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Herbert Schwenk
8. August 1710:
Grundsteinlegung für neues Rathaus

Am 8. August 1710 wurde im damaligen Stadtzentrum von Alt-Cölln an der Spree der Grundstein zu einem der markantesten Objekte der historischen Topographie des Berliner Stadtraumes gelegt: zum neuen Rathaus der kurz zuvor vereinigten Königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin. Das dreigeschossige Cöllnische Rathaus im Stile des sogenannten Berliner Barocks sollte fast zweihundert Jahre lang an einem städtebaulich herausragenden Standort das Gesicht der Doppelstadt beeinflussen. Es stand am historischen Cöllnischen Fischmark zwischen Gertrauden- und Scharrenstraße, an der Einmündung der damals breitesten und vornehmsten Straße, die im Mittelalter Große Straße hieß und seit Anfang des 18. Jahrhunderts Breite Straße heißt. »Dem Stil, in welchem das Gebäude angelegt ist, fehlt es nicht an einer gewissen Großartigkeit, und es ist nicht zu leugnen, daß das Rathhaus einen imposanten Eindruck gemacht haben würde, wenn man dem ursprünglichen Plane treu geblieben wäre«, merkte 1833 feinsinnig der Königlich- Preußische Bibliothekar, Schriftsteller und Publizist

Samuel Heinrich Spiker (1786–1858) an. Welche Bewandtnis hatte es damit?
     Der Grundstein zum Neubau wurde auf Befehl König Friedrichs I. (1657–1713, König ab 1701) gelegt. Der Entwurf stammte von Martin Grünberg (1655–1706), der nach dem Tode Johann Arnold Nehrings (1659–1695) Hofbaumeister geworden war. Viele der Bauten, die von Grünberg stammten bzw. an denen er mitgewirkt hatte, darunter die 1695 begonnenen architektonischen Juwele Zeughaus und Parochialkirche in der Klosterstraße sowie das 1697 begonnene Friedrichshospital am Stralauer Tor, wurden nicht mehr zu dessen Lebzeiten vollendet. So auch das Cöllnische Rathaus, bei dem Grünberg das Amsterdamer Rathaus im Auge gehabt haben könnte (S. H. Spiker, 1833). Beim Cöllnischen Rathaus erfolgte sogar die Grundsteinlegung erst rund vier Jahre nach Grünbergs Tod. Den Bau leitete der Architekt und Ingenieur Johann Karl Stoltze (auch Stolze, gestorben 1746 in Berlin) unter Mitwirkung von Michael Kemmeter d. Ä. (gestorben nach 1720), der die Ausführung des Daches (1714) und der Treppen (1719) übernahm. Das von 1710 bis 1723 errichtete ehrwürdige stadtbekannte Bauwerk fiel erst 1899/1900 einer Straßenverbreiterung zum Opfer. Über sein Äußeres ist die Nachwelt dank Johann Georg Rosenberg (geboren um 1740) einigermaßen gut unterrichtet: Der Maler hatte um 1785 ein Bild vom Cöllnischen Fischmarkt mit dem Rat-
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haus in der Bildmitte angefertigt – eine von 21 Berlin- Ansichten, die Rosenberg als Kupferstich- Zyklus geschaffen hatte.
     Es wird angenommen, daß das neue Cöllnische Rathaus am gleichen Standort im nördlichen Teil des Fischmarktes errichtet wurde, an dem bereits seit etwa Mitte des 13. Jahrhunderts ein Rathaus gestanden haben soll. Über jenes älteste Rathaus von Cölln ist ebensowenig bekannt wie über das älteste von Berlin. Die Vermutung (zum Beispiel von Max Ring, 1883) ist nicht belegt, derzufolge bereits 1448 ein Rathaus in Cölln »neu erbaut oder nur erweitert« wurde, nachdem Kurfürst Friedrich II. (1413–1471, Kurfürst ab 1440) die 1307 geschaffene Städte-Union zwischen Berlin und Cölln, deren gemeinsames Rathaus bis 1514 an der Langen Brücke stand, wieder rückgängig gemacht hatte. Belegt ist hingegen für die Folgezeit, daß 1580 und 1583 jenes alte gotische Rathaus von Cölln »renovirt«, 1612 nach teilweisem Einsturz wieder hergestellt und 1656 wegen Verfalls nochmals gänzlich »restaurirt«, d. h. praktisch neu erbaut worden war. Wiederum ein halbes Jahrhundert später mußte das zweistöckige Gebäude mit hohem Kellergeschoß erneut abgebrochen werden, diesmal jedoch im Zusammenhang mit bedeutsamen Vorgängen in der Berliner Stadtentwicklung.
     Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts bestand das Stadtgebilde an der Spree noch aus fünf selbständigen Stadtgemeinden.
