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Gerhard Keiderling
Trümmerfrauen und Trümmerbahnen

Die letzten Schüsse des Krieges waren gerade verhallt, als die Berliner mit den Aufräumungsarbeiten begannen. Die sowjetische Militärkommandantur erließ Anfang Mai 1945 einen entsprechenden Befehl. So wurden die Bewohner ganzer Ortsteile oder Straßenzüge zum Arbeitseinsatz aus ihren Wohnungen geholt. Wer sich drücken wollte, dem wurde der Entzug der Lebensmittelkarte angedroht. Zunächst ging es darum, die Straßen freizuräumen, Panzersperren abzubauen, Bomben- und Granattrichter zu verfüllen und andere Gefahrenstellen zu beseitigen. Für die Reparatur der Hauptstraßen stellte der Magistrat am 28. Mai 1945 als erstes eine halbe Million RM zur Verfügung.
     Die Enttrümmerung kam im Sommer 1945 langsam voran. Eine Berlinerin aus der Gegend um den Olivaer Platz in Charlottenburg schrieb in ihr Tagebuch: »17. 5. 45: Wir räumen auf! Und zwar draußen auf den Straßen. Der Schutt muß weg, deshalb haben wir richtige Arbeitstrupps gebildet. Wir stellen uns in Reihen auf die Trümmerberge und geben die brauchbaren Steine

