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Peter Spahn
Die Muse und der Aktenstaub

Der Jurist, Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann (1776-1822)

»O weh, ich werde immer mehr zum Regierungsrat! Wer hätte das gedacht vor drei Jahren! Die Muse entflieht, der Aktenstaub macht die Aussicht finster und trübe ... Wo sind meine Vorsätze hin, wo meine schönen Pläne für die Kunst?« Aus tiefstem Herzen kommt, was der 27- jährige am 17. Oktober 1803 in sein Tagebuch notiert. Wenige Tage zuvor, am 9. September, wurde mit dem Essay »Schreiben eines Klostergeistlichen an seinen Freund in der Hauptstadt« in der Zeitschrift »Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser« zum ersten Mal eine Schrift von ihm veröffentlicht. Hier äußert er sich zu Problemen des Chores im Theater des antiken Griechenland und zum idealen Chorsatz in der Vokalmusik. Gedanken eines Beamten im preußischen Staatsdienst.
     Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Bereits mit 16 Jahren immatrikuliert er sich an der Universität zum Jurastudium.


E. T. A. Hoffmann, Zeichnung von Wilhelm Hensel, 1821

Im Juli 1795 legt er das erste juristische Examen ab und ist dann als Referendar tätig. Ein Jahr später geht es von den Ufern des Pregel zur Oder nach Glogau an das dortige Gericht. In Glogau lebt er bei seinem Patenonkel. Mit großem Erfolg - »überall ausnehmend gut«, so steht es auf dem Zeugnis - legt er 1798 sein zweites juristisches Examen ab und wird an das Kammergericht Berlin versetzt.

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Hier stürzt sich der junge Jurist in das städtische Leben, besucht Konzerte und Theater, Museen und Künstlergesellschaften, versucht sich im Glücksspiel. Allerdings alles noch nicht ganz so ausschweifend wie die Zechgelage mit Literaten und Komödianten/ innen aus dem gegenüberliegenden Schauspielhaus anderthalb Jahrzehnte später in der Weinstube Lutter und Wegener am Gendarmenmarkt. Aber hingezogen zur Musik, nimmt er auch Musikunterricht bei dem ebenfalls aus Königsberg stammenden Komponisten und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752-1814).

Der Assessor

Nach dem Assessorexamen im Februar 1800 wird er nach Posen versetzt. Und auch hier feuchtfröhliche Nächte. Er bringt einige bissige Karikaturen der lokalen Prominenz aufs Papier. Die Herrschaften sind empfindlich, und die Folge ist eine Strafversetzung nach Plock. Eine unbezahlte Assessorstelle. Die Querelen der Bauern sind zu schlichten, Hühnerdiebe und Schuldner abzuurteilen, Berichte zu schreiben. Seine dortige Stimmung ist aus den eingangs zitierten Tagebucheintragungen ablesbar. Aber es gibt auch Angenehmeres: Am 26. Juli 1802 - noch in Posen - hatte er die Polin Maria Thekla Michalina Rorer-Trzcinska (Mischa) geheiratet.

