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Wasser, Wald und Wissenschaft

Barbara Zibler und Claus-Dieter Sprink über den neuen Südostbezirk

Berlin verändert sein Gesicht und auch seine Verwaltungsstruktur. Aus dreiundzwanzig Stadtbezirken werden zwölf. So sah es das Gebietsreformgesetz vom 10. Juni 1998 vor und so gewinnt es seit dem 1. Januar 2001 Realität. Was seit dem 1. Oktober 1920 der Stadt eine »innere Ordnung« gab, verändert in den siebziger und achtziger Jahren nur durch die drei neuen Großsiedlungsbezirke Hohenschönhausen, Marzahn und Hellersdorf, ist nun perdu. Langjährige Leiter von Heimatmuseen der Stadtbezirke erleben diese Schnitte in die Berliner Seele ganz aus der Nähe mit. Allein Neukölln, Reinickendorf und auch Spandau bleiben in der bisherigen Gestalt. Die Gesprächspartner diesmal: Claus-Dieter Sprink (Köpenick) und Barbara Zibler (Treptow)

Bekanntlich identifizieren sich die Berliner vor allem mit ihrem Kiez, erst in zweiter Linie mit dem Bezirk und der Gesamtstadt. In vielen Stadtbezirken gab es heftige Diskussionen um die amtlichen Zusammenlegungen mit bisherigen Nachbarn, mancherorts halten sie selbst nach Vollzug noch an. Wie war das in Köpenick und Treptow?

     Barbara Zibler: Bei uns sah man das nicht so sehr emotional. Der bisherige Bezirk Treptow gliederte sich in acht Ortsteile - nämlich Adlershof, Altglienicke, Bohnsdorf, Baumschulenweg, Johannisthal, Niederschöneweide, Plänterwald und natürlich den nördlichsten - Treptow selbst. Er reichte - wie Nachbarbezirk Neukölln - seit den Flächenausgliederungen von 1938 als »schmales Handtuch« vom historischen Stadtrand Berlins bis weit in den einstigen Landkreis Teltow. Die Einwohner all dieser ehemaligen Dörfer und städtischen Siedlungen haben ein ganz starkes Kiez- und Lokalbewußtsein, und daran wird auch der neue Großbezirk nichts ändern, das wird weiter als Gefühl bleiben. Hier war sowieso von Anfang an klar, dass wir nicht zu Neukölln kommen werden, mit dem wir 17 Kilometer Stadtbezirksgrenze (früher Mauer) gemeinsam haben. Neukölln ist mit rund 300 000 Einwohnern für sich selbst groß genug.
     Natürlich wird unser Großbezirk - es ist flächenmäßig der größte aller zwölf neuen Bezirke - das Problem der langen Wege haben. Unsere Bürger hoffen, dass die künftigen Bürgerbüros dem abhelfen. Immerhin misst die Luftlinie von der Lohmühlenstraße am Landwehrkanal bis zur Stadtgrenze am Ortsrand von Gosen (Landkreis Oder-Spree) hinter Müggelheim oder bis zum südlichsten Straßenzug Berlins, dem Moßkopfring in Rauchfangswerder- Süd rund 25 Kilometer, und das von Schöneweide bis Schmöckwitz führende Adlergestell ist eine der längsten Straßen der Stadt.
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     Claus-Dieter Sprink: Dem Köpenicker ist es relativ egal, dass er nun mit Treptow fusioniert wird. Das war 1920, als Köpenick über Nacht der 16. Verwaltungsbezirk Berlins wurde, ganz anders, hatte eine andere Dimension. Die bisher selbständige Stadt Köpenick hörte in den Augen vieler Köpenicker auf zu existieren. Es war damals tatsächlich so, daß sich der Bürgermeister wenige Tage vor dem 1. Oktober 1920 (Vollzugstag!) unter Tränen von der fast 800- jährigen Geschichte der »alten Wendenstadt Cöpenick« verabschiedet hat. Das hat man damals wirklich als Katastrophe empfunden. Heute sind damit nur wenige zu beeindrucken, weil sich unter den
Barbara Zibler vor dem neuen 1 : 6 Modell der Rumpler- Taube von 1912/13, Ständige Sammlung des Heimatmuseums Treptow
Köpenickern während der letzten 80 Jahre ein starkes Kietzbewußtsein (mit tz) entwickelt und erhalten hat. (Unser schon viele Jahrhunderte bestehender ursprünglicher Köpenicker Fischerkietz schreibt sich nach wie vor so!). Dieses Bewußtsein ist letztendlich ein Beweis dafür, dass Tradition, Verwurzelung mit dem, womit man zusammengehört, festere Bindungen erzeugt als ein nüchterner Verwaltungsbeschluss. Der hörbarste Beweis dafür ist, dass die Köpenicker wie die Friedrichshagener oder die Grünauer immer noch »nach Berlin« fahren, wenn sie sich dem Zentrum der Großstadt nähern. Andererseits fahren die Friedrichshagener »nach Köpenick«. Das wird jetzt schon an die nächstfolgende Generation weitergegeben. Darin zeigen sich auch ausgeprägte Bindungen an die Ortsteile des bisherigen Bezirks wie etwa Müggelheim, Rahnsdorf oder Schmöckwitz, die ja auch alle eine mehrhundertjährige eigene, oft spannende Geschichte haben.
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Was hat Ihr Bezirk im 20. Jahrhundert für die Entwicklung Berlins bedeutet, welche Traditionen sind mit ihm verbunden?

