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Günther Bellmann Markus Mey Peter Philipps Berlin einst und heute Ullstein, Berlin 1997 Irgendeine Stadt bzw. Gemeinde in Einst- und
JetztIllustrationen dem jeweiligen
Gegenwartspublikum vorzustellen, das ist eine schon im 19.
Jahrhundert von Verlegern entdeckte leserwirksame Art,
Nostalgie zu bedienen und angesichts der zumeist als unangenehm empfundenen Hektik des Augenblicks die Sehnsucht nach der »guten alten Zeit« nicht untergehen zu lassen. Sehr oft wird gerade in
unserer Zeit mit gewisser Liebe zum Detail die zugegebenermaßen vernüchternde Architektur der Moderne oder gar Postmoderne in den Fotos der Gegenwart wie eine Anklage formuliert. Dabei
wird nicht selten übersehen, daß im Normalfall
gerade eine Stadt (weit mehr noch als ein Dorf) ein
lebendiger Organismus ist, der sich auch objektiv ablaufenden technischen und kommunikativen Entwicklungstrends anzupassen hat, sofern er nicht zur zwar reizvollen Touristenattraktion, aber
zur Hölle für seine Bewohner werden will.
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verführt, Fotochronist jener Zeit bis 1914 zu sein, die wir aus späterem Wissen »Vorkriegsperiode« zu nennen gewohnt sind. Tatsächlich verstanden sie die Zeitgenossen wie denn sonst als »die Moderne« und trauerten beim Lesen von
Rodenbergs Berliner Skizzen aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der
Beschaulichkeit nach, die ihrer hektischen Gegenwart nicht
mehr gegönnt wurde ...
Das ganze Buch ist aus einer Serie in der »Berliner Morgenpost« hervorgegangen, und der ursprünglich gezielt eingesetzte journalistische Plauderton gibt den Texten eine erfreuliche Leichtigkeit. Nur vier der dreißig Bilderläuterungen hat Peter Philipps beigetragen: neben der über den Boulevard Unter den Linden die zu den drei Bahnhöfen Friedrichstraße, Anhalter Bahnhof und Zoo offenbar fühlt er sich in der Berliner Verkehrsgeschichte zu Hause. Bellmann, der also den Löwenanteil beschreibender Gegenüberstellungen und besinnlicher lokalhistorischer Hintergrundinformationen liefert, läßt angenehmerweise auch beinahe jede Neigung zum Abbürsten Ostberliner Bauleistungen während der dortigen Regie der Politbürokratie vermissen (was z. B. bei Autoren einer ausgerechnet am Alexanderplatz beheimateten Berliner Tageszeitung keineswegs üblich ist) und legt wiederholt vorsichtig den Finger auf Wunden, die infolge der üblichen Berliner Bürokratie und des ebenfalls üblichen Hickhacks divergierender Interessenten-Lobbies den städtebaulichen Heilungsprozeß einer aus den Verwüstungen von heißem (Bomben!) und Kaltem (Mauer!) Krieg wiedererstehenden Stadt hemmen. Den nicht zu Unrecht geäußerten harschen Worten über den Abriß des Berliner Stadtschlosses stehen allerdings keine kritischen Bemerkungen zu den westlich der Ebert- und südlich der Zimmerstraße vorgefallenen Abrissen von Prinz-Albrecht-Palais, Kroll-Oper, Sportpalast, Jagdschloß Dreilinden und »Meyers Hof« (der kulturhistorisch so signifikanten | ||||||
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aus Berlin, entstanden. Alle Broschüren
verstehen sich als Beitrag, die Traditionen der
gegenseitigen Beziehungen zu stärken. Neben einer
Einführung der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, Barbara John, ist (bis auf eine Ausnahme) auch jeweils ein Vorwort eines Diplomaten enthalten: Für das Heft über Irland und Großbritannien
verfaßten ihn der irische Botschafter P. Murphy und die Leiterin der Britischen Botschaft,
Außenstelle Berlin, Rosemary Spencer, für die USA
Assistant Chief der Botschaft Jock Covey, für Frankreich
der ehemaliger Gesandte in Berlin Christian
Connan. Leider fehlt ein solches Vorwort für »Das
russische Berlin«, zu hoffen ist, daß dies nur dem Umstand geschuldet ist, daß es als erste der hier
vorgestellten Publikationen erschien.
