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Heiko Schützler
Monsalvat an der Spree

Nationalsozialistische Planungen in Berlin, Welthauptstadt Germania

Die Verflechtung von deutscher Architektur und Politik erreicht in der NS-Zeit ihren Höhepunkt. Mit dem Anspruch einer spezifisch nationalsozialistischen Architektur wird ein Bauprogramm ins Leben gerufen, dessen ideologische Bedeutung von der Propaganda immer wieder betont wird. Anspruch und Wirklichkeit lassen sich jedoch kaum vereinigen. Eine einheitliche nationalsozialistische Architekturtheorie kommt nicht zustande.
     Vier Erscheinungsformen lassen sich feststellen. Neben dem meist synonym als NS- Architektur verstandenen modernisierten Neoklassizismus, der bei den Nürnberger Parteitagsbauten, bei der Neuen Reichskanzlei und in den Planungen der Generalbauinspektion für Berlin zur Anwendung kommt, gehören zu diesem Komplex der Anti- Moderne auch die romanisierende Bauweise der Ordensburgen und die pseudorustikale Einpassung von Wohnanlagenplanungen der Weimarer Zeit in den nationalen Kontext durch Beseitigung des Flachdaches.

Dem entgegen stehen die zweckmäßigen Bauten für Militär und Industrie, wo moderne Bauformen sogar fortentwickelt werden. Eines ist allen Richtungen gemeinsam: Die öffentlichen Bauten sollen Bedeutsamkeit vortäuschen, heroisch erscheinen, Macht- und Größenanspruch des Reiches symbolisieren, einem latenten Minderwertigkeitsgefühl der NS- Führung körperliche Wucht entgegensetzen und in einer Doppelfunktion als Kulisse und potenzielles Denkmal das wichtigste Mittel der nationalsozialistischen Selbstdarstellung sein.
     Dieser Anspruch wird so von Hitler selbst formuliert, der, in der Überzeugung, Kunst und Politik seien identisch, große Kunst als Produkt nationaler und politischer Größe betrachtete. Architektur, für Hitler die einigende Kraft innerhalb allen Kulturschaffens, da ihre Ausdrucksmittel diejenigen der Malerei und Bildhauerei bestimmten, verkörpere nicht nur Einheit und Stärke einer Nation, sondern trüge auch zu deren Schaffung bei und sei daher das am besten geeignete Mittel zum Ausdruck nationaler Größe. In »Mein Kampf« vertritt er bereits die Ansicht, dass ein Volk, das über die Welt herrschen sollte, seine Kraft aus einem Mittelpunkt mit dem magischen Zauber eines Mekka oder Rom erlangen müsse. Die Bauten sollten dem deutschen Volk das nötige Selbstbewusstsein verleihen und als Epochenzeichen auf die Nachwelt wirken. Es liegt nahe, gerade in Berlin, der Hauptstadt des Deutschen Reiches und laut Plan der ganzen Welt, dieses Zeichen zu hinterlassen.
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Ähnliche Pläne entstehen für München, Linz, Hamburg und das Nürnberger Parteitagsgelände.

Ideen nehmen Gestalt an

Die NS- Planungen für Berlin nehmen als Grundidee einen Vorschlag auf, der 1917 von Martin Mächler (1881-1958) als Vertreter des Berliner City- Ausschusses propagiert wurde. Der City- Ausschuss war ein Zusammenschluss zahlreicher Kaufleute und Industrieller, denen es um den zeitgemäßen Umbau Berlins zu einer modernen Weltstadt und Wirtschaftsmetropole ging.
     Mächler gedachte die Struktur- und Verkehrsprobleme im Bereich der Innenstadt durch Beseitigung der Kopfbahnhöfe im Stadtgebiet zu lösen. An ihre Stelle sollten ein Zentralbahnhof am Humboldthafen sowie zwei vermittels einer monumentalen Nordsüdachse verbundene Durchgangsbahnhöfe treten. Das aus dem Abbruch der Kopfbahnhöfe gewonnene Gelände von mehr als einer Million Quadratmeter sollte der anstehenden Erweiterung des Regierungs- und Verwaltungsviertels im Bereich der Wilhelmstraße zugute kommen. Die Reichsbehörden gedachte Mächler am Königsplatz, die preußischen Staatsbehörden am Kemperplatz zu konzentrieren.