     Claus-Dieter Sprink: Für Köpenick sehe ich die Frage falsch gestellt. Sie muss eher heißen: Was hat die Berliner bewogen, Köpenick ins Berliner Stadtgebiet zu holen? Denn Köpenicks Weg nach Berlin stand überhaupt nicht zur Debatte. Die alte Stadt wollte am Beginn des 20. Jahrhunderts die »Zentrale des Ostens« weit vor Berlin werden. Das war bei gerade mal gut 25 000 Einwohnern als Weg und Ziel gedacht. Die Köpenicker Honoratioren haben bei diesem sehr ausgeprägten Lokalpatriotismus unterschätzt, dass gerade bei der mächtig expandierenden Infrastruktur (Verkehrswesen, Nachrichtentechnik) die Kleinstadt an Spree und Dahme allein viel zu schwach gewesen wäre. Eines der wichtigsten Berliner Motive für die Eingemeindung Köpenicks war aber ganz sicher der Wert der Region als Erholungsort und Ausflugszentrum. Schon seit 1866 steuerten hauptstädtische Ausflugsdampfer Köpenick an, die Eisenbahn hatte hier vor Jahrhundertbeginn als Personentransportmittel nur periphere Bedeutung. Über die Spree war es billiger. Köpenick wurde 1920 von Berlins 20 Bezirken der flächenmäßig größte, besaß die größten zusammenhängenden Wald- und Wasserlandschaften, die geringste Zersiedelung und Bevölkerungsdichte. Er war auch als zukünftiger bevorzugter Wohnort und als Erweiterungsfläche für die Zwecke der Reichshauptstadt anzusehen.

Interessanterweise ist diese Entwicklung sowie der Ausbau als Industriezentrum im Südosten mit Ausnahme der Kriegszeit bis Ende der achtziger Jahre fortgeführt worden. »Jedem eine Wohnung im Grünen« war ein Leitmotiv der zwanziger Jahre. Damals entstanden beispielsweise die ersten Wohnbauten im Kietzer Feld sowie nördlich des Bahnhofs Köpenick, darunter die Siedlungen im Elsengrund und Uhlenhorst. So hat sich die Bevölkerung von 1924 (63 019 Einwohner) bis 1939 (120 446 Einwohner) fast verdoppelt. Die in Elsengrund während der zwanziger und frühen dreißiger Jahre gebauten Wohnungen gehörten zu den komfortabelsten und trotzdem bezahlbaren ganz Berlins.
     Köpenick besaß entlang Spree und Dahme die größte zusammenhängende Industriezone des Berliner Ostens, überwiegend Elektrotechnik/ Elektronik, aber auch Schiffbau, Fotofilmherstellung(Kodak) und den traditionellen Wäschereistandort Spindlersfeld. In Oberschöneweide arbeiteten 1989 rund 25 000Menschen. Dort befand sich auch die Zentrale des DDR- Rundfunks.
     Die überregionale sportliche Bedeutung des Bezirks wurde vor allem durch fast 150 Jahre Wasssersporttradition ausgeprägt. Höhepunkt waren zweifellos die olympischen Ruderwettbewerbe vom 7.-16. August 1936 auf der Grünauer Regattastrecke. Der Müggelsee ist bekanntlich mit seinen 760 ha Wasserfläche nicht nur Berlins größtes Binnengewässer, sondern aus der Perspektive von Wassersportlern und vielen anderen Besuchern auch eines der beliebtesten.
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Das nach einem Brand 1929/30 mit einem großzügigen Terrassengebäude ausgestattete Strandbad Müggelsee erfreut sich ungebrochenen Andrangs. Immerhin ist der Segler des Jahrhunderts, Joachim Schürmann, am Müggelsee groß geworden. Und in jüngster Zeit macht auch »Eisern Union«, der 1906 gegründete Fußball- Traditionsklub, mit seinem Platz an der Alten Försterei wieder Aufsehen.
     Barbara Zibler: Die kleine Landgemeinde Johannisthal strebte zunächst um die Jahrhundertwende als Ausflugsort den Titel Kurbad an und nannte sich »Bad Johannisthal«. Aber das war nach 1908 vorbei, denn im Jahre 1909 ist zwischen Johannisthal und Adlershof der erste Motorflugplatz Deutschlands gegründet worden. Er wurde sofort Anziehungspunkt für Flugenthusiasten aus aller Welt. Ringsherum entstand eine neue Industrie, die Zubehörteile, Klavierdraht und Leinenstoff für die Bespannung, Zellonlack für die wetterfeste Versiegelung, dazu Hartholz und Bambus lieferte. Firmen wie Focke-Wulf, Rumpler und Albatros waren damals in aller Munde, auch die Luftverkehrsgesellschaft LVG, die ebenfalls selbst gebaut hat. Von Beginn an entwickelte sich der Flugplatz als Innovationszentrum für Technik und Wissenschaft. Bei den regelmäßigen Flugschauen war Publikumsbetrieb wie auf einer Rennbahn. Schäden kamen häufig vor, die Technik war längst noch nicht ausgereift.

