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Günter Peters
»Nationale, klassizistische und fortschrittliche« Bautradition Zur Baugeschichte der Berliner Stalinallee 1949-1955 Wenn von Städtebau und Architektur in der Frühzeit der DDR die Rede ist, kommt man sofort auf die Berliner Stalinallee (seit 13. 11. 1961 Karl-Marx- Allee, ab Frankfurter Tor Frankfurter Allee) zu sprechen. Sie ist nicht nur Teil der DDR- Geschichte, sondern auch ein Kapitel deutscher Baugeschichte. Das wird auch durch die Vielzahl von Publikationen zu diesem Thema unterstrichen. Wo sonst hat es nach 1945 in Deutschland oder in Europa ein vergleichbares, in Bebauung und Komposition ähnlich geschlossenes Ensemble gegeben? Wohnzelle Friedrichshain Nach der Bildung eines Magistrats im sowjetischen Sektor unter Oberbürgermeister Friedrich Ebert (1894-1979) wurde das Hauptamt für Planung II unter Leitung des neu ernannten Magistratsdirektors Heinrich Starck (1908-1955) zur obersten Planungsinstanz. |
Unter Bezug auf Nachkriegsüberlegungen nahm es einen »Raumordnungsplan« in Arbeit, wo nach so genannten Wohnzelleneinheiten gegliedert, die Wohndichte auf 250 bis 350 Personen je Hektar gesenkt und das Verkehrsnetz nach Durchgangs- und Wohnstraßen bzw. -wegen angelegt werden sollte. Der bei dem Luftangriff vom 3. Februar 1945 (vgl. BM 9/2000) schwer getroffene Bezirk Friedrichshain wurde ausgewählt, um entlang der Frankfurter Allee ein Beispiel als Modell für die Gesamtstadt zu schaffen.
Das Hauptamt für Stadtplanung legte am 28. Mai 1949 »Grundzüge der Neuplanung der Stadt Berlin« vor. Auf dieser Basis präsentierte Oberbürgermeister Friedrich Ebert am 15. Juli 1949 der Öffentlichkeit einen »Generalplan zum Wiederaufbau von Berlin« für einen Zeitraum von zehn Jahren. Nach eingehender Diskussion in Veranstaltungen und in der Presse - auch der sowjetische Stadtkommandant Generalmajor Alexander G. Kotikow (1902-1981) äußerte sich wohlwollend - trug Ebert am 30. November 1949 eine überarbeitete Fassung des Generalplans vor. Der Bezirk Friedrichshain wurde als Standort für den Bau der ersten »Wohnzelle« bestimmt. In der öffentlichen Debatte hatten Ostberliner Sozialdemokraten dafür den Begriff »Stadtdorf« als Synthese aus Gartenlandschaft, Industriesiedlung und Landstadt vorgeschlagen. Auf einer Fläche von 28,4 Hektar südlich der Frankfurter Allee, zwischen Warschauer und Fredersdorfer Straße (ehemalige Königsberger Straße) war der Bau von 1 900 Wohnungen vorgesehen. |
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Die Projektierung wurde dem Institut für Bauwesen bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) übertragen, dem seit 1947 Hans Scharoun (1893-1972) vorstand.
In der »Wohnzelle Friedrichshain« sollten insgesamt 1 900 Wohnungen für ca. 5 000 Einwohner errichtet werden. Nach dem Bebauungsplan vom 1. Dezember 1949 sollte es zweimal drei Gruppen von insgesamt 180 eingeschossigen L-förmigen Gartenhäusern geben. Vorgesehen waren die Wohnungstypen »Berlin« und »Akademie« mit 1-Zimmer- Wohnungen (35,59 m2), »Warschau« mit 1½-Zimmer- Wohnungen |
Ansichtskarte vom Baumodell Weberwiese Rücktext: Wir rufen die ganze Nation zum Aufbau Berlins, weil wir an die Kraft des deutschen Volkes glauben, die Einheit Deutschlands zu erkämpfen | |||
(39,00 m2) sowie weitere 1 ½-, 2- und 2½-Zimmer- Wohnungen (bis zu 61,2 m2), außerdem Einfamilienhäuser mit 80 m2 Wohnfläche. Als Gemeinschaftseinrichtungen waren ein »Haus der Demokratie«, eine Schule, ein Kinderheim, ein Ambulatorium, Gaststätten und Ladenstraßen vorgesehen. Die ursprünglich strenge Südausrichtung wurde aufgegeben. Der erste Bauabschnitt sollte in traditionellem Mauerwerk aufgeführt werden.