Zwanzig Jahre, bis zu seinem Tode, wird er mit ihr leben. Mit ihr hat er auch eine Tochter, die Hoffmann bezeichnender Weise Cäcilia nennt, nach jener Römerin, die für ihren christlichen Glauben im Jahre 230 den Märtyrertod sterben musste und im 15. Jahrhundert zur Patronin der Musik erkoren wurde.
     Die Arbeit in Plock lässt ihm genügend Zeit zum Zeichnen, Schreiben und vor allem zum Komponieren. Als er dann 1804 nach Warschau, damals zu Preußen gehörend, versetzt wird, findet sich in der dortigen »Musikalischen Gesellschaft« sogar die Möglichkeit, eigene Werke aufzuführen und als Dirigent dem Publikum neue Musik von Gluck, Mozart, Beethoven nahe zu bringen. Er komponiert ein Singspiel in zwei Akten »Die lust'gen Musikanten« nach Clemens Brentano (1878-1842), das am 6. April 1805 im Deutschen Warschauer Landestheater zur Uraufführung kommt. Auf dem Titelblatt der Partitur nennt er sich - auch hier sein Hang zur Symbolik - aus Verehrung für Mozart zum ersten Mal Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. So bleibt er der Welt dann auch bekannt, obwohl er auf Wilhelm getauft ist und W. auch auf seinem Berliner Ehrengrabstein auf dem Kirchhof III der Jerusalems- und Neuen Kirchgemeinde am Kreuzberger Mehringdamm steht.
     Lange währt auch der Warschauer Aufenthalt nicht. Es sind unruhige Zeiten.
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Die napoleonischen Truppen erreichen die Stadt und besetzen sie am 28. November 1806; Hoffmann wird arbeitslos. Trotz seiner erst 30 Jahre ist er ständig von Krankheiten geplagt, Leber und Magen, Husten und Erbrechen machen ihm zu schaffen. Er geht zunächst ohne Frau und Kind nach Berlin, bezieht zwei Zimmer im zweiten Stock der Friedrichstraße 179, bemüht sich vergeblich um Arbeit. Nun annonciert er in einer Zeitung: »Jemand, der in dem theoretischen und praktischen Teil der Musik vollkommen unterrichtet ist, selbst für das Theater bedeutende Kompositionen geliefert und einer bedeutenden musikalischen Anstalt als Direktor mit Beifall vorgestanden hat, wünscht als Musikdirektor bei einem wo möglich stehenden Theater unterzukommen. Außer den genannten Kenntnissen ist er mit dem Theaterwesen und seinen Erfordernissen vollständig vertraut, versteht sich auf die Anordnung der Dekorationen und des Kostüms und ist außer der deutschen auch der französischen und italienischen Sprache gewachsen.« So steht es im Herbst 1807 im »Allgemeinen Reichs- Anzeiger«.
     Der Direktor des Bamberger Theaters, Reichsgraf Friedrich Julius Heinrich von Soden (1754-1831) testet Hoffmann erst einmal, indem er ihm einen Kompositionsauftrag zur Vertonung seiner Operndichtung »Der Trank der Unsterblichen« abverlangt.
Der Kapellmeister

Fünf Wochen später ist Hoffmann fertig und erhält mit Wirkung vom 1. September 1808 eine Anstellung als Kapellmeister und Komponist in Bamberg, der Residenz einer herzoglichen Nebenlinie des bayerischen Königshauses und ihres kleinen, provinziellen, in der Etikette erstarrten Hofes. Erst 1802 hatte hier Graf Soden das erste feste Theater errichtet. Zu einer Aufführung des von Hoffmann vertonten Sodenschen Werkes ist es allerdings nicht gekommen. Graf Soden gibt die Leitung des Theaters bald ab, und mit dem neuen Leiter Heinrich Cuno versteht Hoffmann sich nicht besonders, obwohl er auch zu dessen literarischen Ergüssen die Bühnenmusik schreibt: »Das Gelübde« mit einem Ballett von C. Macco und »Die Wünsche«, ein Prolog, der am 9. November 1808 in Bamberg zur Aufführung kommt.
     Knapp sechs Jahre währt diese Anstellung. Gleichwohl bietet sie nicht die Erfüllung seiner Träume. Zwar kann er einige Bühnenmusiken komponieren, auch dirigieren darf er, obwohl er mit dem 25 Mann starken Orchester und den 12 Choristen nicht so richtig klar kommt (oder diese nicht mit ihm), ansonsten gibt er Gesangsunterricht, malt Theaterdekorationen, führt Regie, betätigt sich als Maschinist im Theater.

