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Martin Küster
Der Bürgermeister, der General und das Geld

Georg Friedrich Cardinal von Widdern und Gottlob Kurt Heinrich Graf von Tottleben

Am 14. August des Jahres 1756 trat Georg Friedrich Cardinal von Widdern sein Amt als Erster (Regierender) Bürgermeister der Stadt Köpenick an.1) Fünfzehn Tage später begann der Siebenjährige Krieg. In dessen Verlauf bekam es von Cardinal dreimal mit Generalen und deren Truppen zu tun. Das erste Mal, noch bei der Einnahme der Konzentrierungsräume, war es der preußische Generalmajor August Friedrich von Itzenplitz (1693-1759), dessen Berliner Infanterieregiment Nr. 13 vom 22. zum 23. August auf dem Marsch nach Kursachsen in Köpenick Station machte. Die Akten des Köpenicker Magistrats, an dessen Spitze der Neue gerade als »Consul dirigens« getreten war, vermerken nichts darüber. Wohl aber die Aufzeichnungen eines Musketiers dieses Regiments, des Schweizers Ulrich Bräker (1735-1798, BM 8/98). In seiner Lebensgeschichte des Armen Mannes im Tockenburg erinnerte er sich Köpenicks, wo »wir zu 30-50 bei Burgern einquartiert waren, die uns vor einen Groschen traktieren mußten … Ha, da wurde gefressen. Immer hieß es da: Schaff her, Kanaille, was d' im hintersten Winkel hast!«2)

Cardinal: Keinen Heller!

Das zweite Mal handelte es sich um einen österreichischen General. Der General- Feldmarschall- Leutnant Reichsgraf Andreas Hadik von Futak (1711-1790) war im Herbst 1757 von Elsterwerda aus mit 3 500 Husaren in Richtung des militärisch ungedeckten Berlin aufgebrochen. Am 12. Oktober in Luckau unterzeichnete er Kontributionsbefehle an märkische Städte, die er von Husaren- Detachments austragen ließ. In dem an Cardinal überbrachten wurde »der in der Königl. Preußischen Mark Brandenburg gelegenen Stadt Cöpenick auf das nachdrucksambste anbefohlen, daß gegenwärtigem Officier und Überbringer dieses also gleich und mindester Zeit Verlust längstens aber innerhalb 24 Stunden Tausend Reichsdahler unter Feuer und Schwert ohne ausbleiblich zur Kaiserl. Königl. Kriegs-Cassa« auszuhändigen seien, wofür die Stadt »zu ihrer künftigen Beschützung vor anderweihter Brand- Steuer mit ordentlicher Bescheinigung … versehen werden solle«. Der Bürgermeister erbat wohl die 24-Stunden- Frist. Da die Husaren am anderen Dahme- Ufer biwakierten, machte er die Lange Brücke am Köpenicker Schloss zur Verteidigungsanlage. Ihr Mittelteil war nämlich wegen der Flussschifffahrt aufziehbar. Unter die Schutzgelderpressung schrieb der Beamte eigenhändig den Erledigungsvermerk:

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»Vermittelst der Aufziehung der Aufzugbrücke ist der General von Hadik abgehalten, und in die Stadt mit seinem Corps nicht eingelassen worden, hat auch von der verlangten Kontribution nicht einen Heller bekommen, sondern die Stadt ist Gottlob gäntzlich verschont geblieben, welches zur Nachricht anhiero notirt worden. a. u. s.
G. F. von Cardinal
Cons. dirig.«3)
     In der Residenzstadt Berlin hatte Hadik dann vom 16. zum 18. Oktober mehr Glück. Er kassierte 215 000 Taler Schutzgeld vom dortigen Magistrat.
     Drei Jahre später, im Oktober 1760, wurde Bürgermeister Cardinal zum dritten Mal mit einem General konfrontiert, diesmal in persona eines Truppenkommandeurs der russischen Zarin: mit Generalleutnant Gottlob Kurt Heinrich Graf von Tottleben († 1773). Dessen Agieren hatte nachhaltige Folgen für das Städtchen an Spree und Dahme.

