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Durchschlagskraft, weil sich der
politisch orientierte Liberalismus auf die sozial
motivierte Bewegung der Unterschichten
stützen konnte, die sich oft eine schwere
Hungerkrise 1846/47 war fast nahtlos im Herbst 1847 in eine Wirtschaftskrise übergegangen in einer verzweifelten Lage befanden. Da den Obrigkeiten überzeugende
Machtmittel gegen eine derart losgebrochene Massenerhebung fehlten, wichen sie
zurück, bewilligten die Forderungen und
bildeten die Regierungen durch die Einbeziehung prominenter Liberaler aus der
bisherigen Opposition um.
10 000 am 13. März
Diese sogenannten Märzminister machten allerdings ihrerseits ohne Verzug Front
gegen radikale Ausschreitungen und traten | ||||||
Kurt Wernicke
Mißverständnisse Die Märzrevolution in Berlin Anfang März 1848 schlug in Deutschland eine schwelende revolutionäre Krise in
die akute Revolution um. Der Anstoß zur
Auflösung des lange anstehenden Reformstaus kam allerdings aus dem schon weiter
entwickelten Frankreich, wo ein Knoten aus | ||||||
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landete. Noch war allerdings Preußen
ein Trumpf im Spiel der Rückwärtsgewandten
seine Armee war intakt, sein Hof von Konservativen beherrscht, sein König
zutiefst von seinem Gottesgnadentum überzeugt und jeder geschriebenen Verfassung
abhold. Aber schon seit der ersten Märzdekade
hatten nicht nur im preußischen Rheinland, sondern auch in der Hauptstadt Berlin
auf Versammlungen und in Petitionen sich Forderungen des Volkes artikuliert. Am 13.
März waren in Berlin erstmals 10 000 Menschen auf den Straßen, und das spezifische
Preußentum wußte nur mit der Waffe darauf
zu antworten: Seit diesem Tag floß jeden
Abend das Blut von Zivilisten in Berlins
Straßen. Eine große Demonstration vor dem
Schloß sollte die Welle der Sturmpetitionen am 18. März auch nach Berlin tragen und Zurückziehung des Militärs, seinen Ersatz durch eine Bürgergarde, Pressefreiheit und Einberufung einer neuen Session des preußischen Parlamentersatzes Vereinigter Landtag zwecks Verabschiedung einer Verfassung fordern. Die beiden letzten Forderungen waren jedoch zum Zeitpunkt der Demonstration vom König schon bewilligt, wofür er nun prompt Jubel erntete. Aber die freudig erregte Menge versickerte ganz allmählich, und unmittelbar vor den Wohngemächern der königlichen Familie über dem Portal Nr. 2 (gegenüber der Einmündung der Breiten Straße auf den Schloßplatz) mußte anstelle der vorher jubelnden | Berliner Spießbürger der Anblick von
Angehörigen der Berliner Unterschichten
konstatiert werden. Sehr wahrscheinlich hatte der Berliner Handwerkerverein seine etwa 3
000 Mitglieder zur Teilnahme mobilisiert seine Anwesenheit ist jedenfalls belegt, ebenso
die aus ihm heraus vorgetragene Artikulation, daß die ganzen schönen politischen
Zugeständnisse dem armen Volk noch lange nichts hülfen ... Aus dem unguten
Gefühl heraus, das man gegenüber der auch in
Berlin nicht gern gesehenen Anwesenheit »der Straße« empfand
(ebendiese »ließ mit Recht Arges befürchten«, wollte sich der König
in der folgenden Nacht vor seinen »lieben Berlinern« rechtfertigen), wurde nun in des Königs Umgebung jenen Scharfmachern nachgegeben, die schon seit Tagen auf das Machtmittel Militär gesetzt und den Berlinern seit dem 15. März schon vier Tote beschert hatten: Kavallerie und Infanterie erhielten den Befehl, den Schloßplatz von dort Anwesenden zu säubern. Das schuf aber sofort wieder eine Einheitsfront unter den sozial sicher aus sehr verschiedenen Umfeldern stammenden Demonstranten: »Militär zurück!« war nun der einhellige Schrei. Just da ertönten mindestens zwei, vielleicht auch mehr Schüsse. Deren Herkunft ist bis heute ungeklärt, auch wenn tatsächlich zwei Infanteristen aus Versehen Schüsse gelöst haben. Aber seit Ernst Benda 1988 die Aufzeichnungen seines gleichnamigen Urgroßvaters (18251905) veröffentlichte (»Der Bär | |||||