Mit der Gründung Groß- Berlins im Jahre 1920 waren die politischen Voraussetzungen für solche Planungen gegeben. Erste praktische Schritte bildeten 1922 die Errichtung eines zentralen Stadtbauamtes und die neue Bauordnung von 1925.
     Hitler lernt Mächlers Plan auf der Berliner Kunstausstellung 1927 kennen. Eine seiner ersten Amtshandlungen nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ist noch am 13. März 1933 die Entfernung des verdienstvollen Martin Wagner (1885-1957) vom Posten des Stadtbaurates.
     Zwar stören Hitler in seiner Umgestaltungswut die einer schnellen Realisierung seiner Vorhaben entgegenstehenden bürokratischen Hemmnisse der Stadtbehörden, doch muss er mangels eines geeigneten Architekten zunächst ihnen die Planungen überlassen. Bereits im September 1933 erteilt er dem Stadtplanungsamt den Auftrag, westlich von Brandenburger Tor und Potsdamer Platz eine nordsüdlich verlaufende Straße zu entwerfen. Voraussetzung sind der Abriss der beiden südlichen Kopfbahnhöfe und die Errichtung eines neuen Zentralbahnhofes. Im März 1934 erfolgen dann erste Präzisierungen. Die Südachse ist mit dem Flughafen Tempelhof zu verbinden, und nördlich des neuen Bahnhofes soll ein Triumphbogen für das Heer des Weltkrieges errichtet werden.
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Modell der Nord-Süd- Achse, Planungsstand von 1940
Für die Ministerien in der Wilhelmstraße sind Gebäude an der Nordachse südlich des Königsplatzes vorgesehen. Die Siegessäule soll ein Stück weiter nördlich versetzt werden, und als Abschluss denkt Hitler sich zwei Ehrenhallen, vergleichbar denen am Münchner Königsplatz, hier aber gewidmet den Helden aus Luft- und Seekrieg.
     Weiterhin wünscht Hitler eine Versammlungshalle für 250 000 Menschen und ein Wintersportstadion zu errichten.
Zum ersten Male taucht damit Hitlers Lieblingsidee einer übermäßigen Halle in einem konkreten Kontext auf. Schon 1925 hat er eine diesbezügliche Skizze angefertigt.
     Zunächst entstehen jedoch der Reichsbankneubau (1934), das Reichssportfeld und die Randbebauung des Messegeländes (1934-36), das Reichsluftfahrt- Ministerium (1935) sowie das Gebäude des Flughafens Tempelhof (1935-40).
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Keines dieser Projekte wird von der Stadt betrieben, die Leitung liegt letztlich bei Hitler selbst.
     Die Hinwendung zu staatlicher Repräsentationsarchitektur führt zur Vernachlässigung der sozialen Aufgaben des Städtebaues. Die Bedeutung des gemeinnützigen Wohnungsbaues geht bei unverändertem Wohnraumbedarf zurück.
     Erst 1936 ist Hitler sich sicher, mit Albert Speer (1905-1981), den er schon zum 1. Mai 1933 mit der Ausgestaltung des Tempelhofer Feldes betraut hat, den geeigneten Mann gefunden zu haben und erteilt ihm - zunächst noch inoffiziell - den Auftrag, ein Gesamtprogramm für Berlin zu entwerfen. Speer nimmt sich dieser Aufgabe wegen der angeordneten Geheimhaltung in seinem Privatbüro an. Mit Führererlass vom 30. Januar 1937 wird Speer dann offiziell zum Chefplaner für die Neugestaltung Berlins ernannt. Als Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt ist er - mit weitreichenden Befugnissen, die mit einem zweiten Erlass noch über die Berliner Stadtgrenzen hinaus erweitert werden, ausgestattet - nur dem »Führer« allein verantwortlich. Sein wichtigster Bau wird 1937-39 die Neue Reichskanzlei. Nicht unmittelbar zu den Germania- Planungen gehörend, stellt der Neubau im Zuge der Voßstraße einen wichtigen Schritt auf dem Wege dorthin dar.
Sich in die Kontinuität des Ortes, der Wilhelmstraße, begebend, lässt Hitler sich hier einen Prunkbau errichten, dessen Verdeutlichungsanspruch er selbst formuliert. Einschüchtern will er sie, die fremden Diplomaten, die auf dem Wege vom »Ehrenhof« - einem Gefängnishof verdächtig ähnelnd - zu seinem Arbeitszimmer einen Weg von über zweihundert Metern zu bewältigen haben, wobei sie eine Raumfolge erleben, die ohne Zweifel ihre Wirkung tut. Grundlage aller Bautätigkeit bildet das Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4. Oktober 1937. Auch hier herrscht ab sofort das Führerprinzip: Oberster Bauherr ist der »Führer« und Reichskanzler. Für Berlin gelten zusätzlich drei Verordnungen über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin vom 5. November 1937 sowie vom 25. Januar und 23. April 1938.
     Dienststelle des Generalbauinspektors mit Status einer Reichsbehörde wird das vormalige Gebäude der Akademie der Künste, Pariser Platz 4. Hitler kann durch die Ministergärten unbemerkt zu Speer gelangen. Der Saal, in dem die Modelle aufgebaut waren, ist erhalten geblieben.
     Ab 1938 gliedert sich die Generalbauinspektion (GBI) in die Abteilungen I (Planungsstelle), II (Hauptamt der Verwaltung und Wirtschaft) und III (Generalbauleitung).
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Im gleichen Jahr gedeiht die Rahmenplanung so weit, dass mit der detaillierten Ausarbeitung einzelner Bereiche und Gebäude begonnen werden kann. Um die Planungen reibungslos ausführen zu können, werden sämtliche Reichsbehörden zur Zuarbeit gezwungen und zwecks Sicherstellung von Arbeitskräften und Baumaterial sämtliche Bauaktivitäten außerhalb der Speer- Planungen zurückgestellt.
     Die Generalbauinspektion wird - wie schon der Name verrät - somit eine quasimilitärische Einrichtung der höchsten Prioritätsstufe, Hitlers unmittelbares Instrument zur Vergegenständlichung seines Willens. Durch selbst geschaffenes normatives Unrecht in Gesetzesform hat der Diktator nunmehr alle - zumindest administrativen - Möglichkeiten, das Denkmal seiner Epoche in Form eines Monsalvat, einer Gralsburg an der Spree, bedrückende Wirklichkeit werden zu lassen.
     Der am 1. August 1938 durch die GBI aufgestellte Interessengebietsplan legt jene Bereiche Berlins fest, in denen nur noch mit ihrem Einverständnis gebaut werden darf. Die mehr als die Hälfte des Stadtgebietes umfassenden Flächen beziehen sich auf das Achsenkreuz, vier Ringstraßen, Grünflächenzüge und Teile der Forsten, die Ufer von Spree und Havel, Kanälen und Seen sowie auf den Umbau der Reichsbahnanlagen.
Ost-West

