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Frank Eberhardt
Mit Gehrock und Zylinder Der Heimatforscher Hans Brendicke
»Eines der letzten Berliner Originale war der durch seine humorvollen Berliner
Vorträge und Führungen allbekannte Dr.
Hans Brendicke. In ihm sehen wir den Typus des alten Berliners verkörpert: derb,
schlagfertig, stets gut gelaunt, immer ein
Witzwort auf den Lippen, aber nie beleidigend.
Wenn er so mit seinen Getreuen durch sein liebes, altes Berlin wanderte, den altmodischen Zylinder auf die wallenden, weißen Haare gestülpt, verbreitete er um sich eine
Stimmung altberliner Behaglichkeit, wie sie leider im neuen Berlin immer seltener geworden ist.« Diese Einschätzung
schrieb Franz Lederer 1927 in seiner Schrift
»Uns kann keener« über den zwei Jahre
vorher verstorbenen Hans Brendicke.
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Hans Brendicke | ||||||||
mitglied der Deutschen Turnerschaft war.
Vier kreuzförmig zueinandergestellte F weisen auf den von Turnvater Jahn geprägten Sinnspruch der Turner: Frisch Fromm Fröhlich Frei. Ein zweites Schild verweist darauf, daß Brendicke Ehrenmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins war. Offensichtlich war Brendicke ein zu seiner Zeit sehr anerkannter Mann. Die Stadt Berlin gab 1937 der vormaligen Fliederstraße im Bezirk Friedrichshain, zwischen der Gollnowstraße und Barnimstraße gelegen, | ||||||||
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seinen Namen. Leider verschwand bei
der Neugestaltung dieses Gebietes nach 1963 diese Straße und damit auch der Name Brendicke vom Stadtplan. Doch hat
wenigstens der Senat von Berlin in seiner Sitzung
am 24. November 1970 Brendickes Grab als Ehrengrab anerkannt.
Hans Heinrich Julius Brendicke wurde am 19. November 1850 geboren. Er entstammte einem alten Berliner Geschlecht, er selbst schloß einen Zusammenhang mit dem Propst von St. Nikolai, Thomas Brendicke (gestorben 1576), nicht aus. Nach dem Besuch des Köllnischen Gymnasiums studierte er an der Universität Berlin und promovierte 1876 zum Dr. phil. Außerdem legte er die Turnlehrerprüfung ab. Er war im Krieg 1870/71 freiwilliger Krankenpfleger und wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, das er stolz trug. Hans Brendicke hat sich bereits in früheren Jahren für eine schriftstellerische Tätigkeit entschieden. Dabei galt sein Interesse sehr unterschiedlichen Gebieten. Sie widerspiegeln sich in zahlreichen Veröffentlichungen und können zeitlich gut voneinander abgegrenzt werden. Obwohl Brendicke die Turnlehrerprüfung abgelegt hatte, kann eine solche Tätigkeit im Schuldienst nicht belegt werden. In den Schulakten erscheint er nicht. Lediglich Günther Brendicke, geboren am 1. August 1890, wird dort als Sohn des »Turnschriftstellers Dr. Hans Brendicke« erwähnt. Trotz- | dem wird er bei der Aufnahme in den
Verein für die Geschichte Berlins im Jahre
1886 als »Turnlehrer und Herausgeber der Fachzeitschrift >Der Sammler<« geführt, und
auch im Hand- und Adreßbuch für die
Gesellschaft von Berlin ... 1891/92 erscheint er
als »wiss. u. Turnlehrer«. Angesichts
seiner vielfältigen schriftstellerischen Arbeit ist
es wahrscheinlich, daß er nicht als
Turnlehrer an Schulen gewirkt hat.