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von Berlin. Jahrbuch 1988 des Vereins für die Geschichte Berlins«, S. 23 ff.), der
direkter Augenzeuge der Vorgänge auf dem Schloßplatz am 18. März 1848 war, liegt
doch immerhin der Verdacht nahe, daß auch
aus der Volksmenge zwei Signalschüsse abgegeben worden sein können. Das würde
das merkwürdige Phänomen erklären, daß
von allen Seiten des Schloßplatzes
gleichzeitig davongestoben und »Verrat! Rache!«
geschrien wurde obgleich ganz offensichtlich niemand verletzt war und an
Orten, die viele hundert Meter vom
Schloßplatz entfernt lagen, von einzelnen vor
Empörung zitternden angeblichen Augenzeugen
die Nachricht verbreitet wurde, daß sich vor dem Schloß Hunderte in ihrem Blut
wälzten. Für eine Massenpsychose wären die
Zufallsschüsse zweier Infanteristen eine
etwas dürftige Ursache, selbst wenn man die
gereizten Nerven der Berliner Zivilbevölkerung bedenkt, die seit einer Woche den militärischen Brutalitäten ausgesetzt
gewesen war.
Prittwitz löste den
Jedenfalls genügte dieser Vorfall auf dem Schloßplatz, um die Stadt in offene Rebellion zu versetzen und etwa 200 Barrikaden emporwachsen zu lassen. Zu deren Errichtung als zunächst schwache Hindernisse gegen freies Passieren der Straßen bedurfte es | keiner besonderen Anstrengung, denn die über den straßensäumenden Rinnsteinen liegenden Abdeckbohlen konnten als überall sofort verfügbares Baumaterial genutzt werden. Ob man auf der Seite der Barrikadenbauer wirklich mit einem systematischen Angriff des Militärs auf die Barrikaden rechnete, ist nicht nachweisbar politisch aufgewertet worden wären die auf Veränderung orientierten politischen Kräfte auch ohne Kampf und Sieg in den Straßen Berlins, wenn sie nur darauf verweisen konnten, daß einige noch ausstehende Punkte aus ihrem Forderungskatalog (z. B. Vereinsfreiheit, Religionsfreiheit, evtl. auch die am Vortag bei der Diskussion der Forderungen ins Spiel gebrachte »Berücksichtigung der sozialen Frage«) erst durch die Barrikaden erzwungen worden waren. Tatsächlich hätte die ganze Krise immer noch unblutig gelöst werden können, wenn der militärische Befehl zur Einnahme und Räumung der Barrikaden ausgeblieben wäre. Der zur Befehlsgebung berechtigte Gouverneur von Berlin damals General Ernst von Pfuel (17791866), der noch aus der Schar der Militärreformer der preußischen Reformzeit stammte hätte mit Bestimmtheit keinen Angriffsbefehl erteilt. Aber da ihn die Scharfmacher in der Suite des Königs, an ihrer Spitze der Thronfolger Prinz Wilhelm (17971888), der spätere König und Kaiser, für »zu lasch« hielten, wurde er unter dem Vorwand, er sei nicht zu erreichen, gerade am Mittag des 18. März | |||||
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übergangen und durch den
Generalleutnant Karl Ludwig von Prittwitz (17901871)
ersetzt, einen Intimus des Prinzen Wilhelm, der ihm eben erst im Kommando des
Gardekorps nachgefolgt war. Er erteilte gegen drei Uhr nachmittags den Angriffsbefehl, etwa
zu der Zeit, als aufgeschreckte Bürger ein schnell gefertigtes Transparent über
den Schloßplatz trugen mit der Inschrift:
»Ein Mißverständnis!!! Der König will das Beste!«
Abgesehen davon, daß dieser Beschwichtigungsversuch die wütenden Barrikadenbauer gar nicht erreichen konnte ein Mißverständnis war die nun blutig einsetzende Konfrontation keineswegs: Einerseits schäumten die militärischen Chargen vor Wut über die widersetzlichen Untertanen; andererseits hatten es die Berliner unterhalb der adligen wie der Geldaristokratie satt, sich als Freiwild für hauende, stechende und schießende Soldaten betrachtet zu sehen. Deshalb gab es neben den sichtbaren Barrikaden die ganze Stadt durchziehende unsichtbare Barrikaden der Angst und des Abscheus vor Militärbrutalität. Diese