Claus-Dieter Sprink beim Ausstellungskapitel »18. Jahrhundert, Spinnen und Weben«. Ständige Ausstellung des Heimatmuseums Köpenick

Schon ab 1910/11 interessierte sich das Militär für die Fliegerei. Damit war sozusagen die Unschuld der Flieger vorbei, sie übten Zielabwürfe von Zylindern, Kunstflug als Element des Luftkampfes.

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Ein Ingenieur Schneider erfand das synchronisierte Maschinengewehr, mit dem der Pilot durch den Propeller schießen konnte. Schon 1911 wurde die zunächst zivile »Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt« (DVL) gegründet, die Aufträge kamen vom Militär, das 1914 auch den Platz übernahm. Die hier erprobten und gebauten Maschinen wurden über den neuen Gleisanschluß per Bahn direkt an die Front transportiert.
     Nachdem nach 1918 nur Sportfliegerei betrieben wurde und der Verkehrsflug in Tempelhof seine Heimat fand, kam in der Nazizeit mit der Kriegsvorbereitung die Luftwaffe zurück. In einem starken Bauschub entstanden zum Beispiel der große Windkanal, zwei Motorenprüfstände und der damals hochmoderne Trudelwindkanal. Von 1945 bis etwa 1953 wurde der Flugplatz Johannisthal von der Roten Armee genutzt.
     Schon seit den zwanziger Jahren waren große Teile des Platzes von der Filmindustrie besetzt, Jofa und Tobis produzierten hier, um 1940 wurde für die deutsche Titanic- Verfilmung extra ein Wasserbecken gebaut. Nach 1945 arbeitete das DEFA- Kopierwerk Johannisthal und das Synchronstudio auf dem Gelände, und es entstanden in Adlershof die Institute der Akademie der Wissenschaften mit den naturwissenschaftlich- technischen Instituten, aber auch die Kasernen des Wachregiments »Feliks Dzierczynski«. Ab Dezember 1952 sendete der Deutsche Fernsehfunk aus Adlershof.
Auf der Treptower Spreeseite befand sich das zweitgrößte Industriegebiet des Berliner Ostens, bekannte Betriebe waren EAW, BMHW, Kabelwerk Adlershof, Mansfeld- Kombinat und der Spezialfahrzeugbau Adlershof. Noch heute gibt es das Pharmazie- Unternehmen Berlin- Chemie. Aus dem Betrieb »Bärensiegel« (Adlershofer Wodka!) wurde das Alkohol Handelskontor Ost GmbH. WSSB, das Werk für Signal und Sicherungstechnik der Deutschen Reichsbahn ist heute Siemens- Betrieb.
     Für Treptow war noch vor der Jahrhundertwende die Gewerbeausstellung 1896 - die verhinderte Weltausstellung - mit ihren 4 000 deutschen Industrieausstellern bedeutendster Entwicklungsschub. Der Magistrat hatte sich in einer politischen Entscheidung für den Berliner Osten als Standort entschieden, obwohl zunächst Witzleben zur Diskussion stand. Damals entstanden gepflasterte Straßen, Kanalisation und Straßenbeleuchtung, auch der zweite Treptower Bahnsteig der noch dampfbetriebenen Ringbahn, deren Züge im Drei-Minuten- Takt fuhren. Eine Straßenbahnlinie von Zoo nach Treptow wurde gebaut. Der Spreetunnel Treptow- Stralau ist leider nicht rechtzeitig fertig geworden. Auch die heute zu Kreuzberg- Friedrichshain gehörende Oberbaumbrücke war als Ausstellungszufahrt geplant.