Vom Schloss ins Rathaus

Die Herkunft des Georg Friedrich Cardinal von Widdern und sein Lebensweg bis Köpenick sind kaum belegt. Fest steht, dass er 1721 in Oberschlesien geboren wurde. Die Borgmannsche Chronik gibt als Geburtsort Teschen an.4) Im gleichnamigen österreichischen Herzogtum lag der größte Teil der


Erinnert an einen Bürgermeister: Straße im Köpenicker Ortsteil Dammvorstadt

 
Besitzungen der protestantischen Herren von Cardinal, die Ende des 16. Jahrhunderts im Gefolge einer Fürstenhochzeit von Livland und Kurland nach Oberschlesien gelangt waren. Doch Zweige dieses Adelsgeschlechtes waren auch in jenem Teil Oberschlesiens ansässig, den Friedrich II. (1721-1786, König ab 1740) im 1. Schlesischen Krieg 1740-1742 seinem Reich zuschlug.5) Es ist anzunehmen, dass Cardinal nicht durch Übersiedlung aus dem österreichischen Rest Schlesiens, sondern in Folge der Annexion preußischer Untertan wurde. Seine späteren Köpenicker Lebensumstände deuten darauf, dass er ein Adelsspross ohne Grundbesitz war, der durch die Hochzeit mit der Nichtadligen Anne Sophia Weber nichts an materiellem Rückhalt zugewann.

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Trägt den Namen der ehemaligen Gutsherren: Dorf nahe Bad Langensalza

Während andere und spätere Herren von Cardinal den preußischblauen Uniformrock anzogen,6) suchte er selbst ein einkommensicherndes ziviles Dienstverhältnis. Er fand es als Justiziar auf den brandenburgischen Ämtern Machnow (Großmachnow bei Mittenwalde) und Saarmund.
     Von dort holte sich die verwitwete Erbherzogin von Württemberg und Teck Henriette Marie, geborene Prinzessin von Brandenburg- Schwedt (1702-1782), diesen Justiziar als Kassenverwalter nach Schloss Köpenick, das ihr 1749 der Preußenkönig als Witwensitz zugewiesen hatte.

Bei der Taufe von Cardinals Tochter Henriette Mariane im Juli 1751 führten Henriette Marie und ihre Hofdame Mariana de la Motte die Liste der Paten an. Die vierte Patin, Gattin des Saarmunder Amtsrates Treplin, rückte 1757 bei der Taufe einer weiteren Tochter auf Platz 1, gefolgt von der Ehefrau des Pastors der evangelischen Stadtkirche Köpenicks,7) was die fortschreitende Verbürgerlichung des Adligen Cardinal illustriert.
     Ob nun aus eigenem Impuls oder auf ihres Rentmeisters Ersuchen - die Erbprinzessin hatte sich am 21. Dezember 1755 brieflich an Friedrich II. mit der Bitte gewandt, Cardinal als Bürgermeister Köpenicks einzusetzen. Der Monarch diktierte bereits drei Tage darauf als Antwort an die »Durchlauchtigste Fürstin, freundlich liebe Muhme«, dass in Bezug auf die »in Cöpenick vakant gewordene Bürgermeisterstelle en faveur (zu Gunsten, M. K.) dero Rendanten des Hof-Rath von Cardinal Ich nicht disponiren kann«. Der dortige Magistrat habe »sonder Zweifel das Wahlrecht«. Indessen solle es ihm lieb sein, wenn erwähnter von Cardinal gewählt und das Justiz- Departement denselben alsdann zur Verwaltung des Postens tüchtig befinden werde.8) Die Muhme jedoch beschaffte sich ein Gefälligkeitsgutachten der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkämmer.
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Dieses behauptete, »daß dem Magistrat zu Cöpenick gar kein Wahlrecht zustehe« (was insofern stimmte, als der Magistrat sich ja nicht selbst wählen konnte, hingegen das Sache der Ratsmänner Köpenicks war), »sondern Se. Kgl. Majestät die Magistratspersonen daselbst und ohne jemandes Concurrenz ansetze«.9) Am 18. Mai 1756 unterschrieb der König die Bestallung Cardinals.

