50   Porträt Lampert Distelmeier  Nächstes Blatt
Herbert Schwenk
Kanzler zweier Kurfürsten

Lampert Distelmeier (1522-1588)

»Blicken wir an diesem Abschnitte auf den Lebensgang Distelmeiers zurück«, schrieb 1895 Friedrich Holtze, Oberlehrer am Kgl. Kadetten-Corps, »so erscheint er als ein Mann, der es wohl verstand, rüstig und thatkräftig sein Lebensschiff zu steuern, als ein Mann von selbständigem Charakter, würdiger Haltung, gewinnenden Formen, arbeitkräftig und von mannigfacher Begabung; deshalb ebenso gut geeignet, als Jurist wie als Staatsmann zu wirken. Ueber diese glänzenden Züge lagern sich indeß auch Schatten; er war ohne höheren idealen Sinn, in erster Linie auf den eigenen Vortheil bedacht und bestrebt, für sich Rang und Vermögen zu erwerben; seine Erwerbsfreudigkeit und seine Ruhmbegier gaben ihm bisweilen etwas Kleinliches und forderten auch den Spott solcher heraus, denen er geistig überlegen war ... So war Distelmeier vorzüglich dazu geeignet, einer jener - man kann sagen internationalen - gemietheten Doktoren zu werden, welche treu einem Herrn, der sie gut bezahlte, dienten, bis sie einen anderen fanden, der sie noch besser belohnte.« 1)


Lampert Distelmeier

     Ein solches Talent, ausgestattet mit reichen geistigen Gaben und bedeutenden finanziellen Mitteln, mit einem scharfen Blick für das Machbare und Erreichbare, mit einem seltenen diplomatischen Geschick und Durchsetzungsvermögen, ein solcher Mann war geradezu geschaffen für die große Politik! Und so vertrat denn Lampert Distelmeier als herausragender Diplomat die politischen Anliegen zweier brandenburgischer Kurfürsten: Joachims II. (1535-1571) und Johann Georgs (1571-1598).

BlattanfangNächstes Blatt

   51   Porträt Lampert Distelmeier  Voriges BlattNächstes Blatt
     Die Bilderbuchkarriere des Lampert Distelmeier faszinierte seit jeher die Nachwelt. 1722 veröffentlichte Johann Paul von Gundling (1673-1731), der zum Hofnarren und Vorleser im Tabakskollegium degradierte Historiograph Friedrich Wilhelms I. (1713-1740), eine Lebensbeschreibung Distelmeiers. Danach begann der am 22. Februar 1522 in Leipzig als Sohn eines Schneiders geborene Distelmeier seine schulische Ausbildung bereits im Alter von fünf Jahren auf der Leipziger St. Thomasschule. Er beendete sie - nach dem frühen Tod des Vaters - an der Nikolausschule als »Bakkalaureus der freien Künste«. Das befähigte ihn zum Studium der Theologie.
     Keinem Geringeren als dem Gelehrten Philipp Melanchthon (1497-1560) war es vorbehalten, den jungen Studenten, der übrigens gewandt lateinisch sprach, zum Wechsel des Studienfaches - hin zur Jurisprudenz - zu bewegen. Ob Melanchthon dabei schon die kommende glänzende staatsmännische Laufbahn Distelmeiers im Auge hatte, wie Biographen behaupten, 2) darf bezweifelt werden. Es spricht für den schon früh ausgeprägten Hang Distelmeiers zu kritischem Urteil und nüchternem Kalkül, wenn der 20jährige Vorlesungen zu bestimmten Themen mehrmals hörte. Und zwar bei den verschiedensten Dozenten.
     Eifer und Können waren der Grund, warum der Student von 1544 bis 1546 bei Simon Pistorius, dem Kanzler seines Landesherrn Herzog Moritz von Sachsen (1521-1553), eine Anstellung in der Kanzlei am Dresdener Hof als eine Art »Referendar« erhielt. Dabei entwickelte Distelmeier seine Fähigkeiten im Umgang mit Akten und Texten weiter.
     Mit der Berufung zum Syndikus (d. h. rechtskundigen Vertreter) der Stadt Bautzen im Jahre 1547 begann für Distelmeier der Weg in die Politik des 16. Jahrhunderts. An der Seite seines Bautzener Bürgermeisters vertrat er als Rechtsbeistand die sogenannten Oberlausitzer Sechsstädte im Konflikt mit König Ferdinand I. (1503-1564).
     Es zeugt von dem sich entwickelnden Raffinement Distelmeiers, daß er neben seinem städtisch-protestantischen Dienst für die Sechsstädte zugleich auch für das adlig-kaiserliche Lager als Rechtsbeistand (bei erheblich verbesserten Einkünften) tätig wurde. Seiner weiteren Karriere diente auch die eheliche Verbindung mit Elisabeth Goldhahn, Tochter des Leipziger Ratsherrn Goldhahn. Dank »stattlicher Mitgift« konnte Distelmeier seine begonnene akademische Laufbahn in der Jurisprudenz vollenden und 1549 in Leipzig zum Doktor der Rechte promovieren.
     Bautzen war nun endgültig für ihn zu klein geworden.
BlattanfangNächstes Blatt