Trotzdem war Hans Brendicke sein ganzes Leben lang dem Turnen verbunden. Von 1878 bis 1883 und nochmals von 1886 bis 1894 war Brendicke Hauptschriftwart des Berliner Turnrats. Viele Veröffentlichungen stammen aus dieser Zeit. 1882 veröffentlichte er einen »Grundriß zur Geschichte der Leibesübungen«, ein Jahr darauf die »Allgemeine Turnkunde« und anschließend die »Geschichte der Schwimmkunst und des Badewesens«. Seine Preisschrift »Über die Wichtigkeit und den Nutzen des Mädchenturnens« war für die damalige Zeit ein Novum. Außerdem bearbeitete er die 4. Auflage der Tafeln für Vorturner, die als Anhang die beliebtesten Turn- und Vaterlandslieder enthielten. In seinem Vorwort schrieb er, daß dieses Büchlein gerade für Turnvereine auf dem Lande und in kleineren Provinzstädten geschaffen worden wäre. Seine vaterländische Gesinnung kam in folgender Bemerkung zum Ausdruck: »Massengesang, Bewegungsspiele und heimatliche Wanderungen mögen die Leiter der Turnvereine | |||||
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behufs Erziehung der Turner zu
nationalem Sinne und deutschem Volksthum neben den kunstmäßigen und den
volksthümlichen Leibesübungen mit Ernst und Eifer pflegen.«
Als Hauptschriftwart war er Mitherausgeber der »Jahrbücher der deutschen Turnkunst« und des Turnkalenders für die Jahre 1887 bis 1896. Auch in späteren Jahren war er dem Turnen verbunden, wie weitere Veröffentlichungen zeigen. Dazu kamen Vorträge, die er vor Turnvereinen hielt. Brendicke war Mitglied im Akademischen Turnverein. Für sein großes Engagement erhielt er 1921 die Ehrenurkunde der Deutschen Turnerschaft, weil er »mehr als 300 Turner seit 1892 mit Erfolg zur Turnlehrerprüfung vorbereitet hat«. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre widmete Brendicke sich auch intensiv der Philatelie. In den Jahren 1886 bis 1894 gab er die Zeitschrift »Der Sammler« heraus, eine illustrierte Fachzeitschrift für Sammelwesen und Antiquitätenkunde. Offensichtlich war Brendicke ein begeisterter Philatelist, denn er hatte bereits 1878 in Dresden einen Preis für den Artikel »Ist die Philatelie Wissenschaft oder nur Manie?« erhalten. Ende der achtziger Jahre begann er mit der Herausgabe einer »Bibliothek für Sammler« mit dem Untertitel »Anleitungen und Einführungen in alle Sammelgebiete der Kunst und Wissenschaft«, von denen als erstes »Die Kunde von den Postwerthzeichen« und später die »Einführung in die Münzkunde« | herauskam. Als drittes sollte eine
»Kunde von den Kupferstichen und sonstigen Schwarzdrucken« publiziert werden, es
ist jedoch unklar, ob sie je erschien. 1890
gründete Brendicke »Die Deutsche
Briefmarkenzeitung«.
In diesem Jahr fand er auch das entscheidende Tätigkeitsfeld, welches für sein übriges Leben bestimmend werden sollte. Aus Berliner Sicht besteht die Bedeutung von Dr. Hans Brendicke vor allem in seiner Liebe zur Heimatstadt und den daraus resultierenden Arbeiten. Diese dritte und längste Etappe seines Schaffens währte bis zu seinem Tod. Bereits 1889/90 wird er als Koreferent der Zeitschrift »Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für die Geschichte Berlins und der Mark« geführt, 1890 war er Mitherausgeber. Auch in den folgenden Jahren blieb er dieser Zeitschrift als Mitglied des Redaktionskollegiums verbunden, zu dem übrigens auch Theodor Fontane gehörte. Brendickes eigentliches Tätigkeitsfeld wurde jedoch der Verein für die Geschichte Berlins. Im Februar 1886 wurde Brendicke Mitglied des Vereins. Von 1892 bis 1919 (mit Unterbrechung wegen Krankheit von 1907 bis 1909) war er Hauptschriftwart, redigierte die Mitteilungen und gab auch die Schriften des Vereins als verantwortlicher Redakteur heraus. Er selbst lieferte in diesen Jahren über 40 Beiträge zur Geschichte der Stadt. Diese Beiträge waren oft kurz, wie es die Mitteilungen einer Vereinszeitschrift erfor- | |||||
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dern, aber sie umfaßten die ganze Breite der Stadtgeschichte, Baulichkeiten, Kunst und Persönlichkeiten. Es ist nicht
möglich, hier auf alle seine Interessen für die
Geschichte Berlins einzugehen. Verschiedentlich beschäftigte er sich auch mit dem
Berliner Wortschatz und Dialekt. So erschien ein längerer Beitrag über den
Wortschatz der Berliner zu Zeiten Kaiser Wilhelms
I. Eine wichtige Schrift war das »Verzeichnis märkischer Städte-Chroniken«, deren
zweite Auflage 1920 zu Ehren seines 70. Geburtstages herauskam. Die meisten seiner
Berlin-Veröffentlichungen sind in der
Berlin-Bibliographie von H. Zopf und G. Heinrich (1.