Noch im gleichen Jahr beginnen erste Bauarbeiten. Bis zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939 kann der westliche Teil der Ost-West- Achse vom Brandenburger Tor bis zum Reichskanzlerplatz, seit 1933 Adolf-Hitler- Platz (heute Theodor-Heuss- Platz), durch Verbreiterung bestehender Straßenzüge fertig gestellt werden. Die Siegessäule wird vom Königsplatz entfernt, ebenso die Denkmäler, alle zusammen finden Wiederaufstellung am Großen Stern, der - von 80 auf 200 Meter Durchmesser erweitert - dadurch zu einem Forum des »Zweiten Reiches« umgestaltet wird. Dass die Siegessäule dabei eine zusätzliche Säulentrommel erhält, mag neben der damit zweifellos besseren Proportioniertheit einen weiteren Grund haben. Nicht nur der drei preußischen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 soll gedacht werden, sondern auch des Weltkrieges 1914-1918. Und weil das deutsche Heer damals im Felde unbesiegt geblieben ist, kann auch die vierte Säulentrommel erbeutete Kanonenrohre tragen.
     Durch die Verbreiterung der Straße werden die Flügel des Charlottenburger Tores auseinandergerückt, wodurch es seine Maßstäblichkeit und damit seinen Tor- Charakter völlig verliert.