   52   Porträt Lampert Distelmeier  Voriges BlattNächstes Blatt
Dem Experten für römisches und deutsches Recht mit großer Begabung für die Leitung innerer Staatsverwaltung und auswärtiger Angelegenheiten standen alle Wege offen. Von mehreren Angeboten, darunter befanden sich kaiserliche, weimarische und kurbrandenburgische Hofämter, erschien ihm eine Berufung an den kurfürstlich-brandenburgischen Hof als das verlockendste. Brandenburg, seit 1535 von Kurfürst Joachim II. regiert, war 1539 zum Protestantismus übergetreten, bei noch großem Einfluß des Katholizismus im Lande. Einflußreiche Adlige waren bemüht, an die Stelle des bisherigen, dem Protestantismus und Berliner Patriziat sehr freundlich verbundenen Kanzlers Weinleben einen neuen Kanzler 3) mit ausgeprägterer höfischer Gesinnung, aber auch mit größerem diplomatischen Geschick, zu lancieren. Dafür schien Distelmeier der richtige Mann. Dieser war 1551 bereit, als Rat am Hofe des brandenburgischen Kurfürsten tätig zu werden.
     Ihm oblag es nun, Gutachten und Berichte abzufassen, Vertragstexte (auch Eheverträge kurfürstlicher Personen) zu entwerfen bzw. zu redigieren sowie zunehmend selbst nach kurfürstlichen Instruktionen Verhandlungen zu führen und Streitigkeiten zu schlichten. Faktisch hatte Distelmeier seit seinem Eintritt in den engeren Rat des Kurfürsten die wichtigsten diplomatischen Geschäfte seines Kurfürsten persönlich zu leiten.
     Distelmeiers diplomatisches Talent kam in einer Zeit zum Tragen, da Brandenburg in großer Bedrängnis war.
Einerseits durch die Gefährdung des territorialen Bestandes infolge von Teilungen und partikularistischen Bestrebungen, andererseits durch die Nachwirkungen der engstirnigen reformationsfeindlichen Politik Joachims I. (1499-1535). Sie verprellte die natürlichen Bundesgenossen Brandenburgs: die Neumark jenseits der Oder, den preußischen Ordensstaat, die evangelischen Fürsten Norddeutschlands und die stammverwandten Fürsten der fränkischen Linie der Hohenzollern. In dieser Zeit der großen Konflikte zwischen dem politischen Protestantismus und dem Katholizismus waren Augenmaß und diplomatisches Geschick erforderlich, um dem schwachen Brandenburg Vorteile zu verschaffen. Nicht spektakuläre Erfolge für den Augenblick galt es zu erringen, wohl aber günstige Ausgangspositionen für spätere Entwicklungen.
     In diesem Sinne galt Distelmeiers diplomatische Einflußnahme auf den Gang des Religionskrieges zwischen dem kaiserlichen Lager um Karl V. (1519-1556) und dem protestantischen Moritz von Sachsen (1521-1553) sowie dem sich anschließenden Religionsfrieden als erster großer Erfolg. Er erreichte für Brandenburg günstige Ergebnisse, sie betrafen insbesondere den engen Zusammenhalt mit Sachsen. Die 1555 unter Distelmeiers Diplomatie erneuerte Erbverbrüderung der Fürstenhäuser von Sachsen, Brandenburg und Hessen gegen die klerikalen und kaiserlichen Bestrebungen lag auf derselben Linie.
BlattanfangNächstes Blatt