Gräflicher Finanzjongleur

Als der Briefwechsel Henriette Marie-Friedrich begann, hatte Gotthold Kurt Heinrich von Tottleben nach einigen Jahren Berlinaufenthaltes der Residenzstadt bereits wieder den Rücken gekehrt.


Hier residierte Bürgermeister Cardinal, von dem es kein Porträt gibt: das 1703 erbaute und 1900 abgerissene barocke Köpenicker Rathaus Ecke Schlossstraße (heute Alt- Köpenick)/ Rosenstraße. Die St. Laurentiuskirche im Hintergrund gab es in dieser Gestalt erst ab 1841; Pfarrer Beneke amtierte am gleichen Standort noch in einer kleinen Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert
Wann und wo dieser umtriebige Adlige geboren wurde, weiß auch jene Biografie nicht zu sagen, die Hirsching's »Historisch- litterarisches Handbuch« umfänglich ausbreitet.10) Spätere Lexikografen haben sich auf 1710 und Kursachsen im Allgemeinen geeinigt. Offenbar hat keiner von ihnen in jenem Dörfchen nahe Bad Langensalza recherchiert, das des Gesuchten Namen trägt: Tottleben. Aus dessen Kirchenbüchern hätten sie ermitteln können: Hier wurde am 21. Dezember 1715 der Fragliche als Sohn des Gutsherren und Kammerrates Carl Adolph von Tottleben und dessen Ehefrau Elsa Sophia geboren.
     Unweit des Dorfes Tottleben liegt Gangloffsömmern, Geburtsort des Heinrich von Brühl (1700-1763), nachmaliger Graf und sächsischer Premierminister.
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Dieses Bild machte sich Adolph Menzel vom Grafen Tottleben: Flaschenleerend, pfeiferauchend, sich auf einem Sofa rekelnd, empfängt er in Berlin den Kaufmann Gotzkowsky

 
Dem folgt der junge Tottleben an den Dresdener Hof. Tottlebens sächsische Blitzkarriere: Binnen zweier Jahre vom Pagen zum Kammerjunker des Kurfürsten aufgestiegen, 1742 Hof- und Justizrat der sächsischen Landesregierung. Wegen kurfürstlichen Unmut erregender Liebeshändel des Aufsteigers mit einer gräflichen Hofdame zur Heirat mit einer anderen, der Gräfin Seifertitz, befohlen.

Zu diesem Zwecke in der kaiserlosen Zeit zwischen dem 20. Oktober 1740 und dem 17. Februar 1742 von Friedrich August selbst in den Grafenstand erhoben. (Ob die vorherige Ehe, die der noch nicht 22-jährige Tottlebener Gerichtsherr und Königlich Kursächsische Kammerrat G. K. H. v. Tottleben an seinem Geburtsort mit Johannette Sophia von Kropff am 26. November 1731 geschlossen hatte, durch den Tod der jungen Frau oder Scheidung geendet hatte, ließ sich nicht erkunden.) In Dresden verschwenderisches Leben nach Brühlschem Vorbild und Schuldenmachen. Folge - Gemahlin lässt Gatten von ihrem Bett und ihren Gütern trennen. Eine kurfürstliche Untersuchungskommission beginnt, gegen Justizrat Tottleben wegen Amtsmissbrauches und Bestechlichkeit zu ermitteln. Der macht sich eilends aus dem Staube.
     Der »auf ewig« aus Kursachsen Verbannte suchte nun an anderen Orten nach einem einträglichen Posten, diesmal auf militärischem Gebiet. Schließlich fand er den in den Niederlanden. Dorthin unter anderem hatte sich seit 1745 der Österreichische Erbfolgekrieg verlagert. Die Generalstaaten stellten den gräflichen Finanzjongleur 1747 als Oberst ein. Der versprach, bis zum nächsten Sommer ein Infanterieregiment angeworben, aufgestellt und gegen die Franzosen kriegsbereit gemacht zu haben.
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Und zwar mit dem Recht, seine Offiziere selbst auszusuchen und zu ernennen. »Diese Gnade«, so Hirsching, »machte sich unser Tottleben zu Nutze, sich dadurch zu bereichern. Er sah dies sogar als eine unerschöpfliche Geldquelle an.« Während seine ihm zahlungspflichtigen Offiziere in Deutschland Rekruten anwarben und in der Provinz Geldern drillten, suchte der renommierende Aristokrat, »mit einigen Frauenzimmern von Stande« Bekanntschaft zu machen.11)