Bd., Berlin 1965) aufgeführt.
Der Verein für die Geschichte Berlins würdigte die aktive Arbeit Brendickes. Bereits 1899 erhielt er die silberne Fidicin-Medaille, die höchste Auszeichnung für besondere Verdienste um den Verein, und am 15. November 1919 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Mit seiner Tätigkeit als Hauptschriftwart des Vereins für die Geschichte Berlins war sein Wirken nicht erschöpft. »Bei jung und alt hat er die Liebe zu unserer Vaterstadt zu erwecken gewußt«, sagte der Vorsitzende des Vereins für die Geschichte Berlins zur Feier anläßlich des 60jährigen Bestehens. Und Brendicke selbst schrieb in seinem Vorwort zu dem »Führer auf der Wanderung durch Alt-Berlin-Kölln« (1917): »In Verfolg des Ministerialerlasses betreffend | Jugendpflege und Förderung der
Heimatkunde vom 18. Januar 1911 also seit mehr als 5 Jahren habe ich für die ... Vereine und Verbände, Schüler höherer
Lehranstalten, für Turn- und Jünglingsvereine,
sowie für ähnliche zu Nutz und Frommen des Vaterlandes wirkende Gemeinschaften als >geborener Berliner< und als >Freund
der Heimat< A. Führungen durch das
Märkische Museum an
Winter-Sonntagsvormittagen und B. Führungen durch Alt-Berlin an
Sommer-Sonntagen unternommen, um Volk und Jugend auf heimatliche Bestrebungen hinzulenken.«
Viele Male führte Brendicke durch die Stadt, erschien stets im schwarzen langen Gehrock, den Zylinder auf dem weißen Haupthaar, an der Brust trug er das Eiserne Kreuz. In dieser Kleidung mit Schleife und Eisernem Kreuz (aber ohne Zylinder) ist er auf dem Grabmal dargestellt. Der Teilnehmerkreis an seinen Führungen war groß. Vielfach waren es Vereine, vom Sportbis zum Beamtenverein, aber auch öffentlich angekündigte Führungen wurden von ihm kostenlos durchgeführt. Außerdem veranstaltete er Lichtbildervorträge, oftmals mit Führungen gekoppelt. Im März 1920 sind in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins seine vorgesehenen Veranstaltungen aufgeführt: sechs Vorträge und vier Führungen in diesem einen Monat! Brendicke äußerte selbst, daß er seit 1911 jedes Jahr etwa 30mal durch Alt-Berlin ge- | |||||
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führt hat. Er hatte offenbar immer
dieselbe Tour, begann am Spittelmarkt, ging von
dort durch Friedrichswerder und Alt-Kölln, durchquerte Alt-Berlin, ging durch den Krögel (so hieß eine Gasse vom
Molkenmarkt zur Spree mit ganz altertümlichen Höfen und Häusern), über den
Mühlendamm und endete im Stadtteil Neu-Kölln am Wasser beim Wusterhausischen Bär (im Köllnischen Park), wobei er hier nie verfehlte, auf einen Besuch des Märkischen Museums »mit seinen
wohlgeordneten Schätzen« aufmerksam zu machen.
Aus seinen Führungen entstand die Broschüre »Führer auf der Wanderung durch Alt-Berlin-Kölln«. Der Erfolg war überwältigend. Allein 1917, dem Jahr der Erstveröffentlichung, mußte die Broschüre viermal aufgelegt werden. Auch in den folgenden Jahren gab es etliche Nachauflagen. Und elf Jahre nach seinem Tode erschien 1936 eine neue (inzwischen überarbeitete) Auflage. Ein kleiner Abschnitt soll die leise Melancholie seiner Betrachtung über das Verschwinden alter, nicht wiederherstellbarer Stadtwinkel widerspiegeln: »Der Krögel (altwendisch Cruwel) hieß im 14. Jahrhundert eine Bucht an einem der vielen Spreearme, in der von Männern und Frauen im Freien gleichzeitig gebadet wurde. Hier stand dann auch das älteste Badehaus, das später vom Magistrat wegen öffentlichen Unfuges geschlossen wurde. | An das Badehaus erinnern noch im
Erdgeschoß befindliche Gewölbe und im
hinteren Teile des Hauses sichtbare Mauerbogen. Heut erblickt das Auge ein Gewirr
altertümlicher verfallener Bauten, das Entzücken des Malers und des Freundes von Alt-Berlin.
