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Hans-Heinrich Müller
Berlin – einst Zentrum des Landmaschinenbaus

Landwirtschaftliches Fluidum war in Berlin in der ersten Hälfte und noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts überall zu spüren. Nicht wenige Straßenzüge besaßen einen kaum zu übersehenden ackerbürgerlichen Zuschnitt. 1851 beispielsweise wies das Berliner Adreßbuch 85 Ackerbürger und Viehhalter (Großvieh) aus. Felder, Wiesen, Garten- und Brachland reichten noch vielfach tief in das städtische Weichbild hinein. Künftige Städte wie Schöneberg, Deutsch- Wilmersdorf oder Rixdorf (das spätere Neukölln) waren noch kleine Dorfgemeinden. Das unmittelbare Um- und Hinterland Berlins war weitgehend agrarisch geprägt. Die zahlreichen Dörfer und Gutsherrschaften versorgten Berlin nicht nur mit allen notwendigen Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen, sondern stellten an die Handwerker-, Manufaktur- und Industriestadt Berlin auch vielfältige Anforderungen, um die landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten und weiterentwickeln zu können. So brachte der Westfale Anton Egells, der 1821 in der Lindenstraße

mit zehn Arbeitern die erste Eisengießerei und Maschinenbau- Werkstatt errichtet hatte, 1828 nach der Chausseestraße 3 verlegt, schon 1834 einen Häckselschneider auf den Markt. 13 Jahre später installierte er die erste Dampfmaschine in einer Zuckerfabrik bei Halle. Später fertigte er etliche Mühlenwerke. August Borsig, der als Zimmergeselle aus Breslau nach Berlin kam und hier zum »Lokomotivkönig« emporstieg, stellte sich ebenfalls rasch auf die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen ein. Er notierte 1839: »Der große Aufschwung, welchen die Runkelrüben- Zucker- Fabrikation gewonnen hat, hat auch meine Maschinenwerkstätte im Ausland vorteilhaft bekannt werden lassen, so daß mehrere Dampfmaschinen und hydraulische Pressen nach dem Königreich Sachsen und Polen ... geliefert worden sind.«1)
     Der zu seiner Zeit bekannte und kenntnisreiche Ökonom, Statistiker und Staatswirt Friedrich Benedict Weber nannte in seinem 1840 erschienenen »Handbuch der staatswirtschaftlichen Statistik der preußischen Monarchie« unter anderem die Berliner F. W. Knack (Koppenstraße 59, später Stallschreibergasse 58 und Am Neuen Tor 5) und J. Amuel (Königsstraße 26, dann 33 und Neue Friedrichstraße 21) als Verfertiger und Lieferer landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen, die auch 1844 zu den Ausstellern der Berliner Gewerbeausstellung im Zeughaus gehörten, auf der eine erste Heer-
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Titelbild eines Werkkatalogs der von Carl Schlickeysen 1850 gegründeten Maschinenfabrik