Gliederung, Struktur und Anlage der Hefte sind ähnlich. Dem Vorwort folgen eine Skizzierung der geschichtlichen Entwicklung der Beziehungen zu Berlin bzw. zu Deutschland, die Abschnitte sind überschrieben mit Titeln wie »Amerikaner an der Spree« oder »England an der Spree«. Bei den USA und Großbritannien ist auch eine kurze Geschichte des Landes enthalten. Ob das wirklich notwendig ist? Auf den wenigen Seiten kann da kaum Neues vermittelt werden. Es fällt auf, daß die Geschichte der gegenseitigen Beziehungen durchweg aus der Sicht von Westberlin geschrieben ist. Dies ergibt sich daraus, daß in den meisten Heften die Zeit von 1945 bis 1989/94 im Vordergrund steht. Der Ostberliner Stadtteil kommt in der Regel nur für die unmittelbare Nachkriegszeit mit Spaltung der Stadt und der Blockade 1948/49, mit 17. Juni 1953, Mauerbau und Wiedervereinigung 1990 vor. Durchgängig hervorgehoben wird, daß aus den Feinden vor 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg Besatzer und schließlich Freunde und Partner wurden. Die Luftbrücke 1948/49 gilt dabei als Wendepunkt, aus der Besatzungsmacht wurde eine Schutzmacht. Deutlich werden die gewandelten Beziehungen in der Gegenwart: | Die ehemaligen Alliierten sind in der Stadt
nicht mehr als Verwaltungs- und Militärmacht
präsent. Dennoch leben heute in Berlin 10 000
Amerikaner, 10 000 Franzosen und 8 000 Briten, die Russen werden gar auf 35 000 geschätzt.
Alle Hefte informieren, unterschiedlich ausführlich, nicht nur über historisch entstandene vielfältige Verbindungen, sie stellen auch interessante Persönlichkeiten Künstler, Wissenschaftler, Sportler, Architekten u. a. und vorhandene Einrichtungen (Kulturzentren, Kirchen, Vereine, Wirtschaftsunternehmen, Gaststätten) in Berlin vor. Das amerikanische und französische Heft ist zweisprachig abgefaßt, die beiden anderen nicht. Die Zweisprachigkeit erweist sich dann als nicht überflüssig, wenn auch die Bürger des jeweiligen anderen Landes angesprochen werden sollen. Leider sind nur die Autoren der amerikanischen und französischen Fassung vorgestellt, die wie auch die der russsischen aus den jeweiligen Heimatländern kommen und Berlin meist über Jahre kennen. Etwas ausführlicher als auf die anderen Hefte sei auf das französische eingegangen. Auf die gegenüber anderen Ländern besonderen Beziehungen Berlin-Frankreich verweist in ihrem Vorwort schon Barbara John: »Wohl kaum eine Nation ist so fest in Berlin verwurzelt, so eng mit Geschichte und Kultur der Stadt und der umliegende Region verbunden wie Frankreich und die Franzosen.« (S. 3) Diese Beziehungen sind zurückzuführen auf die erste große Zuwanderungswelle vor über dreihundert Jahren, als Glaubensflüchtlinge aus Frankreich Zuflucht und Aufnahme in Preußen fanden. Durch Integrationsmaßnahmen, begonnen mit dem Edikt von Potsdam von 1685, zog es die Hugenotten mehr in den Berliner Raum als in andere Gegenden Deutschlands. Die französischen Einwanderer sind wohl auch diejenigen, die Lebensart, Alltag und Gesellschaft von Essen und | |||||
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Sprache über Architektur bis hin zu Musik, Literatur und Kunst nachhaltiger als andere ausländische Einwohner beeinflußt haben. Einige wenige Beispiele seien genannt. Das Zeughaus wurde vom französischen Militäringenieur Jean de Bodt miterrichtet, das erste Kaffeehaus im Lustgarten eröffnete 1721 der Franzose Olivier. Selbst am Hofe erlangten die Franzosen, so als Erzieher der königlichen Familie und des Adels, Einfluß. Nachkommen der Franzosen schrieben wichtige Kapitel der Berliner Kultur- und Geistesgeschichte: so der Maler Daniel Chodowiecki, der Wissenschaftler Franz Carl Achard, die |
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Gebrüder Humboldt, der Jurist von Savigny
sowie der Schriftsteller Theodor Fontane. Die
Hugenotten führten Blumenkohl, Tabak, Spargel, Erbsen,
Bohnen und andere Gemüse und Obstsorten in
Preußen ein. Der französische Einfluß blieb auch im Berliner Vokabular manifest: ob Filet und Bulette, Negligé und Taille, Bataillon und Manöver,
Menuett und Bilett, Mätresse und Misere die
französische Herkunft ist hörbar. Andere Worte sind so
eingedeutsch, daß ihr Ursprung kaum noch erkennbar ist. Mausetot kommt von mort si tôt,
Kinkerlitzchen von quincaillerie und Muckefuck von mocca
faux. Umstritten bleibt die Herkunft der Fisimatenten: haben sie ihren Ursprung im Lateinischen oder kommen sie aus dem französischen »visitez ma
tente« (besucht mich in meinem Zelt)?
