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zeichneter polemischer Aufsatz. Im Mittelpunkt stand vielmehr eine von der »Weltbühne« besorgte Neuübersetzung der Botschaft von Papst Benedikt XV., mit der dieser sich am 28. Juli 1915 »An die kriegsführenden Völker und deren Oberhäupter« gewandt und diese »im Namen des allmächtigen Gottes« beschworen hatte, »endlich dieser grauenhaften Schlächterei ein Ende zu setzen, die nun schon ein Jahr Europa entehrt«. Eine Neuübersetzung deshalb, weil – wie »Weltbühnen«-Mitarbeiter Walter Karsch in einem Nachwort bemerkte – »man beim Vergleich der deutschen Version mit dem italienischen Original auf Abweichungen stößt, die sich schließlich als Fälschungen entpuppen, fabriziert mit der eindeutigen Tendenz, Deutschland die wahre Meinung des Papstes über den Krieg zu verschleiern«. So war aus der »grauenhaften Schlächterei« (»orrenda carneficina«) der »entsetzliche Kampf« geworden, aus dem »schrecklichen Getöse der Waffen« (»pauroso fragore«) verharmlosend »Waffengeklirr«.
     Als Papst Benedikt im Juli 1915 anklagend feststellte, daß »die schönsten Landstriche Europas, des Gartens der Welt ... mit Leichen und Trümmern« besät sind, diente Tucholsky den vierten Monat als Armierungssoldat – auch Schipper genannt – hinter der deutsch-russischen Front. Er hat es als Glück empfunden, nie befohlener »Mörder« werden zu müssen. Aber er schämte sich
Horst Wagner
»Der bewachte Kriegsschauplatz«

Äußerlich eher klein und bescheiden, fast am Ende des »Weltbühnen«-Heftes vom 4. August 1931 stehend, wirkte und wirkt der mit »Der bewachte Kriegsschauplatz« überschriebene Artikel von Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky (1890–1935) bis heute wie ein Sprengsatz. Dieses – wie man es nennen könnte – Geschoß eines streitbaren Pazifisten führte wie kein anderer Beitrag seines Autors zu heftigsten publizistischen und politischen Auseinandersetzungen, war Gegenstand von Gerichtsverhandlungen und beschäftigte in jüngster Zeit sogar das Bundesverfassungsgericht. Freilich ging und geht es dabei meist nur um einen einzigen Satz: »Soldaten sind Mörder«, heißt es im drittletzten Absatz. Und viele, die sich um diesen Satz streiten, wissen oder beachten gar nicht, in welchem Zusammenhang er bei Tucholsky eigentlich steht.
     Wie es schon Tradition geworden war, erschien auch 1931 das erste Augustheft der »Weltbühne« als »Friedensheft« – zum mahnenden Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Gewichtigster Beitrag war gar nicht Tucholskys oft als Glosse be-

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dennoch, so hat er nach dem Krieg einmal erklärt, »daß ich nicht, wie der große Karl Liebknecht, den Mut aufgebracht habe, nein zu sagen und den Heeresdienst zu verweigern«.1) Gegen Ende des Krieges war Tucholsky noch ein halbes Jahr Hilfspolizeikommissar bei der deutschen Feldgendarmerie im besetzten Rumänien. Von dort hatte er in einem Brief am 17. August 1918 geschrieben: »Es ist noch nicht ... in die Köpfe gegangen, daß Blut Blut ist und daß es keinen geheiligten Mord gibt ... Der Mörder ist ein Unhold, Richthofen ist ein Held. Dabei sind beide mitunter beides.«2)
     Da war also der Gedanke schon, den Tucholsky in seinem »Weltbühnen«-Artikel vom 4. August 1931 weiter und schärfer ausgeführt hat. Dieser ist vor allem auch eine Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen. Die Überschrift »Der bewachte Kriegsschauplatz« erklärt er so: »Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen.« In den folgenden Zeilen setzt er sich mit diesen Feldgendarmen auseinander, mit den Strafkompanien, denen sie zulieferten, und damit, daß »manche Nationen ... ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre« jagten. Dann kommt er zur Kernaussage: »Da gab es viele Jahre lang
Kurt Tucholsky
ganze Quadratmeter Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt verboten war. Sagte ich Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.« Nachdem er auf die im gleichen Heft abgedruckte Botschaft Benedikts XV. verwiesen hat, faßt er zusammen: »Die Gendarmen aller Länder hatten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden.«
Gerade angesichts heutiger Auseinandersetzungen um das Tucholsky-Zitat ist dieser Kontext wichtig. Tucholskys Beitrag bezog sich nicht – so kann man daraus erse-
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hen – auf die Soldaten schlechthin, sondern auf das Kriegshandwerk. Er richtete sich in erster Linie, aber eben nicht nur, gegen die Feldpolizei und andere Einsatzkommandos, gegen das Erschießen von Deserteuren, das Morden, »weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden«. Man sollte daraus vor allem die Schlußfolgerung ziehen, alle »Deserteure« der Naziwehrmacht zu rehabilitieren, alle Urteile gegen sie zu annullieren.