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Aber er sieht sich auch die örtliche Irrenanstalt an, um Einblicke in die Psychiatrie zu gewinnen, was ihm für seine künftige literarische Tätigkeit hilfreich sein wird. Er führt ein ausschweifendes geselliges Leben mit dem regelmäßigen Besuch in einer Alt- Bamberger Weinstube - ohne Alkohol geht bald nichts mehr, weder hier, noch später in Berlin. Und er beginnt mit der Niederschrift jener dreizehn kurzen Skizzen, Essays und Erzählungen, in deren Mittelpunkt die Figur des Komponisten Johannes Kreisler steht. Mit poetischer Sensibilität und skurriler, hintersinniger Fantastik beschreitet Hoffmann hier sehr eigene literarische Wege. Der Künstler steht im Gegensatz zu seiner philisterhaften Umwelt. In diesem Spannungsfeld lebte er ja zeit seines Lebens.
     Alles kommt in Bamberg zusammen: Musiker, Komponist, Lehrer, Maler, Dichter, Zeichner und seine musikfeuilletonistische Mitarbeit bei der angesehenen Leipziger »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« (als solcher wird er hier und in anderen Zeitschriften Maßstäbe für Künftiges setzen) - und doch weiß er noch nicht, wofür er eigentlich geschaffen ist. Als nun noch eine unglückliche Liebe zu einer Schülerin und wachsende Geldnot hinzu kommen, wechselt er zur Theatergruppe Joseph Secondas in Leipzig und Dresden, die Hoffmann als Musikdirektor engagiert. Bereits Anfang 1814 wird Hoffmann nach einem Zerwürfnis mit Seconda aus dem Theater entlassen.
Er beendet die Oper »Undine« nach de la Motte Fouqués (1777-1843) gleichnamigem Märchen, der auch das Libretto schreibt, zieht nach Berlin, wo er zunächst eine Anstellung als Expedient im Justizministerium ohne Gehalt annimmt. Eine bezahlte Anstellung am Königlichen Kammergericht erhält er erst Monate später. Fortan wird er - wie schon in Posen, Plock und Warschau - zwei Leben führen, das des Beamten und des Künstlers. Dabei hat er seine Pflichten als Justizrat und Richter immer untadelig erfüllt, beispielsweise bei seinem Eintreten für den verhafteten Turnvater Jahn (1778-1852, BM 1/97).

Der Komponist

In seinem Selbstverständnis sieht er sich als Komponist. Letztlich ist Musik für ihn der Inbegriff der Kunst. Auch wenn es nicht diese Kunst ist, die ihm den Ruhm der Nachwelt sichert, so gilt Hoffmann doch als der früheste deutsche Romantiker. Der Komponist und Musikschriftsteller Hoffmann, der Beethoven- Enthusiast, der als einer der ersten dessen Genie erkennt, bewegt sich als Komponist durchaus im Traditionellen.
     Von den gut 46 Lebensjahren des E. T. A. Hoffmann sind es etwa 15 Jahre - die Zeit zwischen 1799 und 1814 -, in denen er sich mit der Komposition musikalischer Bühnenwerke beschäftigt. Einige sind überliefert, andere verschollen oder bestanden nur als Plan.

