41 Probleme/Projekte/Prozesse | Aus der Geschichte des Potsdamer Platzes |
Gerhard Keiderling Heißes Pflaster im Kalten Krieg Der Potsdamer Platz zwischen 1945 und 1990 (I) Vom alten Potsdamer Platz, den Franz Hessel bei seinen Spaziergängen durch Berlin nicht als einen städtischen Raum, sondern als ein riesiges Straßenkreuz empfunden hatte, auf dem sich überwacht vom berühmten Verkehrsturm in unendlichem Strom Menschen, Automobile, Omnibusse und Straßenbahnen dahinschoben, waren bei Kriegsende nur Ruinen geblieben. Dennoch verschwand er nicht in historischer Bedeutungslosigkeit. Als Dreisektoreneck in der nach 1948 zerrissenen Stadt und als ein Brennpunkt des Kalten Krieges machte der Potsdamer Platz über vierzig Jahre lang Schlagzeilen. An diese Zeit der Teilung und Konfrontation erinnern nachstehend einige markante Ereignisse. 2. Mai 1945
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Goebbels bereits entleibt, Bormann und andere einen Ausbruch unternommen. Dennoch betreibt SS-General Mohnke von der »Leibstandarte Adolf Hitler« die Verteidigung von »Zitadelle«, dem Regierungsviertel. Am Vortage ist am Askanischen Platz General Krebs, Chef des Generalstabs des Heeres, mit Parlamentären unter weißer Fahne über die Frontlinie gegangen, um eine Waffenruhe anzubieten. Das Sowjetkommando besteht jedoch auf bedingungsloser Kapitulation. Am Morgen des 2. Mai überschreitet der Kampfkommandant von Berlin, General Weidling, an der Potsdamer Brücke die Frontlinie und kapituliert. Am Nachmittag verstummt in der ganzen Stadt der Gefechtslärm.
4. Juli 1945
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Link- und Bellevuestraße liegt im britischen Sektor. Der amerikanische Sektor stößt im spitzen Winkel zwischen Köthener und Stresemannstraße auf das Dreisektoreneck. Zur Markierung der Sektorengrenze werden dreisprachige Schilder aufgestellt: »You are leaving the American sector« oder »Sie betreten den Sowjetischen Sektor.« Die Berliner können unbehindert die kaum wahrnehmbaren Sektorengrenzen überschreiten, müssen sich aber nach den Regeln der jeweiligen Besatzungsmacht verhalten.
Da die Anlagen der Reichsbahn (Fern-, Güter- und S-Bahn-Verkehr) in ganz Berlin der Reichsbahndirektion der SBZ unterstehen, kommt es in der Folge am Potsdamer Bahnhof und auf dem weit in den US-Sektor hineinreichenden Reichsbahngelände immer wieder zu Zwischenfällen. 2. Juni 1946
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1947
Der Potsdamer Platz hat sich neben dem Gelände an der Reichstagsruine und dem Alexanderplatz zu einem Zentrum des schwarzen Marktes entwickelt. Hier wechseln tagtäglich Bündel von Geldscheinen, Schmuckstücke, Zigarettenstangen, Lebensmittel und tausenderlei andere Dinge ihren Besitzer. Auch Besatzungsangehörige nehmen am Schwarzhandel teil. Immer wieder finden Großrazzien der Polizei statt. Im Dreisektoreneck gibt es aber unzählige Schlupfwinkel und Pfade, auf denen sich die Schieber durch Flucht in einen anderen Sektor der Verhaftung entziehen. Mai 1948
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verboten worden. Die Anteilnahme der Westberliner entspricht aber nicht den östlichen Erwartungen.
24. Juni 1948
2. Juli 1948
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beginnt Ostberliner Polizei auch hier mit der Kontrolle aller Fahrzeuge im grenzüberschreitenden Verkehr.
2. August 1948
19. bis 22. August 1948
16. November 1948
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(sowjetischer Sektor) eröffnet ein »Freies Restaurant«. Auf der Speisekarte stehen Gerichte, die Berliner ohne Abgabe von Lebensmittelmarken bestellen können. Die Bildung einer Staatlichen Handelsorganisation (HO) in der SBZ am Vortage ist in Berlin mit der Absicht verbunden, möglichst viele Westberliner anzuziehen und ihnen eine Nutzlosigkeit der Lebensmittellieferungen über die Luftbrücke zu suggerieren.
8. und 9. Juni 1949
Juni 1950
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Ostberlin lehnt dies ab. Am 11. Juni besetzt Volkspolizei das Gebäude und nötigt Westberliner Firmen zur Räumung. Wenig später richtet die HO hier ein Kaufhaus ein, das sich mit der Losung: »Der kluge Berliner kauft in der HO« speziell an Westberliner Kunden wendet.
