16 Probleme/Projekte/Prozesse | Wöhlert - ein Pionier des Maschinenbaus |
Hans-Heinrich Müller
Wöhlert - ein Pionier des Maschinenbaus In der Chausseestraße, hinter dem Oranienburger Tor, reihte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf der rechten Seite eine große Maschinenfabrik an die andere. Den Reigen eröffnete die weltberühmte Lokomotivfabrik von August Borsig mit den von dem Architekten und Schinkel-Schüler Johann Heinrich Strack (1805-1880) erbauten schönen Säulengängen; es folgten die Fabriken von Franz Anton Egells, F. A. Pflug, Louis Schwartzkopff und Johann Friedrich Ludwig Wöhlert, an die sich wiederum kleinere Betriebe anschlossen. In diesem »Birmingham der Mark«, wie der Berliner Volkskalender von 1855 die Oranienburger Vorstadt bezeichnete, in diesem »Feuerland« hatte Wöhlert 1843 mit Hilfe der Preußischen Seehandlung, der Staatsbank Preußens, eine Maschinenbau-Anstalt errichtet, deren Fabrikgelände sich in den folgenden Jahren bis an das Terrain des Stettiner Bahnhofs (Nordbahnhof) ausdehnte und das im Norden von der noch heute existierenden Wöhlertstraße begrenzt wurde.
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Sein Vater war Brauer und verdiente sich später als Makler sein Geld. Wöhlert besuchte die Volksschule und erlernte das Tischlerhandwerk. 1818 begab er sich, wie es damals Brauch war, als Geselle auf Wanderschaft und gelangte wenig später nach Berlin. Er fand Arbeit in der von dem Kupferschmied Franz Anton Egells (1788-1854) im Jahre 1820 errichteten Maschinenbau-Anstalt, der 1826 eine Eisengießerei angefügt wurde. Dies war die erste private Eisengießerei in Berlin, ein Unternehmen von weittragender Bedeutung, denn damit etablierte sich die industrielle Revolution vor den Toren der preußischen Hauptstadt. Das Egellsche Unternehmen war eine Pflanzstätte der gesamten Berliner Maschinenbauindustrie und bekannter Maschinenbaufabrikanten.
Wöhlert lernte hier August Borsig kennen, und beide schlossen bald Freundschaft. Als Borsig 1837 neben der Egells'schen Fabrik eine eigene Maschinenfabrik ins Leben rief, holte er Wöhlert als Werkmeister in sein Unternehmen. Wöhlert war am Bau der ersten Lokomotive Borsigs maßgeblich beteiligt. Getauft auf den Namen »Wilhelm Beuth« - als Dank gegenüber dem preußischen Ministerialbeamten und Leiter des königlichen Gewerbeinstituts, einem der aktivsten Förderer der technischen Ausbildung und des »Gewerbefleißes« -, erregte sie auf der Berliner Gewerbeausstellung 1844 im Zeughaus großes Aufsehen: |
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Sie galt als Sinnbild des industriellen Fortschritts, der sich damals mit Siebenmeilenstiefeln vollzog.
1841 verließ Wöhlert das Borsig-Unternehmen und übernahm die Leitung einer Abteilung der königlichen Eisengießerei in der Invalidenstraße (in der Gegend des heutigen Naturkundemuseums). Doch die technische Beamtenlaufbahn behagte ihm nicht, sie war seinem Wesen, das sich durch Wagemut auszeichnete, zuwider. Bereits ein Jahr später legte Wöhlert den Grundstein einer eigenen Maschinenbau-Anstalt in der Chausseestraße 36/37 und fügte 1844 eine Eisengießerei hinzu. 1846 stellte er den ersten Dampfhammer auf, 1847 folgte der zweite. Das Produktionsprogramm umfaßte Gußstücke, Brückenteile, Schiffahrtsausrüstungen, Dampfhämmer und Dampfmaschinen, Kräne, schwere Werkzeugmaschinen, Mühleneinrichtungen, Destillierapparaturen, Eisenkonstruktionen für Bauzwecke und auch landwirtschaftliche Maschinen. |
Titelblatt eines Prospekts der Firma Wöhlert |
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Um 1850 richtete er dann in der Chausseestraße 50 eine Landmaschinenabteilung ein, die von G. Beermann geleitet wurde. Transportable Dreschmaschinen und Gärtnereieinrichtungen, alle gebräuchlichen Landmaschinen und Geräte erwarben sich bei den Landwirten einen guten Ruf. Zeitweise gehörte auch die Herstellung von Gußstahlgeschützen zum Fertigungsprogramm. In einer Zeit, da der kapitalistische Markt noch unentwickelt war, stellte die Vielseitigkeit der Produktion, die zum größten Teil auf Vorbestellung beruhte, geradezu eine Existenzfrage der Unternehmer dar. Wöhlert setzte seinen Ehrgeiz darein, auch die schwersten Aufgaben in seiner Fabrik auszuführen, und »Mach ick« soll stets die Antwort auf jede Anfrage gewesen sein.
