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such des Gymnasiums zum Grauen Kloster nach Berlin. Drei Jahre später kehrte er diesem den Rücken und absolvierte eine Handwerkerlehre u. a. beim Präzisionsmechaniker Hirschmann. Als Geselle ging er wieder nach Hamburg und baute dort Meßinstrumente, die für die St. Petersburger Sternwarte bestimmt waren. 1843 kam Halske endgültig nach Berlin und arbeitete zunächst wieder bei Hirschmann. Ein Jahr später gründete er mit F. M. Boetticher eine kleine Mechanikerfirma, die physikalische und chemische Apparaturen fertigte. Dadurch lernte er viele junge Physiker und Ärzte kennen, wie Hermann Helmholtz und Emil Du Bois-Reymond.
     Werner Siemens, am 13. Dezember 1816 in Lenthe bei Hannover als viertes Kind eines Landwirtes geboren, verbrachte die Kindheit in Menzendorf (Mecklenburg-Strelitz). Mit knapp 16 Jahren besuchte er das Lübecker humanistische Katharinen-Gymnasium. Statt Griechisch zu lernen, nahm er Privatstunden in Mathematik und Feldmessen. Für ein Studium an der Berliner Bauakademie reichten die finanziellen Mittel der Familie mit inzwischen 14 Kindern nicht. Ein zu jener Zeit üblicher Weg für Kinder aus minderbemittelten Verhältnissen, um höhere Bildung zu erlangen, war der Eintritt ins preußische Ingenieurcorps, um dann an der »Königlichen Artillerie- und Ingenieurschule« in Berlin zu studieren. Hier aber war der Andrang zu groß.
Maria Curter
Eine Werkstatt begründet die Elektrotechnik

In einem Berliner Hinterhaus der Schöneberger Straße 19 (heute Bezirk Kreuzberg) eröffneten am 12. Oktober 1847 Georg Halske (1814–1890) und Werner Siemens (1816–1892) eine Werkstatt mit drei Arbeitern. Die finanziellen Mittel zur Einrichtung dieser »Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske« – 6 000 Taler – erhielten sie vom Vetter Georg Siemens, seines Zeichens Berliner Justizrat, gegen eine sechsjährige Gewinnbeteiligung geliehen. »Wir wollen vorläufig nur Telegraphen, Läutewerke für Eisenbahnen und Drahtisolierungen mittels Guttapercha machen«, teilte Werner seinem Bruder Wilhelm mit. »Der Elektromagnetismus ist noch ein wissenschaftlich und technisch namentlich ganz unbekanntes Feld und einer ungemeinen Ausdehnung fähig. Arbeit ist für zehn und hoffentlich auch Verdienst«, hieß es weiter. Während Halske den Betrieb leiten sollte, war Siemens für die Auftragsbeschaffung und Verträge zuständig.
     Der am 30. Juli 1814 in Hamburg geborene Johann Georg Halske, Sohn eines Zuckermaklers, kam 1825 als Elfjähriger zum Be-
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Deshalb versuchte er es in Magdeburg. Im Herbst 1835 erhielt er die Kommandierung an die Artillerie- und Ingenieurschule nach Berlin, wo er knapp drei Jahre – bis Sommer 1838 – studierte. Daran schlossen sich zwei Jahre Dienst in Magdeburg und zwei weitere in Wittenberg an. Statt die »zweifelhaften Freuden des Lebens in einer kleinen Garnisonsstadt« zu genießen, widmete er sich wissenschaftlichen Studien. Während einer Festungshaft, die er sich durch die Beteiligung als Sekundant bei einem Duell eingehandelt hatte, gelang ihm die elektrolytische Vergoldung eines Löffels. Das Verfahren verkaufte er für 40 Louisdor an einen Magdeburger Juwelier. Das Patent veräußerte sein Bruder Wilhelm in England für 1 500 Pfund Sterling. Nach zwei weiteren Erfindungen beschloß Werner Siemens, sich doch mehr wissenschaftlichen Studien zu widmen.
     Abkommandiert nach Berlin, entging er dort nur durch die den Kriegsminister höchstpersönlich entzückende Weiterentwicklung der Schießbaumwolle einer Rückversetzung in sein altes Regiment. Durch die Tätigkeit in der Kommission beim Generalstab, die die elektrischen Telegraphen anstelle der optischen einführen sollte, entschied er 1846, sich künftig der Telegraphie zu widmen. Zu dieser Zeit lernten sich der Präzisionsmechaniker und der Artillerie-Offizier in der Physikalischen Gesellschaft kennen, deren Mitglieder sich regelmäßig im Haus
am Kupfergraben 7 (heute Magnus-Haus) trafen. Während Werner Siemens eine Presse zur Ummantelung des Kupferdrahtes mit Guttapercha, einem Isolierstoff, entwarf, baute Georg Halske diese Modellpresse. Eine weitere gemeinsame Arbeit, die Vervollkommnung des englischen Zeigertelegraphen zu einem funktionsfähigen Nachrichtenübermittler, führte zu dem Entschluß, eine gemeinsame Firma zu gründen, nachdem sich Georg Halske von seinem Sozius Boetticher verabschiedet hatte.