Nachdem der Magistrat am 3. November 1949 | die »Heimstätte Berlin« als »Volkseigene Grundstücksverwaltung« unter Leitung von Karl Brockschmidt gegründet hatte, wurden ihr die Planungen des Institutes für Bauwesen für die »Wohnzelle Friedrichshain« zur Ausführung übergeben. Aus dem Entwurfskollektiv der »Heimstätte Berlin« entstand am 28. August 1952 der »VEB Bauprojektierung Groß-Berlin« unter Leitung von Ludmilla Herzenstein (1906-1994), die bis 1958 im Stadtplanungsamt des Magistrats tätig war. |
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Als im Januar 1950 die »Heimstätte Berlin« ihre Vorstellungen für die »Wohnzelle Friedrichshain« präsentierte, war schon erkennbar, dass Scharouns Idee nicht mehr gefragt war.
»Frankfurter« wird zur »Stalinallee« Im Rahmen eines von der SED organisierten Massenaufmarsches erhielt die Frankfurter Allee am 21. Dezember 1949, dem 70. Geburtstag J. W. Stalins (1879-1953), den Namen des Kreml-Chefs. Die im Zeichen des von der SED auf die Spitze getriebenen Personenkults um Stalin erfolgte Straßenumbenennung zeitigte direkte Folgen. Eine xbeliebige Bebauung der Stalinallee schied aus politisch- ideologischen Gründen fortan aus. Weitere Überlegungen wurden vorgebracht:
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Entsprechend ihrer Bedeutung soll die Stalin- Allee eine repräsentative Gestaltung erfahren, die einmal durch die Breite der Straße und durch die Höhe der Bebauung zum anderen die architektonische Komposition und Gestaltung der Baukörper zum Ausdruck kommen soll.«1)
Während ihres Aufenthaltes zu der Stalin- Jubelfeier am 21. Dezember 1949 in Moskau besprachen Walter Ulbricht (1893-1973) und Friedrich Ebert offenbar Fragen der städtebaulichen Gestaltung Berlins. Denn die Idee, sich dafür Inspirationen zu holen, dürfte hier geboren worden sein. Am 12. April 1950 reiste eine Regierungsdelegation unter Leitung des Ministers für Aufbau, Lothar Bolz (1903-1986), nach Moskau. Ihr gehörten an die Architekten Edmund Collein (1906-1992) und Kurt Liebknecht (1905-1994) sowie die Baufachleute Waldemar Alder (geb. 1906), Kurt Leucht (geb. 1903) und Walter Pisternik (1904-1990). Sie besuchte auch Kiew, Stalingrad und Leningrad. Ziel war das Studium der Theorie und der Praxis des Städtebaus in der UdSSR. »Immer wieder hörten wir«, schrieb Kurt Liebknecht, »daß es geradezu Unsinn wäre, alles das, was wir in der Sowjetunion gesehen und gehört hätten, mechanisch auf unsere Verhältnisse übertragen zu wollen.«2) Nach der Rückkehr begann man, die gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen umzusetzen. |
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Der mit dem Ersten Preis ausgezeichnete Stalinallee- Entwurf von Egon Hartmann |
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Das »Aufbaugesetz« von 1950
Die Diskussion über die Richtlinien für den allgemeinen Städtebau und für die Neugestaltung Berlins hatte bereits im Institut für Bauwesen (DAW) unter Leitung von Hans Scharoun eingesetzt. Jetzt wurde das Papier, das im April 1950 den sowjetischen Experten vorgelegt worden war, abgeschlossen. Es nannte sich »Grundsätze des Städtebaus« und wurde am 10. Juni 1950 verabschiedet. Hans Scharoun hatte seine Fixierung mitbestimmt. Der Ministerrat der DDR nahm es am 27. Juli 1950 an.3)
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Für Planung und Aufbau wurden die 16 »Grundsätze des Städtebaus« verbindlich. Außerdem wurde die dem Minister für Aufbau unterstellte Deutsche Bauakademie mit Sitz Berlin gegründet, die unter Leitung von Kurt Liebknecht am 8. Dezember 1950 feierlich eröffnet wurde.