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Landwirtschaftliche Maschine aus der Produktion der Firma Eckert
schau der industriellen Revolution in Deutschland abgehalten wurde. Zu den Ausstellern landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen gehörten auch die Maschinenbauer und Fabrikanten A. F. Neukrantz, J. F. Hartmann und C. F. A. Hauschild. Von diesen dreien kann Johann Friedrich Hartmann als einer der ersten wirklichen Landmaschinenfabrikanten gelten. 1837 als Schlosser an der Spree begonnen, schrieb er: »Ich fing nach und nach an, kleinere Arbeiten im Maschinenbau zu suchen, und nach mehreren Jahren fand ich auch wirklich bei dem damals in bester Blüte stehenden landwirtschaftlichen Gewerbe, wie Brennereien, Kartoffel- Stärke- Fabriken usw. viel Arbeit.«2) Bereits fünf Jahre später eröffnete er in der Alexanderstraße eine »Maschinenbauanstalt«. Bis 1852 verließen diesen Betrieb neben zahlreichen hydraulischen Pressen und Pumpenwerken unter anderem 17 Dampf-, 85 Dresch-, 53 Häcksel- und 26 Maisentkörnungsmaschinen sowie ungezählte Dränröhrenpressen, Rübenschneider, Schrotmühlen, Eggen und Pflüge. Von den vielen metallverarbeitenden Fabriken hatte sich aber bis dahin noch keine auf die Landtechnik spezialisiert. Agrarische Mechanisierungsmittel waren vielmehr Bestandteil einer umfassenden Erzeugnispalette, die von Dampfmaschinen über Eisenbahnwalzen und Druckpumpen bis hin zu Ofenrohren, Bettgestellen, Eimern und Grabkreuzen reichte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts,
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als sich der kapitalistische Markt in Deutschland herauszubilden begann, war die Vielseitigkeit der Produktion entsprechend den Kundenwünschen geradezu eine Existenzfrage für die Unternehmer. Allein Hartmann stellte schon eine Ausnahme dar. Er selbst bezeichnete sich Anfang der 50er Jahre als »Besitzer einer Maschinenfabrik landwirtschaftlicher Geräte«.
     Doch schon 1855 nannte das Preußische Landes- Ökonomie- Kollegium im Ergebnis einer Umfrage drei weitere Berliner Firmen, die ausschließlich für den Bedarf der Gutsbesitzer und Bauern produzierten.3) Die bekannteste dieser Berliner »Ackerwerkzeug- Fabriken« war die von Heinrich Ferdinand Eckert in Lichtenberg, die bald Weltruf erlangte und englischen Pflugfabrikanten erfolgreich Konkurrenz machte.4) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb Eckert größter Produzent landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen in Berlin, und die Fabrik beschäftig-
te um die Jahrhundertwende bereits 1 200 Arbeiter und Angestellte. Bedeutend war auch die Fabrik von C. F. Schneitler und Julius Andree (Auguststraße 81). Seit 1855 ließen sie zunächst vorwiegend Häckselmaschinen, Rübenschneider und Drillmaschinen sowie einige Lokomobilen und Pflüge bauen. Dann nahmen sie die damals führenden englischen und amerikanischen Dreschmaschinen unter die Lupe, vereinigten die Vorteile beider zur »Berliner Göpeldreschmaschine« und verkauften bis 1872 800 Stück.
     1849 gründete Carl Beermann eine Maschinenbauanstalt in der Dresdener Straße 26, die um eine Eisengießerei erweitert wurde. Er stellte zunächst Nähmaschinen her, ging aber bald zur Landmaschinenproduktion in der Köpenicker Straße 71 über. 1856 verlegte er sein Unternehmen nach dem Schlesischen Tor und beschäftigte um 1860 bis 1870 bereits 600 bis 800 Arbeiter. Die Fabrik produzierte Pflüge

