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Frank Eberhardt
15. Mai 1852:
Der Luisenstädtische Kanal wird eröffnet

Nach vierjähriger Bauzeit konnten im Mai 1852 die Bürger der Luisenstadt staunen: ein neuer Wasserweg verband nunmehr den Landwehrgraben in Höhe des Urban- Krankenhauses mit der Spree bei der Schillingbrücke.
     Wer weiß heute schon noch etwas von diesem Kanal? Selten wird in Presse oder Fernsehen über ihn bzw. seinen heutigen Zustand als Grünanlage berichtet. Vielleicht eine kurze Meldung, dass am Engelbecken die Aushubarbeiten wieder aufgenommen wurden, nachdem sie jahrelang geruht hatten. Manchmal werden auch die rekonstruierten Grünanlagen wie der Rosengarten vorgestellt.
     Grünanlage und Kanal - wie passt das zusammen? Um die Mitte das 19. Jahrhunderts galt es, das Köpenicker Feld für eine Bebauung vorzubereiten. Dieses Köpenicker Feld lag im Südosten Berlins, vor dem inzwischen längst verschwundenen Köpenicker Tor. Es war die letzte noch nicht bebaute größere Fläche innerhalb der Stadtmauer, von Gärten und Wiesen geprägt.

Vor der Bebauung musste das Gebiet aber entwässert werden, denn es gab häufig Überschwemmungen, weil die Spree noch nicht von Ufermauern eingefasst war. Das geht deutlich aus einem Schreiben des Oberbürgermeisters an den Präsidenten des Preußischen Staatsrates von 1841 hervor, wonach »sich in der Summe eine tiefliegende Fläche von 7 251 Morgen (ein preußischer großer Morgen umfasste 5 673,83 Quadratmeter, F. E.) ergibt, von der nach vieljährigen Erfahrungen ca. 4 bis 5 000 Morgen durch zu hohes Wasser leiden, welche durch Senkung des Wasserspiegels wasserfrei, und daher zur Kultur geeignet werden würden.«
     Von dieser Fläche befanden sich 1 184 Morgen (das entspricht ca. 6,7 Quadratkilometer, F. E.) im Bereich des Köpenicker Feldes »innerhalb und außerhalb der Stadt … incl. 124 Morgen Gärten und Gehöfte«.1) Zur Entwässerung dieser Fläche war ein Kanal erforderlich. Außerdem sollte dadurch der Antransport der Baumaterialien wie auch der Abtransport der erwarteten hier produzierten Waren gewährleistet werden.
     Die Planung für den Kanal hatte bereits zwanzig Jahre vorher eingesetzt. Damals standen die Behörden vor dem Problem, diese letzte große freie Fläche innerhalb der Stadtmauer städteplanerisch zu sichern. Das bedeutete, dass Straßen und Plätze durch einen Bebauungsplan festgelegt werden mussten, um Bauspekulationen zu verhindern.
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Das Köpenicker Feld erstreckte sich östlich der schon bebauten Fläche der Luisenstadt von der Spree bis zur Stadtmauer. Deren Verlauf ist heute noch durch die Strecke der U-Bahn- Linie 1 von der Oberbaumbrücke bis zum Halleschen Tor charakterisiert. Nach dem ersten Bebauungsplan von Carl Ludwig Schmid (1780-1849) (BM 9/1999) sollte ein Kanal in der Mitte des Gebietes von der Spree in Höhe der jetzigen Michaelbrücke bis zum Landwehrkanal geradlinig durchgezogen werden.
16. Oktober 1848: Bürgerwehr schießt auf Arbeiter.
Im Hintergrund das neu errichtete Diakonissenhaus Bethanien,
Blick auf die Rückfront