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Dort, wo schon fast hundert Jahre am Park Wohngebäude stehen, befanden sich in der Ausstellung die Pyramiden von Klein- Kairo. Da laut Magistratsbeschluß sämtliche Ausstellungsbauten wieder abgerissen werden mussten, um den Naturzustand des Volksparks zurückzugewinnen, erinnert nur noch das größte Linsenfernrohr der Welt an die Schau. Die Sternwarte selber war abgebrannt, das anschließende Provisorium hat mit immer neuen Genehmigungen 100 Jahre überdauert. Treptows so geretteter Volkspark an der Spree ist der drittgrößte Berlins geblieben. Schade nur, dass auch das vom Verein zur Geschichte Berlins massiv errichtete »Alt Berlin« am Karpfenteich damals ebenfalls abgerissen wurde und nicht als lebendige Ministadt und Touristenattraktion bleiben durfte. Der große Spreehafen am Park ist ein wichtiger Ausgangspunkt der Personenschifffahrt. Von den einstmals weit über 100 Ausflugsgaststätten am Treptower Ufer (»...hier können Familien Kaffee kochen!«) blieb nur »Zenner«, das einzeln stehende Gebäude ist 1954 aus der Ruine wieder aufgebaut worden. Am Eierhäuschen tummelten sich zu Jahrhundertbeginn die Segel- und Ruderklubs, die frühere Abteiinsel mit Gaststätte im Stile einer schottischen Abtei wurde nach 1945 mit einer Jugendfreizeiteinrichtung zur Insel der Jugend. Ende der achtziger Jahre fanden hier große Jugendkonzerte statt, Joe Cocker und Bob Dillon traten vor großem Publikum im Park auf. Im Jahre 1900 erfolgte der erste Spatenstich zum Bau des Teltowkanals. 1906 wurde diese südliche Umgehung Berlins eingeweiht, 1945 von Munition geräumt und wiedereröffnet, 1961 gesperrt, ab 1978 bis Britzer Zweigkanal in Teilen erneut eröffnet, im Jahre 2000 nach gründlicher Erneuerung wieder in voller Länge befahrbar.
     Von Treptows Wohnbauten ist vor allem die Falkenberger Gartenstadt »Tuschkastensiedlung« mit ihren restaurierten Originalfarbanstrichen ein architekturhistorisch interessantes Gebäudeensemble. Es wurde in den späten zwanziger Jahren von Bruno Taut entworfen.

Was hat sich im Bezirk seit der Wiedervereinigung der Stadt verändert?

     Barbara Zibler: Zunächst gab es einen erschreckenden Niedergang der Industrie, verbunden mit dem entsprechenden Verlust von Arbeitsplätzen. Das war ein gravierender Einschnitt. Die produzierende Betriebe lassen sich seitdem an einer Hand abzählen. Mit dem Abriss der Mauer sind alle Verkehrsanbindungen in Richtung Neukölln und Kreuzberg erneuert worden, darunter die Brücke über den Teltowkanal und die Streckenneubauten zur Wiederinbetriebnahme des S-Bahn- Südrings. Das waren auf Grund unserer geografischen Lage wesentlich mehr Verkehrsbauten als in anderen Berliner Bezirken. Durch die umfassende Rekonstruktion und viele Neubauten hat sich die Wohnqualität in weiten Bereichen stark erhöht, in Altglienicke entstand ein großes Neubaugebiet.