1844 hatte Wöhlert auch mit dem Bau von Lokomotiven begonnen und versuchte damit, Borsig den Ruhm streitig zu machen. Er erklärte sogar in der Zeitung, daß die Borsig-Lokomotive sein geistiges Eigentum sei, was von Borsig aber energisch bestritten wurde. Im Konkurrenzkampf spielten freundliche und freundschaftliche Beziehungen keine Rolle. Seine erste Lokomotive, die »Marschall Vorwärts«, verließ 1848 das Werk, und in den folgenden Jahren entwickelte sich der Lokomotivbau zum Hauptproduktionszweig, ergänzt durch die Fabrikation von Achsen und Rädern für alle Arten von Eisenbahnwagen. |
Große Anerkennung in ganz Deutschland fanden die aus Schmiedeeisen zusammengeschweißten Räder, was als Spezialproduktion betrieben wurde. In den 50er Jahren geriet Wöhlert jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten, zum einen verursacht durch Fehlkalkulationen, zum anderen durch die starke Borsig-Konkurrenz.
Seit 1860 jedoch stieg die Herstellung von Lokomotiven wieder sprunghaft an. 1870 wurden 90 Lokomotiven produziert, 1874 wurde mit 151 Stück die höchste Produktionszahl erreicht. Das Werk war 1873 mit 17 Dampfhämmern, 9 Dampfmaschinen, 14 Dampfkesseln und 17 Laufkränen ausgestattet. Der Produktionsausstoß betrug im gleichen Jahr 4 500 Satz Achsen mit Rädern, 23 komplette Dampfmaschinen, 2 Wasserhaltungsmaschinen, 4 große Gebläsemaschinen und 7 Dampfhämmer; es wurden Oberbauten für 38 Eisenbahnbrücken-Konstruktionen, mehrere Lokomotiven-Drehscheiben, ein eisernes Kuppeldach von 32 Meter Spannweite, ein Wasserreservoir von 32 Meter Durchmesser und 4 Meter Tiefe, ein »Teleskop-Gasbehälter« von 57 Meter Durchmesser und ein für Maschinenbetrieb eingerichteter Laufkran von 21 Meter Spannweite abgesetzt. Beschäftigte Wöhlert 1864 rund 800 Arbeiter, so war ihre Zahl auf ca. 2 000 im Jahre 1874 gestiegen. |
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1872 verkaufte Wöhlert sein Unternehmen. Ein schweres Augenleiden, das fast zur Erblindung führte, zwang ihn zur Aufgabe. Das Unternehmen wurde als F.-Wöhlert-Maschinen-Anstalt und Eisengießerei-Aktiengesellschaft weitergeführt. Der zunehmende Kapitalbedarf forcierte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Aber Krisenerscheinungen während und infolge der sogenannten »Gründerjahre« hatten starke Einschränkungen der Produktion und Entlassungen zur Folge. 450 Arbeiter mußten zur Kurzarbeit übergehen. 1876 wurde die Lokomotivproduktion stark gedrosselt - bis 1882 verließen nur noch 94 Stück das Werk. Die Aktiengesellschaft versuchte, ihr Unternehmen mit »Neuheiten« zu stabilisieren und zu erweitern. So konstruierte sie 1880 für Militärzwecke eine Dampf-Zugmaschine und entwickelte daraus einen Dampfomnibus und eine Dampfdroschke. Trotz Teilnahme des kaiserlichen Hofes an Probefahrten war den »Neuheiten« kein Erfolg beschieden. Die Straßenpolizei erhob Einspruch wegen Beschädigung des Straßenpflasters und wegen »benachteiligender Eingriffe in die Ordnung des allgemeinen Verkehrs«. Das heraufziehende elektrische Zeitalter hatte schließlich bessere Transportmittel im Berliner Straßenbild zu bieten. 1883 beschloß die Generalversammlung der Aktiengesellschaft die Liquidation der Wöhlert'schen Maschinenfabrik. |
Wöhlert, für seine Verdienste zum Kommerzienrat ernannt, blieb unverheiratet, hatte aber zwei Kinder eines Tischlermeisters adoptiert. Er verstarb am 31. März 1877. Auf dem Invalidenfriedhof wurde er zur letzten Ruhe gebettet.
Johann Friedrich Ludwig Wöhlert gehörte zur ersten Generation Berliner Maschinenfabrikgründer, er war einer der bedeutendsten Dampfmaschinen-Unternehmer. Wenn Berlin sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum geschäftigen Hauptplatz des preußischen Maschinenbaus und zu einem ökonomischen Zentrum in Deutschland herausbildete, dann hatte Wöhlert daran größten Anteil. Auf dem Denkmal, das 1861 zu Ehren von Wilhelm Beuth vor der Schinkel'schen Bauakademie enthüllt wurde (und sich heute im Hof des Märkischen Museums befindet), wurde sein Andenken schon zu Lebzeiten in einem Relief, das die Metallverarbeitung veranschaulicht, neben anderen Berliner Industriepionieren, wie Franz Anton Egells, Julius Freund, L. König, verewigt. Bildquelle: Archiv des Autors |
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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