Mitgiftjagd Amsterdam- Berlin

Da die Krieg führenden Staaten Verhandlungen aufnahmen, die am 18. Oktober 1748 zum Frieden von Aachen führten, musste sich Tottleben nicht als Feldherr bewähren. Sein Regiment wurde aufgelöst, er blieb dennoch Oberst mit Bezügen. Nun konnte er sich auf ein anderes Feld konzentrieren. Er eroberte eine 15- jährige Meisje. Die war als Waise und Alleinerbin eines Vermögens von 600 000 bis 700 000 Gulden aus Batavia nach Amsterdam zurückgekehrt. Tottleben entführte sie kurzerhand. Eine länderübergreifende Verfolgungsjagd schloss sich an, Verhaftung in Weimar, Weigerung des dortigen Herzogs, ihn auszuliefern. An Friedrichs II. Hof geflüchtet, durfte der noch immer niederländisch Besoldete schließlich im Haag die mitgiftschwere Braut heiraten. Wieder in Berlin, führte der sächsische Graf ein großes Haus, traktierte hiesige Standesbrüder, verschwendete mit vollen Händen die Habe seiner Frau.

Auf deren weitergereichte Bitten sah sich der Preußenkönig veranlasst, den verbliebenen Vermögensrest zu Gunsten von Gattin und Sohn dem Zugriff Tottlebens zu sperren. Die nunmehrigen Drohungen des Geprellten gegen seine Frau erregten bei Hofe Unwillen, machten seine Bemühungen, eine Stelle im preußischen Heer zu ergattern, vollends zunichte. Als sich die Batavierin 1755 von ihm scheiden ließ, verzog sich Tottleben nach Thüringen.

Freikorps- General der Zarin

1756 wieder in den Niederlanden, um seine Beurlaubung zu verlängern und sich die Weiterzahlung seiner Obristen- Pension zu sichern, vernahm er beim dortigen russischen Gesandten von diplomatischen Vorgängen, die ihm neue Perspektiven eröffneten. Die Zarin Elisabeth (1709-1762, Kaiserin ab 1741) hatte dem österreichischen Kanzler zugesagt, wenn dessen Majestät Preußen wegen der Rückgewinnung Schlesiens mit wenigstens 80 000 Mann angriffe, werde Russland sich mit 60 000 bis 70 000 Mann anschließen. Tottleben, von dem russischen Diplomaten in St. Petersburg avisiert, als Generalmajor von den Generalstaaten verabschiedet, machte sich auf den Weg an die Newa. Nach fürstlicher Bewirtung von Ministern und hohen Adligen erreichte er eine Audienz bei der Zarin, der er den Plan eines Freikorps anpries. Elisabeth stimmte zu, ihre Militärs präzisierten:

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Tottleben wird als Generalmajor ein Korps von 4 000 Kavalleristen, 7 500 Mann Infanterie sowie 500 Artilleristen anwerben und führen.
     Erste Feindberührung hatte der Saxo-Russe am 30. August 1757 in der Schlacht beim ostpreußischen Groß- Jägersdorf. Er vollbrachte »in diesem ersten Feldzug wohl keine sonderlichen Thaten«, wie Hirsching vermerkt, gab aber, zum Rapport nach St. Petersburg entsandt, der Kaiserin einen »umständlichen Bericht«. Dessen Ergebnis: Beförderung zum Generalleutnant, Verstärkung seines Freikorps um 3 000 Mann, 1 500 Pferde sowie 36 Kanonen und sechs Feuermörser.12)
     Des Ruhmes der 1759er Siege über die Preußen bei Kay und Kunersdorf teilhaftig, tauchte Tottleben im Oktober 1760 vor Berlin auf. Mit 3 000 Mann des mobilsten Teils seines Korps - Donkosaken, gelbe, serbische und georgische Husaren - sowie Feldgeschützen war er dem Truppenteil seines Konkurrenten General Zacharias Gregorjewitsch Tschernyschew (1705-1775) vorausgeeilt. Auf das Heranrücken der Österreicher wartete er schon gar nicht. Er wollte Erstruhm und -kasse des Hauptstadtbezwingers. Sein Sturm auf das Hallesche und Cottbusser Tor am 3. Oktober wurde jedoch erst einmal abgewehrt. Als tags darauf 5 000 Mann preußisches Militär nach Eilmärschen Berlin erreichten, trieben sie Tottlebens Freischärler bis Köpenick zurück.13)
Köpenick: Kanonen und Kosaken

