72   Novitäten Einweihung Neptunbrunnen  Nächstes Blatt
Meeresgott thront 10 Meter hoch auf einer Felsenklippe in einer gewaltigen Muschel, die von vier wasserspeienden Tritonen getragen wird. Der Fels ist das Zentrum einer kleeblattförmigen Granitschale von 18 Metern Durchmesser, die auf einem dreistufigen Unterbau steht. Im Brunnenbecken tummeln sich Schildkröten, Schlangen, Robben und Krokodile neben Neptuns Hofstaat. Der zottelbärtige und tangbehängte Meeresgott hat seinen Dreizack, das Attribut seiner Macht, geschultert. Umringt von bronzenen, wasserspeienden Tieren und Kindern, ist er Sinnbild für sprudelndes, überschäumendes Leben, für Bewegung, für Sinnlichkeit. Auf dem Rand des ursprünglich aus rotem schwedischem Granit gefertigten Brunnenbeckens sitzen vier überlebensgroße Frauengestalten (2,30 Meter), Personifikationen der Flüsse Elbe (mit Ähren und Früchten), Oder (mit Ziege und Fellen), Weichsel (mit Hölzern) und Rhein (mit Fischernetz und Weinlaub).
     Die Berliner spotteten schon bald über den Brunnen und den ewig berauschten Neptun, der unverkennbar drei Zacken in der Krone hat, und witzelten über die ihn umgebenden Damen: »Det sind die einzigen Berliner Meechen, die den Rand halten können.«
Die Idee, auf dem Schloßplatz einen monumentalen Brunnen zu errichten, hatte schon Schinkel. Sein Schloßbrunnen sollte an die Befreiungskämpfe erinnern, wurde aber nicht ausgeführt. Erst Begas griff
Dagmar Claus
1. November 1891:
Der Neptunbrunnen
wird enthüllt

Der Nebelmonat November hatte gerade erst begonnen, aber das Gemütsbarometer der Berliner Stadtväter stand schon längst auf Sturm. Der Grund dafür war der am 1. November 1891 enthüllte Neptunbrunnen, ein Huldigungsgeschenk der Stadt Berlin für Kaiser Wilhelm II. Obwohl mit viel Pomp und in untertänigster Verehrung dargebracht, wurde es bald zum Zankapfel zwischen Kaiser und Magistrat. Dabei hatten die Stadtoberhäupter nicht nur die allerbesten Absichten gehabt, sondern auch noch rund 500 000 Mark investiert - und was entstanden war, konnte sich wahrlich sehen lassen. Der damals berühmteste Künstler der Residenz, der Hofbildhauer Reinhold Begas, hatte den Auftrag dafür erhalten. Er entwarf einen monumentalen Brunnen im Stil des Neobarock.
     Berlin sollte nicht länger hinter Rom mit seinem »Vierströmebrunnen« und »Tritonenbrunnen«, hinter Versailles mit seinen wasserspeienden Tierbrunnen und hinter Wien mit seinem Donaubrunnen zurückstehen.
     In deutlicher Anlehnung an diese Vorbilder entstand in Berlin der Neptunbrunnen. Der


BlattanfangNächstes Blatt

   73   Novitäten Einweihung Neptunbrunnen  Voriges BlattNächstes Blatt
diese Gedanken erneut auf. Nach seiner Italienreise 1880 begann er einzelne Teile und Figuren zu formen. Der fertige Entwurf lag 1886 vor. Sicherlich ist das Kunstwerk als Hommage Begas' an Rom zu werten. Deutlich sichtbar sind der Einfluß des römischen Barocks und der Bilderwelten des damals in Rom lebenden Malers Arnold Böcklin, der viele zeitentrückte, märchenhafte, romantische Figuren schuf.
     Für Begas' Entwurf fand sich lange kein zahlungskräftiger Auftraggeber. Erst Kronprinz Friedrich, der spätere 99-Tage-Kaiser, interessierte sich für die Modelle. Ein vorläufiger Auftrag wurde erteilt. Des Kaisers plötzlicher und früher Tod verhinderte jedoch die weitere Ausführung. 1888 nahm sich die Stadt Berlin Begas' Projekt an und beschloß, den Brunnen dem neuen Kaiser