   53   Porträt Lampert Distelmeier  Voriges BlattNächstes Blatt
     Der Kurfürst war mit seinem Adlatus zufrieden. 1553 erhielt Distelmeier das stattliche Haus am Berliner Molkenmarkt Nr. 1 als eine Art Dienstwohnung (1578 wurde es durch einen Brand stark beschädigt und später berüchtigtes Polizeipräsidium). Das Jahr 1556 sah Distelmeier an der Seite seines Kurfürsten bei der Kaiserwahl Ferdinands I. (1556-1564) in Frankfurt/Main. Deutlich erkennbar für alle erschien er als »der erste Staatsmann Brandenburgs«. Die Ernennung zum Kanzler des Kurfürsten am 17. April 1558 war nur noch ein formaler Akt.
     Gleichzeitig mit seiner Amtsübernahme hatte Distelmeier eine Neuordnung der inneren Verwaltung (Ratsordnung) erwirkt. Gestärkt wurde die Stellung des Kanzlers als Spitze des Beamtentums. Die Neuordnung sicherte ihm auch den Posten als Vorsitzender des Kammergerichts, des höchsten landesherrlichen Gerichts. Er beaufsichtigte die am Gerichtshof tätigen Anwälte und Räte, unterstellte alle Sekretäre und Schreiber seiner Dienstaufsicht.
     Doch bei aller Dienstbeflissenheit: Distelmeier vergaß darüber nicht sein eigenes Wohl. So setzte er durch, daß er bald nach Erhebung zur Kanzlerwürde am 5. Juli 1558 vom Kurfürsten auch in die Reihen des märkischen Adels aufgenommen wurde. Solcherart gestärkt, nahm der Kanzler neue, große diplomatische Aufgaben in Angriff.
     Distelmeier sicherte dem brandenburgischen Kurhaus die seit 1547 in Aussicht gestellte Anwartschaft auf den Besitz des Erzstiftes Magdeburg.
Dazu setzte er 1566 gegen die Bestrebungen Kursachsens durch, daß der damals 20jährige Enkel Joachims II., Prinz Joachim Friedrich, der spätere Kurfürst (1598-1608), als Magdeburger Administrator eingesetzt wurde und das Stift evangelisierte. Wieder einmal zeigte sich dabei die Fähigkeit des Kanzlers, rigoros die Religion als Mittel der Politik zu benutzen.
     Seinen größten diplomatischen Erfolg verbuchte Distelmeier, als es ihm 1569 gelang, Joachim II. zum Mitbelehnten des Herzogtums Preußen zu machen. Die Mitbelehnung wurde also zum entscheidenden Schritt auf dem Wege der endgültigen Erwerbung Preußens durch Brandenburg im Jahre 1618. »Es war wohl Distelmeiers Verdienst«, erläuterte Friedrich Holtze den Coup des Kanzlers, »daß er hier mit scharfem Blicke das Erreichbare vom Unerreichbaren zu sondern verstand und die brandenburgische Politik gegenüber der Republik Polen auf die Erlangung der Mitbelehnung über Preußen beschränkte.« 4)
     In der Domkirche zu Cölln wurde der Erfolg am 28. August 1569 mit einem überaus prunkvollen und triumphalen Fest gefeiert. Dabei erhielten der Kanzler und andere verdienstvolle Persönlichkeiten »goldene Gnadenketten«, und Distelmeier würdigte mehr als eine Stunde lang vor seinem Kurfürsten, der, auf einem pompösen Thronsessel sitzend, das gezogene Kurschwert in den Händen haltend, der mächtigen Stimme seines Kanzlers in lateinischer Sprache lauschend, den errungenen Erfolg.
BlattanfangNächstes Blatt