letzteren waren es wohl in erster Linie, die es möglich machten, daß 14 000 Soldaten die etwa 5 000 aktiven Kämpfer an den realen Barrikaden nicht zu besiegen vermochten. Letztere ganz wenige Studenten und Intellektuelle, in der Hauptsache Arbeiter, Kleinmeister, Handwerksgesellen mußten, schlecht bewaffnet, wie sie waren, angesichts der häufig selbst mit Artillerieunter- | stützung vorgetragenen Angriffe Barrikade für Barrikade aufgeben. (Nur die den Alexanderplatz nach Norden abschließende, an deren Verteidigung sich gutbewaffnete Mitglieder der Berliner Schützengilde beteiligten, widerstand ungebrochen.) Aber nach 15 Stunden war die Truppe erschöpft und moralisch entnervt. Hatte sie eine Barrikade genommen, stand sie an der nächsten Kreuzung vor der nächsten, und die Befehlshaber bemerkten mit einem wachsend unguten Gefühl, daß sich auch im Rücken ihrer Einheiten wieder Zivilisten sammelten. Das war eben nur möglich, weil es bei der Mehrheit der Berliner aller sozialen Schichten eine momentane Abgrenzung vom Militär gab, die sich in einer stillschweigenden Unterstützung für die aktiven Barrikadenkämpfer niederschlug und diesen Haustüren, Bodenkammern, Kellergelasse und Durchgänge öffnete. Zudem wurde der Widerstand hinter den Barrikaden nicht schwächer, sondern sogar stärker. Die Kämpfer hatten von der mörderischen Brutalität des Militärs gegen entwaffnete und gefangene Barrikadenverteidiger erfahren (tatsächlich geht ein Großteil der Ziviltoten der Barrikadennacht auf die Abschlachtung schon geschlagener Barrikadenbesatzungen zurück!); die Barrikaden wurden mit der Zeit systematisch verstärkt und erhöht; die Bewaffnung der Verteidiger verbesserte sich durch die Inbesitznahme des Landwehr-Zeughauses in der Lindenstraße; er- | |||||
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müdete Kämpfer konnten zudem ihr
Haupt zeitweilig in benachbarten Häusern betten
während die Soldaten, schlecht verpflegt, sich allenfalls unter ihrem Mantel auf
das Pflaster legen konnten. Morgens gegen
fünf Uhr waren die Militärs nicht in bester
Verfassung und der König entnervt. Er ließ
also das Feuer einstellen, befahl schließlich
den Abmarsch der auswärtigen Einheiten in ihre Standorte und der Berliner Garnison in deren diverse Kasernen. Beunruhigt von der nachlassenden Disziplin der Mannschaften, die unter dem Druck der die
Kasernen umlagernden, durch die Massakrierung ihrer Verwandten, Kollegen und Nachbarn in der Barrikadennacht aufs höchste erregten Haufen zorniger Berliner deutlich psychischen Streß zu zeigen begannen, entschloß sich Prittwitz, die Berliner
Garnison ganz aus der Stadt herauszuziehen. In der Nacht vom 20. zum 21. März
marschierten die letzten Einheiten ab.
Die Erfüllung der alle vereinigenden Forderung »Militär zurück!« brachte aber sofort die Diskrepanz zwischen den Zukunftsvorstellungen des Berliner Bildungs- und Besitzbürgertums mit seinem Schweif an Beamten, Hof- und Militärlieferanten bis hinab zu den noch einigermaßen situierten Handwerksmeistern einerseits und den städtischen Unterschichten andererseits zutage. In die momentane Einheitsfront gegen die Militärdiktatur auf den Straßen und Plätzen hatte sich offenbar ein wirkliches Mißver- | ständnis eingeschlichen: das von der
Deckungsgleichheit aller (oder doch wenigstens der meisten) sozialen Interessen in einer Residenz- und Gewerbestadt von ca. 400 000 Einwohnern! Dieses momentane
Mißverständnis wurde schon am Tage nach der Barrikadennacht aufgeklärt. Den in der Sozialstruktur weiter oben Angesiedelten
wurde nun schlagartig klar, daß ja jetzt
jede Schranke gegen die drohende Begehrlichkeit der zudem noch bewaffneten und
siegestrunkenen »Straße« fehlte und eine
prompte Reaktion auf diesen bedrohlichen Zustand erforderlich war. In Windeseile wurde
eine Gegenstrategie entwickelt, die in drei Richtungen wirkte.
