die SPD-Jugendorganisation, die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), selbständig den Übergang in die Illegalität vornahm. Die Berliner SAJ rechnete mit einem baldigen Parteiverbot und hielt den Verzicht auf aktiven Widerstand für gefährlich. Die SPD-Führung schloß die leitenden SAJ-Funktionäre aus der SPD aus und entzog der Jugendorganisation die materiellfinanzielle Unterstützung.10)

Austritt aus der Sozialistischen
Arbeiter – Internationale

Der Kurs der Parteiführung diskreditierte die SPD international und gipfelte in ihrem Austritt aus der Sozialistischen Arbeiter-Internationale. Als Göring (1893–1946) für die Wiederzulassung der SPD-Presse verlangt hatte, »die Hetze in den sozialdemokratischen Blättern des Auslands« müsse aufhören, intervenierten Ende März führende SPD-Politiker – die Mitglieder des Reichstags Paul Hertz (1888–1961), Emil

Kirschmann (1888–1948), Fritz Stampfer (1874–1957) und Otto Wels sowie der Vorwärts-Redakteur Victor Schiff (1895–1953) – bei den ausländischen sozialdemokratischen Parteien, um auf deren Berichterstattung über Deutschland einzuwirken.11) Wels begründete den Austritt aus der SAI am 30. März damit, daß die SAI-Exekutive Resolutionen in Abwesenheit deutscher Vertreter beschlossen habe. Die SPD wäre »gegen jede wie auch immer geartete Kundgebung in der Einheitsfront mit den Kommunisten«, die er in der einen Resolution gegeben sah. Die zweite Resolution, »Kampf dem Faschismus«, hatte das Ausmaß des Terrors in Deutschland verdeutlicht und das Regime als »faschistische Gewaltherrschaft« charakterisiert.12)
     Als am 26. April 1933 etwa 100 Funktionäre zu einer Reichskonferenz der SPD in einem vom Brand unzerstörten Teil des Reichstagsgebäudes zusammentraten, erwarteten viele Mitglieder und Anhänger ein Zeichen des Widerstands. In seinem Referat betonte Otto Wels, die Sozialdemokratie werde auf ihre Opposition zum Hitlerregime nicht verzichten, zugleich weckte er Hoffnungen, daß kein Regierungssystem ewig dauere. In der einstimmig angenommenen Konferenzresolution hieß es: »Durch unerschütterliches Festhalten an ihren Grundsätzen und Ausnutzung der gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten in ihrer Betätigung dient die Sozialdemokratische
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   27   Probleme/Projekte/Prozesse Zum Verbot der SPD 1933  Vorige SeiteNächste Seite
Partei Deutschlands der Nation und dem Sozialismus.«13) Damit bestätigte die Konferenz die vorgenommene Beschränkung auf die Legalität.
     Am 4. Mai, zwei Tage nachdem die Gewerkschaften zerschlagen wurden, trat der von der Konferenz neugewählte Vorstand zu seiner ersten und einzigen Vollsitzung zusammen. Sechs seiner Mitglieder sollten eine Auslandsführung aufbauen. Die ins Ausland geschickten Mitglieder waren sich recht schnell der verhängnisvollen Auswirkungen der bisherigen Politik bewußt. Sie forderten, daß die Fraktion der SPD nicht an der Reichstagssitzung, die für den 17. Mai einberufen worden war, teilnehmen solle. Auf dieser Tagung wollte Hitler die Welt-öffentlichkeit mit einer »Friedensrede« beruhigen und der drohenden außenpolitischen Isolierung begegnen.

