41 Porträt | Wilhelm Heinrich Wackenroder |
Eberhard Fromm
»Tändeln mit einem Schatten!« Der Dichter Wilhelm Heinrich Wackenroder
In seiner kritischen »Romantischen
Schule« merkt Heinrich Heine bei seiner
Polemik mit Ludwig Tieck auch die »von einem
gewissen Wackenroder geschriebenen >Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders<« an. Bis heute ist einer
der frühesten Berliner Romantiker dieser
»gewisse Wackenroder« geblieben:
weitgehend unbekannt, lediglich in der
Literaturwissenschaft knapp behandelt, selbst in
seinen Werken stets von anderen herausgegeben, zusammengestellt, mit fremden Titeln
versehen.
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Wilhelm Heinrich Wackenroder | |||||
empfindsamen jungen Mannes. »Diese
bittere Mißhelligkeit zwischen seinem
angebornen ätherischen Enthusiasmus und dem
irdischen Anteil an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus
seinen Schwärmereien mit Gewalt herabziehet, quälte ihn sein ganzes Leben
hindurch«, schrieb Wackenroder in seiner
autobiographischen Geschichte über den
»Tonkünstler Joseph Berglinger«.
Bereits auf dem Friedrichswerderschen Gymnasium, das unter der Leitung des Aufklärers Friedrich Gedike (17541803) stand, lernte Wackenroder Ludwig Tieck (17731853) kennen, mit dem ihn bald eine | |||||
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enge Freundschaft verband. Beide
widmeten sich der Literatur und Musik. Zu ihren
Lehrmeistern auf literarischem und musikalischem Gebiet gehörten der
Schriftsteller Karl Philipp Moritz (17561793), der
Komponist und Begründer der Singakademie Carl Friedrich Christian Fasch (17361800),
der langjährige Leiter der Singakademie Carl Friedrich Zelter (17581832) und der
Musiker und Schriftsteller Johann Friedrich Reichardt (17521814). Auch während des Studiums in Erlangen und Göttingen
blieben die Freunde zusammen und entwickelten ihr besonderes Interesse für die
Kunst des Mittelalters. Als sie eine Zeitlang getrennt waren Tieck studierte in
Halle, während sich Wackenroder in Berlin aufhielt , führten sie einen intensiven
Briefwechsel. Voller Sympathie äußerte sich darin der junge Wackenroder über die Französische Revolution; auch nach der Hinrichtung des französischen Königs
änderte sich daran nichts. »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich nach Freiheit lechze«, schrieb er an Tieck. »Gott, wie
verzeihlich ist es, sie zu mißbrauchen, wenn man so lange gequält ist.«
Nach dem Studium in Erlangen und Göttingen kehrte Wackenroder 1794 nach Berlin zurück, um als Kammergerichtsassessor seine juristische Laufbahn zu beginnen. Als Reichardt einen Beitrag Wackenroders über Albrecht Dürer (»Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers«) | 1796 in die Zeitschrift »Deutschland«
aufnahm und für die Werkesammlung des jungen Schriftstellers, die 1797 anonym in Berlin erschien, auch noch einen eigenen Titel erfand eben die
»Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« , da keimte wohl noch einmal Hoffnung bei Wackenroder auf, daß er sich als
Künstler etablieren und von der ungeliebten Juristerei verabschieden könnte. »Nur Schaffen bringt uns der Gottheit näher; und der Künstler, der Dichter, ist
Schöpfer. Es lebe die Kunst! Sie allein erhebt uns über die Erde, und macht uns unsers Himmels würdig«, notierte er voller
Begeisterung.
Doch die Hoffnung trog. Die Vereinigung von Liebe zur Kunst und Leben in der Kunst mit der Realität, wie Wackenroder es in seiner autobiographischen Erzählung »Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger« erhoffte, fand nicht statt. Ahnungsvoll schrieb er: »Ach!, daß eben seine hohe Phantasie es sein mußte, die ihn aufrieb? ... Sind diejenigen vielleicht glücklicher gebildet, in denen die Kunst still und heimlich wie ein verhüllter Genius arbeitet und sie in ihrem Handeln auf Erden nicht stört?« In dem »Märchen von einem nackten Heiligen« beschrieb Wackenroder einen Menschen, der in harter Arbeit ein riesenhaftes Rad zu bewegen hatte, das er als das »rauschende Rad der Zeit« verstand. | |||||
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Ebendieses Rad der Zeit trieb auch
Wackenroder voran, enthusiastisch, oft wohl auch hektisch,
nicht selten von Angst und tiefem Pessimismus befallen. »Wahres Gefühl
für das Schöne und Anständige ist
untergegangen, und wir tändeln jetzt mit einem
Schatten«, beschrieb er seine Zeit und die
eigene Situation. In dem Artikel über Albrecht Dürer lobte er die Ernsthaftigkeit der
mittelalterlichen Kunst und rügte die Künstler seiner Tage, die vor allem für vornehme Herren arbeiteten, welche von der
Kunst »nicht gerührt und veredelt«, sondern lediglich »geblendet und gekitzelt« sein wollten. So seien denn »kalte, geleckte, charakterlose Werke« die Frucht der
künstlerischen Arbeit. »Wehe muß ich rufen
über unser Zeitalter, daß es die Kunst so bloß als ein leichtsinniges Spielwerk der Sinne übt, da sie doch wahrlich etwas sehr
Ernsthaftes und Erhabenes ist. Achtet man den Menschen nicht mehr, daß man ihn in
der Kunst vernachlässigt, und artige Farben und allerhand Künstlichkeit mit Lichtern, der Betrachtung würdiger findet?«
So finden sich bei ihm alle jene Denkweisen und Stimmungen einer nicht mehr zu bewältigenden existentiellen Krise, die für die sich ausprägende Romantik typisch werden. Man kann Wilhelm Heinrich Wackenroder deshalb ohne Übertreibung den ersten Stichwortgeber der deutschen Romantik nennen. Nach seinem Tode gab 1799 sein Freund | Tieck, der auch schon die erste
Sammlung betreut hatte, eine weitere Zusammenstellung von Schriften Wackenroders, allerdings verbunden mit eigenen Werken, unter dem Titel »Phantasien über die
Kunst, für Freunde der Kunst« heraus. Das waren denn auch schon die künstlerischen Ergebnisse dieses kurzen Lebens. Ludwig Tieck hat sie noch einmal 1814 als »Phantasien über die Kunst von einem kunstliebenden Klosterbruder«
zusammengefaßt. Wer sie heute nachlesen will, kann auf die Sammlung W. H. Wackenroder, Dichtung, Schriften, Briefe zurückgreifen, die 1984 von Gerda Heinrich herausgegeben wurde.
Bildquelle: Archiv Autor | |||
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