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in den traditionellen Arbeiterbezirk Friedrichshain brachten, 3) die moderne Innenausstattung mit den mehrflammigen Herden, von der Sensation der Fahrstühle und der Müllschlucker ganz zu schweigen, die bequeme Eßecke in der zweckmäßig eingerichteten Küche, die Innentoilette und das geflieste Bad, die Fernheizung, der Parkettfußboden und die Zimmertüren aus Glas, nicht zuletzt die billigen Mieten, das alles leistete handgreiflichere Überzeugungsarbeit als die Heerscharen der Agitatoren und die allgegenwärtige Propaganda. (...)
Die DDR-Chronisten des Aufbaus der Stalinallee, die Schriftsteller und Künstler, die Musiker, Volkskunstschaffenden und Journalisten, ja, selbst die berufsmäßigen Leserbriefschreiber und die für die Produktionspropaganda tätigen Kräfte sowie die Hersteller von Losungen und Transparenten, sie alle haben bei ihren Schilderungen realer Tätigkeiten immer auch deren Symbolwert hervorgehoben, nein, richtiger: die realen Tätigkeiten eigentlich immer nur wegen ihres Symbolwertes geschildert, so daß sich die Vermutung aufdrängt, daß solches Tun nicht nur dem offiziellen Kodex damaligen Verhaltens entsprach, sondern daß es sich für ihre Auftraggeber, zugleich wohl aber auch für sie selbst, um den Aufbau eines neuen Jerusalem und die Vision seines irdischen Pendants gehandelt haben muß, an die wahrscheinlich sogar die sogenannten »einfachen Leute« geglaubt haben. Ihren
Paul Thiel
Die Bauinschriften in der Stalinallee

Die neuen Eigentümer der Stalinallee, zu denen sich anteilig auch Privilegierte und Zugereiste gesellten, waren mit Initiative dabei und zogen mit Begeisterung ein. Sie wurden bestaunt und beneidet zugleich. Weniger glückliche Aktivisten und Bestarbeiter, verdiente Aufbauhelfer oder Trümmerfrauen mußten sich mit einer Ehrenurkunde bzw. einer Buchprämie begnügen.
     »Ja, wer so schön wohnen kann!« überschrieb das als Broschüre herausgegebene DDR-Jahrbuch für die Frau auf das Jahr 1954 eine Doppelseite und stellte die neuen Wohnungen vor, 1) während die noch nach Plänen von Hans Scharoun errichteten Laubenganghäuser der Weberwiese von der westlichen Propaganda als » Befehlsbauten« und »Familienkolchosen« verteufelt wurden. 2) Die ersten Mieter der Stalinallee hatten wortwörtlich das Große Los in der Aufbaulotterie gezogen. Für sie hatte sich mitten in der Trümmerwüste Berlin durch eigener Hände Arbeit, zum Teil wohl auch durch »Beziehungen«, Vitamin B, wie man das später in der DDR nannte, ein Traum verwirklicht. Die hochaufragenden hellen Häuser der breiten Straße, die das Flair der Riviera