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Deutlich verbessert hat sich auch die Treptower Luft und die Wassergüte der Spree, in der man sogar wieder baden kann. Der Aufbau der Wissenschaftsstadt Adlershof brachte und bringt neue hochwertige Arbeitsplätze, ist von überregionaler Bedeutung. Eine sehr große Bereicherung ist dabei der neue Campus der HumboldtUniversität für die mathematisch- naturwissenschaftlichen Zweige. Adlershof wird so erstmals zur Studentenstadt. Der »Treptower« ist eines der höchsten Gebäude Berlins, und als neues Wahrzeichen stehen daneben die drei Molecul- Mans im Wasser auf Treptower Gebiet für die drei Bezirke Kreuzberg, Treptow und Friedrichshain an den Ufern der Spree.
     Claus-Dieter Sprink: Auch bei uns sind bedeutende infrastrukturelle Verbesserungen auf nahezu allen Gebieten des täglichen Lebens eingetreten, wie zum Beispiel bedeutetende Kanalisationsvorhaben in den Siedlungsgebieten bzw. Ortsteilen Wilhelmshagen, Hessenwinkel und Müggelheim.
     Parallel zum Ausbau des Straßennetzes vervielfachte sich das Verkehrsaufkommen mit den entsprechenden Problemen. Die im Rahmen des Programms städtebaulicher Denkmalsschutz eingesetzten Mittel ermöglichten erstmals seit Jahrzehnten den Erhalt ganzer städtebaulicher Ensembles wie etwa der historischen Friedrichshagener Bölschestraße mit ihrer über 200- jährigen Baugeschichte.
Wert und Vielfalt dieser Architektur werden erst durch die schrittweise Restaurierung wieder erlebbar.
     Auch der Köpenicker Kietz konnte so erneuert werden. Die gegenwärtig laufende Restaurierung des Schlosses Köpenick und die für 2002 geplante Wiedereröffnung als Museum für Europäische Raumkunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist über Berlin hinaus wichtig. Als ältestes existierendes Berliner Barockschloß liegt es von seiner Bedeutung auf Platz zwei hinter der Museumsinsel, was sicher auch den enormen Bauaufwand (in dreistelliger Millionenhöhe) rechtfertigt.
     Leider war die politische Wende von 1989 nicht nur mit positiven Ereignissen und Entwicklungen verbunden. Das betrifft in unserem Bezirk sowohl den Niedergang des Industriegebietes Oberschöneweide als auch das bisher nicht zum Stillstand gekommene Gaststättensterben, vor allem der Großgaststätten. Durch die bedauerliche Schließung vieler Ausflugslokale leidet die mit viel Aufwand bewahrte Attraktivität der Naherholungslandschaft des Bezirkes beträchtlich. Dazu haben veränderte Verkehrsströme, verändertes Freizeitverhalten sowie eine nicht an den kleinen Geldbörsen orientierte Preisgestaltung beigetragen. Köpenicks bleibender Wert als beliebter Wohnstandort hat sich dagegen erneut bestätigt, denn die Einwohnerzahl erhöhte sich entgegen der vorherrschenden Tendenz im Osten Berlins von 111 304 (1989) auf etwa 116 000 (2000).
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Die Zukunft der Köpenicker Altstadt wird davon abhängen, ob es gelingt, aus Einzelinteressen gemeinsame Ziele zu entwickeln, die sich sowohl am historischen Wert der Stadt auch an zukünftigen Vermarktungsinteressen orientieren.

Wie geht es mit dem Heimatmuseum im neuen Großbezirk weiter?
     Barbara Zibler: Entsprechend dem politischen Willen unserer neuen Bezirksbehörde sollen beide Heimatmuseen erhalten bleiben und sich dabei auch künftig konzeptionell unterscheiden. In unserem historischen Johannisthaler Rathaus werden wir weiterhin große wechselnde Ausstellungen zu Schwerpunkten unserer bezirklichen Entwicklung erarbeiten. Sie gehen dann in unsere Dauerausstellung ein. Klar, dass die Geschichte des Flugplatzes das stärkste Interesse findet, aber auch unser Teltowkanalprojekt und die Geschichten um die 1896er Gewerbeausstellung bleiben solche Schwerpunkte. Wir bekommen für Dauerausstellung und Archiv die gesamte erste Etage des Rathauses, dessen Räume mit der Bezirksfusion jetzt nach und nach frei werden. Wir beteiligen uns an der gemeinsamen Landesausstellung Preußen 2001 mit der Darstellung der Ortsgründungen und Besiedelungen unter Friedrich II. Das sind Treptow, Plänterwald, Adlershof, Niederschöneweide, Johannisthal,