10. Oktober 1950
28. März 1951
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5. bis 19. August 1951
Während der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin folgen viele Festivalteilnehmer einer Einladung des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter zum Besuch Westberlins. Volkspolizei und FDJ-Ordner versuchen, durch Kontrollen auf dem Potsdamer Platz und in den S- und U-Bahn-Zügen die Jugendlichen aus der DDR davon abzuhalten. Während des Festivals unterbindet die Volkspolizei fast den gesamten Autoverkehr zwischen West- und Ostberlin. 13. August 1951
27. Oktober 1951
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7. November 1951
Anläßlich des Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ist auf dem von der Deutschen Reichsbahn der DDR verwalteten Gelände des Potsdamer Güterbahnhofes eine rote Fahne gehißt worden. Ein Kommando der Westberliner Polizei stürmt das Bahnbetriebswerk, um die Fahne und Transparente niederzureißen. Der Polizeioffizier Hermann Zuncker streckt den Reichsbahn-Dienststellenleiter Ernst Kamieth mit einem Schlag der Faust gegen die Halsschlagader nieder. Ein Gerichtszeuge: »Als wollte er einen Ochsen töten.« Kamieth verstirbt noch am gleichen Tag. Bei der Trauerfeier auf dem Platz vor dem Potsdamer Bahnhof wenige Tage später geht die Westberliner Polizei mit Schlagstöcken gegen Teilnehmer vor. Im November 1952 dringt erneut Westberliner Polizei in das Bahnbetriebswerk ein, um einen Gedenkstein für Kamieth zu entfernen. Einen sowjetischen Protest weist der US-Stadtkommandant zurück, weil ein Denkmal »nicht dem öffentlichen Reiseverkehr, sondern politischer Propaganda« diene. Zuncker wird im Mai 1954 vom Landgericht Berlin im Zusammenhang mit anderen Straftaten zu einer geringen Haftstrafe verurteilt, die er nicht anzutreten braucht. Seine Ehefrau wird zur gleichen Zeit bei einer der üblichen »Schieberkontrollen« auf dem S-Bahnhof Potsdamer Platz mit einer | ||
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Einkaufstasche voller in Ostberlin eingekaufter Lebensmittel von der Volkspolizei gestellt.
26. Mai 1952
16. Juni 1952
16. und 17. Juni 1953
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zu überbringen. Als der Zug dort eintrifft, wird der Ruf zum Generalstreik und zum Rücktritt der Regierung laut. Von der Westseite des Potsdamer Platzes beobachten Politiker und Journalisten das Geschehen.
Am Morgen des 17. Juni legen die Arbeiter vieler Ostberliner Betriebe durch RIAS über die Ereignisse informiert die Arbeit nieder und schließen sich Demonstrationszügen durch die Innenstadt an. Vielerorts, besonders am Potsdamer Platz, gehen Fahnen, Transparente, Kioske und »Aufklärungslokale der Nationalen Front« in Flammen auf. In den Mittagsstunden erscheinen sowjetische Panzer in der Innenstadt. Sie stoßen auch zum Potsdamer Platz vor und drängen die Demonstranten nach Westberlin ab. Sowjetsoldaten und Volkspolizei machen von der Schußwaffe Gebrauch. Das HO-Geschäft im Columbus-Haus wird geplündert und in Brand gesteckt. (Die Ruine wird drei Jahre später abgerissen.) Auch die Ruine des »Café Vaterland« brennt. Aufgrund der Verhängung des Ausnahmezustandes und einer Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr werden die Sektorengrenzen für den freien Personenverkehr hermetisch abgesperrt und der S-Bahn-Verkehr in Westberlin eingestellt. Die Sperren werden erst am 9. Juli wieder aufgehoben. 27. Juli 1953
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47 Probleme/Projekte/Prozesse | Aus der Geschichte des Potsdamer Platzes |
bevölkerung«. DDR-Bürger können sich an Ausgabestellen kostenlos Lebensmittelpakete abholen. Sie enthalten eine Dose Schmalz, vier Büchsen Kondensmilch, ein Pfund Hülsenfrüchte und ein Kilo Mehl. Bei Kontrollen auch auf den S- und U-Bahnhöfen Potsdamer Platz werden von der Volkspolizei die Pakete abgenommen und in Ostberlin an Westberliner Arbeitslose verteilt. Die Aktion, von beiden Seiten mit großem Propagandaaufwand begleitet, dauert bis Ende August.
13. Oktober 1957
Ende der 50er Jahre
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früheren »Führerbunker« hervor. Die Straßenbahnen der Linie 74 enden auf dem Leipziger Platz, dessen einstige Ausmaße nur am Verlauf der Bordsteine auszumachen sind. An der Sektorengrenze, unter dem Schild »Sie betreten den Demokratischen Sektor«, stehen Volkspolizisten und Mitarbeiter des »Amtes für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs«, um stichprobenartig Personaldokumente und Taschen der Passanten zu kontrollieren.
Auf der Westseite, in die Potsdamer Straße hinein, herrscht reges Leben vor Wechselstuben, Flachbauten der Grenzhändler, Zeitungskiosken und Imbißbuden. Wer aus dem Osten hier einkauft, meidet den direkten Rückweg über den Platz. In Grenzkinos können Ostbesucher ihre Eintrittskarten im Verhältnis 1:1 von DM-Ost zu DM-West kaufen. Auf dem Programm stehen meist Heimat-, Schnulzen- oder Horrorfilme. Seit dem sogenannten Chruschtschow-Ultimatum vom November 1958, das eine »friedliche Lösung des Westberlinproblems« verlangt, wird das Ost-West- Klima wieder rauher. Zu Beginn der sechziger Jahre verspüren die Berliner, daß die »idyllischen« Tage am Dreisektoreneck Potsdamer Platz gezählt sind. | ||
© Edition Luisenstadt, 1999
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