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noch heute nachprüfbaren Ausdruck fanden diese Visionen auch in den Bauinschriften der Stalinallee, wie denen auf der dem Alexanderplatz zugewandten, weniger repräsentativ gestalteten Seite der beiden Hochhäuser am Strausberger Platz, über der Eingangstür zum Hochhaus an der Weberwiese und an anderen Wohnblöcken der Stalinallee sowie in einer Reihe von Programmbildern aus den 50er Jahren, die erst jetzt wieder, in einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums aus dem ersten Quartal des Jahres 1995, dem wiedervereinigten Publikum zugänglich waren. 4)
     Die Fülle des Materials zur Stalinallee ließ Monika Flacke und Jörn Schütrumpf, zwei Autoren des begleitenden Katalogs, sogar versuchsweise von einer »Stalinallee-Kunst« sprechen. 5) »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«, wie es zu Beginn der ersten Strophe der Nationalhymne der DDR hieß, strahlend weiß und himmelwärts, erhebt sich der zum Hochhaus stilisierte achtgeschossige Neubau an der Weberwiese in den blauen, von friedlichen Sommerwolken durchzogenen Himmel auf einem Gemälde von Bruno Bernitz aus dem Jahre 1953, das zu diesen Depotbildern gehört.
     Das Hochhaus an der Weberwiese wurde vom zeitgenössischen Liedgut der DDR in heute vergessenen Schlagern gefeiert, und die Neubauten der Stalinallee fanden bereits während ihrer Entstehung Eingang in die zeitgenössischen Schulbücher. 6)
Alle diese Bauten waren mehr als nur Häuser, sie waren »Feenpaläste«, 7) in denen sich der sozialistische Weltgeist als Erbe alles Guten und Wahren und Schönen handgreiflich verkörpert hatte. So erklärt sich auch die aus den visionären Schlußpassagen des V. Aktes von Goethes Faust II 8) entliehene Bauinschrift auf der Rückseite des Hochhauses am Strausberger Platz 19, dem ehemaligen Haus des Kindes (A-Süd), das am 18. Oktober 1954 von Wilhelm Pieck eröffnet wurde, auf welcher es heißt:
»SOLCH EIN GEWIMMEL MÖCHT / ICH SEHN, AUF FREIEM GRUND / MIT FREIEM VOLKE STEHN!« 9)
     Eingebettet in die zeitgenössische Kulturpolitik und in die politische Propaganda bis hin zu den Hausaufsätzen jener Zeit und den Schulungsabenden der FDJ, verkündete dieses Goethe-Zitat zugleich auch »Die kulturelle Verantwortung der Arbeiterklasse«. 10) Warum allerdings Goethes Namen auf der Inschrift nicht erscheint, muß offenbleiben.
     Die Bauinschrift auf der Rückseite des gegenüber befindlichen Hochhauspendants, dem ehemaligen Haus Berlin (A-Nord), geht auf Brecht zurück, auch er wird namentlich nicht genannt. Sie stammt in leicht abgewandelter Form aus einer Reihe von insgesamt sieben Textvorschlägen vom April 1952, die er - auf Bitten von Hermann Henselmann - ursprünglich für das zum 1. Mai 1952 einzuweihende Hochhaus an der Weberwiese zur Auswahl gestellt hatte. Sie lautet:

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»ALS WIR ABER DANN BESCHLOSSEN: ENDLICH UNSRER / KRAFT ZU TRAUEN: UND EIN SCHÖNRES LEBEN AUFZU / BAUEN: HABEN KAMPF UND MÜH UNS NICHT VERDROSSEN«. 11)
     Brecht, der wohl auch unter Zeitdruck gestanden hatte, griff hier hintersinnig auf die ersten vier Zeilen der 6. Strophe seine Gedichts »Resolution« zurück, in denen es heißt: »In Erwägung, daß wir der Regierung/ Was sie immer auch verspricht, nicht traun/ Haben wir beschlossen, unter eigner Führung / Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubaun.«. 12)
     Das Gedicht selbst entstand aus einer zwei-, dann dreistrophigen Urfassung aus dem Jahre 1934 und hieß zunächst »In Erwägung«, erhielt dann, nach einem Vorschlag von Hanns Eisler, seinen neuen Titel und lag bereits 1935 in erweiterter, nun endgültiger Fassung vor. Es wurde von Eisler im Dezember 1935 vertont und von Ernst Busch in die von ihm im Jahre 1937 unter dem Gesamttitel »Canciones de Guerra de las Brigadas Internacionales« in Madrid herausgegebene Anthologie aufgenommen. Von Margarete Steffin mit dem später wieder getilgten Zusatz »Resolution der Kommunarden« versehen, erschien es in der Sammlung der »Svendborger Gedichte«, die nach exilbedingten Verzögerungen im Juni 1939 in Kopenhagen verlegt wurden. Schließlich fügte Brecht die »Resolution« in sein zwischen Februar und April 1949 in Zürich ge
schriebenes Stück »Die Tage der Kommune« ein, dessen Uraufführung, von ihm immer wieder geplant und immer wieder verschoben, erst nach seinem Tode, am 17. November 1956, in Karl-Marx-Stadt erfolgte.
     Die Ironie der Geschichte wollte es, daß dieser Brechtsche Text mit seinen - für die unmittelbaren Zeitgenossen - kryptischen, hier mittels der Überlieferungsgeschichte nur angedeuteten Interpretationsmöglichkeiten, an ein Gebäude kam, dessen Richtfest nur wenige Monate nach den von der Stalinallee ausgegangenen Ereignissen des 17. Juni, am 21. November 1953, gefeiert wurde.
     Die Bauinschrift am Hochhaus an der Weberwiese, Marchlewskistraße 25, ist ebenfalls von Brecht, im Unterschied zu der vorigen jedoch mit seinem Namen versehen. Sie ist weniger kryptisch und lautet:
»FRIEDE IN UNSEREM LANDE / FRIEDE IN UNSERER STADT / DASS SIE DEN GUT BEHAUSE / DER SIE GEBAUET HAT / BERT BRECHT«.
     Der Text ist identisch mit der 2. Strophe des 1951 entstandenen und bewußt einfach gehaltenen »Friedenslied(es)«, 13) das als Erstdruck im Sommer d. J. vorlag und seinerseits auf eine freie Bearbeitung von Pablo Nerudas Gedicht »Paz para los crepúsculos« (Friede den Abenddämmerungen) aus dem »Großen Gesang« (Canto general, 1950) zurückgeht. Eine später rechts neben dem Eingang an der Außenfassade angebrachte Tafel