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aller Art, Walzen, Schollenbrecher, Sämaschinen, Göpelmaschinen, Rübenschneider und Häcksler und nahm später die Produktion von Lokomobilen auf. Das Unternehmen wird noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Firmenverzeichnissen erwähnt.
     Neben der Gründung landwirtschaftlicher Maschinenfabriken in der offensichtlich konjunkturell günstigen Zeit zwischen 1850 und 1860 ergriffen auch nach wie vor allgemeine Maschinenfabriken die Gelegenheit, bestimmte landwirtschaftliche Maschinen und Geräte in ihre Produktion aufzunehmen. Da wäre Carl Schlickeysen zu nennen, der 1850 eine »Maschinenfabrik für Ziegel- Torf- Thon- Waaren« aufmachte, die später als »Rixdorfer Maschinenfabrik GmbH Schlickeysen« firmierte (Wassergasse 18, später Rungestraße 18). Schlickeysen fertigte bereits um 1850 Dränröhrenpressen und »Roßwerke«, wie die Göpelwerke im Volksmund hießen. Die gespannbetriebenen Göpelwerke waren bis zum Aufkommen der Lokomobile und darüber hinaus die universalen Antriebsmotoren in der Landwirtschaft. Die Fabrik für »Zündholz- und Holzstiftenfabrikation« von A. Roller, entstanden 1855 (Chausseestraße 34), lieferte zusätzlich Schrotmühlen und andere Futterzubereitungsmaschinen. Auch der bekannte Maschinenbaupionier Johann Friedrich Ludwig Wöhlert fügte seiner Maschinenfabrik eine selbständige Landmaschinenabteilung an, in der zuerst »transportable Dreschmaschinen
und Gärtnerei- Einrichtungen«, später alle gebräuchlichen Landmaschinen und Geräte produziert wurden.5) Schließlich ist die Maschinenfabrik Albert Fesca & Co. zu nennen, die ebenfalls Mitte der 50er Jahre in der Chausseestraße 35 das industrielle Ensemble bereicherte. Fesca gehörte zu jenen Pionieren, die zwischen 1858 und 1864 erkannten, daß die Schleuderkraft geeignet sei, Milch auf mechanischem Wege zu entrahmen. Er stellte Eimerschleudern und Zentrifugen, Buttermaschinen und andere Milchgeräte her und ging Ende der 70er Jahre zum Bau von leistungsfähigeren Separatoren über.
     Einen neuen Abschnitt in der Mechanisierung der Landwirtschaft und damit auch von Firmengründungen leitete 1908 der 50jährige Robert Stock mit dem von ihm konstruierten Motortragpflug und der im gleichen Jahr errichteten Produktionsstätte in Niederschöneweide ein. Angeregt durch seinen Mitarbeiter Karl Gleiche, entwickelte Stock einen dreischarigen Motortragpflug mit fast einen Meter hohen Triebrädern und einer Leistung von acht PS.6) Dem ersten Muster folgten bald leistungsfähigere: zunächst mit einem 24 PS starken Motor. Bereits bis 1912 konnten 360 Maschinen verkauft werden. Die Stock- Gesellschaft baute später Motortragpflüge mit 48, 60 und sogar 80 PS. Weitere Firmen und Konstrukteure griffen den Gedanken der Motortragpflüge auf und warteten im Laufe der Zeit mit verbesserten Geräten sowie Rad- und Raupen-
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schleppern auf. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Berlin schon zahlreiche Betriebe, die Motorpflüge und Rad- und Raupenschlepper verschiedener Art herstellten, wie zum Beispiel Korge und Stolle (Gelenkpflug), Benz-Sendling- Motorfabrik mbH (Eintriebradschlepper), Deuliewag, die Deutsche Lieferwagen GmbH (Universalschlepper), Primus- Traktoren- Gesellschaft (Acker-Primus- und Dieselschlepper). Traktoren, Schlepper und Landbaumotoren produzierten auch die Berliner Aktiengesellschaft für Eisengießerei und Maschinenfabrik, früher J. C. Freund, Dinos- Automotorenwerk AG, Paulsen & Co., Deutsche Kraftpflug mbH.
     Die Deutschen Industrie- Werke in Spandau, einstiger Rüstungsbetrieb, spezialisierten sich nach dem Krieg auf den Bau von Mähmaschinen (Mähbinder). 1931 bauten sie einen Mähdrescher, bei dem es sich um den Zusammenbau eines normalen Mähbinders und einer bekannten Dreschmaschine handelte. Doch das Projekt wurde bald wieder aufgegeben. Die Borsig- Werke in Tegel bauten Dampfpflüge und Dampflokomobilen und später Ackerschlepper. Die Siemens- Schuckert AG in Tempelhof lieferte seit 1912 Gutsfräsen. Die Berliner Elektroindustrie (Siemens, AEG und andere Firmen) stellten der Landwirtschaft nach und nach leistungsfähige Elektromotoren zur Verfügung, die zum Antrieb von Dreschmaschinen, Futterzubereitungs-, Butter- und Maischmaschinen dienten. Den Bau von Milchzen-
trifugen und Separatoren übernahmen das »Hansa-Separator- Werk«, die Firma Walter Frick, die »Titan- Aktiengesellschaft« und eine Reihe anderer Betriebe.
     1927 existierten in Berlin rund 130 große und kleinere Produktionsbetriebe und Vertriebsgesellschaften, die den in- und ausländischen Bedarf an vielfältiger Landtechnik deckten. Berlin war mitbeteiligt an der Entwicklung, am Aufbau und der Festigung der deutschen Landmaschinenindustrie, es war wahrlich ein Zentrum der deutschen Landmaschinenindustrie geworden.
     Nach der Machtübernahme Hitlers und seiner Spießgesellen wurden viele Landmaschinenbetriebe, vor allem jene, die dem Bau von Traktoren, Schleppern und Landbaumotoren verpflichtet waren, in die Rüstungsproduktion integriert und produzierten Kriegsmaterial. Nach 1945 hörte in Berlin jegliche Landmaschinenproduktion auf.

Quellen:
1     Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Rep. 120, D, XIV, 1, Nr. 2, vol. 3, B. 70
2     Ebenda, Rep. 120, D, XIV, 1, Nr. 2, vol. 4, Bl. 108 ff.
3     Ebenda, Rep. 164 a, Nr. 41, Bd. 2, Bl. 514 ff.
4     Vgl. »Berlinische Monatsschrift«, H. 2/95, S. 30 ff.
5     Vgl. ebenda, H. 3/96, S. 16 ff.
6     Vgl. ebenda, H. 11/95, S. 30 ff.

Bildquellen:
Kataloge Beermann (1856), Eckert (1867)

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© Edition Luisenstadt, 1997
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