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Dagmar Girra
Aufstieg und Fall eines Abenteurers

Kaufmann und Reeder Benjamin Raule (1634–1707)

Raule (auch Raulé), geboren im Februar 1634 in Vlissingen an der Südküste von Walcheren, direkt am Seeschiffahrtsweg nach Antwerpen, stammte aus einer westflandrischen Familie. Schon in jungen Jahren war er, inzwischen Kaufmann geworden, Ratsherr und Schöffe in Middelburg, Hauptstadt der Provinz Zeeland. Als wichtiger Handelsumschlagplatz, vor allem für Brügge und Antwerpen, war sie bis ins 16. Jahrhundert hinein eine reiche Stadt, die erst im vorigen Jahrhundert in ihrer Bedeutung von Rotterdam ersetzt wurde.
     Raule unterhielt hauptsächlich Handelsbeziehungen mit Frankreich, so daß ihn 1672 der Ausbruch des dritten Krieges zwischen England und Frankreich schwer traf. Durch den Krieg verlor er sein einst nicht unbeträchtliches Vermögen fast völlig. Doch Benjamin Raule wußte sich zu helfen. Anfang 1675 erbat er vom Großen Kurfürsten (1620–1688, Kurfürst ab 1640), der sich im Krieg mit Schweden befand, einen Kaperbrief gegen die Skandinavier. Mit dem Ka-

perbrief erlangten Privatpersonen die ausdrückliche Genehmigung einer der kriegführenden Mächte, Schiffe auszurüsten und zu militärischen Zwecken zu betreiben. Mit diesem Unterpfand hatten Schiffseigner und -besatzung die Gewähr, nicht als Piraten angesehen und verfolgt zu werden – eine Regelung, die erst 1856 mit der Pariser Seerechtsdeklaration endgültig abgeschafft wurde. Die Freibeuter brachten Handelsschiffe auf, und die erzielte Beute, die Prisen, war ihr Gewinn. Friedrich Wilhelm wiederum gab Raule im Februar 1675 gern dieses Dokument, war er doch im Krieg gegen Schweden mangels einer eigenen Flotte in Not geraten: Die schwedischen Heere waren weit bis ins Landesinnere Brandenburgs vorgedrungen; der Zugang zum Meer war verloren. Im Juni 1675 siegte der Kurfürst über die Schweden bei Fehrbellin und eroberte Schwedisch-Pommern, das er nach dem Frieden von St. Germain vom 29. Juni 1679 dann doch wieder an Schweden abtreten mußte.
     Raule rüstete die ersten drei Schiffe in Amsterdam aus. Die Kosten für drei weitere Schiffe sowie die Anwerbung der Besatzung übernahm die brandenburgische Staatskasse. In nur kurzer Zeit hatte Raule 21 schwedische Handelsschiffe aufgebracht und deren Ladung gekapert. Doch wurde er nun wegen des Mißbrauchs der holländischen Flagge angeklagt, und auch sein hoher Gönner mußte die Prisen wieder freigeben, da sie weder von England noch von Holland an-
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erkannt wurden. Nach diesen Rückschlägen noch mehr verschuldet als zuvor und zudem in seiner Heimat verfolgt, floh Raule nach Berlin. Hier bot er die Nutzung seiner Schiffe dem Landesherren an. Im Februar 1676 unterzeichneten der Kurfürst und Raule einen Vertrag, mit dem Raule zum brandenburgischen Rat und Schiffsdirektor und im August 1677 zum »Ober-Direktor unserer Seesachen« ernannt wurde. Bereits 1676 begann er in Kolberg, später auch in Havelberg, Berlin und Pillau mit dem Bau von Schiffen. Für seine unternehmerischen Initiativen wurde er vom Hof intensiv gefördert, zumal dieser, neben Raule selbst, der Hauptnutznießer war. Seine Familie, die mit ihm aus Holland gekommen war, wurde vom brandenburgischen Staat mit monatlichen Zahlungen unterstützt. Das Kommando über die Schiffe sollte eigentlich Raules Bruder Jacob erhalten. Da er aber in der Heimat noch in Schuldhaft saß, übernahm Benjamin Raule selbst das Kommando. 1679, er hatte bereits einige Erfolge errungen, rüstete Raule weitere Schiffe im Auftrag des Kurfürsten aus. Sein Ziel war Spanien, wo er den Kaperkrieg fortsetzen wollte. Wieder standen die Ergebnisse dieser Aktion in einem Mißverhältnis zum erzielten materiellen und politischen Gewinn. Zugleich begann er an der westafri-
 