Die Realisierung des im Aufbaugesetz vorgezeichneten neuen Leitbildes für Städtebau und Architektur begann in Berlin. Schon am 23. August 1950 hatten der DDR- Ministerrat und der Ostberliner Magistrat in einer gemeinsamen Sitzung »Grundsätze über die Neugestaltung der Berliner Innenstadt« bestätigt. Sie brachten die endgültige Abkehr von den Planungen der »Stadtlandschaft und der Bandstadt« für Berlin. Am 25. August 1950 stellte der Direktor des Instituts für Städtebau und Hochbau, Kurt Liebknecht, auf einer Pressekonferenz den »Aufbauplan für das Zentrum Berlins« vor. Danach sollte die Stalinallee über den Alexanderplatz und die Königstraße mit dem Lustgarten und der Straße Unter den Linden verbunden werden. Im Fünfjahrplan 1951-1955 waren 1,89 Milliarden Mark der DDR für den Aufbau des Berliner Stadtzentrums vorgesehen. Auf der Grundlage einer vom Magistrat am 18. Dezember 1950 verabschiedeten »Verordnung über den Aufbau Berlins (Aufbauverordnung)« wurde das Gebiet innerhalb des S-Bahn- Rings zum »Aufbaugebiet« erklärt. |
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Gleichzeitig wurden die Inanspruchnahme von Grund und Boden, einschließlich bebauter Grundstücke, sowie die Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen geregelt.
Fünf Preise im öffentlichen Wettbewerb Inzwischen waren die Bauarbeiten in Friedrichshain vorangekommen. Am 19. Juli 1950 - also am Vorabend des III. Parteitages der SED - nahm Oberbürgermeister Friedrich Ebert das Richtfest des ersten Laubenganghauses | fünfgeschossigen Laubenganghäuser an die Bauflucht der Allee gerückt und auf den Bau der »Einfamilienhausteppiche« verzichtet. Mit der Umplanung des Entwurfes für die »Wohnstadt Stalinallee Süd« zur Bebauung der Weberwiese wurden Anfang 1951 die Architekten Hermann Henselmann (1905-1995), Richard Paulick (1903-1979) und Hanns Hopp (1890-1971) von der Deutschen Bauakademie beauftragt. Ihre ersten Entwürfe wies der SED- Generalsekretär Walter Ulbricht, der die Stalinallee zu seiner »Chefsache« machte, zurück. | |||
des nun als »Wohnstadt Friedrichshain« bezeichneten Abschnittes an der Stalinallee vor. Innerhalb von acht Monaten wurde der erste Bauabschnitt so weit fertig gestellt, dass am 30. November 1950 die ersten 192 Wohnungen bezogen werden konnten; die restlichen 184 Wohnungen folgten zum Jahresende. Weitere 280 Wohnungen wurden im ersten Quartal 1951 den Mietern übergeben.
Ende 1950 war der entscheidende Bruch beim Projekt Stalinallee noch nicht vollzogen. Man hatte lediglich die beiden |
Die Deutsche Sporthalle, erbaut nach Plänen Richard Paulicks in 199 Tagen |
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Sie waren noch, wie die Laubenganghäuser an der Allee, der Bauhaustradition gefolgt, die in der damals von der Sowjetunion aufgezwungenen »Formalismus«- Debatte als »kosmopolitischer Ausdruck westlichen Bauens« diffamiert wurde.
Am 25. Juli 1951 veranstaltete die SED- Landesleitung Berlin eine Aussprache mit Architekten, an der Ulbricht und andere Mitglieder der SED- Führung teilnahmen. Es ging um die Frage, wie es mit den Wohnhäusern an der Stalinallee weitergehen soll. Auf den Architekten lastete ein großer politischer Druck. »Als Formalist bezeichnet zu werden war so ziemlich das Schlimmste, was einem als Architekt passieren konnte«, schrieb später Kurt Liebknecht. Resignativ fügte er hinzu: »Es wurde immer offensichtlicher, daß wir uns politisch bekennen mussten, denn wie sich täglich zeigte, wurden selbst Fachfragen zu Haltungsfragen.«4) Die Zeit drängte. In Vorbereitung der III. Weltfestpiele der Jugend und Studenten, die vom 5.-19. August 1951 in Ost-Berlin stattfanden, war auf der Nordseite der Stalinallee gegenüber dem Stalin- Denkmal (bis 1961!) zwischen Lebuser Straße und Koppenstraße in der Rekordzeit von 148 Tagen die als Repräsentativbau gedachte »Deutsche Sporthalle« hochgezogen und am 2. August 1951 ihrer Bestimmung übergeben worden. |
(Ihr früher Abriss aus statischen Gründen erfolgte 1971).