Die Berliner Gruppe
setzte sich durch

An den Vorberatungen der SPD-Fraktion konnte von den 120 Abgeordneten, die bei den Reichstagswahlen am 5. März gewählt wurden, nur noch etwas mehr als die Hälfte mitwirken. 19 ihrer Abgeordneten waren bereits in Konzentrationslager gesperrt, andere emigriert. Nach heftiger Diskussion entschied sich die Fraktion mit einer Mehrheit von 48 zu 17 Stimmen für eine Teilnahme an der Reichstagssitzung

und die Abgabe einer eigenen Erklärung.
     Die sogenannte Berliner Gruppe um Paul Löbe (1875–1967), Ernst Heilmann (1881–1940), Wilhelm Hoegner (1887–1980) und Johannes Stelling (1877–1933), repräsentiert durch die in Berlin verbliebenen Vorstandsmitglieder und die Mehrheit der SPD-Reichstags- und Preußischen Landtagsfraktion, hatte sich durchgesetzt. Im Reichstag stimmte die Fraktion, ohne eine eigene Erklärung abgeben zu können, der außenpolitischen Erklärung Hitlers zu. Sie hoffte, Repressionen gegen Sozialdemokraten rückgängig machen und ein Verbot der Partei verhindern zu können. Sie forderte die noch bestehenden Bezirksvorstände der SPD auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. In einer Erklärung, die in Berlin als Flugblatt verteilt wurde, hieß es, daß die Zustimmung der sozialdemokratischen Abgeordneten zur Reichstagsentschließung vom 17. Mai kein Vertrauensvotum für die Regierung Hitler bedeute, sondern die Billigung einer friedlichen Außenpolitik Deutschlands.
     Die im Exil wirkende SPD-Führung trat – nicht ohne Komplikationen und Kritik – wieder in die SAI ein. Sie verstärkte ihre Bemühungen, den Übergang der Partei in die Illegalität vorzubereiten. Auf einer Sitzung unter Teilnahme der Berliner Vorstandsmitglieder Erich Rinner (1902–1982) und Max Westphal (1893–1942) beschloß sie am 21. Mai, daß alle Mandate der SPD im
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   28   Probleme/Projekte/Prozesse Zum Verbot der SPD 1933  Vorige SeiteNächste Seite
Reichstag und im Preußischen Landtag niedergelegt werden, der Vorstand seinen Sitz von Berlin nach Prag verlegt und einen Aufruf gegen die Hitlerregierung veröffentlicht.
     Die sozialdemokratische Parteiarbeit in Deutschland sollte unter Leitung von Rinner und Westphal neu organisiert werden. Das lehnten in Berlin die dortigen Mitglieder des Vorstands sowie die Landtags- und Reichstagsfraktion mehrheitlich ab. Die Auslandszentrale bekräftigte ihre Entscheidung: »Wir sind der Überzeugung, daß die Partei nicht länger im Stadium des Zögerns und Stillhaltens verharren darf, wenn sie nicht der Vernichtung ihrer organisatorischen Grundlagen durch den Faschismus ihre politische Abdankung im Bewußtsein der Arbeiter und der Weltöffentlichkeit folgen und den Kampf gegen den Faschismus ausschließlich den Kommunisten überlassen will.«14) Zur Auslandszentrale gehörten u. a.: Otto Wels, Siegfried Crummenerl (1892–1940), Friedrich Stampfer, Hans Vogel (1881–1945), Erich Ollenhauer (1901–1963) und Paul Hertz. Am 18. Juni gab sie in Prag die erste Nummer des »Neuen Vorwärts« heraus und ver-öffentlichte den Aufruf »Zerbrecht die Ketten!«.
     Die Löbe-Gruppe distanzierte sich von den emigrierten Führern und deren Aufruf, sprach dem Prager Vorstand jede Legitimation ab und ließ am 19. Juni einen
neuen Parteivorstand wählen. Unter dem maßgebenden Einfluß von Löbe gehörten ihm keine jüdischen Mitglieder mehr an, um den Nazis diesen Vorwand zum Vorgehen gegen die SPD zu nehmen. Der Berliner Vorstand habe die alleinige Führung der Partei, »Parteigenossen, die ins Ausland gegangen sind, können keinerlei Erklärungen für die Partei abgeben«. 15)
     Am 21. Juni trat dieser Vorstand zu seiner einzigen Sitzung zusammen. Die Hoffnungen und Ziele eines Teils seiner Mitglieder bekundete Ernst Heilmann: »Wir müssen den Faden der Legalität weiter spinnen, solange er weitergesponnen werden kann.«16) Ernst Schumacher (1896–1957), Ernst Rinner, Curt Geyer (1891–1967) und andere protestierten dagegen.
     Noch als der Vorstand zusammensaß, ließ Innenminister Frick (1877–1946) den Landesregierungen mitteilen, die SPD müsse als eine »staats- und volksfeindliche Partei« angesehen werden und könne keine andere Behandlung beanspruchen als die KPD, es seien daher die »notwendigen Maßnahmen« gegen die SPD zu treffen. Die SPD wurde am 22. Juni verboten. Der Italiener Pietro Nenni (1891–1980) sagte auf der eingangs erwähnten Konferenz der SAI: »Die deutsche Sozialdemokratie scheint das Opfer eines wahren Fetischismus der Legalität gewesen zu sein.«17) Der Konflikt um die Erhaltung der Legalität der Partei hatte sich mit dem Verbot erledigt. Allein in den nächsten Tagen
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   29   Probleme/Projekte/Prozesse Zum Verbot der SPD 1933  Vorige SeiteAnfang
erfolgte die Verhaftung von über 3 000 Sozialdemokraten, darunter Friedrich Ebert (1894–1979), Franz Künstler (1888–1942) und Kurt Schumacher (1895–1952), in Berlin wurde in der Köpenicker Blutwoche das Vorstandsmitglied Johannes Stelling ermordet.
     Die Führung der SPD lag, wenn auch nicht unumstritten, nach dem Parteiverbot in Prag bei den emigrierten Vorstandsmitgliedern, sie bezeichnete sich nach den Anfangsbuchstaben der Sozialdemokratischen Partei Deutschland als SOPADE. Die SPD in Berlin und Deutschland hatte für die nächsten zwölf Jahre keine Möglichkeiten, legal als Partei zu wirken.