Die Barrikadenkämpfer
Die erste Richtung sorgte für die
schnellstmögliche Aufstellung einer bürgerlichen
bewaffneten Schutzmacht, aus der Angehörige der städtischen Unterschichten
ausgeschlossen waren. Das geschah durch die
Aufstellung der Bürgerwehr, in die sich nur im | |||||
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kadenkämpfern trickreich ihre
Waffen abzunehmen. Höhepunkt des erfolgreichen Wirkens dieser Richtung
war schließlich der 16. Oktober 1848, als
die Ordnungsmacht Bürgerwehr mit der Erschießung von fünf demonstrierenden Arbeitern auf dem Köpenicker
Feld (Luisenstadt) deutlich machte, entlang welcher sozialen Trennungslinie
aus bürgerlicher Sicht Ordnung und Anarchie verliefen. Die
zweite Richtung knüpfte unmittelbar an diese erste
an. Typischerweise ging gerade von der Bürgerwehr bereits am 25. März die Initiative aus, doch um Gottes Willen wieder Militär nach Berlin zu
holen. Das Berliner Bildungs-, Besitz- und Spießbürgertum war durch den
Mund seiner Bürgerwehrkommandeure geradezu versessen darauf, vor der Welt zu demonstrieren, daß Berlin
keineswegs mit der Armee gebrochen habe. Angesichts solcher Bekundung konnte die Öffentlichkeit außerhalb Berlins schon schlußfolgern, daß der ganze Barrikadenkampf am 18./19. März vielleicht doch wirklich ein Mißverständnis gewesen sei. | |||||||||
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Friedrich Wilhelm IV. willigte am | |||||||||
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Dem Drängen der ruhigen und daher
auf Ruhe bedachten Bürger seiner Residenz konnte der König natürlich nicht
widerstehen: Am 30. und 31. März zog wieder
Militär in Berlin ein, zwar gegen den zagen
mündlichen Widerstand etlicher Demokraten,
aber dafür bejubelt von Publikum, der
Bürgerwehr und der Aristokratie der Berliner
Arbeiterschaft, den Borsigschen Maschinenbauern. Die Auswahl der beiden Infan
terieregimenter, die die neue Berliner Garnison stellten, enthüllt psychologisches
Geschick des preußischen Generalstabs: Das 24. Infanterieregiment aus Neuruppin
war just jenes, das der allseits verehrte
»Alte Fritz« als Kronprinz befehligt hatte, und
das Infanterieregiment Nr. 9 (2. Pommersches) war jenes Kolbergische Regiment, das am 23. August 1813 durch den abendlichen Angriff bei Großbeeren Berlin vor erneuter napoleonischer Okkupation gerettet hatte ...
