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Frank Eberhardt
Die faszinierende Welt der Kristalle

Der Mineraloge Christian Samuel Weiss
(1780–1856)

Vielgestaltig und farbenprächtig ist die Welt der Kristalle, vom wertvollen Diamanten bis zum alltäglichen Quarz. Diese Vielfalt in ein System zu bringen, die Gesetzmäßigkeiten der Kristallbildung zu erforschen, das war die Lebensaufgabe von Christian Samuel Weiss, dem ersten Mineralogen an der Berliner Universität.
     Wie so viele Gelehrte der damaligen Zeit entstammte Weiss einer Pfarrersfamilie.
     Er wurde am 26. Februar 1780 in Leipzig geboren. Schon im 16. Lebensjahr bezog er die Universität seiner Vaterstadt, um Medizin zu studieren. Während dieses Studiums wandte er sich jedoch immer stärker den naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik, Chemie und Mineralogie sowie der Mathematik zu und wechselte nach Berlin, um sich in diesen Wissenschaften auszubilden. Hier arbeitete er auch bei dem bekannten Pharmazeuten und Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743–1817), der sich intensiv mit Mineralogie beschäftigte. Einen starken Impuls erhielt er, als der

Christian Samuel Weiss
damalige Mineraloge der Berliner Bergakademie und hohe Bergbeamte Dietrich Ludwig Gustav Karsten (1768–1810) ihm die Übersetzung des berühmten Lehrbuches des Pariser Mineralogen René Just Huüys (1743–1822) übertrug.
     1801 promovierte Weiss über ein naturwissenschaftliches Thema. Doch danach zog ihn der weltberühmte Lehrer der Mineralogie Abraham Gottlob Werner (1749–1817) an die Bergakademie Freiberg, wo er nicht nur Werners Lieblingsschüler, sondern auch dessen Freund auf Lebenszeit wurde.
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1803 habilitierte sich Weiss an der Universität Leipzig und hielt Vorlesungen über Physik, Chemie, Mineralogie und Geographie. Daneben beschäftigte er sich weiter mit der Übersetzung von Huüys Werk. Dabei bemerkte er aber auch die Schwächen, insbesondere bei der Systematik und dem Wissen über die Gesetze der Kristallachsen. Sein Auftraggeber Karsten duldete, daß Weiss längere Ausführungen der eigenen Vorstellungen in die deutsche Ausgabe einfügte.
     In den Jahren 1806 bis 1808 reiste Weiss nach Wien, München, Tirol, in die Schweiz und nach Frankreich. In den Vulkangesteinen der Auvergne mußte er sich von der Unhaltbarkeit der Wernerschen Lehre in bezug auf die Entstehung der Vulkane überzeugen. Er äußerte sich aber aus Pietät für seinen Lehrer nie öffentlich dazu. Aus dieser Einstellung ergab sich später in seinem Leben manche Schwierigkeit. Man warf ihm vor, daß er Werners Lehre unkritisch den Studenten weitergab.
     Damals gab es einen großen Streit zwischen Neptunisten und Plutonisten über die Entstehung der Gesteine. Der englische Geologe James Hutton (1726–1797) hatte als erster die Auffassung vertreten, daß die meisten Gesteine Erstarrungsprodukte glutflüssiger Massen seien. Diese Theorie wurde als Plutonismus bezeichnet (nach dem griechischen Gott Pluton, dem Reichtum spendenden Gott der Erdentiefe). Diese Leh-
re wurde in Deutschland vor allem von Leopold von Buch (1774–1853), einem der bedeutendsten Geologen seiner Zeit, vertreten. Dagegen hatte Werner die Theorie aufgestellt, daß alle Gesteine mit Ausnahme der jungvulkanischen Laven und Tuffe im Wasser entstanden seien. Diese Theorie wurde als Neptunismus bezeichnet (nach dem römischen Gott des Meeres, Neptun). Dieser Auffassung hatte sich auch Goethe (1749–1832) angeschlossen. Erst nach jahrzehntelangem Streit wurde die Auffassung der Neptunisten als wissenschaftlich unhaltbar erkannt.