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Das erste entstand 1799, das Singspiel in drei Akten »Die Maske«. Es wurde 1923 aufgefunden und zum ersten Mal teilweise veröffentlicht. 1801 folgte ein Singspiel in vier Akten auf den Text von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) »Scherz, List und Rache«, das 1802 in Posen uraufgeführt wurde. 1805 entstand die Bühnenmusik zu Zacharias Werners (1768-1823) Trauerspiel »Das Kreuz an der Ostsee«. Ein Singspiel in drei Akten mit dem Text nach Schlegels (1767-1845) Übersetzung von Calderons (1600-1681) Schauspiel »Die Schärpe und die Blume« schuf Hoffmann unter dem Titel »Liebe und Eifersucht« im Jahre 1807. Es folgten 1808 das Ballett von Macco »Arlequin« und die Romantische Oper in vier Akten mit dem Text von Julius von Soden »Der Trank der Unsterblichkeit«. 1809 entstand »Dirna«, ein indisches Melodram, Text nach einer wahren Begebenheit von Julius von Soden, im gleichen Jahr »Wiedersehen«, Prolog in einem Akte. 1810 folgte die Bühnenmusik zu Sodens Drama »Julius Sabinus«. Die letzten beiden für Bamberg komponierten Bühnenwerke sind 1811 »Saul, König von Israel«, Melodram in drei Akten, das am 29. Juni 1811 in Bamberg Premiere hatte, und »Aurora« (1811/12), große romantische Oper in drei Aufzügen mit dem Text von Franz von Holbein (1779-1855). Hoffmann verwandte hier als einer der ersten in einer romantischen Oper Leitmotive, ein kompositorisches Mittel, das einige Jahrzehnte später bei Richard Wagner zu einem seiner Markenzeichen werden sollte. Allerdings kam »Aurora« erst 120 Jahre später, im November 1933, in Bamberg in einer Bearbeitung von Lukas Böttcher zur Uraufführung.
     Den Abschluss seiner Arbeiten für die Musikbühne bildete die Zauberoper in drei Aufzügen »Undine« (1813/14) mit dem Text von Friedrich de la Motte Fouqué, die am 3. August 1816 im Königlichen Schauspielhaus Berlin uraufgeführt wurde. (BM 8/93)

Der Inspirator

Mehrfach wurde E. T. A. Hoffmann zum Mittelpunkt künstlerischer Werke. Der Ostpreuße Otto Besch (1885-1966) schrieb 1920 eine »Ouvertüre E. T. A. Hoffmann«. Jacques Offenbach (1819-1880) machte ihn zum Helden seiner Meisteroper »Hoffmanns Erzählungen«, wobei er auch auf dessen Erzählungen »Der Sandmann«, »Die Abenteuer der Silvester- Nacht« und »Klein-Zaches« zurückgriff. Mehrere Komponisten wählten Stoffe aus Hoffmanns Werken, so Walter Braunfels (1882-1954) in der Oper »Prinzessin Brambilla«, Ferruccio Busoni (1866-1924) in »Die Brautwahl«. Paul Hindemith (1895-1963) griff 1926 in seiner Oper »Cardillac« auf »Das Fräulein von Scuderi« zurück, den gleichen Stoff wählte Fried Walter (1907-1996) für seine Oper »Andreas Wolfius«.

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E. T. A. Hoffmanns »Der Kampf der Sänger« ist eine der Quellen für Richard Wagners (1813-1883) »Tannhäuser oder Der Sängerkrieg auf der Wartburg«, und für »Die Meistersinger von Nürnberg« diente ihm unter anderem »Meister Martin der Küfner und seine Gesellen« als Vorlage. Robert Schumann (1810-1856) komponierte - inspiriert von Hoffmannschen Werken - seine Kreisleriana op. 16 und Fantasiestücke op. 12 und op. 111 für Klavier. Die Ballette »Coppélia ou La fille aux yeux d'émail« (Paris 1870) von Leó Delibes (1836-1891) und »Der Nussknacker« (Petersburg 1892) von Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840-1893) entstanden nach Novellen von Hoffmann. Carl Reinecke (1824-1910) und Hans Ferdinand Schaub (1880-1965) schufen von ihm inspirierte Orchesterwerke und Suiten.
     Unter allen Komponisten der Romantik hatte er am scharfsinnigsten über das Wesen der Musik, über ihre Ästhetik nachgedacht. Gemeinsam mit dem Dichter Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) begleitete er theoretisch den sich um 1814 vollziehenden Stilwandel in der Musik. Für die Geschichte des Denkens war Hoffmanns Entwurf einer romantischen Musikästhetik Epoche machend. Hätte er nur komponiert, er bliebe wohl nur eine Fußnote der Musikgeschichte. Diese gefällige, eher unoriginelle Musik aber stammt von einem Künstler, der in seltener Universalität großen Einfluss auf die Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts genommen hat.
Als E. T. A. Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin stirbt, beginnt auch die Legendenbildung um seine Person.

Bildquelle:
Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts, Katalog

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2001
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