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erinnert an den Bau des Hochhauses an der Weberwiese im Rahmen des Nationalen Aufbauprogramms der DDR (NAW). 14)
     Bauinschriften finden sich auch an den einander gegenüberliegenden Wohnblöcken Karl-Marx-Allee 81 (Nordseite) und Karl-Marx-Allee 84-78 (Südseite) sowie im Eingangsbereich des Wohnblocks Karl-Marx-Allee 116-114 (ebenfalls Südseite). Im Gegensatz zu den bereits erwähnten beziehen sich diese Inschriften unmittelbarer auf die damalige Zeit bzw. auf das zeitgenössische Baugeschehen und halten die damit verbundenen Aktivitäten für die Nachwelt fest.
     An die am 3. Februar 1952 (der auf den Tag genauen 7. Wiederkehr der Zerstörung ganzer Straßenzüge des Berliner Ostens durch einen Bombenangriff) von Otto Grotewohl für den Block E-Süd - und damit in symbolhafter Handlung für die gesamte neuere Stalinallee - vorgenommene Grundsteinlegung erinnern zwei Inschriften im Eingangsbereich des Wohnblocks Karl-Marx-Allee 116-114. Die beiden, jeweils auf der linken bzw. rechten Wand des Durchgangs angebrachten Inschriften lauten:
»Ministerpräsident / Otto Grotewohl / legte am 3. 2. 1952 den / GRUNDSTEIN / für diesen Block«
und:
»Dieser / BLOCK E-SÜD / wurde 1951-1952 im / Nationalen Aufbauwerk von Lehrlingen errichtet«.
     An gleicher Stelle wurde bereits am
12. Juli 1952 Richtfest gefeiert, und auf den Blöcken C-Süd und F-Süd wurden ebenfalls die Richtkronen hochgezogen. Als Datum war der Abschluß der II. Parteikonferenz der SED bestimmt worden, jener Konferenz, auf der Walter Ulbricht den Aufbau des Sozialismus verkünden sollte. Dementsprechend groß war auch das Aufgebot an Gästen auf der Ehrentribüne, an Rednern und Demonstranten:
»Die Delegierten der II. Parteikonferenz zogen geschlossen zur Stalinallee, voran das Politbüro und das ZK der SED, an der Spitze die Genossen Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht. Immer wieder ertönten Hochrufe auf die Partei der deutschen Arbeiterklasse, die Vorhut des deutschen Volkes beim Aufbau des Sozialismus«. 15)
     Nach Hans Jendretzky, vormaligem Stadtrat und Leiter der Abteilung für Arbeit im 1. Berliner Nachkriegsmagistrat, nun 1. Sekretär der Landesleitung Groß-Berlin der SED, der die Bauarbeiter, die Ingenieure und Techniker der Stalinallee, die Aufbauhelfer, die Delegierten und die ausländischen Gäste der Bruderparteien begrüßte, ergriff Wilhelm Pieck das Wort.
     Er würdigte die Leistungen auf den verschiedenen Bauabschnitten der Stalinallee, hob einzelne Aktivisten, Bestarbeiter und Betriebe namentlich hervor und stellte alles in den damals üblichen weltpolitischen Zusammenhang vom Wettkampf der beiden Systeme. Seine Rede schloß mit den Worten:

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»Laßt uns zusammen, Bauarbeiter der Stalinallee, ihr jungen und ihr alten, laßt uns zusammen, ihr Bauarbeiter in der Deutschen Demokratischen Republik, am stolzen Werk des Sozialismus schaffen. Laßt uns zusammen mit größter Wachsamkeit unser Aufbauwerk schützen, damit Wirklichkeit wird, wie es in unserer Nationalhymne heißt:
>und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.<
Es leben die Aktivisten unserer Stalinallee!
Es lebe unser Freund und Helfer, dessen Namen wir unserer ersten sozialistischen Straße in unserer Hauptstadt Berlin geben - es lebe Stalin!« Danach wurde das Weltjugendlied intoniert, die Richtkrone aufgezogen, das obligatorische Glas Sekt getrunken und ein Erinnerungsgeschenk überreicht. Nachdem noch einige ausgewählte Vertreter der Arbeiterklasse ihre »... Bereitschaft zum Ausdruck (gebracht hatten), alle Kraft einzusetzen, um den Sozialismus in ganz Berlin aufzubauen«, klang die Veranstaltung mit der »Internationale« aus, und die Bauarbeiter zogen unter Musik zum »Richtschmaus« in die nahe gelegene Sporthalle.
     Die Bauinschrift, die an jenes denkwürdige Richtfest, vorrangig wohl jedoch an die propagandistische Ankündigung vom Aufbau des Sozialismus, erinnern soll(te), wurde allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, am Block E-Süd, dem unmittelbaren Ort des
Geschehens, angebracht, sondern weiter westlich, am Wohnblock C-Nord, Karl-Marx-Allee 81, und mit einer Bauinschrift am gegenüberliegenden Block C-Süd, Karl-Marx-Allee 84-78, in räumliche Beziehung gesetzt, wobei letztere durch eine fünf Etagen hohe, vom ersten Geschoß über dem Hauptportal bis zum obersten Geschoß reichende, mit 14 figürlichen Reliefs versehene Bilderwand zusätzliche Bedeutung erhält.
     Nach einem Foto aus dem Jahre 1961 zu urteilen, befand sich eine gleiche - allerdings nur mit 12 (?) Reliefs versehene - Bilderwand auch über dem Hauptportal von C-Nord. Wann und aus welchen Gründen diese entfernt wurden, muß späteren Recherchen überlassen bleiben. Falls es sich bei dem Foto nicht um eine Montage handelt - und warum sollte es eine Montage sein? -, würden sich für die Interpretation des Bildprogramms von C-Süd allerdings keine grundsätzlich neuen Aspekte ergeben.
     Die Bauinschrift von C-Nord ist auf zwei Keramikflächen verteilt und stammt aus der zuletzt zitierten Rede Wilhelm Piecks zum Richtfest am 12. Juli 1952, ist jedoch aus unerfindlichen Gründen einen Tag später, auf den 13. Juli 1952, datiert. Beide gesondert gerahmten Inschriftenblöcke umgeben flügelartig zur linken bzw. rechten Seite einen ebenfalls mit einem Rahmen versehenen Mittelteil, dessen wie von Laienhand ausgeführte Komposition das von dekorativ angeordneten Fahnen umgebene Emblem des