Was dann passierte, hat Johann Gottfried Beneke, Oberprediger der Köpenicker St.-Laurentius- Gemeinde, aufgeschrieben.14) Da der Theologe bis April 1755 in Berlin tätig gewesen war und somit vom dortigen Tottleben- Skandal erfahren haben musste, beurteilte er den General als einen »Herrn, der auch außer dieses Krieges sich berüchtigt genug gemacht«. Durch Beneke wissen wir: Tottlebens Artilleristen hatten vor Berlin ihre Munition bis auf zehn Kugeln verschossen. Diesen Rest verwendete der General nun am Abend des 4. Oktober gegen Köpenick. Das erste Geschoss flog weit über das Städtchen hinaus und setzte eine Scheune in Brand. Die nächsten sechs durchschlugen Ziegeldächer, zündeten jedoch nicht. Der achte Schuss ließ ein Militärobjekt in Flammen aufgehen: Pferdestall und Fouragedepot der in Köpenick stationierten berittenen königlichen Feldjäger, von denen ein Leutnant und 36 Mann anwesend waren. Jetzt ergab sich die Stadt.
     General Tottleben aber kam »mit gewaltigem Zorn in die Stadt«. Draußen hatte ihm »ein hiesiger Bösewicht« geflüstert, der Bürgermeister Cardinal hätte geäußert, er werde »sich eine Freude daraus machen, wenn er den General erschießen könnte«.

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Außerdem hatten nach Aussage eines von den Feldjägern gefangenen russischen Ingenieuroffiziers Köpenicker Zivilisten einen der russischen Angreifer erschossen und einen weiteren verwundet. Tottleben habe es »mehr als einmal den Bewohnern zur großen Gnade angerechnet, daß er sie nicht nach den Kriegsgesetzen ohne Unterschied über die Klinge springen ließ«. Sein Zorn gegen den Bürgermeister wächst noch, weil ihm der in diesem »Rattennest« Köpenick keine komfortable Unterkunft zur Verfügung gestellt hat. Tottlebens Bedienstete suchen ihrem Herrn und dessen mitgeführter Mätresse tags darauf ein angemesseneres Logis aus, bei der Frau eines kriegsbedingt abwesenden Feldschers.
Generalsprofession: Auf der Karte, die nachträglich das militärische Geschehen des Oktober 1760 um Berlin dokumentierte, ist Köpenick nur als Rückzugsraum der rusischen Truppen benannt
Die ist eine Verkörperung weiblicher List und Klugheit. Abends nach dem Rapport unterhält sich der General mit ihr. »Er schilt noch bald auf diesen, bald auf jenen Umstand, und insbesondere auf den regierenden Bürgermeister. Die Wirthin hört, antwortet, widerlegt, entschuldigt, mit einem Wort besänftigt den Herrn diesen Abend völlig. Den anderen Morgen ist er ein ganz anderer Herr. Der regierende Bürgermeister ist sein Freund, er zieht ihn und seine Frau zur Tafel, er geht mit ihm auf die Jagd, er erzählt ihm von dem Bösewicht.«
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Soldateska plündert, General kassiert