Hermann Henselmann entwarf das Hochhaus an der Weberwiese. Die Grube war bereits ausgeschachtet, bevor der Entwurf fertig war. Mit dem Bau wurde am 1. September 1951 begonnen. Das Richtfest fand am 19. Januar 1952 statt. Über dem Eingang wurden eigens dafür gedachte Worte von Bert Brecht angebracht. Am 1. Mai 1952 wurden die 33 Wohnungen mit einer Wohnfläche von je 65 m2 und einer Miete von 90 Pfennigen pro m2 an die neuen Mieter übergeben - 30 Arbeiter, ein Architekt, ein Lehrer und ein Volkspolizist. Das Hochhaus an der Weberwiese wurde zum »Symbol der neuen deutschen Architektur«. Dennoch lehnte das Politbüro der SED am 31. Januar 1951 das von Henselmann vorgestellte Wohnungsbauprojekt Stalinallee ab und beschloss die Ausschreibung eines öffentlichen Wettbewerbes. Der Magistrat übernahm die Angelegenheit. Bis 31. Juli 1951 wurden 43 Entwürfe eingereicht. Der übergroße Teil wurde wegen »formalistischer Tendenzen« verworfen. Schließlich vergab das vom Oberbürgermeister präsidierte Preisgericht nach langer Debatte am 5. September 1951 zwar fünf Preise an die Kollektive der Architekten Egon Hartmann (geb. 1919), Richard Paulick, Hanns Hopp, Karl Souradny (1904-1973 und Kurt Leucht. |
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Doch keiner der fünf Entwürfe erschien dem Preisgericht zur Ausführung geeignet. Egon Hartmanns Entwurf brachte die beste städtebauliche Lösung. Die fünf Preisträger erklärten sich bereit, gemeinsam aus ihren Entwürfen einen Gesamtplan zu entwickeln. Zu dieser Gruppe wurde Hermann Henselmann hinzugezogen.
Nach einer Klausur in Kienbaum bei Berlin entstand ein gemeinsamer Bebauungsplan, der nach Beratungen im SED- Politbüro am 16. November und 5. Dezember 1951 noch Korrekturen erfuhr. Auch der Chefarchitekt von Moskau Alexander W. Wlassow (1900-1962) sowie der Vizepräsident der Akademie für Architektur Sergej I. Tschernyschew (1881-1963) gaben Hinweise. »Nationales Aufbauprogramm Berlin« Am 25. November 1951 veröffentlichte das Zentralkomitee der SED den Aufruf »Für den Aufbau Berlins!«
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Außerdem sollte sie über eine Aufbaulotterie die »erheblichen Mittel und Materialien über den Plan hinaus« aufbringen.
Zur Organisierung des Vorhabens wurde ein »Komitee für den Neuaufbau der deutschen Hauptstadt« gebildet. Den Sonderbaustab leitete Alfred Lux. Zu seinen Aufgaben gehörten alle Vorbereitungsarbeiten und die operative Leitung des Baugeschehens sowie der Baubetriebe auf der Baustelle. Als Sonderbeauftragter für die Projektierung fungierte seit Januar 1952 Richard Paulick. Die benötigten 214 Grundstücke wurden entsprechend dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen. Am 2. Januar 1952 begann bei bitterer Kälte das Nationale Aufbauprogramm mit dem Einsatz von 45 000 freiwilligen Helfern an den Enttrümmerungsschwerpunkten. In der Ostberliner Bevölkerung fand die Aktion ein großes Echo. Die Aufbauhelfer leisteten 1952 über 4 Millionen Arbeitsstunden mit einem Geldwert von über 12,7 Millionen DM. Über 38 Millionen Ziegelsteine wurden aus dem Trümmerschutt geborgen und einer sofortigen Wiederverwendung zugeführt. Die Baustelle Am 2. Januar 1952 begann der Aushub für den Block E-Süd zwischen den schon fertigen Laubenganghäusern am U-Bahnhof Weberwiese. |
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Hier nahm Ministerpräsident Otto Grotewohl (1894-1964) am 3. Februar 1952 die Grundsteinlegung für den gesamten Straßenzug vor.