Quellen:
1      Protokoll. Internationale Konferenz der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, Paris, 21.–25. August 1933, Paris o. J., S. 99
2      Vgl. z. B. Vorwärts (Berlin), 2. 2., 3. 2., 7. 2. 1933
3      Rudolf Breitscheid, Bereit sein ist alles. Rede des Genossen Breitscheid, Berlin 1933, S. 10
4      Vorwärts, 31. 1. 1933
5      Die Sozialdemokratische Partei und Hitler. Der Weg in die Illegalität, Prag 1934
6      Ebenda
7      Verhandlungen des Reichstags. VIII. Wahlperiode 1933, Berlin 1934, S. 33
8      Merkblatt der Sozialdemokratischen Partei, Landesorganisation Hamburg, 6/1933
9      RSD-Berichte, 1/1934

10      Vgl. Erich Schmidt: Der Berliner Jugendkonflikt vom April 1933. Der 1934 erstellte Bericht ist abgedruckt bei: Erich Matthias/Rudolf Morsey, Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960
11      Vgl. Internationale Information (Zürich), 31. 3. 1933; Die deutsche Sozialdemokratie im Jahr der faschistischen Machtergreifung, o. O., o. J.
12      Internationale Information, 1. 4. 1933
13      Ein Protokoll über die Konferenz ist nicht vorhanden oder erhalten. Einen Bericht brachte die Internationale Information, 6. 5. 1933
14      Internationale Information, 27. 5. 1933; E. Matthias, Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration, Düsseldorf 1968, S. 175 ff.
15      Die Sozialdemokratische Partei im Jahr der faschistischen Machtergreifung; Neuer Vorwärts, 25. 6. 1933
16      Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin, ZPA, St. 3/714
17      Protokoll. Internationale Konferenz, S. 48
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