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   31   Probleme/Projekte/Prozesse Bauinschriften  Voriges BlattNächstes Blatt
1. Fünfjahrplans zeigt. Unter dem Emblem des Mittelteils befindet sich der folgende Text:
»1952 / NATIONALES AUFBAUPROGRAMM«
Die Inschrift des linken »Flügels« lautet:
»LASST UNS ZUSAMMEN, BAUARBEI-TER * / DER STALINALLEE, IHR JUNGEN UND IHR / ALTEN, LASST UNS ZUSAMMEN IHR BAU/ ARBEITER IN DER DEUTSCHEN DEMOKRA/ TISCHEN REPUBLIK AM STOLZEN WERK / DES SOZIALISMUS SCHAFFEN * W. PIECK 13. 7. 1952 *«
Die Inschrift des rechten »Flügels« lautet:
»LASST UNS ZUSAMMEN MIT GRÖSSTER / WACHSAMKEIT UNSER AUFBAUWERK / SCHÜTZEN, DAMIT WIRKLICHKEIT WIRD, / WIE ES IN UNSERER NATIONALHYMNE / HEISST: >UND DIE SONNE SCHÖN WIE NIE/ ÜBER DEUTSCHLAND SCHEINT< * W. PIECK 13. 7. 1952 *« Ausschlaggebend für die »Standortverlagerung« dieser Inschriften könnte die Tatsache gewesen sein, daß der gegenüberliegende Block C-Süd unter der Patenschaft der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) stand und so ein symbolisches Bezugssystem geschaffen werden sollte, durch welches man die Leistungen der Berliner Bauarbeiter und Aufbauhelfer, den Aufbau des Sozialismus und die Errungenschaften der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft miteinander zu verbinden suchte. Hier, auf C-Süd, verlegte der Deputierte des Obersten Sowjets der UdSSR, der Maurer und Stalinpreisträger Koroljow, die
letzten tausend Steine des Westflügels nach dem von ihm initiierten »Fünfersystem« und verhalf so der seit Beginn der Nachkriegszeit verbreiteten Losung »Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen« zur immerwährenden städtebaulichen Präsenz. Die dementsprechende Bauinschrift kündet noch heute von dieser seiner missionarischen Leistung.
     Links und rechts neben dem Symbol des 1. Fünfjahrplans und dem darunter angeordneten Text: »1. NATIONALES / AUFBAUPROGRAMM / 1952«, und hervorgehoben durch einen gemeinsamen Rahmen, findet sich die nachstehende Inschrift. Die gestalterischen Ungeschicklichkeiten und die vergessene Pluralendung im Text des rechten Drittels der Komposition (»LEISTUNG-« statt: »LEISTUNGEN«) sowie die Transkription des Namens »Koroljew« statt »Koroljow« sind originaler Befund.
     Der Text im linken Drittel der Komposition lautet:
»STALINPREIS= / TRÄGER KOROLJEW / VERMAUERTE AM / WESTFLÜGEL / DIESES WOHN / BLOCKES DIE / LETZTEN STEINE / IM FÜNFERSYSTEM«
Darauf folgt in der Mitte der Komposition das genannte Emblem, dessen oberes Kreissegment den dekorativ gestalteten Rahmen sprengt.
     Der Text im rechten Drittel der Komposition lautet:

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   32   Probleme/Projekte/Prozesse Bauinschriften  Voriges BlattNächstes Blatt
»DIE LEISTUNG - / UNSERER AUFBAU HELFER / BAUARBEI / TER UND AR-CHITEK / TEN HABEN UNSER / FRIE-DENSPRO= / GRAMM ZUM ER / FOLG GEFÜHRT«
Was sich dort in der Stalinallee abspielte, war demzufolge alles andere als ein simples Baugeschehen. Hier wuchs etwas prinzipiell Neues: Auf dieser Großbaustelle wurde eine neue Gesellschaft errichtet, und mit ihr formte sich zugleich ein neues Geschlecht.

Quellen und Anmerkungen:
1 Von Jahr zu Jahr. Das Jahrbuch für die Frau 1954, Verlag für die Frau, Leipzig, S. 80/81
2 Berlin baut auf - Berlin am Werk. Mit einem Geleitwort von Louise Schroeder. Hrsg. von der Economic Cooperation Administration, Office of the Special Mission to Germany, Frankfurt a. M., o. J., S. 10 - Die Begriffe »Befehlsbau« bzw. »Befehlsbauten« wurden im westlichen Amtsdeutsch der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht nur im abwertenden Sinne benutzt. Ein Gebäude bzw. dessen Wiederaufbau mit Hilfe der Besatzungsmächte der geteilten Stadt »zum Befehlsbau erklären« zu lassen, konnte eine bevorzugte Belieferung mit Baumaterial bewirken. Belege hierfür bisher nur für den westlichen Sprachgebrauch. So bei Siegfried Nestriepke über den geplanten Wiederaufbau des im britischen Sektor liegenden Schiller-Theaters, In: Neues Beginnen. Die Geschichte der Freien Volksbühne Berlin 1946 bis 1955, Berlin 1956, S. 90