Zu Berlin und Cölln, den schon im 12. Jahrhundert entstandenen Keimzellen der Stadt, gesellten sich im späten 17. Jahrhundert drei weitere Stadtgemeinden im Range kurfürstlicher Residenzstädte hinzu: Friedrichswerder (1662), Dorotheenstadt (1674) und Friedrichstadt (1691). Jede dieser Städte hatte ihre eigene Verwaltung; zusammen umfaßten diese 60 Ratsmitglieder und mehr als 200 Beamte und Ratsdiener (1708). Um eine Zentralisierung der Stadtverwaltung im Sinne des sich herausbildenden preußischen Absolutismus zu erreichen, drängte König Friedrich I. seit September 1707, daß das »Werk der Kombinierung der Städte zustande komme«. Er befahl am 1. Dezember 1707, daß für 1708 keine neuen Rathmannen mehr gewählt werden sollten und mahnte nochmals im Mai 1708, »in Eile das hochnotwendige Werk zu vollenden«. Am 17. Januar 1709 schließlich unterzeichnete er das »Reskript von Kombinierung der rathäuslichen Kollegien«: den Erlaß zum Zusammenschluß der fünf Städte zur neuen Königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin. Er wurde nicht zufällig einen Tag später auf dem Berlinischen Rathaus verlesen, um mit dem Datum des 18. Januar den »Einigungsgedanken« (achter Jahrestag der Königskrönung Friedrichs I. und der damit verbundenen Festigung der territorialen Vereinigung Preußens mit Brandenburg) zu unterstreichen. Durch die Vereinigung hatte sich die Stadtfläche auf 626 ha vergrößert und gegenüber 1640
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Cöllnischer Fischmarkt mit dem Cöllnischen Rathaus und der Petrikirche i.J. 1785
verachtfacht; die Einwohnerzahl war auf 57 000 angewachsen.
     Die neue Stadtverfassung der zentralisierten Stadtgemeinde Berlin trat am 1. Januar 1710 in Kraft. Zu den zwölf königlichen Bestimmungen gehörte – neben den erheblichen personellen Veränderungen (nur noch vier Bürgermeister, zwei Syndici, drei Amtsleute für die »Oekonomie« und zehn jährlich wechselnde Ratsherren) und der Festschreibung
der künftigen Aufgaben der Stadtverwaltung – auch die Direktive, »daß der von Uns neugesetzte Magistrat seine Zusammenkünfte auf dem Rathaus allhier in Cölln haben solle, anerwogen selbiges nicht allein in der Mitte der übrigen Städte, sondern auch bei Unserem Residenzschloß gelegen«.
     Aber dieser Befehl konnte nicht ausgeführt werden. Der Zustand des alten Rathauses zu Cölln entsprach in keiner Weise der Bedeutung
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des neuen Magistrats. Die feierliche Einführung der neuen gemeinschaftlichen Stadtverwaltung vor einer großen Kulisse schaulustiger Bürger fand schon am 18. Januar 1709 im Berlinischen Rathaus statt. Aber erst am 8. August des folgenden Jahres wurde der Grundstein zum neuen Rathaus in Cölln gelegt. Zunächst glaubte man noch, der Berliner Sitz des neuen Rats sei nur ein Provisorium. Aber plötzlich entstand eine völlig neue Situation: Noch nicht einmal 56 Jahre alt, starb am 25. Februar 1713 König Friedrich I. in Berlin. Unter seinem Sohn und Nachfolger auf dem Thron, König Friedrich Wilhelm I. (1688_1740, König ab 1713), wurde der bekannte Kurswechsel in Wirtschaft, Verwaltung, Militärwesen, Kunst und Wissenschaft durchgepeitscht, dem vieles zum Opfer viel, was sein Vater geplant und begonnen hatte. So auch der befohlene Umzug des gemeinsamen Berliner Magistrats in ein neues Rathaus zu Cölln. Der junge König wies an, daß die Ratstagungen weiterhin im alten Rathaus in Berlin stattzufinden hätten. Der Bau in Cölln schleppte sich nun bis 1723 hin und wurde gegenüber dem Entwurf von Grünberg vereinfacht aufgeführt: Der geplante stattliche Rathausturm auf dem dreifenstrigen Vorsprung und die große steinerne Freitreppe zum Hauptportal fielen der neuen Sparpolitik zum Opfer. Der ursprüngliche Zweck des Baus war hinfällig geworden. Obwohl der Name »Rathaus« erhalten blieb und Ressorts der vereinigten Stadtverwaltung darin auch bis 1809 tätig waren, wurde das Bauwerk in der Folgezeit meist anderweitig genutzt. Das obere Geschoß und der später angebaute hintere Teil wurden von 1730 bis 1868 dem Cöllnischen Gymnasium eingeräumt (1833/34 lernten hier immerhin 300 Schüler), nachdem die Anstalt ihr Quartier an der Ecke des Petriplatzes/ Scharrenstraße bei dem verheerenden Brand der Petrikirche im Jahre 1730 verloren hatte. Erst seit dem 1. Oktober 1822 sollte das Gebäude für ein halbes Jahrhundert seinem ursprünglichen Zweck als Rathaus dienen: Im ersten Stockwerk tagte die Berliner Stadtverordnetenversammlung, bevor diese in das 1860_1869 nach Entwurf von Hermann Friedrich Waesemann (1813_1879) errichtete Rote Rathaus in der Königstraße übersiedelte. Schließlich beherbergte das Cöllnische Rathaus von 1880 bis zu seinem Abbruch 1899/1900 im ersten Geschoß auch eine der Sammlungen des Märkischen Provinzial- Museums.
     Heute existieren in Berlin noch 37 Rathäuser bzw. einst als Rathäuser errichtete Gebäude. Neben dem Roten Rathaus sowie den 23 Rathäusern der Bezirke gibt es noch 13 ehemalige Rat- oder Amtshäuser in den einst selbständigen Dörfern und Gemeinden, die sich 1920 zu Groß-Berlin vereinigten. Ein Cöllnisches Rathaus indes wird man vergeblich suchen.
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