     Daß sich der Satz »Soldaten sind Mörder« im Laufe der Zeit offenbar verselbständigt hat, dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, wie die damalige Armeeführung darauf reagierte. Sich speziell auf diesen Satz beziehend, erhob Reichswehrminister Groener (1867–1939) im Dezember 1931 Anklage gegen die »Weltbühne« wegen »Verächtlichmachung des Soldatenberufes«. Die Anklage richtete sich gegen den verantwortlichen Redakteur Ossietzky (1887–1938; vgl. auch BM 5/98), nicht gegen den Autor Tucholsky, denn dieser weilte unerreichbar für die deutsche Militärjustiz in Schweden. Ossietzky aber konnte aus dem Gefängnis in Tegel vorgeführt werden, wo er eine 18monatige Haftstrafe wegen »Landesverrats« absitzen mußte, die gegen ihn wegen des »Weltbühnen«-Artikels »Windiges aus der deutschen Luftfahrt« verhängt worden war. Tucholsky schwankte, ob er nach Berlin fahren sollte, um Ossietzky moralischen Beistand zu leisten. »Lohnt es
sich zu kommen«, schrieb er am 29.  März 1932 an seine Frau Mary. »Dafür spricht, das Blatt nicht im Stich zu lassen. Obgleich mit meinem Kommen nicht viel getan ist. Dagegen spricht eben: Prügel, vielleicht mehr – Haft und so fort ... Es besteht ferner die Gefahr, daß sie mich bis zur Abwicklung des ganzen Verfahrens durch alle Instanzen überhaupt nicht aus Deutschland herauslassen und mir den Paß wegnehmen ...«3)
Ossietzky erklärte zu Prozeßbeginn am 1. Juli 1932 vor dem Schöffengericht Charlottenburg: »Ich habe seit 1912 den Krieg bekämpft. Ich vertrete den Artikel meines Freundes Tucholsky vollständig ... Was den Ausdruck >Soldaten sind Mörder< anbetrifft, so betone ich, daß es selbstverständlich ist, daß darin nicht eine juristische Bezeichnung enthalten ist ... Es ist ja nicht von deutschen, englischen oder französischen Soldaten gesprochen worden, sondern nur von dem Begriff Soldaten. Es ist in dem Artikel auch nicht Bezug genommen worden auf die Reichswehr, sondern auf den vergangenen Weltkrieg. Der Verfasser geht davon aus, was er selbst als Soldat im Krieg erlebt hat.«4) Der Staatsanwalt beantragte eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis. Die Verteidiger konnten, gestützt auch auf zugeliefertes Material von Tucholsky, nachweisen, daß ebenso in Schriften Friedrichs des Großen, Kants, Voltaires, Goethes, Herders und vieler anderer Soldaten als Mörder, Henker, Schlächter oder so ähnlich
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bezeichnet werden, ja daß sogar der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, geäußert habe, ihn selbst einen Massenmörder zu nennen sei »eben so Ansichtssache«.5)
     Nach einstündiger Beratung verkündete das Schöffengericht den Freispruch Ossietzkys in diesem Prozeß. Es »habe die Überzeugung gewonnen, daß in dem Artikel keine bestimmte Anzahl von Personen gemeint wäre und es hat auch nicht feststellen können, daß gerade die Angehörigen der Reichswehr, die am Weltkrieg teilgenommen haben, gemeint seien«.6) Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, »weil durch die Bezeichnung >Soldaten sind Mörder< dem Berufsstand der Soldaten gegenüber eine besondere Mißachtung zum Ausdruck gebracht wurde«. Am 17. November 1932 verwarf das Berliner Kammergericht den Revisionsantrag und bekräftigte, »daß eine schwere Ehrekränkung nur dann bestraft werden kann, wenn sie sich auf Personen, nicht aber auf eine unbestimmte Gesamtheit bezieht«.7) Wenige Wochen danach allerdings wurde der »Ehrenschutz für Soldaten« per Notverordnung des Reichspräsidenten gesetzlich verankert, und einige Monate später landeten die Schriften Tucholskys, Ossietzkys und vieler anderer auf den von den Nazis entzündeten Scheiterhaufen.