     Heute werden die Gesteine in Magmagesteine (glutflüssig aus der Tiefe aufdringende und erstarrende Gesteine wie Granite und Basalte) und Sedimentgesteine (im Wasser abgelagerte Gesteine wie Kalksteine und Sandsteine) gegliedert. Eine dritte Gruppe umfaßt die metamorphen Gesteine, die aus der Umwandlung der anderen Gesteine hervorgehen.
     Als Weiss nach Leipzig zurückgekehrt war, trat er die ihm verliehene Professur für Physik an. Inzwischen war die Berliner Universität gegründet worden. Bereits seit 1770 existiert in Berlin eine Bergakademie als Ausbildungsstätte für Berg- und Hüttenleute. Carl Abraham Gerhard (1738–1821) war mit der Errichtung und Leitung beauftragt worden (BM 3/97). Ab 1789 wurde sie von Karsten geleitet, der auch Vorlesungen über Mineralogie hielt. Am 10. Mai 1810 legte
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Wilhelm von Humboldt (1767–1835), damals Leiter der Sektion für öffentlichen Unterricht und Initiator der Universitätsgründung in Berlin, die Liste der vorgesehenen Personen für den Lehrkörper vor. Für das Fach Mineralogie war Karsten vorgesehen. Doch infolge seines plötzlichen Todes am 20. Mai 1810 kam es nicht mehr zu einer Berufung. Da die Universität noch im Herbst 1810 eröffnet werden sollte, mußte schnellstens ein Nachfolger für Karsten gesucht werden. Der bekannte Berliner Geologe Leopold von Buch empfahl Weiss. Weiss nahm die Berufung als Professor für Mineralogie an, die zugleich verbunden war mit dem Amt des Direktors der Mineralogischen Sammlung.
     Weiss faßte die Mineralogie, der Lehre Werners folgend, als übergreifendes Fach auf, ähnlich dem heutigen Begriff der geologische Wissenschaften. Mit besonderer Liebe nahm er sich jedoch der Kristallographie an. Unter Kristallographie versteht man die Wissenschaft von den Kristallen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Kristalle als Natur- oder Kunstprodukte vorliegen, als organische oder anorganische Verbindung. Ein Kristall ist jeder echte Festkörper ohne Rücksicht auf seine morphologische Gestalt.
     Bereits 1811 las Weiss über »Kristallographie oder geometrische sowie mineralogisch-physikalische Theorie der Kristalle und der kristallinen Struktur«. Damit hatte er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit an der
Universität sein Hauptforschungsgebiet abgesteckt. Er untersuchte besonders den Aufbau der Kristalle, indem er alle Formen auf bestimmte Richtungslinien oder genauer gesagt Kristallachsen zurückführte. Diese Art, die Lage der Flächen zu den Achsen durch ihr Parameterverhältnis mit den Ableitungszahlen anzugeben, wird heute noch als »Parameter nach Weiss« bezeichnet. Damit konnten die Kristallflächen bezeichnet und die verschiedenen Symmetriegesetze abgeleitet werden. Diese Gesetzmäßigkeiten publizierte er erstmals 1814/15 in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften. Mit der Einteilung der Kristallisationssysteme und der Erkenntnisse des gesetzmäßigen Zusammenhangs aller Flächen eines Kristalls kann Weiss mit voller Berechtigung zu den Begründern der Kristallographie gerechnet werden, auch wenn ihm einige Irrtümer unterlaufen sind. In über fünfzig Publikationen entwickelte Weiss sein System weiter und nutzte dabei die Mathematik für die Erforschung der Gesetzmäßigkeiten der Kristallographie.