Raules Hof

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kanischen Küste, für Kurbrandenburg Handel zu treiben. 1682 hatte Raule die Afrikanische Handelsgesellschaft gegründet, deren Direktor er war, und konnte nach eigenem Ermessen über Schiffe, Fracht und Geld verfügen. An der guineischen Goldküste hißte dann Otto Friedrich von der Groeben (1656–1728), dem Friedrich Wilhelm 1682 das Kommando dieser Expedition anvertraut hatte, am 1. Januar 1683 die brandenburgische Flagge. Hier errichteten sie das Fort Groß Friedrichsburg. Bereits 1680 war Raule an die Spitze des Commerz- und Administrationscollegiums in Pillau berufen worden. Im Februar 1681 ernannte man Raule zum »General-Director der Marine«, und das monatliche Salär war auf 400 Taler angestiegen.
     Bereits 1678 hatte Raule in Berlin das verfallene alte Ballhaus auf dem Friedrichswerder gekauft und errichtete hier ein Wohnhaus. Bald gruppierten sich darum Lager- und Geschäftsräume. Diese Anlage wurde später unter dem Namen »Raules Hof« bekannt. Er lag zwischen der Alten Leipziger Straße und der Adlerstraße, in der Nähe des Spittelmarktes. Dort gründete 1827 – mehr als ein Jahrhundert später – der Seidenwirker H. Heese (1783–1862) sein Unternehmen und erwarb 1847 das gesamte Grundstück für 91 000 Taler. Die Straßen sind heute nicht mehr vorhanden, und auch Raules Hof verschwand 1935 aus dem Stadtbild, um dem Neubau der Reichsbank Platz zu machen.
Der Kurfürst erwarb am 1. Oktober 1684 Raules Flotte, die aus neun Schiffen bestand, die mit 176 Kanonen bestückt waren. Raule selbst blieb im Amt des Generaldirektors der brandenburgischen Seemacht. Seine Einkünfte gestatteten ihm, 1686 das Gut Rosenfelde, das seit 1699 Friedrichsfelde heißt, zu erwerben. Das verfallene Gutshaus ließ er nach seinen Wünschen als Schloß wieder herrichten. Es ähnelte einem holländischen Landhaus und war umgeben von einem herrlichen Park. Dort hatte er auch den Kurfürsten noch 1688 empfangen und bewirtet. Raule erwarb weiteren Grundbesitz in Potsdam und soll auch einen Weinberg in Berlin gehabt haben.
     Als Friedrich Wilhelm am 9. Mai 1688 starb, begann wohl auch Raules geschäftlicher Untergang. Denn bald darauf inhaftierte man ihn. Er wurde der Unterschlagung bei seinen Geld- und Handelsgeschäften verdächtigt. Da sich Eberhard Freiherr von Danckelmann (1643–1722) für ihn einsetzte, rehabilitierte man ihn 1690. Danckelmann war allerdings selbst an den Gewinnen Raules beteiligt, und so wurde er 1697 u.a. deswegen gestürzt. Somit gab es für Benjamin Raule kaum noch Fürsprecher. Die Order für die Klärung der Anschuldigungen gegenüber Raule und Danckelmann war denn auch eindeutig: Es mußte strafrechtlich Verwertbares gefunden werden, um jeden Preis.
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Nach dem Thronwechsel räumte Friedrich III. (1657–1713, König ab 1701) am Hof mit den Günstlingen seines Vaters auf, sofern er selbst sie nicht noch kurzfristig für seine Interessen nutzen konnte. Die Flotte – einst Lieblingskind des Vaters – gehörte nicht dazu. Wo einst große Gunst war, waren über Jahre giftiger Neid und eisige Mißgunst gewachsen. Sie entluden sich jetzt gegen Raule. Zudem lagen auf den Geschäftsgebaren des Kaufmannes Raule auch ständig Schatten mangelnder Akribie. Sein Draufgängertum und seine Abenteuerlust, die vor den Büchern wohl nicht haltgemacht hatten, brachten ihn nun in eine sehr prekäre Lage. Eine Tiefenprüfung brachte Bilanzfälschungen ans Tageslicht. Ein Kassenminus von 454 400 Talern stand zu Buche. Ihm wurde weiter vorgeworfen, den Großen Kurfürsten übervorteilt zu haben. Der einstige Landesherr hatte sich oftmals, kamen Verdachtsmomente gegen Raule auf, schützend vor ihn gestellt. Nun wurden Raule jedes kurfürstliche Geschenk, jede Begünstigung, war sie auch noch so klein und albern, vorgehalten. Nicht mehr die blanken Fakten sprachen, sondern der Rufmord richtete über ihn. Raule wurde am 12. Dezember 1698 mit 64 Jahren auf die Festung Spandau verbannt. Dort saß auch der Oberpräsident a. D. Danckelmann ein. Nachdem Raules Vermögen eingezogen worden war, stellte man das Verfahren gegen ihn ein. Die Freiheit aber erhielt er zunächst noch nicht. Zu ge- wagt wäre es gewesen, hätte Raule berichten können, wie die neue Macht mit jemandem, der rund 20 Jahre seines Lebens für Kurbrandenburg gewirkt hatte, verfährt. Erst im Mai 1702 entließ man ihn mit der Auflage, sich umgehend nach Emden zu begeben. Dort hauste er drei Jahre lang auf einem Schiff. Seine Ehefrau hatte ihn in Spandau nur noch für wenige Stunden sehen können. Sie verstarb, wie auch die einzige Tochter, vor Benjamin Raule. Im Juni 1705 durfte er nach Hamburg übersiedeln, wo er nach langer Krankheit am 17. Mai 1707 verstarb. Nach Raules Tod gingen sein Vermögen und all seine in Berlin und anderswo erworbenen Güter an den Staat.

Bildquelle:
Archiv LBV

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Berlinische Monatsschrift Heft 5/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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