93   Geschichte und Geschichten Pflegestätten im Mittelalter  Nächste Seite
Geist (St. Spiritus) am ehemaligen Spandauer Tor wurde im Jahre 1272 zum ersten Male urkundlich erwähnt.
     Die alte Kapelle in der Spandauer Straße, die im Jahre 1313 erstmalig in einer Urkunde Erwähnung fand, ist ein rechteckiger Backsteinbau (Maße: 17 x 9 Meter), der auf einem Feldsteinsockel errichtet wurde. Der gotische Ostgiebel war ursprünglich flach gedeckt; erst im Jahre 1476 wurde er mit einem bis heute erhaltenen Sterngewölbe versehen. Als im Jahre 1905/06 neben der Kapelle eine Handelshochschule erbaut wurde, bezog man sie in jenen Bau mit ein und nutzte sie als Mensa für die dort Studierenden.
     Die bedeutsamste Änderung erfuhr das mittelalterliche Spitalwesen durch die Entwicklung der Städte: »Zahlreiche mittellose und notleidende Menschen waren in ihnen zusammengeströmt, die das Bedürfnis nach Pflegestätten stark fühlbar machten. Die kirchlichen Anstalten, die immer auf die zufällige Wohltätigkeit der Stifter angewiesen waren, vermochten jenen nicht gerecht zu werden. Deshalb nahm das selbstbewußte Bürgertum die Gründung von Hospitälern in die Hand. Es wurde zur Regel, daß wie eine Kirche, so auch ein Hospital zu einem entwickelten Gemeinwesen gehörte; die Stadt stattete dieselben aus, und in ihrem Macht- und Verantwortungsbewußtsein beanspruchte sie dafür die Leitung und Kontrolle. Gleichwohl verblieb dem Hospital der
Hans-Joachim Beeskow
Brot für die Hospitäler

Hospitäler dienten seit jeher Alten und Armen als Pflegestätten. Auch im mittelalterlichen Berlin war die Kirche Träger des Hospitalwesens. Getreu den Worten ihres Herrn Jesus Christus nahm sie sich von Anfang an der Kranken und Notleidenden an. Zu jedem Kloster gehörte die Spitalpflege, die um Gotteslohn an Bedürftigen geübt wurde. Als diese klösterliche Form nicht mehr ausreichte, entstanden im 12. Jahrhundert Spitalverbrüderungen, die die Verbindung zwischen Spital und Kloster lösten.
     Im ausgehenden 13. Jahrhundert gab es in Berlin neben den drei Pfarrkirchen auch zwei Hospitäler: Das Heilig-Geist- und das St.-Georgen- Hospital. Letzteres befand sich einst am heutigen Alexanderplatz. Anfang des 15. Jahrhunderts kam das St.-Gertrauden- Hospital hinzu, das nicht mehr vorhanden ist und seinen Standort auf dem Spittelmarkt hatte. Die Hospitäler St. Georgen und St. Gertrauden lagen extra muros (außerhalb der Stadtmauer), während das Hospital zum Heiligen Geist, dessen Kapelle in der Spandauer Straße erhalten geblieben ist, intra muros (innerhalb) der mittelalterlichen Stadt lag. Das Hospital zum Heiligen