     Im Gegensatz zur Kristallographie waren Weiss' Leistungen auf dem Gebiet der Geognosie, wie damals die Geologie genannt wurde, eher unbedeutend. Ein – allerdings über 100 Jahre später lebender – Kritiker schreibt: »Als Geologe bedeutete Weiss nichts ... Werners Lehre vermachte er unkritisch der Jugend.« Es ist sicherlich der
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Freundschaft zu dem verehrten Lehrer und persönlichen Freund geschuldet, daß sich Weiss von der zwar damals vorherrschenden, aber ungesicherten Lehre Werners nicht lösen konnte. Werner hatte ja Weiss zu seinem besten Schüler erklärt und von ihm die Fortsetzung und Vollendung seiner Theorie erwartet. Doch Weiss konnte den Umschwung der Wissenschaft, der die Wernersche Theorie verdrängte, nicht leugnen, er mußte ihm folgen. Er sah das starre Lehrgebäude seines Lehrers mehr und mehr wanken, war aber nicht für Umstoßen, sondern für Umgestalten und Ausbauen. So kam es, daß Weiss seine Geognosie- Vorlesungen nur bis 1833 gehalten hat, während er Mineralogie bis zu seinem Tode las.
     Daneben hielt Weiss für Forst- und Landwirte bis 1830 eine Vorlesung über physikalische Bodenkunde und sogar über »Philosophische Naturlehre«. Als im Jahre 1818 Hegel (1770–1831) an die Universität berufen wurde, ging die Vorlesung an diesen über.
     Als Hochschullehrer besaß Weiss die Gabe eines klaren, leicht faßlichen, lebendigen Vortrags. Karl Friedrich v. Klöden (1786–1856), ein angesehener Berliner Pädagoge, urteilte: »Namentlich hatte die philosophische Naturlehre, über die Weiss las, mein Interesse in höchstem Grade gefesselt ... Vier Jahre lang habe ich unausgesetzt alle seine Vorträge gehört über Mine-
ralogie, Kristallographie, Geognosie, Petrefaktologie (Lehre von den Versteinerungen, d. V.) philosophische Naturlehre etc. und bei keinem meiner Lehrer habe ich so viel gelernt, denn er führte tief in die Natur und tief in das Denken ein.« Auch der berühmte Pädagoge Friedrich Wilhelm August Fröbel (1781–1852) empfand es ähnlich. Er war im Jahre 1812 von Göttingen gekommen, da ihn der Ruf, den sich Weiss erworben hatte, anzog. »Die Vorträge«, so bekannte Fröbel später, »gaben meinem Geiste und Gemüte in der Tat, was ich bedurfte.« Zahlreiche weitere, später berühmte Männer waren seine Schüler, so der Mineraloge und Nachfolger Gustav Rose (1798–1873), die Geologen Friedrich August Quenstedt (1809–1889), Heinrich v. Dechen (1800–1889) und Ernst Beyrich (1815–1896, BM 11/97). Sie trugen in ihrer Arbeit und Lehre wesentlich zur Ausbreitung der Erkenntnisse von Weiss bei.
     Mit der Berufung zum Professor für Mineralogie war die Aufgabe als Aufseher für die Mineralogische Sammlung verbunden. Diese Sammlung, 1781 als »Königliches Mineralienkabinett« entstanden, wurde für den Unterrricht an der Bergakademie genutzt. 1801 wurde sie im Obergeschoß der Neuen Münze untergebracht. Mit der Gründung der Universität wurde sie, wie andere Sammlungen auch, der Universität übergeben. Auch Weiss mußte seine eigene Sammlung der Universität verkaufen, da
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»kein Aufseher eines öffentlichen Kabinetts ein eigenes gleicher Art haben solle«. Im Interesse des Königlichen Kabinetts sei dies notwendig, »weil der Leiter der Sammlung billig zu erwerbende Fossilien sonst für sich erwerben würde und weil bei dem gänzlichen Mangel eines Kataloges jede Kontrolle wegfalle«.