   54   Porträt Lampert Distelmeier  Voriges BlattNächstes Blatt
     Die Berliner, so ist überliefert, waren voller Bewunderung und Begeisterung ob des prachtvollen Festes und des erfolgreichen kurfürstlichen Kanzlers. Allerdings vermerkten die Biographen auch, »aus einzelnen Handlungen Joachims in seinen letzten Jahren zum Schlusse berechtigt zu sein, daß der einst so klare Geist des ungewöhnlich reich beanlagten Fürsten nicht mehr ganz ungetrübt gewesen«. 5)
     Am 3. Januar 1571 starb Kurfürst Joachim II. unerwartet bei einem Jagdausflug im Wald bei Köpenick. Sein Nachfolger, der Kurfürst Johann Georg, wandte sich von Joachims Politik ab. Es wirft ein glänzendes Licht auf die Fähigkeiten des Kanzlers, wenn der neue Kurfürst trotzdem an Distelmeiers Talenten festhielt. Und natürlich war Johann Georg klug genug, zu sehen, daß eine Entlassung des Kanzlers seinem Beamtentum »die Seele« entzogen hätte.
     Distelmeier hatte in der Folgezeit auch keine Skrupel, tatenlos zuzusehen, wie Johann Georg auf der Suche nach Sündenböcken für die zahlreich hinterlassenen Mißstände seines Amtsvorgängers selbst vor Verbrechen nicht zurückschreckte (Judenverfolgung, Hinrichtung Lippolds). Und nicht nur das: Der Kanzler erwarb neue Reichtümer, darunter das Gut Mahlsdorf, und vermehrte so seinen Grundbesitz beträchtlich. Die Vermählungen seiner Kinder mit Sprößlingen des märkischen Adels taten ein übriges zur Stärkung der Kanzler-Macht.
     Ein bleibendes Verdienst errang Distelmeier als Mitbegründer des ersten Berliner Gymnasiums, des zum Grauen Kloster auf dem Gelände des ausgestorbenen Franziskanerklosters. Der Kanzler spendete nicht nur 500 Taler und hielt am 13. Juli 1574 die Festrede zur Eröffnung des Gymnasiums (natürlich in lateinischer Sprache), er betätigte sich auch in der Folgezeit vielfältig als Förderer und väterlicher Ratgeber. In diesem Wirken sah er wohl auch eine reale Chance, seinen Ruf und sein Ansehen zu mehren.
     Die diplomatischen Dienste Distelmeiers für Kurfürst Johann Georg erreichten bei weitem nicht mehr den Glanz früherer Taten. Auf der »großen Bühne« der Politik trat er nur noch selten in Erscheinung. Er konzentrierte sich auf die Organisation der geschickten Heirats- und Erbpolitik des Kurfürsten (aus den drei Ehen Johann Georgs gingen immerhin 23 Kinder, davon 15 überlebende, hervor). Immer stärker wurde sein Bemühen, das Engagement mit Kursachsen zu verstärken. Aufreibende Reisen überließ der Kanzler zunehmend Jüngeren, darunter seinem Sohn Christian Distelmeier (1552-1612), dem späteren Nachfolger im Amte des Kanzlers (er wurde 1598 von Kurfürst Joachim Friedrich in Ungnaden entlassen).
     Sein großes Prestige beim märkischen Adel stellte Lampert Distelmeier nun auch Kurfürst Johann Georg verstärkt in der inneren Politik zur Verfügung.
BlattanfangNächstes Blatt

   55   Porträt Lampert Distelmeier  Voriges BlattArtikelanfang
Sie war vor allem auf straffe Ausbildung der Territorialmacht sowie auf die Suche nach Wegen zur Überwindung der von Joachim hinterlassenen Mißwirtschaft sowie auf die Eindämmung der Günstlingswirtschaft gerichtet. Seine Versuche, eine neue Kammergerichtsordnung und ein neues Zivilrecht zu schaffen, blieben allerdings Entwürfe.
     Unvollendet blieb auch sein Bemühen, ein einheitliches Gesetzbuch für die Mark zu schaffen.
     Zunehmend von Krankheit, Kräfteverfall und Todesgedanken gezeichnet, starb Lampert Distelmeier am 12. Oktober 1588 in Berlin. Unter dem Geläut der Glocken von Berlin und Cölln fand die Beisetzung in Anwesenheit zahlreicher Prominenter und unter zahlenmäßig großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Die Begräbnisstätte in der Nikolaikirche erinnert an den bedeutenden Politiker und Mitbegründer des brandenburgisch-preußischen Staates.

Quellen und Anmerkungen:
1 Friedrich Holtze: Lampert Distelmeier, kurbrandenburgischer Kanzler, In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft XXXII, Berlin 1895, S. 10. Die hier verwendete Schreibweise des Namens wird übernommen, obwohl in anderen Quellen auch als Vorname »Lamprecht« und die Schreibweise »Distelmeyer« üblich sind.
2 Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Fünfter Band, Leipzig 1877, S. 256

3 Die Bezeichnung »Kanzler« bezog sich im Mittelalter ursprünglich auf diejenigen Hofbeamten, denen die Ausfertigung der öffentlichen Schriften oblag. Die gewandten Schriftkundigen, denen vor allem die Erledigung der Korrespondenzen anvertraut war, besaßen Einblick in manche Internas und von daher nicht wenig Einfluß.
4 F. Holtze: Lampert Distelmeier, a. a. O., S. 38/39 5
5 Ebenda, S. 44

Bildquelle:
Verein für die Geschichte Berlins

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
www.berlinische-monatsschrift.de