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Helmut Caspar
Das Tor und die Quadriga

Der nach alten Vorlagen wiederhergestellte Bildschmuck wurde 1958 aufgestellt

Das Brandenburger Tor in Berlin ist seit 200 Jahren das Schicksalstor der Deutschen. Durch den klassizistischen Säulenbau ritten Kaiser und Könige in die Stadt, hier empfing und empfängt man Staatsgäste, hier fanden aber auch Fackelzüge der Nazis wie der am 30. Januar 1933 zu Beginn der Hitlerdiktatur statt. Ende des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt, wurde das Tor am Pariser Platz zum Symbol der deutschen Teilung. Vor dem Brandenburger Tor zogen am 13. August 1961 Grenztruppen der DDR auf, der Westen sah der Abriegelung der Stadt tatenlos zu. Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 wurde das Brandenburger Tor am 22. Dezember 1989 offiziell wieder geöffnet und stand gleich darauf in der Neujahrsnacht im Mittelpunkt eines großen Freudenfestes, bei dem auch die von Johann Gottfried Schadow geschaffene Quadriga beschädigt wurde.
     Das einzig noch erhaltene Stadttor Berlins, errichtet nach griechischem Vorbild zwischen 1789 und 1791 nach Plänen von Carl Gotthard Langhans, erhielt erst 1794 seinen bekrönenden Schmuck - die überlebensgroße geflügelte

Friedensgöttin Eirene als Lenkerin eines mit von vier prächtigen Rössern gezogenen Wagens. Langhans hatte das klassizistische Tor mit seinen fünf Durchfahrten, den dorischen Säulen und der reliefgeschmückten Attika sowie Skulpturen des Kriegsgottes Mars, der das Schwert in die Scheide steckt, und der Minerva, der Göttin der Künste und Herrin des Handwerks, an Stelle eines bescheidenen barocken Vorgängerbaues als Abschluss der Prachtstraße Unter den Linden entworfen.
     Schadow legte großen Wert auf eine lebenswahre Wiedergabe der Pferde und betrieb im königlichen Marstall intensive Studien. In Potsdam wurde die Figurengruppe vom Kupferschmied Jury gefertigt. Die Monumentalplastik konnte wegen des hohen Gewichts nicht gegossen werden. Das millimeterdünne Kupferblech wurde daher auf einem Holzmodell gearbeitet und über ein Eisengerippe montiert. Die ursprünglich vorgesehene Vergoldung unterblieb aus Kostengründen. Ursprünglich war die Wagenlenkerin nackt. Da das aber als anstößig empfunden wurde, musste ihr ein Kupferhemd übergestülpt werden.
     Johann Gottfried Schadow und andere Berliner mussten 1806 miterleben, wie Kaiser Napoleon I., der Sieger der Schlacht von Jena und Auerstedt, durchs Brandenburger Tor zog und kurz darauf die Demontage der Quadriga befahl, wobei die Besatzer die inständigen Bitten des Bildhauers ignorierten, im Interesse der wegen des dünnen Blechs empfindlichen Figurengruppe auf den Abbau zu verzichten.
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In Paris wollte Napoleon die Quadriga auf einem Triumphbogen aufstellen, kam aber nicht dazu. Erst nach der Niederlage Napoleons I. 1813 und dem Einmarsch der Verbündeten in Paris 1814 konnte der Torschmuck wieder die Heimreise antreten. Die Berliner hatten die Entführung der Plastik immer als empörend empfunden, der leere Dorn aus Eisen, an dem die Quadriga auf dem Die Friedensgöttin Eirene, die von Langhans und Schadow als Schmuck des als Friedenstor geplanten Säulenbaues konzipiert worden war, wurde durch Montage des von Friedrich Wilhelm III. 1813 gestifteten und von Karl Friedrich Schinkel gestalteten Eisernen Kreuzes nach den siegreichen Befreiungskriegen in eine Viktoria verwandelt.
Brandenburger Tor befestigt war, war für sie wie ein Pfahl im Fleische und ständige Aufforderung, die Rückkehr des Bildwerks zu fordern.
     Am 7. August 1814, als Preußens König Friedrich Wilhelm III. durch das Brandenburger Tor in die Hauptstadt einritt, prangte die Quadriga zur Freude der Berliner wieder am alten Ort. Die Heimkehr wurde von Christian Daniel Rauch am Sockel des Blücherdenkmals Unter den Linden dargestellt. Auch auf einer der Terrakottatafeln am Roten Rathaus in Berlin wird gezeigt, wie die Quadriga auf Rollen in Richtung Berlin gezogen wird. In Wirklichkeit kam das Bildwerk, in 15 Kisten verpackt, mit sechs schweren Frachtwagen nach Berlin zurück, begleitet von Glockengeläut und Segenssprüchen.