Wilhelm II. zum Geschenk zu machen. Der Standort war schon ausgesucht: Der Schloßplatz sollte es sein, das Terrain zwischen Breite Straße und Hohenzollernschloß, ein Gelände, das der Stadt gehörte. Nachdem der Neptunbrunnen 1891 in der Werkstatt von Hermann Gladenbeck & Sohn in Bronze gegossen worden war, stellte man den Brunnen auf dem Schloßplatz auf. Neptun schaute mit dem Gesicht zum Schloß. Das liebliche Geplätscher des Brunnens sollte den Monarchen erheitern und entspannen. Die Untertanen kannten die Liebe ihres Herrschers zum Meer, der später mit Worten wie »Des Reiches Zukunft liegt auf dem Wasser!« ein ehrgeiziges Flottenbauprogramm in Gang setzen sollte. Das Geschenk der Stadtväter erregte beim Monarchen dagegen mehr Unwillen als Freude. Vielleicht mißfiel ihm der Brunnen, weil ja nicht er, sondern sein Vater als


BlattanfangNächstes Blatt

   74   Novitäten Einweihung Neptunbrunnen  Voriges BlattArtikelanfang
Förderer bekannt war; vielleicht mißfiel es ihm, daß die Stadt und nicht er den Brunnen in Auftrag gegeben und bezahlt hatte. Majestät fühlte sich jedenfalls von dem unverwandt zum Schloß blickenden bronzenen Meeresgott beobachtet. Denn zu allem Unglück schaute Neptun in Höhe des ersten Stockwerkes genau in das kaiserliche Schlafzimmer. Zwar wohnte Wilhelm II. meist im Neuen Palais in Potsdam, aber dennoch - wie indiskret, wie unangenehm. Auf kaiserlichen Befehl wurde dem Voyeur das Handwerk gelegt - »Rechts um!«, der starre Blick Neptuns sollte das Rote Rathaus treffen. Dies nun war wiederum den Stadtvätern nicht recht. Wenn der Herrscher der Meere schon nicht in Richtung Schloß blicken durfte, dann doch wenigsten zur Stechbahn neben der Schleusenbrücke. Dieses Gelände gehörte aber dem Kaiser, und der verwahrte sich ob dieser Zumutung. Der Kaiser bewies in dieser Angelegenheit »kein Augenmaß« - wie Bismarck es so häufig bei Wilhelm II. feststellte. Er brüskierte den Bürgermeister und wollte ihn zum Gehorsam zwingen.
     Nun reagierte der Magistrat verärgert - »Kehrt!« und fortan zeigte Neptun dem Kaiser die kalte Schulter und den tangbehängten Rücken und starrte die Breite Straße hinab.
     Der Streit zwischen Kaiser und Magistrat erheiterte nicht nur die Berliner, sondern das ganze Reich schmunzelte über diesen Sturm im Wasserglas, oder besser im
Forckenbecken, denn so nannten die Berliner den Neptunbrunnen. Der Bürgermeister Max von Forckenbeck, führendes Mitglied der Nationalliberalen Partei und Reichstagspräsident, war seit 1878 Oberbürgermeister von Berlin und damit Auftraggeber für den Neptunbrunnen in Berlin.
     Im Gegensatz zum Kaiser, der 1918 Thron und Stadt verlassen mußte, behauptete sich Neptun auf dem Schloßplatz bis nach dem Zweiten Weltkrieg. 1950 wurde das Stadtschloß gesprengt und 1951 der beschädigte Brunnen in seine Einzelteile zerlegt und auf der Museumsinsel eingelagert. Erst 1969 kehrte der Brunnen nach einer Restaurierung in das Stadtzentrum zurück. Das Brunnenbassin in der Form eines vierblättrigen Kleeblattes mußte völlig ersetzt werden. Wieder wurde roter Granit, diesmal aus der Sowjetunion, gewählt, um den Kontrast zu den bronzenen Brunnenfiguren zu erhalten. Sein angestammter Platz aber war zum bedeutungslosen Flecken, zur Stadtwüste geworden. Deshalb wurde ihm ein neues Domizil auf dem Rathausvorplatz, zwischen Marienkirche und Fernsehturm, zugewiesen.

Bildquelle:
Victor Laverrenz, Denkmale Berlins und der Volkswitz, 1898


BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
www.berlinische-monatsschrift.de