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Helmut Caspar
Chance für eine Ruine

Verein will Reste der Berliner Klosterkirche retten

Berlin ist mit Bauten aus dem Mittelalter nicht gerade reich gesegnet. Zu sehr haben Krieg, Abrisse, Erneuerungswahn und pure Ökonomie unter den ältesten Steinzeugen gewütet. Neben der Marienkirche und der Nikolaikirche weisen nur noch die Heiliggeistkapelle, Reste der Stadtmauer, einige ausgegrabene Fundamente und die Ruine der Kirche des Franziskanerklosters unweit des Alexanderplatzes auf die Ursprünge der Doppelstadt Berlin-Cölln.
     Die im Zweiten Weltkrieg zerbombte und danach gesicherte Kirche des Franziskanerklosters, in deren hohen Spitzbogenfenstern noch Reste des Maßwerks zu erkennen sind, zählt trotz ihres torsohaften Zustands zu den bedeutendsten Denkmalen mittelalterlicher Backsteingotik in der Mark Brandenburg und verdient als Gotteshaus des von vielen berühmten Leuten besuchten »Gymnasiums zum Grauen Kloster« überregionale Beachtung. Die Ruine ist, eben weil sie nur noch ein Abglanz ihrer selbst ist, auch ein eindrucksvolles Mahnmal gegen den Krieg.

Im Winterhalbjahr zugesperrt, doch immer von Neugierigen bewundert, finden in der warmen Jahreszeit unter freiem Himmel Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen statt. Dabei dürfen die Besucher den nach oben offenen Umfassungsmauern wegen der »Gefahr des Steinschlags« nicht zu nahe kommen, wie Manfred Strehlau, Vorsitzender des 1992 gegründeten Fördervereins Klosterkirche, sagt. »Besucher müssen die durch Seile markierten Wege beachten. Aus baupolizeilichen Gründen wurde ein fürs ZDF geplanter Gottesdienst abgesagt. Schade, eine gute Gelegenheit, via Fernsehen die Ruine weithin bekannt zu machen, konnte nicht genutzt werden«, bedauert der Bildhauer, der mit einigen Unentwegten versucht, Senatspolitikern und Abgeordneten den Wert dieses 750 Jahre alten Bauwerks, an dem sich auch Schinkel im frühen neunzehnten Jahrhundert als Denkmalpfleger versucht hat, klarzumachen und Geld für seine Rettung zu mobilisieren.

Fragile Steine

Der aus Künstlern, Architekten, Historikern und anderen Interessenten gebildete Verein hat allen Grund, sich um den Zustand des fragilen Backsteins zu sorgen, der in DDR-Zeiten schon einmal in den Blick des Denkmalschutzes geraten war, aber wegen des Mangels an »Kapazitäten« nur Sicherungs-

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maßnahmen zustande kamen. Vordringlich ist jetzt die genaue Analyse des aktuellen Zustands. Das Landesdenkmalamt veranschlagt die Kosten dafür mit etwa 450 000 Mark, weil jeder Stein untersucht und das Bauwerk eingerüstet werden muß. Dem müßten ohne Aufschub die Sicherungsarbeiten folgen, die etwa vier Millionen Mark kosten und auch Grabungen im Umfeld einschließen würden, wo Rasen und Asphalt noch stattliche Fundamentreste des ehemaligen Klosters bedecken.
     Ausgewechselt werden müßten desolate Backsteine, deren harte Oberfläche bereits so aufgeweicht ist, daß Feuchtigkeit ungehindert eindringt, was zu Aufsprengungen und Abschalungen führt. Da nicht ausgeschlossen wird, daß sich die Mauern neigen, wird auch an eine statische Sicherung gedacht. Schließlich ist zu prüfen, ob die Schutzbleche aus der Nachkriegszeit, die die Mauern oben abdecken, noch ihre Arbeit tun. An eine Überdachung der Ruine ist laut Strehlau aus Kostengründen nicht zu denken, so gut das den Umfassungsmauern und auch der Nutzung der Ruine für Veranstaltungen bei Regen und Schnee täte. Wohl aber sei es dringend erforderlich, wenigstens die Kanalisation für das in die Ruine fließende Wasser zu erneuern.
     »Wir sind nicht dafür, die Ruine für immer zuzusperren, weil sie sonst dem Blick der Öffentlichkeit entschwinden würde. Vielmehr sollte sie in ihrem gefährdeten, unvoll-
ständigen Zustand wie ein Pfahl im Fleisch wirken, sich in Berlin zunächst um vorhandene und dann um verschwundene Bauten zu kümmern. Auch wenn bedeutende Mittel in die Rekonstruktion der Museumsinsel fließen, sollte die Ruine nicht vergessen werden«, meint Strehlau. Positive Signale aus Bonn würden auch private Sponsoren anregen, sich ebenfalls zu engagieren. So habe schon eine auf Steinkonservierung spezialisierte Firma in München ihr Interesse angemeldet, kostenlos die Sanierung der desolaten Mauern zu übernehmen, und auch andere Sponsoren stünden auf der Helferliste. In erster Linie sei aber das Land Berlin gefordert, das allerdings die veranschlagten Millionen kaum aufbringen wird und nicht einmal in der Lage ist, die Fundamente des Schlosses, ein paar Minuten von der Klosterkirche entfernt, zu sichern.
     Als wichtigste Geldgeber hat der Verein daher den Bund, die Lottostiftung und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz im Visier. Wer auch immer die Nachfolge von Bundespräsident Roman Herzog, des jetzigen Schirmherren der Denkmalstiftung, antreten wird – die Berliner Klosterkirchenruine wird sie oder ihn schon noch beschäftigen, kündigt der Förderverein an, fest entschlossen, sich mit Hinweisen auf »finanziell bessere Zeiten« nicht abspeisen zu lassen. Es könnte sonst sein, daß dann, sollten sie je kommen, von der Ruine nichts mehr steht.
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Ausstellungen und Theater