Im Jahre 1952 war der Bau von zwölf 100 bis 300 Meter langen und sieben- bis neungeschossigen Wohnblocks mit 2 236 Wohnungen und über 1,1 Millionen m3 umbauten Raums geplant. Die Wohnhäuser mit überwiegend Zwei- und Drei-Raum- Wohnungen wurden mit Bädern, Fernheizung und Aufzügen ausgestattet. Im Erdgeschoss und teilweise auch im ersten Obergeschoss wurden Geschäfte und Gaststätten eingerichtet. Der gesamte Straßenzug wurde auf 90 Meter verbreitert und durch mehrere Baumreihen und Grünflächen aufgelockert. Die meisten Wohngebäude wurden in Mauerwerksbau ausgeführt. Es wurden auch 200 000 m2 industriell gefertigte Deckenelemente verlegt. Als erster Versuchsbau wurde der Block C-Nord als Stahlbetonskelettbau in Montagebauweise ausgeführt. Bis zum Jahreswechsel 1952 wurden die Blöcke C-Süd und E-Süd fertig gestellt und von den Mietern freudig bezogen. So entstanden 1952/53 insgesamt 2 129 Wohnungen. Die Stalinallee war längst zu einem Politikum ersten Ranges, zu einem Vorzeigestück für die »Überlegenheit des Sozialismus« geworden. Der Druck, der auf den Projektanten und Baufachleuten lastete, war enorm. Anfangs war es so, dass der Aushub der Baugruben schon begann, als die Objektplanung noch gar nicht abgeschlossen war. |
Auch der Druck auf die Berliner, besonders in den Betrieben und Verwaltungen, sich zu noch mehr »Halbschichten« zu verpflichten, nahm zu. SED- und Gewerkschaftsfunktionäre bedrängten die Bauarbeiter, nach dem Beispiel des Bergmanns Adolf Hennecke (1905-1975) ihre Arbeitsleistungen zu erhöhen, und drehten an der Normschraube. So kam es, dass der allgemeine Unmut über die Lebensverhältnisse im »Arbeiter- und-Bauern- Staat« am 16./17. Juni 1953 in der Stalinallee zur Explosion kam.
Nachdem die meisten der Wohnblöcke zwischen Strausberger Platz und Weberwiese bis 1952/53 im Rohbau fertig gestellt oder von den Mietern schon bezogen worden waren, verringerte sich das Bautempo. Mit den Gebäuden am Frankfurter Tor, den letzten Wohnblöcken bis zur Proskauer Straße und der so genannten Komplettierung im Bereich links und rechts neben der Stalinallee kamen die Arbeiten 1956-1958 zum Abschluss. Längstes Architekturdenkmal der Republik Der 1850 Meter lange Abschnitt der Stalinallee vom Strausberger Platz bis zur Proskauer Straße wurde seinerzeit als »erste sozialistische Straße auf deutschem Boden« gepriesen. Man wertete ihn als Ausdruck sozialistischer Architektur, als Bekenntnis zu nationalen Bautraditionen, insbesondere als Anlehnung an Vorbilder des Berliner Klassizismus, und generell als Symbol einer friedlichen und planmäßigen Aufbauarbeit unter Führung der »Partei der Arbeiterklasse.« |
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Diese überschwängliche Bewertung in der frühen DDR hing damit zusammen, dass die Stalinallee von Anfang an zu einem Objekt der Ost-West- Auseinandersetzung oder - wie es in der DDR hieß - des ideologischen Klassenkampfes geworden war. Es war nicht nur das Wagnis, den Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte nach »sozialistischen« Prinzipien, also in schroffer Zurückweisung amerikanischer Einflüsse und westlicher Planungskonzeptionen, in Angriff zu nehmen, mehr noch kreidete man der SED eine vermeintliche Übernahme des »sozialistischen Realismus« im sowjetischen Städtebau an. Da war von Protzbauten, und »lebloser Gigantomanie«, später allgemein vom »Zuckerbäckerstil« die Rede. Aber sowohl der Auftraggeber als auch die Vollstrecker fühlten sich in der Planungs- und Bauphase allein »nationalen, klassizistischen und fortschrittlichen« Bautraditionen verpflichtet. Jahrzehnte später befragt, sagte Hermann Henselmann selbst zum wichtigsten Werk seines Architektenlebens, er würde heute zwar nicht mehr so bauen, doch hätte die Stalinallee »dieser Zeit und unseren Träumen damals entsprochen«.6)
Inzwischen sind mit dem Wandel des Zeitgeistes die kritischen Stimmen leiser geworden. Schließlich steht die Karl-Marx- Allee mit ihrem Kernstück »Stalinallee« und ihrem zweiten, wieder deutlicher von der Bauhaustradition geprägten Abschnitt zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz (1959-1965) unter Denkmalschutz. |
Begonnen hatte alles nach 1945 mit einer am sozialen Wohnungsbau der 20er Jahre orientierten »Wohnzelle Friedrichshain.« Heute sind die meisten Wohngebäude der Karl-Marx- Allee mit viel Liebe und Können denkmalpflegerisch saniert.
Wenn die Magistrale nach 1990 noch immer nicht ihre einstige Funktion zurückgewonnen hat, so kann man dafür die Schöpfer dieses einmaligen städtebaulich- architektonischen Ensembles von internationalem Gewicht nicht verantwortlich machen. Quellen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
www.berlinische-monatsschrift.de