Doch nun rückte Verstärkung heran: das Gros des Tottleben- Freikorps sowie Tschernyschews Truppen. Es ging wieder auf Berlin. Am 9. Oktober übergab Generalleutnant Hans Friedrich von Rochow (1698-1787, Stadtkommandant ab 1756) die Residenzstadt an Tottleben. Der gräfliche General, der hier »eine Menge alter Freunde fand, sich der angenehmen, hier verlebten Tage erinnerte«, sei »mit einer Gelindigkeit« verfahren, »welche mit der gewöhnlichen Grausamkeit der Russen in auffallendem Widerspruch stand«, weiß Archenholtz im Nachhinein zu berichten.15) Hirsching hingegen schildert, »daß die Tottlebenschen Freybataillone bey der Einnahme von Berlin grosse Excesse begangen. Mit Einem Worte, es giebt keine Ausschweifung, keine Unordnung, welche die Russen, und besonders Tottleben's Leute bey dieser Gelegenheit nicht begangen hätten.«16)

In Köpenick sah es nicht besser aus; eine zaristische Vielvölker- Soldateska plünderte, zerstörte, schlug, vergewaltigte, während ihr Chef in Berlin die Beibringung einer immensen Kontribution betrieb. In Köpenick hatte er noch vor dem Fall Berlins diese Quittung ausgestellt:

     »Daß die hiesige Stadt und das Amt an die Russische Kayserliche Armee Ein Tausend Einhundert Fünf und Zwanzig Reichsthaler an Contribution abschläglich bar bezahlt, solches wird hierdurch bescheinigt.
Coepenick, den 7ten October 1760
Gr. Tottleben«

     Am Rande des Belegs ist das Wort »abschläglich« von Tottlebens Hand beigefügt.17) Er wollte also noch mal, noch mehr kassieren.

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Bürgermeisterpflicht: In einem Handwerker- Buch vermerkte Cardinal Meisterprüfungen und die Aufnahme von Lehrverhältnissen sowie die dafür errichteten Gebühren
 

Die Eintragung vom 6. Dezember 1762 beurkundet, dass der in Köpenick geborene Christian Friedrich Drewerhoff sein Meisterstück vor offener (Innungs-) Lade und bei versammeltem Gewerk vorgezeigt, damit bestanden hat, zum Meister deklariert und eingetragen worden ist und 3 Reichstaler zur Lade sowie 1 Reichstaler und 8 Groschen der hiesigen Kämmerei erlegt hat. Cardinals Eintragung vom 10. Januar 1785, seine letzte, gibt zu den Akten, dass Meister Rautz einen Lehrburschen namens Gottlieb Balcke aus Köpenick vor offener Lade und bei versammeltem Gewerk auf sechs Jahre aufgenommen hat und für diese Aufnahme 12 Groschen zur Lade und 16 Groschen Behördengebühren erlegt wurden.
 
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Über den materiellen Schaden, den die wenigen Tage russischer Besetzung angerichtet haben, geben die Akten des Magistrats von Köpenick detailliert Auskunft. Abgebrannt ist die Ratsmeierei. Ihr Pächter Martin Beutner erklärt in einer Eingabe vom 13. Mai 1761, dass ihm seine ganze Ernte sowie sämtliches Vieh und Hausgerät vom Feinde teils verbrannt, teils geraubt wurde; er sei sämtlichen Vermögens verlustig gegangen und in die bitterste Armut gestürzt worden. Ermittelte Schadenssumme: 1 500 Taler, 13 Groschen, 4 Pfennige.
     Der Hauptschaden der Stadt besteht im Verlust des Viehes: 150 Kühe, 80 Ochsen, 92 Pferde wurden geraubt. Der Gesamtverlust der Bürgerschaft durch Zerstörung, Plünderung plus Kontributionszahlung beläuft sich auf 58 955 Taler, 20 Groschen, 7 Pfennige. Der König ersetzt 1760/61 mit Lieferungen von Saat- und Brotgetreide sowie in Bargeld 9 545 Taler, 5 Groschen.18)

Verbannt und wieder in Uniform

Ums Geld ging es weiter. Unbehelligt von preußischen Truppen, eröffnete der General von Tottleben 1760/61 einen Kontributionsfeldzug gegen pommersche Städte. Unter rücksichtslosem Einsatz seiner Kanonen erpresste er Bares und Geldwertes. Allein bei dem Hamburger Bankier Hiß deponierte er 200 000 Taler bar sowie Pretiosen im Werte von 80 000 Gulden.