und die Kolonistenerweiterungen der alten slawischen Dörfer Altglienicke und Bohnsdorf. Auch die Gründungen von Grünau, Friedrichshagen, Müggelheim, Rahnsdorf und in Köpenick selbst sind in unsere Ausstellung einbezogen.
     Claus-Dieter Sprink: Am 2. Oktober 1999 konnten wir unser wunderschön restauriertes Köpenicker Fachwerkhaus mit der neuen umfassenden Dauerausstellung zur Geschichte der Stadt und des Bezirkes einweihen. Unsere gemeinsam Auffassung über den Erhalt beider Museumsstandorte geht davon aus, dass wir glauben, dass Lokalgeschichte dort gezeigt werden muss, wo sie sich zugetragen hat. Der Köpenicker Ansatz ist ein Museum ohne Schwellenängste und ohne akademische Barrieren für Treptow- Köpenicker, Berliner und Touristen. Im Rahmen unserer Wechselausstellungen werden ausgewählte Bereiche der Stadtgeschichte dargestellt. Die nächste wird sich mit den historischen Arbeiterzeltplatz »Kuhle Wampe« am Müggelsee beschäftigen. Anlässlich der Langen Nacht der Museen am 25. August 2001 werden wir voraussichtlich eine Ausstellung über Herkunft und Zukunft der Köpenicker Altstadt eröffnen.

Heimatmuseen fühlen sich zuständig für den Kiez und seine Tradition, wie kann man den Menschen im neuen Großbezirk dieses Heimatgefühl erhalten?

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     Barbara Zibler: An unserer eben zu Ende gegangenen Ausstellung »Geteilte Nachbarschaft« zur Berliner Mauer, Abschnitt Treptow/ Neukölln haben sehr viele Treptower mitgearbeitet. Interviews von Studenten des Instituts für europäische Ethnologie der Humboldt- Universität entlang der Mauer in Ost und West, Rückmeldungen nach Aufrufen in der Presse und viele Privatfotos sind in die Ausstellung eingeflossen. Wir merken bei unseren Zeitzeugenbefragungen und bei den engen Kontakten zu den Anwohnern, die uns manches Foto, manches Erinnerungsstück, manche wertvolle Leihgabe bringen, dass die Kontinuität der Arbeit unseres Teams und die Nähe zu den Einwohnern zu einem solchen Heimatgefühl nicht unwesentlich beiträgt.
     Claus-Dieter Sprink: Wir werden unseren Besuchern auch zukünftig zeigen, in welche Geschichte sie eingebunden sind, wo die historischen Wurzeln ihrer unmittelbaren Wohnumgebung liegen. Denn wir glauben, dass in einer Zeit, wo in den öffentlichen Medien zunehmend von Internet und Globalisierung die Rede ist, etwas existieren muss, was die Menschen als bleibenden Wert und als ihr Zuhause empfinden, wo sie sich geborgen fühlen. Das Museum will versuchen, ein solcher Ort zu sein. Unser ältestes Ausstellungsstück stammt aus dem Jahre 6800 vor Christus, ist also rund 9000 Jahre alt. Hierbei handelt es sich um Bestandteile einer Bestattung, die im Jahre 1924 auf dem Försteracker in Schmöckwitz im Rahmen einer archäologischen Grabung geborgen worden sind.
Neben mehreren wunderschönen Renaissance- Fundsachen aus der Umgebung des Schlosses sind wir besonders stolz auf die Personalakte des Bürgermeisters Georg Langerhans, der 1906 fast über den »Hauptmann von Köpenick« gestürzt wäre. Auch das ist Heimat.

Anderwärts wurde auch um die Namen der neuen Großbezirke heftig gestritten. Sind Sie mit Treptow- Köpenick zufrieden?

     Claus-Dieter Sprink: Natürlich akzeptiere ich die politische Entscheidung. Wir vom Museum hatten allerdings angesichts der historischen Entwicklung und mit Blick auf die Vermarktung des künftigen Großbezirks für die Benennung mit Köpenick plädiert. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts ist die Burg, das spätere Schloss, Dreh- und Angelpunkt unserer Region. Hinzu kommt, dass bis zu den Stein- Hardenbergschen Reformen im Jahre 1808 vom hiesigen Amt Cöpenick ein Territorium verwaltet worden ist, das etwa die Fläche der ehemaligen Bezirke Lichtenberg, Köpenick und Treptow ausmacht. Dem hätte man Rechnung tragen können.
     Barbara Zibler: Wir haben keine Einwände gegen diese demokratisch gefällte Entscheidung. Außerdem klingt es wirklich gut.

Das Gespräch führte Bernd S. Meyer

Fotos: Meyer

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2001
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