     Seitdem 1989 das Frankfurter Landgericht befand, daß die Aussage »Soldaten sind po-
tentielle Mörder« weder den Tatbestand der Beleidigung noch der Völkerverhetzung erfüllt, haben sich zahlreiche neue Forderungen nach einem Ehrenschutz-Paragraphen speziell für die Soldaten der Bundeswehr erhoben. Am 25. August 1994 hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht eine vorausgegangene Bestrafung der öffentlichen Verwendung des Tucholsky-Zitats »Soldaten sind Mörder« u. a. deshalb aufgehoben, weil in diesem Falle das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung höher zu veranschlagen sei – obwohl es strafbar bleibe, damit konkret die Soldaten der Bundeswehr zu bezeichnen. Ein Urteil, das in Deutschland in der breiten Öffentlichkeit wie auch im Bundestag neue Debatten ausgelöst hat.
     Interessant in diesem Zusammenhang, daß seinerzeit Tucholskys Äußerung nicht nur aus Reichswehr- und anderen Rechtskreisen angegriffen wurde. In der Zeitschrift »Die Friedenswarte« vom August 1932 schrieb der Pazifist Kurt Hiller (1885–1972) in einem offenen Brief an Tucholsky, er halte den Satz »Soldaten sind Mörder« für falsch und für unüberlegt. Er nannte dafür u. a. folgende Gründe: »Der Soldat soll zwar töten (Unschuldige!); aber er soll zugleich bereit sein sich (schuldlos!) töten zu lassen. Den in dieser Lage Handelnden darf man nicht Mörder nennen ... Wem die Staatsgewalt bei Kerkerstrafe, ja bei Todesstrafe befiehlt, zu töten und sich töten zu
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lassen, den kann man nicht Mörder nennen, wenn er dem Drucke nachgibt.« Hiller erinnert Tucholsky auch daran: »Hätten die Sowjets, in den ersten Jahren nach der Revolution, sich der sie bedrängenden Interventionsheere nicht militärisch erwehrt, so würde dort drüben das nicht zu erblühen begonnen haben, was Sie bewundern wie ich; und Rußland wäre heute, wie unter dem Zaren, der Hort der Weltreaktion.« Und weiter schreibt er: »Selbst der für eine von uns abgelehnte oder als Illusion erkannte Idee freiwillig tötende Soldat ist, falls er sie im Herzen trägt, kein Mörder.« Sicher kann man gerade gegen diesen letzten Satz Bedenken anmelden. Weniger allerdings gegen Hillers Feststellung, daß man sich nicht scheuen solle, »den Staat, der mit dem Krieg als Mittel der Politik spielt und Ernst macht, einen Mörderstaat zu nennen«. Es seien »vor allem die Geschäftemacher mit dem Krieg: Mörder«.8)
      So falsch es wäre, sich auf Tucholsky berufend, in jedem Soldaten, ob als Wehrpflichtiger oder in Berufsarmeen, einen potentiellen Mörder zu sehen, so richtig ist es sicher, im Geiste Tucholskys und seiner Gesinnungsgenossen Krieg und Kriegsvorbereitung zu verurteilen, sich gegen die Lösung politischer Konflikte mit militärischer Gewalt zu wenden und auch die Verweigerung des Waffendienstes als pazifistische Gesinnung anzuerkennen.
Quellen:
1 Zitiert nach Helga Bemmann: Kurt Tucholsky. Ein Lebensbild, Berlin 1990, S. 129
2 Klaus-Peter Schulz: Kurt Tucholsky in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1959, S. 60
3 Zitiert nach: »Soldaten sind Mörder«. Dokumentation einer Debatte 1931–1996. Herausgegeben von Michael Hepp und Viktor Otto, Berlin 1996, S. 42 f.
     4 8 Uhr-Abendblatt, Berlin, 1. 7. 1932
5 »Soldaten sind Mörder«, a. a. O., S. 18, 77–78, 93
6 »Berliner Tageblatt«, 2. 7. 1932 (Morgenausgabe)
7 »Berliner Tageblatt«, 17. 11. 1932 (Abendausgabe)
8 »Soldaten sind Mörder«, a. a. O., S. 81 f.

Bildquelle:
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