     1814 war die nun offiziell »Mineralogisches Museum« genannte Sammlung in das Universitätsgebäude überführt worden. Weiss empfand die Aufsicht und die mit dem Umzug verbundene Arbeit offensichtlich als lästig, denn er schrieb an einen Freund: »Mich beschäftigt vor allem das Kabinett so sehr, daß es selbst dem Schriftstellern immer und immer noch in den Weg tritt.« Trotzdem sorgte er dafür, daß im Laufe der Jahre zahlreiche bedeutende Erwerbungen durch eigene Sammlungen, Kauf und Tausch möglich waren. Auch große Schenkungen kamen vor. Diese Erwerbungen betrafen die ganze Breite der damaligen »Mineralogie«, also auch Fossilien. Besonders wertvoll waren die Sammlungen des Chemikers Klaproth, die für 12 000 Taler erworben wurden, sowie des Geologen Ernst Friedrich v. Schlotheim (1764–1832). Dazu gehörte auch die Schenkung der Meteoritensammlung des Breslauer Physikers Ernst Chladni (1756–1827). Weiss hatte allerdings Bedenken gegen eine starke Nutzung der Sammlung und motivierte das mit der Diebstahlsgefahr. Zugleich lehn-
te er jedoch die Katalogisierung ab und bezeichnete sie als die »allertrübseligste und nutzloseste Scheinarbeit, die jedes andere Arbeiten auf Jahre hinaus unmöglich« machen würde. So mußten seine Schüler diese Aufgabe übernehmen, Rose die Mineraliensammlung, Quenstedt die paläontologische Sammlung. Diese Sammlungen sind heute im Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, zu sehen.
     Die Leistungen von Weiss fanden vielfache Würdigung. Bereits 1803 hatte er eine Preisaufgabe der Münchner Akademie der Wissenschaften gelöst und war deren Mitglied geworden. Im Jahre 1815 wurde er in die Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen und war seit 1816 ordentliches Mitglied der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin. 1818 würdigte Goethe seine Kenntnisse: »So wurden mir auch sehr belehrende krystallographische Unterhaltungen mit Prof. Weiss. Er hatte einige krystallisierte Diamanten bei sich, deren Entwicklungsfolge er nach einer höheren Einsicht mich gewahr werden liess.«
     Auch zu akademischen Ämtern wurde Weiss mehrfach herangezogen. Er war fünfmal Dekan der Philosophischen Fakultät und zweimal Rektor der Universität. In diesen Ämtern trat ein Wesenszug von ihm deutlich hervor. Während seines ersten Rektorats, in der Zeit der erstarkenden Reaktion, kam es zu patriotischen Bewegungen
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der Studenten, insbesondere zu Demonstrationen gegen die Verfolgung Friedrich Ludwig Jahns (1778–1852) und des Turnwesens. Eine studentische Nachtmusik für Jahn am 17. März 1819 war Anlaß gewesen, polizeilich gegen eine Reihe von Studenten vorzugehen. Durch sein entschlossenes Auftreten gelang es Weiss, die Studenten vor der gerichtlichen Maßregelung zu bewahren. Der Senat billigte nachträglich das Vorgehen des Rektors, und die Studenten erhielten nur geringe Strafen. Sein streitbarer Charakter führte allerdings auch dazu, daß das anfangs sehr gute Verhältnis zwischen Weiss und Leopold von Buch zugrunde gegangen ist. Der preußische König würdigte seine Leistungen mit hohen Orden. 1853 erhielt Christian Samuel Weiss die 1842 gestiftete Friedensklasse des Ordens Pour le mérite für Verdienste um die Wissenschaften und die Künste.
     Während zu Beginn von Weiss' Tätigkeit an der Berliner Universität Mineralogie noch alle geowissenschaftlichen Zweige umfaßte und von einem einzelnen übersehen und gelehrt werden konnte, war es im Laufe seiner sehr langen Tätigkeit (46 Jahre!) zur Spezialisierung und Herausbildung einzelner Wissenschaftszweige gekommen. Um die Kristallographie hatte sich Weiss selbst große Verdienste erworben. Für die anderen Zweige waren in seinen Schülern Rose und Beyrich zwei Persönlichkeiten herangewachsen. Weiss hielt zwar
bis ans Ende seiner Tätigkeit alles zusammen, dann jedoch setzte die Aufspaltung der Wissenschaftszweige wie auch der Sammlungen vehement ein. Bis in seine letzten Lebensjahre war Christian Samuel Weiss rüstig und gesund. Am 1. Oktober 1856 starb er während einer Bade- und Erholungsreise in Eger. Dort fand er auch seine letzte Ruhestätte.

Bildquelle:
Porträtsammlung der Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsbibliothek

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© Edition Luisenstadt, 1998
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