Abschließend sei noch ein Vorzug des französischen Heftes vermerkt. Es vermittel Zeitkolorit, indem es durch zahlreiche zeitgenössische Textauszüge erhellt, wie Franzosen in den verschiedenen Jahrhunderten und Jahrzehnten Berlin sahen. Angesichts irisch-britischer Probleme war es | ||||||||
sicherlich eine gute Idee, beide in einem Heft vorzustellen. Ausgangspunkt der Broschüre bildet die 200jährige Verbindung der Stadt mit den Inseln, die an die Beziehungen der Adelshäuser geknüpft sind. Zugleich wird deutlich, »für Iren und Briten war Berlin traditionell keine sehr wichtige Anlaufstelle« (S. 7), und das blieb so bis in die Gegenwart. Relativ ausführlich wird der Leser informiert über Deutsche auf dem englischen Thron und die dynastischen Beziehungen, die 1714 mit der Thronfolge durch den Kurfürsten von Hannover, Georg Ludwig, begannen. Die spätere Verfeindung mit Deutschland erreichte im Ersten Weltkrieg einen ersten Höhepunkt, weshalb die Königsfamilie ihren deutschen Namen Sachsen-Coburg-Gotha ablegte und sich seither Windsor nennt. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der Ort mit dem längsten Namen der Welt mit einer Abbildung vertreten ist: | ||||||||
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Llanfairpwllgwyngyllgogerychwymdrobwllllantysi
liogogogoch. Das Faksimile einer Postkarte gibt quasi die Anleitung zur richtigen Aussprache, »um das walisische `ll auszusprechen: Pressen
Sie die Zungenspitze gegen die oberen
Schneidezähne und blasen Sie kräftig ...«
Auch die Wurzeln der Amerikaner in Berlin reichen 200 Jahre zurück. Sie werden zurückgeführt auf den 1785 geschlossenen Freundschafts und Handelsvertrag, der am 11. Juli 1799 durch den damaligen US-Botschafter John Quincy Adams, den späteren USA-Präsidenten, in Berlin verlängert wurde. Gemischte Gefühle erweckt angesichts des in Deutschland wiederauflebenden Nationalismus und Neonazismus, wenn der Autor in Abschnitten über die NS-Zeit schreibt, »Thomas Wolfe war nicht lange in Berlin, aber für einige kurze Momente in den Dreißigern erreichte er etwas Bemerkenswertes. Er erweckte Berlin wieder zum Leben!« (S. 42) Nicht nach jedermanns Geschmack dürfte die etwas überschwengliche Lobpreisung amerikanischer Geschäftstüchtigkeit von Coca-Cola, McDonald's und anderer sein, denn »all diese Unternehmen bringen ein kleines Stück Amerika nach Berlin ... sie geben Berlinern Arbeit und bringen für die Stadt wichtige Steuereinnahmen. So tragen amerikanische Aktivitäten zum allgemeinen Wohlstand für Berlin und die gesamte Region bei.« (S. 6) Zum »russischen Berlin« erinnert Barbara John in ihrem Vorwort an das historische Erbe: Die gewaltigen Opfer, die die Sowjetunion bei der Zerschlagung der Nazidiktatur erbracht hat. Viele Westberliner dagegen identifizieren mit den Russen vor allem Blockade und Transitstrecken. Die Autoren betonen als spezifische Absicht, nicht die Russen in Berlin, sondern das russische Berlin zu dokumentieren, um ein möglichst breites Spektrum der »russischsprachigen Kolonie« vorzustellen. Im Unterschied zu anderen Heften ist in diesem während die sowjetisch-russische Emigration in Berlin | 1917 bis 1945 mit viel Sympathie für emigrierte Adlige, Geschäftsleute und Intellektuelle ausführlich beschrieben wird die Geschichte
nach dem Zweiten Weltkrieg kaum behandelt. Es erfolgt ein unlogischer Sprung von 1945/49 nach 1990/94.