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Gegenüber der Technischen Hochschule wird als bauliches Pendant ein »Haus der deutschen Ärzte« geplant, welches mit einer repräsentativen Front zugleich den Hintergrund für die Ehrentribünen der Militärparaden bilden soll. Östlich davon soll ein Neubau für die Berliner Porzellanmanufaktur entstehen. In Angriff genommen wird zunächst nur das »Haus des Deutschen Gemeindetages«. Nach dem Krieg vollendet, trägt es seit 1953 den Namen Ernst Reuter und gehört dem Deutschen Städtetag.
     Für den Adolf-Hitler- Platz, höchstgelegene Stelle der westlichen Achse, ist ein Monument zu Ehren Mussolinis geplant, dessen Namen der Platz nach Fertigstellung tragen soll. Probleme bereitet die architektonische Erscheinung des Platzes, der an der Nordseite durch Mietblöcke der Jahrhundertwende, an der Südseite dagegen durch Geschäfts- und Bürobauten von 1930 begrenzt wird. Zur Abschirmung dieser Situation plant die GBI zwei halbkreisförmige, 10 Meter hohe Arkaden um das Verkehrsrondell.
     Der in der Nähe befindliche S-Bahnhof Heerstraße ist als Empfangsbahnhof für Ehrengäste gedacht, die von hier aus auf der West-Achse in Richtung Stadt gefahren werden sollen. Östlich des Brandenburger Tores sind bereits anlässlich der Olympiade 1936 die Fahrbahnen der Straße Unter den Linden verbreitert worden. Die damals neu gepflanzten jungen Bäume, ob ihrer Dürftigkeit den Berlinern Anlass zu Hohn und Spott gebend - Begriffe wie »Unter den Laternen« und »Kahlbaumallee« machen die Runde -, sollen entfernt und die ganze Straße in ihrer Breite dem Profil westlich des Tores angeglichen werden.
Da die Ost-West- Achse als verkehrsstarke Durchfahrtsstraße geplant ist, ergibt sich ein Problem am Brandenburger Tor. Es abzureißen traut sich selbst die GBI nicht, so soll es freigestellt werden, indem man die Häuser rechts und links entfernt. Die Seitenpavillons sollen abgetrennt und außerhalb der Fahrbahnen wieder aufgebaut werden.
     Bis auf einige Abrisse kommt die Ost-Achse im Zuge der Kaiser-Wilhelm- Straße mit Anbindung der Frankfurter Allee nicht über das Planungsstadium hinaus. Im Zuge der Kaiser-Wilhelm- Straße ist neben Verwaltungsbauten eine Städtische Kunsthalle bei der Marienkirche geplant. Schon damals soll gegenüber die Rosenstraße überbaut werden, wie es in den sechziger Jahren mit der Anlage der Karl-Liebknecht- Straße tatsächlich geschehen ist. Auch die Anlage der Stalinallee und ihre Anbindung ans Zentrum greift letztlich auf den Achsengedanken zurück.
     Weitere Planungsideen sind die Erweiterung der Museumsinsel durch monumentale Neubauten, welche den Abriss von Wohnvierteln zwischen Friedrich -, Johannis und Oranienburger Straße wie auch der Universitätskliniken bedingen. Das ebenfalls im Weg stehende Schloss Monbijou soll in den Schlosspark Charlottenburg versetzt werden.