weiter. Andere Leute klopfen den Dreck ab und stapeln sie auf.« Mit solchen Eimerketten konnte man den Trümmerbergen natürlich nicht zu Leibe rücken. Der Magistrat wies daher im August 1945 die Bezirksverwaltungen an, »alle derartig primitiven Aufräumarbeiten einzustellen« und die bezahlte Trümmerbeseitigung Bauunternehmen zu übertragen. Diese durften zum Ausgleich ihrer Unkosten, der Bereitstellung von Geräten usw. sowie als Verdienst 50 Prozent auf den tarifmäßigen Stundenlohn von 0,72 RM aufschlagen, den die Stadt vorerst einheitlich für die beschäftigten Männer und Frauen zahlte. Bald wurde eine strengere Kontrolle der Geschäftsgebaren der rund 80 zugelassenen Firmen gefordert. Manche wirtschafteten in die eigene Tasche, indem sie geborgenes Material unter der Hand verkauften, unkorrekte Angaben über die tatsächlichen Arbeitsleistungen machten oder die Zahl der bei ihnen beschäftigten und somit zum Bezug der Lebensmittelkarte berechtigten Personen erhöhten. Auch wurden Arbeitsschutzbestimmungen vernachlässigt, so daß sich Unfälle, sogar mit Todesfolge, häuften. Die Gewerkschaft der Bauarbeiter sprach im Juni 1947 von monatlich etwa 1 000 Unfällen.
     Probleme bereitete ferner die Enttrümmerung privater Grundstücke. Die Alliierte Kommandantur erlaubte mit ihrem Befehl BK/O (46) 60 vom 23. Januar 1946, daß der
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Magistrat bis zur endgültigen Klärung der Eigentumsrechte auf diesen Grundstücken tätig werden konnte. Dabei mußte über die Entnahme von Baumaterialien Buch geführt werden. Sie durften nur in dem Sektor, wo sie vorgefunden wurden, zum Wiederaufbau verwendet werden.
     Die Alliierte Kommandantur zeigte sich unzufrieden mit dem Tempo der Enttrümmerung. Entschuldigungen, wie mangelnde Technik oder Abzug von Arbeitskräften für Besatzungszwecke (sogenannter Befehlsbau), ließ sie nicht gelten. Die Sektorenkommandanten befahlen die Durchführung von Sonderaktionen. So ordnete die sowjetische Zentralkommandantur am 23. Oktober 1945 an, bis zum 6. November, dem Vorabend des 28. Jahrestages der Oktoberrevolution, Straßen und Plätze in ihrem Sektor zu säubern und vor allem die Benutzung der Bürgersteige wieder zu ermöglichen. Die Bezirksämter organisierten »freiwillige« Arbeitseinsätze: »Wer nicht zum Schippen kommt, bekommt keine Lebensmittelkarte!« Sie wiesen die Haus- und Straßenobleute an, »darauf zu achten, daß jeder seine Beschäftigung hat, niemand darf herumstehen, es muß flink gearbeitet werden, damit sich die Arbeitenden keine Erkältung zuziehen«. Angeblich hätten in Mitte täglich 13 000, in Friedrichshain 8 000 und in Weißensee 3 000 Personen im Einsatz gestanden. Das Bezirksamt Mitte schrieb: »Zur Durchführung der Schuttbeseitigung wurden Hand-
wagen, Pferdefuhrwerke, Kraftwagen usw. eingesetzt. Die Rote Armee hatte ebenfalls einige Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt.« Im Frühjahr 1946 ordnete die Zentralkommandantur eine erneute »Generalreinigung« im Ostsektor bis zum 1. Mai an. Im April 1947 befahlen auch die westalliierten Sektorenkommandanten eine beschleunigte Enttrümmerung durch die gesamte Bevölkerung.
     Wie effektiv diese Massenarbeitseinsätze tatsächlich waren, erhellt folgendes Beispiel. Zum Abschluß der Herbstaktion 1945 meldete das Bezirksamt Friedrichshain: »Die Frankfurter Allee kann – soweit es sich nicht um Schadenstellen an U-Bahnen handelt – als aufgeräumt betrachtet werden.« Doch dem war nicht so. Erst am 21. August 1946 gab das Bezirksamt den Verkehr auf der Allee unter der Maßgabe frei, daß Mittelpromenade und Bürgersteige noch von Trümmern zu reinigen seien.
     Trotzdem hielt der erste Magistrat an solchen Masseneinsätzen fest. In der Annahme, auf diesem Wege politischen Einfluß zu gewinnen, empfahl die SED im Oktober 1946: »In der Freizeit soll die Bevölkerung der zerstörten Gebiete durch einen planmäßig geleisteten Arbeitseinsatz aufgefordert werden, eine bestimmte Stundenzahl pro Woche für den Wiederaufbau zu leisten.« Doch das Echo war gering.
     Der zweite Magistrat führte in seiner Amtsperiode von 1946 bis 1948 die Enttrüm-
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Berliner Trümmerfrauen
merung durch private Baufirmen fort. Während der Grad der Mechanisierung der Arbeiten stieg, ging die Zahl der Beschäftigten von 45 320 im Mai 1946 auf 7 400 im April 1947 zurück. Am 31. März 1948 enttrümmerten nur noch 5 784 Arbeitskräfte, davon 3 782 Frauen. Schippen und Steineklopfen blieb also nach wie vor eine »Domäne« der Trümmerfrauen. Ihr Los war besonders schwer (vgl. »Die Berliner Trümmerfrauen«, in: BM, 8/97). Allein das Abputzen der Ziegelsteine war eine körperlich harte Arbeit: »Die Hände würden leicht steif, und es wäre so auf den Baustellen, daß die Frauen sich vorwiegend darum be- mühen, als Schipperinnen Verwendung zu finden, weil da der ganze Körper in Bewegung ist und sie nicht etwa bei kaltem Wetter im Freien lange ruhig sitzen müssen und die Glieder steif werden und nicht nur die Hände.« Die gefährlichen Abrißarbeiten und alle organisatorisch- technischen Belange blieben »Männersache«.
     Das Hauptaugenmerk war auch nach 1946 auf die Räumung der Straßen und Plätze sowie auf die Beseitigung von Gefahrenstellen, wie Häuserwände, Schornsteine und Dächer, gerichtet. Auf baupolizeiliche Anweisung mußten einsturzgefährdete Gebäude gesprengt werden. Manchmal wurde
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der Schutt vom Fahrdamm und von den Bürgersteigen nur auf die anliegenden Grundstücke gebracht, um später von dort abtransportiert zu werden. Bis September 1946 wurde die Straße Unter den Linden von Trümmern freigelegt. Durch fortschreitende Mechanisierung und den Einsatz der Sprengtechnik konnte nach 1947 an die Abräumung geschlossener Schadensviertel gegangen werden. Ende August 1948 begann die Aufräumung im früheren Reichstagsgebäude (britischer Sektor). Mitte Oktober 1948 erteilte die sowjetische Zentralkommandantur den Befehl zum Abriß der Ruinen der Reichskanzlei am Wilhelmplatz und in der Voßstraße.
     Ein großes Problem bereitete die Verbringung der riesigen Trümmermassen. Sie konnten nur zum geringen Teil an Ort und Stelle abgelagert werden, z. B. zum Verfüllen von Senken, Gräben, Kanälen und Löschwasserteichen oder zur Erhöhung des Niveaus bestehender Parkanlagen. Gegen die Vorstellung der »Enttrümmerungsingenieure«, den abgeholzten Tiergarten zu einem gigantischen Aufschüttungsgelände zu machen, lief im Sommer 1947 der Leiter des Hauptamtes für Grünplanung und Gartenbau im Magistrat, Reinhold Lingner, erfolgreich Sturm. Es wurden entlegene Terrains gefunden, wo die Hauptmasse der Trümmer aus der Innenstadt abgeladen wurde. Im Mai 1946 beschloß der Magistrat, Trümmer aus den Bezirken Mitte und
Friedrichshain um die gesprengten Hochbunker im Volkspark Friedrichshain anzuhäufen und später zu bepflanzen. Ähnlich verfuhr man mit dem Flak- Hochbunker am Humboldthain. Das Bezirksamt Prenzlauer Berg ließ den ehemaligen Exerzierplatz (»Exer«) an der Eberswalder Straße durch Schuttablagerung um einen bis eineinhalb Meter höher legen, um hier einmal ein Sportforum zu errichten.
     Der Abtransport der Trümmer erfolgte zunehmend auf der Schiene. Im Stadtbezirk Mitte gab es schon Ende 1945 ein 4,3 Kilometer langes Schmalspur- Schienennetz, auf dem zwei Lokomotiven mit insgesamt 61 Loren unterwegs waren. Der Jahresbericht des Magistrats für 1946 führte bereits 45 Diesel- und Dampflokomotiven sowie 2 400 Kipploren in der gesamten Stadt auf. Ein dichtes Schienennetz durchzog die Innenstadt.
     Die Zuspitzung der politischen Lage im Jahre 1948 beeinträchtigte die Enttrümmerung ganz erheblich, teilweise kam sie sogar zum Stillstand. Die getrennten Währungsreformen im Ost- und Westteil der Stadt machten eine Planung und Finanzierung unmöglich. Hinzu trat seit Spätsommer 1948 die Auflösung der einheitlichen Stadtverwaltung (vgl. BM 11/98).

Bildquelle: Archiv LBV

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