     Am Ende des Jahres 1847 beschäftigte die Telegraphen-Bauanstalt schon zehn Mitarbeiter. Nach der Märzrevolution 1848 stellte die Telegraphenkommission ihre Arbeit ein und somit auch die Aufträge. Halske produzierte trotzdem weiter Telegraphen, und Siemens verlegte während des deutsch-dänischen Krieges Minen im Kieler Hafen. Im Herbst 1848 erhielt die Firma »Siemens & Halske« den Auftrag zum Bau der unterirdischen Telegraphenlinie Berlin-Frankfurt am Main, die im März 1849 eingeweiht wurde – eine Referenz für weitere Aufträge. Um sich ganz dem Unternehmen widmen zu können, nahm Werner Siemens 1849 seinen Abschied von der Armee. Die Mitarbeiterzahl war auf 28 und der Umsatz auf 58 000 Mark gestiegen. Ein Jahr später beschäftigte die Werkstätte 49 Arbeiter und der Umsatz betrug knapp das Vierfache des Vorjahres. Und Bruder Wilhelm vertrat die Firma in England. Als Anfang 1851 die preußische
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tersburg geliefert werden. Im Sommer 1851 erhielten die auf der Weltausstellung in London gezeigten Produkte von »Siemens & Halske« die höchste Auszeichnung – Council medal – zuerkannt. Im Dezember erwarben die beiden Firmeninhaber ein Grundstück in der Markgrafenstraße 94 (heute Kreuzberg). Hier sollte nun eine größere Produktionsstätte eingerichtet werden. Während Siemens in Petersburg weitere Geschäfte mit Rußland anbahnte, war Halske in Berlin in so großer Verlegenheit, »daß er sich Geld allenthalben hunderttalerweise zusammenpumpte, nur um die Leute bezahlen zu können«. 1852 erfolgte dann der Umzug von der Schöneberger in die Markgrafenstraße. Die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 90 und der Umsatz hatte sich innerhalb von drei Jahren verzehnfacht. Mit dem Bau des Staatstelegraphennetzes in Rußland ab 1853 trugen die Bemühungen von Werner Siemens um das Auslandsgeschäft Früchte, so daß 1855 in Petersburg eine Zweigniederlassung gegründet wurde, die der Bruder Carl Siemens leitete.
     Ursprünglich als Handwerksbetrieb gegründet, hatte sich das Unternehmen inner-
Johann Georg Halske (1814–1890)
Telegraphenverwaltung sämtliche Aufträge zurückzog, geriet das Unternehmen in eine Krise, die sich zwei Jahre später sowohl im Umsatz als auch in der Anzahl der Beschäftigten widerspiegelte. Das Unternehmen hatte von Beginn an auf Staatsaufträge gesetzt. Allerdings konnten im selben Jahr noch 75 Schreibtelegraphen für die russische Telegraphenlinie von Moskau nach St. Pe-
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halb von zehn Jahren zu einer Produktionsstätte mit industrieller Fertigung entwickelt. Ab 1857 wurde die Akkordarbeit eingeführt, der sich Georg Halske widersetzte. Er fürchtete um die Qualität der Erzeugnisse. Doch Siemens äußerte sich unmißverständlich: »Die Preise sind für Künstlerarbeit zu gering, und die Herren Künstler faulenzen zu sehr .... Es wird eine abgesonderte Werkstatt für neue Konstruktionen, Versuche und Instrumente aller Art, welche wir machen müssen und nicht ablehnen können, damit der Ruf der guten Arbeit bestehen bleibt, und eine eigentliche Telegraphenfabrik errichtet, in der Akkordarbeit allgemein eingeführt wird.« Auch die risikoreichen internationalen Geschäfte behagten Georg Halske nicht. Aufträge zur Verlegung von unterseeischen Kabeln waren mit zeitweilig hohen Verlusten für die Firma verbunden. Während Werner Siemens der Organisator und Erfinder war, ergänzte Georg Halske durch seine Präzisionsarbeit und praktische Fertigung wesentlich die Unternehmung. Nach 20jähriger gemeinsamer Arbeit zog sich Georg Halske 1867 aus der Firma zurück, beließ aber sein Kapital dort. Bis zu seinem Tode 1890 betätigte er sich ehrenamtlich als Stadtverordneter und Stadtrat von Berlin.
Er förderte die Einrichtung des Kunstgewerbemuseums, das von Gropius erbaut wurde und dessen stellvertretender Vorsitzender er zehn Jahre war. Als im Jahre 1872 die Pensionskasse von Siemens gegründet
wurde, beteiligte er sich daran mit 10 000 Talern.
     Hatte sich »Siemens & Halske« bisher mit der Schwachstromtechnik beschäftigt, so sollte sich das mit der Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips, der Umwandlung von mechanischer Kraft in elektrische Energie durch Werner Siemens im Jahre 1867 ändern. Seit 1878 fanden Versuche zur elektrischen Beleuchtung der Berliner Straßen statt, 1879 stellte Werner Siemens auf der Gewerbeausstellung die erste elektrische Lokomotive der Welt vor, und 1881 fuhr in Groß-Lichterfelde die erste elektrische Straßenbahn. Damit wurde der Schwerpunkt des Betätigungsfeldes auf die Starkstromtechnik gelegt.
     Werner Siemens selbst hat die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt angeregt und mit 500 000 Mark sowie einem geschenkten Grundstück gefördert. 1888 wurde er durch Kaiser Friedrich III. geadelt. Zwei Jahre später zog auch er sich aus der Firma zurück. Am 6. Dezember 1892 starb er in Charlottenburg.

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