Den Kanal nahm Peter Joseph Lenné (1789-1866) zwar in seinen endgültigen Bebauungsplan für das Köpenicker Feld auf, er veränderte jedoch etwas die Form. So begann der Kanal an der Spree bei der Schillingbrücke. An deren Südostseite ist die ehemalige Kanalöffnung, heute vermauert, noch zu sehen. Von dort führte er in einem Viertelkreisbogen nach Südwesten und mündete in Höhe der heutigen Michaelkirche in ein Hafenbecken, das Engelbecken. Dieses verließ er rechtwinklig zu seinem bisherigen Verlauf und führte nach Süden bis zum Landwehrkanal auf der Schmidschen Trasse. Dort endete der Luisenstädtische Kanal in Höhe des Urbankrankenhauses. Die ehemalige Einmündung ist an der Ausbuchtung des nördlichen Ufers des Landwehrkanals noch deutlich zu erkennen.
     Die Bauarbeiten begannen im Sommer 1848. Darauf verweist eine kurze Bekanntmachung des Polizeipräsidenten, die in der Haude und Spenerschen Zeitung erschien:
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     ğDie in diesem Jahre auszuführenden Baue an den Kanälen bei Berlin und im Köpenickerfelde erfordern die Sperrung des Landwehrgrabens für die Schiffahrt, zwischen der Einmündung oberhalb des Oberbaums und dem Halleschen Thore, in der Zeit vom 1. Juni bis Anfangs November d.J.«2) Vier Jahre dauerten die Arbeiten. Als er endlich eröffnet wurde, nahm die Presse davon kaum Kenntnis. Die Vossische Zeitung widmete ihr am 18. März 1852 eine kleine Notiz: »Am 15. fand die Eröffnung der Schiffahrt auf dem Luisenstädtischen Kanale im Köpenicker Felde statt. Die Kähne passierten ohne Hindernisse die neue Schleuse an der Schillingsbrücke und fanden in dem neuen Kanale überall ausreichende Wassertiefe.« Noch kürzer waren die Mitteilungen in der Neuen Preußischen Zeitung und - mit gleichem Wortlaut - in der National- Zeitung, ebenfalls am 18. Mai: »Vorgestern fand die Eröffnung der Schiffahrt auf dem Luisenstädtischen Kanale statt.«
     Vielleicht war die Eröffnung dieses Kanals in dem noch weitgehend unbebauten Gebiet wirklich nicht sehr interessant. Vielleicht wollte man aber auch zu dieser Zeit - 1852  - nicht an ein Vorkommnis erinnern, welches sich vier Jahre vorher, kurz nach Beginn der Ausschachtungsarbeiten, dort ereignet hatte. Anfang Oktober 1848 wurde eine Dampfmaschine aufgestellt, um das bei den Arbeiten zulaufende Grundwasser abzupumpen.
Die Maschine, so wurde unter den Arbeitern geraunt, solle dazu dienen, Arbeitskräfte entbehrlich zu machen. In der Nacht vom 12. zum 13. Oktober 1848 wurde die Maschine zerstört. Daraufhin wurde den Arbeitern angekündigt, eine Anzahl von ihnen müsse entlassen werden. Am 16. Oktober sollte die Entlassung erfolgen. Da die Behörden mit Widerstand rechneten, waren in dem benachbarten Exerzierhaus (ein Teil dieses Gebäudes steht noch und ist in das neu erbaute Heinrich-Heine- Forum in der Annenstraße in Berlin- Mitte integriert) eine Abteilung Schutzmänner und ein Bataillon der Bürgerwehr aufgestellt worden.
     Eine Gruppe der Arbeiter wollte demonstrativ in die Stadt ziehen, wurden aber von der Bürgerwehr daran gehindert. Die Situation eskalierte. Es kam zu Schimpfworten und gegenseitigen Drohungen, letztendlich zu Steinwürfen, worauf die Bürgerwehr auf die Arbeiter schoss.