3 H. E. Siegrist in seiner aus der Perspektive eines Berliner Spatzen geschriebenen Publikation »Ohm Ohlen. Der Philosoph vom Alexanderplatz«, Berlin 1954, S. 23 f.: »Ganz wie die großen Häuser an der Riviera. Das da zum Beispiel könnte das Hotel Splendid-Palace sein. Und doch wohnen Arbeiter und Angestellte darin.«
4 Vgl. dazu den Ausstellungskatalog: Auftrag Kunst. 1949-1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik. Ausstellung des DHM vom 27. Januar - 14. April 1995 in Berlin.
      5 Ebenda, S. 70
6 Vgl.: Die Stalinallee, die erste sozialistische Straße in Berlin, In: Unser Lesebuch für das dritte Schuljahr. Zusammengestellt und bearbeitet von Robert Alt und Johannes Feuer, Volk und Wissen, Berlin, 3. Aufl., 1953, S. 105-109
7 Der Begriff »Feenpaläste« für die Neubauten der Stalinallee u. a. bei Siegrist, s. Anm. 3, S. 24
8 Weimarer Ausgabe, I. Abt., Bd. 15, 1. Abt., S. 315 f.
      9 An die Einweihung selbst erinnert eine Gedenktafel an der Vorderseite des Gebäudes mit einem in strengem Profil nach links gewendeten Porträtkopf Wilhelm Piecks und der Inschrift: »WILHELM PIECK 1. PRÄSIDENT DER DDR / ERÖFFNETE DAS HAUS DES KINDES AM 18. 10. 1954«
10 So der gleichnamige Titel einer Broschüre »... aus Anlaß der Weimartage der Aktivisten« vom 9. - 12. Juni 1949 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Dichters mit dem Text von vier Referaten von Willi Bredel, Wilhelm Girnus, Stefan Heymann und Walter Maschke, Bln. 1949. - Vgl. außerdem u. a.: Edith

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   33   Probleme/Projekte/Prozesse Bauinschriften  Voriges BlattArtikelanfang
Braemer/Hedwig Voegt: Die Forderung des Tages. Ein Goethe-Bild für den deutschen Werktätigen, Berlin, o. J. (1949)
11 Bert Brecht: Grosse Kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Berlin, Weimar, Frankfurt am Main, 1993, Bd. 23, S. 203 f. Der ursprüngliche Text lautet im Original: »Als wir aber dann beschlossen / Endlich unsrer eignen Kraft zu traun / Und ein schönres Leben aufzubaun / Haben Kampf und Müh uns nicht verdrossen«. Die Textänderung geht wahrscheinlich auf Brecht selbst zurück, denn in Bd. 15, S. 258 findet sich eine mit der Bauinschrift identische Variante.
     12 Ebenda, Bd. 12, S. 28
13 Ebenda, der gesamte Text in Bd. 15, S. 254
14 Die querrechteckige Tafel trägt folgenden Text: »HOCHHAUS WEBERWIESE / ERRICHTET 1951 / 52 NACH ENTWÜRFEN / EINES KOLLEKTIVS UNTER DER LEITUNG/VON HERMANN HENSELMANN / MIT DEM BAU DIESES ERSTSTEN WOHNHOCHHAUSES / IM KRIEGSZERSTÖRTEN BERLINER OSTEN WURDE / DAS NATIONALE AUFBAUPROGRAMM FÜR / DIE HAUPTSTADT DER DDR EINGELEITET«
1945-1990. Aufsätze, Berichte, Marginalien. Hrsg. von Eckhart Gillen/Günter Feist/Beatrice Vierneisel, DuMont Buchverlag, Köln, 1996.- Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und des Verlages. Alle Rechte beim Autor.
15 Neues Deutschland, 13. Juli 1952, dort auch die folgenden Zitate.

Der vorliegende Text ist die leicht überarbeitete und hier um einige Passagen aus der Einleitung ergänzte Fassung eines Kapitels aus einem längeren Aufsatz des Verfassers mit dem Titel »Die Promenade des neuen Menschen. Symbolik und Bildsprache der Stalinallee als Beitrag zur Ikonografie der fünfziger Jahre«, In: Kunstdokumentation SBZ/DDR


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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