Die dritte Richtung lag ebenfalls auf psychologischer Ebene. Durch die verzerrte Darstellung der sozialen Zugehörigkeit der siegreich gebliebenen Barrikadenkämpfer wurde sofort eine machtvolle Gehirnwäsche betrieben. Seit dem 19. März war es bei Publizisten und Literaten jeglicher Couleur absolutes Muß, die Einigkeit aller aber wirklich aller! Schichten der Berliner Ein- wohnerschaft beim Bau und bei der Verteidigung der Barrikaden pastos auszumalen. Der tatsächlich für einen einzigen Fall belegte Fakt, daß auch ein vornehm gekleideter | Herr mit Hand anlegte beim Bau einer Barrikade er wurde ausgewalzt bis zum letzten. Dieser nicht namentlich belegte barrikadenbauende Vertreter der Oberschicht geistert durch die zeitgenössischen Reportagen zum Barrikadenkampf wie das inzwischen sprichwörtliche »alte Mütterchen« als Ingredienz journalistischer Leistungen bis in unsere Zeit. Der von federfleißigen Literaten ins Unermeßliche vervielfältigte gutgekleidete Herr suggerierte die harmonische Einheitsfront der Veränderungswilligen, die mit Ausnahme namentlich bekannter Bösewichter (zumeist in der bisherigen engeren Umgebung des eo ipso »guten« Königs) sich nach dem Sieg auf den Barrikaden brüderlich in den Armen zu liegen hatten und diese alles überdeckende Brüderlichkeit dann auch am 22. März bei der Beisetzung der zivilen Revolutionsopfer vorbildlich demonstrierten. Eine nach dem 19. März 1848 verbreitete Farblithographie mit dem Motto »Einig und frei«, die die verdienstvollen Erringer der neugewonnenen Freiheit feierte, zeigte in brüderlicher Umarmung einen gutgekleideten Bürger, einen Angehörigen der Berliner Schützengilde in seiner schmucken Vereinsuniform und einen Studenten im vollen Wichs fürwahr das typische soziale Spiegelbild der eher proletarisch zu nennenden Berliner, die hinter den Barrikaden gestanden hatten! Die Hetzjagd aller Fraktionen des Bürgertums gegen den Herausgeber der »Berliner Zeitungs-Halle«, Gustav Julius | |||||
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er hatte es gewagt, in einem
Leitartikel vom 23. März der
Verbrüderungsbesoffenheit die nüchterne Wahrheit
entgegenzustellen, daß es im realen Leben der
Gesellschaft längst den Bruch zwischen Bürgern und
Arbeitern als zwei sich entgegenstehenden Klassen gäbe , fügt sich paßrecht in
dieses Erscheinungsbild ein. Die massive Gehirnwäsche zur Einlullung der gefürchteten Unterschichten mittels bewußt
geschürten Brüderlichkeitstaumels erfüllte jedoch
ihren Zweck, und das deutschlandweit kolportierte Mißverständnis hinsichtlich der
wahren sozialen Herkunft und den damit verbundenen Interessen derer, die auf den
Barrikaden Berlins die konstitutionelle Ära für
Preußen eingeleitet und damit erst die
Bedingungen geschaffen hatten, daß Wahlen für
eine Deutsche Nationalversammlung deutschland Weit durchgeführt werden
konnten, setzte sich in den Köpfen fest. Es wirkt
nicht unerheblich bis in die Gegenwart.
Auf den Berliner Barrikaden hatte »die Straße« nun auch in Preußen im ersten Ansturm die Revolution siegen lassen. Die Märzministerien in den anderen deutschen Staaten waren damit der ärgsten Bedrohung durch den Konservativismus ledig. Folgerichtig bekam nun auch Preußen seine Märzminister; deutlicher als in anderen deutschen Staaten manifestierten sie in der Führungsmacht des Zollvereins den dem Liberalismus eigentlich wesenseigenen materiellen Rückhalt: das in Handel und In- | dustrie sicher verankerte
Besitzbürgertum. Zwar hatte der preußische Königshof
zunächst noch geglaubt, mit Adligen wenn auch liberalen an der Spitze des
Staates weitermachen zu können. Das stellte
sich aber innerhalb von zehn Tagen als ein
Mißverständnis heraus, das der massive
Protest des Besitzbürgertums in ganz
Preußen schnell aufklärte: An die Spitze der
Regierungsgewalt gelangte mit natürlicher
Konsequenz die Geldaristokratie! Preußischer
Ministerpräsident wurde der Kölner
Bankier Ludolf Camphausen (18031890), Finanzminister jener Textil- und
Eisenbahnunternehmer David Hansemann (17901864), der
im Juni des Vorjahres den königlichen Ministern das stolze Wort
entgegengeschleudert hatte, daß in Geldfragen die
Gemütlichkeit aufhöre.
Angesichts solch klaren Programms war kaum noch ein Mißverständnis möglich, wer die Ernte aus der Revolution in seine Scheuer einzufahren auf dem Wege war. Bildquelle: Archiv LBV | |||||
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© Edition Luisenstadt, 1998
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