     Es wurden drei Arbeiter getötet, zwei weitere starben an den Verletzungen. Die Toten wurden durch die Stadt getragen, wobei es wiederum zu Schießereien kam und nochmals zwei Arbeiter getötet wurden. Daraufhin errichteten die Arbeiter nachmittags Barrikaden in der Köpenicker, Dresdener, Roß- und Alten Jakobstraße. Die Bürgerwehr stürmte diese Barrikaden, wobei nochmals drei Arbeiter getötet wurden.
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Auch ein Bürgerwehrmann kam ums Leben, als er eine auf der Barrikade wehende Fahne herunterreißen wollte und in das Gewehrfeuer der eigenen Leute lief. Am 20. Oktober 1848 wurden die gefallenen Arbeiter auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor unter großer Teilnahme, übrigens auch der meisten Bataillone der Bürgerwehr, bestattet.3)
     Eine wesentliche Verzögerung beim Kanalbau trat deswegen nicht ein. Im Februar 1852 war auch die Pflasterung der beidseitigen Uferstraßen des Kanals im wesentlichen abgeschlossen. Sie hatten schon 1849 die Namen Luisen- und Elisabethufer erhalten. Luise (1776-1810) war die Mutter, Elisabeth (1801-1873) die Gemahlin König Friedrich Wilhelm IV.(1795-1861, König von 1840-1858). Heute tragen die Uferstraßen die Namen von Gewerkschaftsfunktionären: das Luisenufer heißt Segitz- und Legiendamm, das ehemalige Elisabethufer Erkelenz- und Leuschnerdamm. Auf jeder Kanalseite stand zuerst eine Reihe Bäume, später wurde eine zweite Baumreihe dazu gepflanzt. Der Kanal selbst hatte durchgehend senkrechte Ufermauern. Die Gebäude waren durch schmale Vorgärten und Eisenziergitter von den Uferstraßen getrennt, wie es heute noch teilweise erkennbar ist. So machte knapp zwanzig Jahre später dieser neue Stadtteil nicht zuletzt wegen der Kanalpartie, an der man promenieren konnte, einen guten Eindruck. Robert Springer schreibt in seinem Berlin- Führer von 1861 auf Seite 205: »Durch die Bebauung dieses innerhalb der Ringmauern zwischen dem Schlesischen und dem Halleschen Thore gelegenen Feldes ist einer der schönsten Stadttheile Berlins entstanden.«
     Nach Abschluss der Bebauung des Köpenicker Feldes ging die Bedeutung des Kanals ständig zurück. Es gab fast keinen Schiffsverkehr mehr, doch der Kanal musste ständig beräumt werden. Das Wasser stank wegen der zu geringen Fließgeschwindigkeit, die zu Schlammablagerungen führte. So beschloss die Stadt, den Kanal zu verfüllen. Das erfolgte in den Jahren 1926-28 mit dem Aushub, der beim Bau der U-Bahn- Linie Gesundbrunnen- Neukölln anfiel. Der Kanal wurde damals aber nicht völlig zugeschüttet, sondern nur auf einen Meter über Wasserspiegel aufgefüllt. In dem ehemaligen Kanalbett entstand eine Grünanlage (BM 8/1994), die erst nach dem Krieg auf der Kreuzberger Seite völlig verfüllt wurde. Im Bezirk Mitte sind Relikte der Grünanlage wieder entstanden, wie z.B. der Rosengarten oder der Immergrüne Garten zwischen Engelbecken und Adalbertstraße. Viel ist aber noch zu tun, um die Grünanlage im Kanal wieder in ihrem alten, schönen Zustand wiederherzustellen.

Quellen:
1 Landesarchiv Berlin, Rep.A 010-01/2, Nr. 1819/1, Blatt 67
2 Haude und Spenersche Zeitung, 10. April 1848, Nr. 86
3 Streckfuß, Adolf: 500 Jahre Berliner Geschichte, Berlin 1886, 2. Bd., S. 1144/1145

Bildquelle: Illustrirte Zeitung, XI. Bd., Nr. 279, S. 289

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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