Sicher lassen sich in anderen Heften auch mehr oder weniger deutliche Unexaktheiten feststellen. Doch hier fallen eklatante Fehler auf. Einige Beispiele seien genannt. Die Oktoberrevolution wird auf 1918 (u. a. S. 4, 5) und die deutsche Wiedervereinigung auf den 10. Oktober 1990 (S. 26) datiert. Auch hat die Gruppe Ulbricht nicht das Nationalkomitee Freies Deutschland gegründet, schon gar nicht hatte sie die Macht, für die Einsetzung der Bezirksverwaltung und des Magistrats von Berlin zuständig zu sein (S. 45). Wolfgang Leonhard hat seinen Lebensweg im Osten auch nicht in »Die Revolution frißt ihre Kinder«, sondern zuerst in »Die Revolution entläßt ihre Kinder« beschrieben. Solche Unexaktheiten sind leider kein Einzelfall. Gut wäre, wenn die Herausgeber den Autoren einen sachkundigen Lektor zur Seite geben würden. Insgesamt eine löbliche Reihe, die dazu beitragen kann, das Verständnis für Geschichte, Kultur und Lebensgewohnheiten der Eingewanderten zu fördern und ein verständnisvolles, tolerantes Zusammenleben zu ermöglichen. Herbert Mayer Bildquelle:
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Peter Glaß/Carsta Knaack
| des Decla-Hauses, ausgelöst durch Beschwerden
in ihrer Existenz bedrohter Konkurrenten und 1919
begründet mit der Tatsache, daß an der
Spitze »nicht ein Deutscher, sondern ein Tscheche
steht«. Alle die einzelnen »Lichtspielhäuser«
behandelnden kleinen Abschnitte werden letztlich auch in den gesellschaftlichen Kontext gestellt und damit
aus der scheinbaren Wertfreiheit von Wünschen,
Absichten und Entscheidungen herausgehoben. Breiten Raum nimmt das Kinosterben in diesem
Teil Ostberlins ein, eine Entwicklung, die
selbstverständlich dem Siegeszug des Fernsehens ebenso geschuldet war wie der in allen europäischen
Ländern zur gleichen Zeit eintretenden
Veränderung der Besuchergewohnheiten. Hier kam noch der permanente Mangel an »Baukapazitäten« hinzu, der bei allen guten und in der Presse
weitausholend beschriebenen Absichten z. B. die
Wiedereröffnung des Delphi auf den (noch heute anhaltenden)
Sankt-Nimmerleins-Tag verschob.
Alte Weißenseer werden mit leiser Wehmut im Herzen an manche schöne Stunden in »ihrem« Kino denken, aber auch an die noch monate-(nicht nur tage-)lang nach dem Bombenangriff am Universum zu lesende Schrift »Es fing so harmlos an«. Sie werden mit Erstaunen lesen, daß das Toni noch bis 1979 das einzige (!) private Kino Ostberlins gewesen ist, es wird ihnen vielleicht auch Spaß machen, daß der Name des Platzes nun schon beim vierten Kinonamen Pate gestanden hat. Kleine Textfehler werden zu übersehen sein, sie schmälern den Wert des Buches nicht. Auch nicht das sonderbare Wort eigenbrödlerisch (S. 89), zumal man nicht weiß, ob das nicht so bereits in der an Neuschöpfungen nicht eben armen taz gestanden hat. Der an der Weißensee-Historie Interessierte ist rundum zufrieden damit, daß wieder ein bislang unbeleuchtetes Kapitel durch Spots aufgehellt werden kann. Joachim Bennewitz | |||||
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© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de