SeitenanfangNächste Seite


   94   Geschichte und Geschichten Pflegestätten im Mittelalter  Vorige SeiteNächste Seite
auf. Die Hospitäler wurden immer mehr zu Versorgungsanstalten.«1)
     Den Unterhalt seiner Hospitäler finanzierte der Berliner Rat aus Einkünften zinsfreier Ackerflächen. Aber auch Nachlässe von verstorbenen Insassen, Stiftungen und Legate wurden den Hospitälern zuteil.
     So schenkte beispielsweise der Ritter Burkhard Grevelhout dem Heilig-Geist- Hospital im Jahre 1313 vier Hufen Land in Weißensee, die Witwe von Lorenz Tuch schenkte 1424 dem gleichen Hospital zwei Schock Groschen und dem St.-Georgen- Hospital ein Schock Groschen. Außerdem besaß jedes Hospital eine sogenannte Clus (Klause), in der die Clus-Mutter Gaben von Durchreisenden erbat und einsammelte.
     In einer Urkunde vom 18. Juni 1272, in der der Rat zu Berlin den Bäckern das Gilderecht verlieh – es ist dies übrigens der älteste bekannte Berliner Innungsbrief – werden die Bäcker u. a. dazu aufgefordert, Brot in die Armenhöfe zu bringen. In einem Gildebrief für die Berliner Schneider, der aus dem Jahre 1288 datiert, wird bestimmt, daß jeder, der in dieses Gewerk Aufnahme finden wollte, nicht nur vier Schillingpfennige zu zahlen hatte, sondern auch noch zwei Pfund Wachs liefern mußte, von dem das Heilig-Geist- und das St.-Georgen- Hospital je ein halbes Pfund bekamen. Die beste Einnahmequelle für die Hospitäler waren jedoch die Einkaufsgelder jener Bürger, die ihren Lebensabend in einem Hospital verbringen
Sterngewölbe der Heiligen Geist-Kapelle
kirchliche Charakter, es blieb Gotteshaus; auf geistlichem Gebiet blieb der Einfluß der Kirche unbeschränkt bestehen, allein die Verwaltung wurde ihr entzogen. So trägt das gesamte märkische Spitalwesen, ob es sich um Heilig-Geist- oder St.-Georgen- oder Gertraudenhospitäler handelt, einen bürgerlichen Charakter, und seine Anstalten gerieten in das Fahrwasser reiner bürgerlicher Wohlfahrtspolitik. Der ursprüngliche Gedanke, daß die Hospitäler armen Fremdlingen dienen sollten, trat in den Hintergrund, ihre Pforten öffneten sich nur noch den Heimischen, für die die Kommune zu sorgen hatte. Ebenso gab man auch den alten Grundsatz der Unentgeltlichkeit der Pflege
SeitenanfangNächste Seite


   95   Geschichte und Geschichten Pflegestätten im Mittelalter  Vorige SeiteAnfang
wollten. Besonders bevorzugt wurde dabei das Heilig-Geist- Hospital. Im Gegensatz zum St.-Georgen- Hospital lag es innerhalb der schützenden Mauern und nahe menschlichen Wohnungen.
     In einer sehr viel schlechteren Vermögenslage befand sich das St.-Georgen- Hospital, in dem die Ärmsten der Armen untergebracht waren. Es galt als Siechenhaus (domus infirmorum), in dem auch Leprakranke Aufnahme fanden, so daß das Hospital auch als Haus der Aussätzigen (domus leprosorum) bezeichnet wurde. Bei alledem ist jedoch deutlich hervorzuheben wie Adriaan von Müller 1979 feststellte, daß »die Spitäler und ihre Bewohner zum mittelalterlichen Stadtbild gehörten, und das gute Verhältnis von Bürgern und Spitalinsassen beruhte auf der im Mittelalter noch stärker ausgeprägten gegenseitigen Hilfeleistung. Die vom Bürgertum finanzierte Stadtverwaltung sorgte für ein ausreichendes Auskommen der Spitalbewohner, und diese wiederum griffen überall dort helfend ein, wo sie in den Familien benötigt wurden, bei Krankenpflege, bei Geburten und bei Todesfällen. Sie isolierten sich nicht selbst und wurden von der Gesellschaft nicht in die Isolierung getrieben.« 2) Kranke und Alte blieben sich nicht selbst überlassen, ihre körperlichen und seelischen Nöte erfuhren Linderung und Hilfe.
     Zu jedem Hospital gehörte auch ein »Grabhof« (Friedhof), auf dem verstorbene
Hospitalinsassen ihre letzte Ruhe fanden. Die Toten wurden in unmittelbarer Nähe der Hospitäler begraben, um so den Zusammenhalt der Lebenden (Hospitalinsassen) und der Toten zu symbolisieren. Sterben und Tod gehörten zum Leben, und waren – wie das heute sehr häufig der Fall ist – keine Tabuthemen menschlicher Gesellschaft. Das »Memento mori« (Gedenke, daß du sterben mußt) war nicht aus dem Bewußtsein verdrängt. Man lebte in dem Bewußtsein, daß Leben endlich sei ...

Quellen:
1     Paul Torge: Das Heiliggeist und St.-Georgen- Hospital zu Berlin in vorreformatorischer Zeit, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 50. Jahrgang, Berlin 1933, S. 67
2     Adriaan von Müller: Edelmann ... Bürger, Bauer, Bettelmann. Berlin im Mittelalter, Berlin 1979, S. 209

Bildquelle:
Archiv Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de