Die übermäßige private Bereicherung und die wachsenden Vorwürfe, bei seinem Abzug aus Berlin nicht genügend militärische Einrichtungen zerstört zu haben, brachten das Fass zum Überlaufen. Die Zarin ließ ihn in Arrest nehmen und am 30. August 1761 von Riga aus unter Kosakenbewachung nach St. Petersburg bringen. Am 11. April 1763 - Russland war im Jahr zuvor aus der Koalition mit Österreich ausgeschieden, der Siebenjährige Krieg beendet - verurteilte ein Kriegsgericht den Angeklagten Tottleben »zum Verlust des Lebens, der Ehre und der Güter«. Das Urteil wurde jedoch gemildert. Aus Russland verbannt, begab sich der Graf nach Gut Tottleben. 1769 begnadigte ihn Katharina II. (1729-1796, Zarin ab 1762). Da die Türkei Russland den Krieg erklärt hatte, kommandierte sie Tottleben in den Kaukasus, nach Georgien. 1762 wurden ihm Posten übertragen in jenen Gebieten, die bei der ersten Teilung Polens an Russland fielen. Im Jahr darauf starb er.
     In Köpenick erdrückten Geldsorgen den Bürgermeister Cardinal. Ein Jahr nach der russischen Plünderung war die Stadtkasse nicht mehr in der Lage, notwendige Wiederherstellungsarbeiten an der die Spree überquerenden Dammbrücke zu bezahlen. Die Kriegs- und Domänenkammer schlug es ab, dafür einen Kredit zu gewähren, da »dadurch die Cämmerey- Umbstände nicht gebessert würden«.19) Die Stadtführung entschloss sich daher, kommunales Eigentum zu veräußern.
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Unter anderem den verfallenen Fachwerk- Vorgängerbau des barocken Rathauses. Dieses städtische Grundstück erwarb 1764 Cardinal, um nach Abriss dort seiner Frau einen künftigen Witwensitz zu bauen. Die Mittel dazu hatte er jedoch nicht parat; die Reformierte Schlosskirchengemeinde am Witwensitz seiner früheren Arbeitgeberin lieh 300 Reichstaler.20)

Köpenicker Elend, königliche Huld

1771 berichtete Cardinal, dass für die Ernährung der Köpenicker bis zur nächsten Ernte nicht einmal ein Viertel des dringend benötigten Brotgetreides vorrätig ist, dass die besten Weiden ein Raub des Hochwassers geworden sind, das Vieh ohne Raufutter in den nassen Ställen verhungert, die halbe Stadt überschwemmt ist , aber »fremdes Geld gehet sehr sparsam in unsere Stadt ein »Die Armuth gehet mit traurigen Gesichtern und alle übrigen Einwohner verlieren den Muth.«21) Am 6. Mai 1774 zog der Köpenicker Magistrat das Fazit, »daß die Umstände der Cämmerey so kläglich wie immer beschaffen sind, mit einem Worte zu sagen, wir sind dem >Banquerot< ziemlich nahe ... Fast alle publique Gebäude gehen zu Grunde, da auf die Reparatur nichts mehr gewendet werden kann und ist zurzeit nicht abzusehen, wie wir uns aus unserem Elende herauswickeln wollen.«22)