Das kleine Museum des Tischlermeisters Franz Wolff, der hier sein Handwerk im ersten Stock betreibt und am 18. März sein 50jähriges Geschäftsjubiläum begehen konnte, ist wegen einer Anzahl von Gemälden neuerer Meister und Überresten einer glänzenden Vorzeit (ein Stück Kiefernholz einer Türzarge) sehenswert. Von der im zweiten Stock gelegenen Möbelkammer aus hat man einen prächtigen Ausblick über die hier zu einem Hafen sich erweiternde Spree und auf das jenseitige Spreeufer, die alte Fischerbrücke und Neukölln am Wasser. Nach dem Ausbau der Uferstraße, des Rolandufers, wird dieser Ausblick auf immer verschwinden und von den altertümlichen Bauten wird nichts mehr als die Erinnerung übrig bleiben. Auf der Hofseite erblickt man das von hohen Holzsäulen getragene Gebälk, das das erste überragende Stockwerk bildet. An dem Zwischenbau zwischen dem ersten und dem zweiten Hofe ist eine Sonnenuhr angebracht mit der Inschrift: >Mors certa, hora incerta<. (Der Tod ist gewiß, seine Stunde aber ungewiß.) Im Berliner Volksmund wird diese lateinische Inschrift übersetzt in die Worte: >Die Uhr geht sicher nicht richtig< oder | |||||
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besser >todsicher geht die Uhr ungenau<.
Die Krögeljungen leisten sich die Verdeutschung: >Wenn die Sonne scheint, jeht se; wenn der Mond scheint, steht se!< Jetzt befinden sich im Krögel nur noch wenige Werkstätten und Betriebe, bis vor zwei Jahren war jedoch noch alles bewohnt ...« Das war 1917. Der Krögel wurde 1935/36 abgerissen, ein Stück Alt-Berlin, das in vielen Bildern dargestellt wurde, verschwand. Brendicke war zu seiner Zeit Bahnbrecher für die Beschäftigung größerer Kreise mit der Geschichte Berlins. Er trug wesentlich dazu bei, daß Stadtgeschichte nicht nur einem engen Kreis der Historiker und einigen Interssierten bekannt wurde. Das hat nach seinem Tod auch der Magistrat in seinem Beileidsschreiben gewürdigt. Darin heißt es: »Die Stadt Berlin wird durch den Tod dieses ihres treuen Sohnes eines Mannes beraubt, der sich sein Leben hindurch mit ganzem Herzen zu seiner Vaterstadt und ihrer Geschichte bekannt hat. Unermüdlich war er bestrebt, die Kunde vom alten Berlin zu mehren und sie hinüberzuretten in unsere Tage, in denen das Brausen der Viermillionenstadt manches überschallt, was noch leise von diesem alten Berlin erzählt.« In den Schriften und Handlungen Brendickes kommt immer seine Liebe zur Heimat, die auch stark von Nationalgefühl geprägt ist, zum Ausdruck. Das wurde natürlich auch offiziell gewürdigt. Seine Trau- | erfeier, an der Abordnungen der
Akademischen und der Deutschen Turnerschaft, des Vereins für die Geschichte Berlins und
des Bezirksamtes Tiergarten teilnahmen, wurde durch einen Trauermarsch des
Musikkorps der Kommandantur Berlin umrahmt. Kaiser Wilhelm II., Protektor des Vereins für
die Geschichte Berlins, schickte anläßlich
Brendickes Todes aus dem Exil in Doorn ein Brieftelegramm, in dem er den
Angehörigen und dem Verein das Beileid ausspricht.
Heute nennt kein Biographisches Lexikon, auch nicht das Berliner Biographische Lexikon von 1992, seinen Namen. Und doch wird es sein Verdienst bleiben, als einer der ersten die Geschichte der Stadt Berlin in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit gerückt zu haben. Es wäre zu wünschen, daß das Land Berlin die Möglichkeit findet, wieder eine Straße nach Hans Brendicke zu benennen. Er hat es um diese, um seine Stadt verdient. Bildquelle:
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© Edition Luisenstadt, 98
www.luise-berlin.de