Nördlicher Grunewald

Wichtigstes Bauwerk in diesem Bereich ist die Wehrtechnische Fakultät der Technischen Hochschule, für die am 27. November 1937 der Grundstein gelegt wird. Das Hauptgebäude wird im Rohbau fertig und nach dem Krieg mit Trümmerschutt bedeckt.

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Ab 1960 begrünt, wird der Teufelsberg (BM 6/99) Sitz einer amerikanischen Abhöreinheit und bleibt es bis zum Ende des Kalten Krieges.
     Im Umkreis der Wehrtechnischen Fakultät sind das Reichsforstamt und ein Jagdmuseum geplant, nordwestlich außerdem eine Hochschulstadt.

Nord-Süd

Dieser Bereich, oft als Synonym für »Germania« genommen, bildet das Kernstück

Auf einem quadratischen Unterbau von je 315 Metern Seitenlänge ruht eine riesige Kuppel, gekrönt von einer Dachlaterne, über der ein Adler auf einer Weltkugel thront, was eine Gesamthöhe von 320 Metern ergibt. 150 000 bis 180 000 Menschen sollen in ihr stehend Platz finden. Die Fertigstellung ist für 1950 geplant. Die Große Halle gibt ihren Bauherrn, allerdings ungewollt, der Lächerlichkeit preis, denn ein fatales Problem kann selbst Speer nicht lösen: In dem Riesenraum wirkt Hitler völlig unbedeutend.
der Planungen, die 1937 beginnen und 1942 abgeschlossen sind. In Moabit soll ein neuer Bahnhof entstehen, dem ein 1 200 mal 400 Meter großes Wasserbecken vorgelagert ist. An dessen Ostufer ist das Oberkommando der Kriegsmarine vorgesehen, am Westufer ein neues Rathaus für Berlin und ein neues Polizeipräsidium, außerdem die Zentrale für die kommunalen Versorgungsunternehmen, Technisches Rathaus genannt. Südlich des Wasserbeckens erhebt sich die Große Halle.
Modell des freigestellten Brandenburger Tores, dahinter die Bauten des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) und der »neuen« Neuen Reichskanzlei, Planungsstand von 1942
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Südlich der Halle schließt sich der ehemalige Königsplatz an, umfunktioniert zu einer riesigen Aufmarschfläche. Auf der Ostseite bleibt auf Hitlers ausdrücklichen Wunsch das Reichstagsgebäude, das die Kontinuität des Ortes verkörpert, erhalten und wird durch einen Erweiterungsbau mit der Halle verbunden. Gegenüber weicht die Kroll-Oper dem Führerpalast, einem festungsartigen Bau mit lediglich zwei Öffnungen zum Platz, einem großen Tor und dem obligaten Führerbalkon.
     Die Südseite des Platzes begrenzen zwei Flügelbauten, westlich der Eingang zum Führerpalast, östlich das Oberkommando der Wehrmacht. Der Führerpalast nimmt den Gedanken des langen Anmarschweges wieder auf, allerdings wird die Strecke mehr als verdoppelt. Kam man in der Wilhelm-/ Ecke Voßstraße noch mit 220 Metern aus, bis man den »Führer« und Reichskanzler erreicht hatte, so hat man jetzt 500 Meter zurückzulegen, bis man vor dem Herrscher der Welt steht.
     Von dieser Platzanlage entwickelt sich die Prachtstraße nach Süden, an ihrem Rand Ministerien und Behörden, denen zur Auflockerung wechselseitig Kulturbauten gegenüberliegen. Theater, eine neue Reichsoper, eine neue Philharmonie, ein Uraufführungskino, ein Hotel und etliche Restaurants sollen Urbanität erzeugen. Bei 120 Metern Straßenbreite ist diese Absicht aber kaum zu realisieren.
     In Höhe des Landwehrkanales ist eine kreisrunde Platzanlage geplant.
Bis 1940 entsteht hier mit dem »Haus des Fremdenverkehrs« das erste Gebäude der Nord-Süd- Achse im Rohbau. Es dient 1961 in Billy Wilders Filmkomödie »1-2-3« als Ruinen- Kulisse und wird 1963 abgeräumt. Kontrapunkt zur Großen Halle bildet ein Triumphbogen zu Ehren der Soldaten des (Ersten) Weltkrieges, ebenfalls nach Skizzen Hitlers geplant. 170 Meter breit, 119 Meter tief und 117 Meter hoch, überragt er die ohnehin schon überdimensionierten Bauten seiner Umgebung um ein Vielfaches. Um die Tragfähigkeit der Bodenschichten zu testen, entsteht im Bereich der Kolonnenstraße aus massivem Beton ein Großbelastungskörper, der bis heute dort zu besichtigen ist.
     Den Abschluss der Prachtstraße bildet der Südbahnhof, eine Durchgangsstation in Ost-West- Richtung. Eine Freitreppe führt zum Vorplatz, der - 800 Meter lang und 300 Meter breit und gesäumt von erbeuteten Panzern und Geschützen - zum Triumphbogen überleitet.
     Die Umgestaltungen reißen durch zahlreiche und großflächige Abrisse riesige Wunden in die gewachsenen Strukturen, allein über 50 000 Wohnungen sind zur Vernichtung vorgesehen. Ganze Friedhöfe werden verlagert: Vom St.-Matthäi- Friedhof in der Großgörschenstraße und vom Neuen- Zwölf-Apostel- Friedhof am Sachsendamm werden insgesamt 35 000 Umbettungen auf den Waldfriedhof Stahnsdorf vorgenommen, darunter auch etliche Erbbegräbnisse.
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Die Germania- Planungen zeigen, wohin der Weg führen kann, wenn einem Gemeinwesen das korrektive Element fehlt. Das NS-Reich war in der Lage, seinen Verdeutlichungsanspruch - teilweise - baulich umzusetzen, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf andere Interessengruppen. Ohnehin darf die technische Realisierbarkeit, insbesondere mit Blick auf den ungeheuren Marmor- und Granitbedarf, welcher, wenn überhaupt, nur in einem unterworfenen Europa durch ein Heer von Sklavenarbeitern gedeckt werden könnte, getrost angezweifelt werden. Wäre Germania Wirklichkeit geworden, hätte Berlin aufgehört zu existieren.