In einer Eingabe vom 16. März 1785 wandte sich der 64-jährige Bürgermeister an den König mit der Bitte, ihm einen Adjunkten im Amt zu genehmigen. »Meine zunehmenden Jahre und die damit verknüpfte Leibesschwäche«, so begründete er, »vorzüglich aber der bei der Rußischen Invasion durch harte Behandlung des Feindes an meinem Körper erlittene Schaden wollen nicht mehr erlauben, dem mir anvertrauten Posten mit der erforderlichen Kraft vorstehen zu können.«23) Der König genehmigte den Adjunkten nicht. Die Köpenicker Ratsmänner durften jetzt wieder ihres Amtes walten. Sie kürten einen anderen Consul dirigens. Bei dessen Amtsantritt am 24. Juni 1785 trat Cardinal in den Ruhestand - mit der ihm erteilten Versicherung, »daß er sich fernerhin der Königl. Huld und Gnade zu getrösten und des Genusses der sich von seinem Gehalt jährlich reservierten 50 rthl. baar und 12 Schffl. Rocken in natura auf seine übrige Lebenszeit zu erfreuen« habe.24)
     Die Lebenszeit des »Oberbürgermeister emeritus« Georg Friedrich von Cardinal endete am 16. November 1804, zehn Monate, nachdem seine vier Jahre jüngere Ehefrau zu Grabe getragen worden war.
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Quellen und Anmerkungen:
1 Hauptquellen zu Person und Wirken des G. F. v. Cardinal:
Chronik der Stadt Coepenick, Angefertigt in den Jahren 1883 u. 1884 von Borgmann, Bürgermeister, Manuskriptdruck, Heimatmuseum Köpenick (im folgenden Borgmannsche Chronik)
Arno Jaster, Geschichte Cöpenicks - Bilder aus dem Schicksal einer märkischen Stadt, Berlin- Cöpenick 1926; die Originaldokumente, die beide Verfasser zitieren und auf die sie sich stützen, sind in den zuständigen Archiven heute nicht mehr aufzufinden; sie müssen als verschollen gelten.
2 Bräkers Werke in einem Band, Berlin und Weimar 1966, S. 183 f.
3 E. Kikebusch, Geschichte der Schlossgemeinde zu Cöpenick, Berlin 1885, S. 33
4 Teschen, ehemalige Residenz des Herzogtums Teschen, das 1653 an Habsburg kam. Die Stadt Teschen 1920 geteilt in einen tschechischen Teil (Cesky Tesin) und einen polnischen (Ciezyn)
5 Vgl. Zedlitz- Neukirch, Neues Preußisches Adels- Lexicon, Supplement- Band oder des ganzen Werkes fünfter Band, Leipzig 1839, S. 92
6 Der bekannteste von ihnen war Georg Cardinal von Widdern, geboren 1841 in Wollstein, Provinz Posen, gestorben 1920 in Berlin, Königl.- preußischer Oberst, Verfasser seinerzeit beachteter militärtheoretischer und -historischer Schriften, verheiratet mit der Tochter eines Rittergutsbesitzers und Fabrikanten
7 Kirchenbuch der St.-Laurentius- Stadtkirchengemeinde Köpenick, Taufen 1748-1774. Mikrokopien Evangelisches Zentralarchiv, Berlin
8 Arno Jaster, a. a. O., S. 42
9 Ebenda
10Friedrich Carl Gottlob Hirsching's Historisch- litterarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche in dem achtzehnten Jahrhundert gelebt haben. Fortgesetzt und herausgegeben von Johann Heinrich Martin Ernesti, 14. Bd., 2. Abt., Leipzig 1810, S. 221 ff.
11Ebenda, S. 225 f.
12Ebenda, S. 236 f.
13Vgl. Johann Wilhelm von Archenholtz, Geschichte des Siebenjährigen Krieges, Halle a. d. S. 1887-1890, S. 256 (Archenholtz, 1745-1812, nennt Tottlebens Vornamen nicht. Die in jüngeren Publikationen über die Berlin- Besetzung 1760 verwendeten Vornamen Franz Eduard bzw. Eduard Iwanowitsch trug ein Nachfahre »unseres« Tottlebens, ein russischer General, geboren 1818 in Mittau, gestorben 1884 in Bad Soden)
14Arno Jaster, a. a. O., S. 44 f.
15Johann Wilhelm von Archenholtz, a. a. O., S. 257
16Friedrich Carl Gottlob Hirsching, a. a. O., S. 239
17Borgmannsche Chronik, S. 44
18Ebenda, S. 23/24
19Arno Jaster, a. a. O., S. 46
20Hypothekenbuch der Stadt Köpenick (1650), 1713-1784, Landesarchiv Berlin, A Rep. 580, Hs 145
21Arno Jaster, a. a. O., S. 52
22Borgmannsche Chronik, S. 24
23Ebenda, S. 45
24Arno Jaster, a. a. O., S. 129

Bildquellen:
Foto 1 und 2: Archiv Autor
Historisches Foto: Heimatmuseum Köpenick Illustration aus: Franz Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen, Ausgabe Leipzig 1936, S. 391 Karte und Dokumente: Heimatmuseum Köpenick

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
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