Das Kulturamt Mitte und der Förderverein planen für 1999 neben Theater- und Kinoveranstaltungen auch verschiedene Ausstellungen. Als erstes ist »geistlich textil« – eine Textilinstallation der Ulmer Künstlerin Gabriele Nasfeter im Rahmen des Projekts der Evangelischen Kirche zur Jahrtausend-

wende – zu sehen. Bis zum 30. Juni stellt der Italiener Francesco Chiais die begrünte Bodenskulptur »Dionysos« aus, die das ganze Mittelschiff bedeckt. Vom 5. Juli bis 31. Oktober zeigt der schwedische Fotograf Neil Goldstein schwarze Labradorsteine aus einem schwedischen Steinbruch, die für Hitlers »Soldatenhalle« bestimmt waren. Diese »Totensteine« kamen in der von Albert


Ruine des Franziskanerklosters
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Speer konzipierten »Welthauptstadt Germania« allerdings nie an. »Unsere Veranstaltungen sind wichtige Zugpferde, um die Kirchenruine ständig im Gespräch zu halten«, sagt Manfred Strehlau, überzeugt, daß ständiges Erinnern das Leben des hochgefährdeten Baudenkmals verlängern wird.

Aus der Chronik

Vor 1249 Gründung des Berliner Konvents des Franziskaner-Ordens.
Um 1250 Bau einer Kirche an der Stadtmauer als Saalbau aus Feldsteinen mit den Abmessungen 52 mal 16 Meter.
Um 1290 Beginn des zweiten Kirchenbaues unter Verwendung der Nordwand des Vorgängers als dreischiffige Basilika in Backsteinmauerwerk.
Vor 1300 Vollendung des ersten Bauabschnitts mit dem dreischiffigen Langhaus.
1. Hälfte des 14. Jh. Zweiter Bauabschnitt und Vollendung der Klosterkirche, Renovierung um 1500, Säkularisierung des Klosters nach der Reformation, wobei die Franziskaner Wohnrecht behalten.
1574 Kurfürst Johann Georg legt die Lateinschulen von Sankt Nikolai und von Sankt Marien zum »Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster«, der ersten höheren Lehranstalt des Berliner Bürgertums, zusammen. Berühmte Schüler sind Johann Gottfried Schadow, Friedrich Ludwig Jahn (der hier als Lehrer das Turnen einführte), Karl Friedrich Schinkel,

Otto von Bismarck und Erich Rathenau. (Bücher und Schriften des Gymnasiums zum Grauen Kloster werden in der Berliner Ratsbibliothek, Epitaphien, Gemälde und Ausstattungsstücke der Kirche im Märkischen Museum und in der Marienkirche ausgestellt.)
1583 bis 1584 Restaurierung der Kirche durch den Arzt und Alchimisten Leonhard Thurneisser, der im Kloster wohnte und experimentierte.
2. Hälfte des 17. Jh. Abbruch der Chorkapelle und des Treppenturms, Neubau der Treppe an der Westseite.
1712 Abbruch des Lettners im Mittelschiff.
1813 Wiederherstellungs- und Umbaupläne von Karl Friedrich Schinkel.
1826 Abbruch des Giebelturms.
1842–1845 Wiederherstellung der Kirche durch Oberbauinspektor Berger, Absenkung des Fußbodens auf das ursprüngliche Niveau, Errichtung der Sakristei an der Nordseite des Chores, Errichtung von zwei seitlichen Türmen und einem Mittelturm über dem Westgiebel sowie eines Arkadenganges vor dem Portal.
Ab 1926 Bei der Sanierung der Klosterkirche werden Zutaten des 19. Jahrhunderts abgetragen und der Zustand von vor 1842 wiederhergestellt.
1945 Schwere Zerstörungen durch Bombentreffer.
1951 Enttrümmerung.
1959–1961 Umfangreiche Sicherung der Kirchenruine, Beseitigung der Reste der ehemaligen Klosteranlage.
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Die Klosterkirchenruine ist im Sommerhalbjahr Dienstag bis Sonntag von 12 – 18 Uhr, Sonnabend von 12 Uhr bis Sonnenuntergang geöffnet
1987 Nutzung der zum Mahnmal erklärten Ruine für Bildhauer-Ausstellungen (bis 1990)
1992 Gründung des Fördervereins Klosterruine e. V. durch Berliner Künstler.
Informationen über das Veranstaltungsprogramm und die Tätigkeit des Vereins bei Manfred Strehlau, Telefon 030/6361213).

Bildquelle: Foto Autor

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© Edition Luisenstadt, 1999
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