Literatur:

Erlass über einen Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt vom 30. Januar 1937, RGBl. I, S. 103

Zweiter Erlass über den Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und Erste Verordnung zur Ausführung des Erlasses… vom 20. Januar 1938, RGBl. I, S. 35

Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4. Oktober 1938, RGBl. I, S. 1054

Verordnungen über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin vom 5. November 1937 (RGBl. I, S. 1162), 25. Januar 1938 (RGBl. I, S. 46) und 23. April 1938 (RGBl. I, S. 410)

Andrea Bärnreuther, Berlin im Zugriff totalitärer Planung. Städtebaulicher Funktionalismus im Spannungsfeld von Großstadtfeindlichkeit, Megalomanie und Ordnungsvorstellungen neuer Größenordnung, in: Thorsten Scheer, u. a. (Hg.), Stadt der Architektur der Stadt. Berlin 1900-2000 (Ausstellungskatalog), S. 201 ff.

Andrea Mesecke, Zur Spezifik der Repräsentationsarchitektur im Nationalsozialismus, in: Thorsten Scheer, u. a. (Hg.), Stadt der Architektur der Stadt. Berlin 1900-2000 (Ausstellungskatalog), S. 187 ff.

Barbara Miller-Lane, Architektur und Politik in Deutschland 1918-45, Braunschweig 1986

Hans J. Reichhardt, Wolfgang Schäche, Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen (Ausstellungskatalog), Berlin: Transit 19905

Albert Speer, Erinnerungen, Berlin: Bibliothek der Zeitgeschichte/ Ullstein 1989

Bildquellen: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
www.berlinische-monatsschrift.de