Im September 1958 wurde die in der Steglitzer Bildgiesserei Noack nachgegossene Quadriga auf dem Brandenburger Tor montiert
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     Im Frühjahr 1945 wurde die Quadriga bei den letzten Kämpfen in der Reichshauptstadt fast vollständig zerstört. Jahrelang bedeckte ein trauriger Rest aus zerschossenem Kupferblech und gekrümmten Eisenstangen das Brandenburger Tor. Von dem Schrotthaufen hat sich nur ein originaler Pferdekopf im Märkischen Museum erhalten.
     Bereits 1946 wurde erwogen, Schadows zerstörtes Meisterwerk durch eine neue Figurengruppe zu ersetzen, mit der der Wiederaufbau Berlins symbolisiert werden sollte. Gedacht wurde an eine Mutter mit Kind, es gab auch den kuriosen Vorschlag, das Tor mit einer Weltkugel oder der riesigen Berolinafigur, die früher auf dem Alexanderplatz gestanden hatte, zu schmücken. Es verdient festgehalten zu werden, dass die Friedensgöttin im ersten Entwurf von Schadow noch einen Stab hielt, an dessen Ende ein Helm und Brustpanzer befestigt waren. Da aber die Berliner diesen Schmuck als Laterne verulkten, wurde er durch einen Eichenkranz mit darüber schwebendem Adler ersetzt, in den 1814 das Eiserne Kreuz eingesetzt wurde. BR>     Ende 1949 beschloss der Ostberliner Magistrat, das Tor restaurieren zu lassen sowie die beschädigte Quadriga abzubauen und durch eine Nachbildung zu ersetzen. Die Maßnahmen wurden hüben und drüben mit heftigen Attacken auf die jeweils andere Seite begleitet, denn inzwischen war der Kalte Krieg in vollem Gange.
Nach dem Abbau der Quadriga wurde auf dem Brandenburger Tor die rote Fahne gehisst, womit auch Alleinvertretungsansprüche weithin kund getan wurde. Bemerkenswert ist, dass das Tor in den fünfziger Jahren - wohl vor allem ob seines umstrittenen Symbolgehalts - weder im Osten noch im Westen Thema für bildende Künstler gewesen ist, so wie noch für Konrad Felixmüller im Jahre 1948 (siehe Titel BM 12/2000). Die Zeichnung Oskar Nerlingers aus dem Jahre 1952 (Titel) blieb die seltene Ausnahme. Dessen ungeachtet entwickelte sich die Wiederherstellung des Tores und seines Bildschmucks zu einer der wenigen Gesamtberliner Angelegenheiten, denn die Ostberliner Seite übernahm die Arbeiten am Säulenbau, während der Westberliner Senat die Quadriga von der in Steglitz ansässigen Bildgießerei Hermann Noack nach Gipsabformungen fertigen ließ, die 1943 abgenommen worden waren. Der Präsident der Ostberliner Akademie der Künste Otto Nagel hatte 1956 an den Westberliner Akademiepräsidenten Hans Scharoun geschrieben, die Angelegenheit als eine gemeinsame Berliner Tradition in die Hand zu nehmen.
     Heftige Diskussionen gab es über das Eiserne Kreuz, das 1814 in den Eichenkranz an der von der geflügelten Göttin gehaltenen Stange eingefügt wurde.
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Unmittelbar vor der Aufstellung der Quadriga wurde die von Karl Friedrich Schinkel entworfene Auszeichnung aus den Befreiungskriegen entfernt, auch der gekrönte Adler wurde abgesägt. Angeblich war die Maßnahme von Bürgern in beiden Teilen der Stadt gefordert worden, behauptete die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung in einem Beschluss vom 15. September 1958, der den Preußenadler und das Eiserne Kreuz als Sinnbilder des preußisch- deutschen Militarismus bezeichnet. In der Zeitung »Die Welt« vom 16. 9. 1958 wurden in Zeichnungen sarkastisch als »Ostberliner Entwürfe« Ersatzlösungen für die entfernten Embleme vorgestellt, etwa Adler mit Sowjetstern, Friedenstaube an Stelle des als Pleitegeier verunglimpften Adlers oder Hammer und Sichel beziehungsweise Sowjetstern für das Eiserne Kreuz. Natürlich wurde nichts dergleichen realisiert, und so blieb der Kranz an der Stange bis 1991 leer.
     Das Tor wurde nach dem Mauerbau 1961, je nach politischem Standort, als Monument der Teilung instrumentalisiert beziehungsweise auf östlicher Seite als Bollwerk des Friedens an der Trennlinie zwischen den verfeindeten Lagern vorgeführt. Der Forderung des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 12. Juni 1987 an den sowjetischen Staats- und Parteichef »Mr. Gorbatschow, open this gate!« folgte zwei Jahre später nach der friedlichen Revolution in der DDR tatsächlich die erlösende Tat. Das Brandenburger Tor hatte sich 1989 von einem Symbol der Teilung erneut in das Symbol der Einheit verwandelt.
     Kreuz und Krone kamen bei der Generalrestaurierung der Quadriga nach den wilden Attacken während der Silvesterfeier am Jahreswechsel von 1989 auf 1990 wieder zurück. Die Restaurierungsarbeiten im Berliner Museum für Verkehr und Technik konnten 1991, zur Zweihundertjahrfeier der Eröffnung des Brandenburger Tores, abgeschlossen werden. Dabei wurde das marode Eisengerüst durch eine Konstruktion aus nichtrostendem Stahl ersetzt. Von Vandalen abgerissene Teile wie Blätter und Zaumzeug haben die Metallrestauratoren durch Kopien ersetzt. 1991 unterblieb eine Reinigung des Brandenburger Tores, die jetzt nachgeholt wird. Dabei wird Schadows Pferdegruppe ausgespart, weil sie konservatorische Hilfe nicht benötigt. Der stark angegriffene Sandstein des Brandenburger Tores hingegen, der wie ein Flickenteppich aussieht, wird mit einem mobilen Laserreinigungsgerät Millimeter für Millimeter aufgefrischt und konserviert (siehe BM 2/2001), sodass sich das Bauwerk im Jahr 2002 in ungewohnt heller Farbe zeigen wird und sich damit der »bleichen« Fassung nähert, die man vor über 200 Jahren anstrebte, als man hellen Marmor zu imitieren versuchte.

Bildquelle: Archiv für Kunst und Geschichte

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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