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Helmut Caspar
Umstrittener Architekt Kaiser Wilhelms II.

Ernst Eberhard von Ihne (1848-1917)

Zu Unrecht wurde Ernst Eberhard von Ihne oft übergangen, wenn von großen deutschen Baumeistern des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Rede ist. Daß der am 23. Mai 1848 in Elberfeld geborene und im Jahre 1906 in den Adelsstand erhobene Hofarchitekt Kaiser Wilhelms II. in der Reichshauptstadt so bemerkenswerte Bauten wie das Kaiser-Friedrich- Museum auf der Museumsinsel (das heutige Bodemuseum), die Staatsbibliothek Unter den Linden, den Marstall am Schloßplatz, die Akademie der Künste am Pariser Platz, die Monbijoubrücke, die Bauten der Kaiser-Wilhelms- Gesellschaft in Dahlem, die Architekturen für das Kaiser-Wilhelm- Denkmal auf der Schloßfreiheit sowie in Potsdam den Kaiserbahnhof und vieles andere geschaffen hat und maßgeblich am Umbau des Berliner Schlosses zum repräsentativen kaiserlichen Sitz beteiligt war, wurde erst wieder im Zusammenhang mit seinem 150. Geburtstag 1998 anerkennend erwähnt.


Ernst Eberhard von Ihne

 
Ehrlicherweise müßte man als Berliner Schloßbaumeister neben Schlüter und Knobelsdorff immer auch Langhans, Schinkel, Stüler - und von Ihne nennen, dem heutige Denkmalpfleger allerdings ankreiden, daß er wertvolle historische Innenräume des königlichen Palastes dem Weißen Saal und der Gemäldegalerie geopfert hat. Ein Vorgang, der vor einhundert Jahren allerdings niemand aufregte.

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Als Sohn des Philologen und Historikers Wilhelm Ihne und der Engländerin Mary Hull Allen, Tochter eines englischen Schuldirektors, verbrachte der spätere Architekt seine Kindheit und Jugend sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland in einem geistig anspruchsvollen Milieu. In Heidelberg unterhielt sein Vater, seines Zeichens Professor für römische Geschichte und englische Sprache, eine Art Pensionat, in dem er Studenten, darunter auch englische Prinzen, unterrichtete. Mit ihnen wuchs der junge Ernst Eberhard auf, und der Umgang mit Angehörigen des Hochadels schon von Kindesbeinen an wird ihm bei seinem späteren Lebensweg auf glattem höfischem Parkett sicher sehr geholfen haben. Auch daß Ihne in England aufgewachsen war, brachte Vorteile, denn die Hohenzollern waren eng mit dem dortigen Königshaus verbunden und hielten viel von diesen Beziehungen zum damals mächtigsten Staat der Erde. Der spätere Kaiser Friedrich III. (1831-1888) war mit der englischen Prinzessin Viktoria verheiratet, deren Sohn, ab 1888 Kaiser Wilhelm II., war demzufolge ein Enkel von Queen Victoria, die einer ganzen Epoche den Namen gab.
     In Oxford und Heidelberg, am Polytechnikum in Karlsruhe, an der Berliner Bauakademie und der Pariser École des Beaux Arts eignete sich Ihne eine gediegene Allgemeinbildung und spezielles Wissen für seine Karriere zunächst als Kunstgewerbler und schon bald als Architekt an.
Mit Paul Stegmüller (1850-1891) gründete Ihne 1877 in Berlin ein erfolgreich agierendes »Atelier für Kunstgewerbe«, das später noch um »Architektur und Dekoration« erweitert wurde. Obwohl keine Erfahrungen mit Neu- und Umbauten vorlagen, wurden Ihne und Stegmüller von Herzog Ernst I. von Sachsen- Altenburg in den frühen achtziger Jahren mit dem Bau des Jagdschlosses Hummelshain bei Kahla betraut, es folgten das im Stil Ludwigs XV. gestaltete Café Keck, das Wohn- und Geschäftshaus Schwartz in Berlin sowie verschiedene Villen und Landschlösser inner- und außerhalb Berlins. Auftraggeber waren Angehörige des Hofes und das in den Gründerjahren reich gewordene Bürgertum. Der eigentliche Durchbruch in Ihnes Laufbahn gelang, nachdem die Hohenzollern auf den Architekten aufmerksam geworden waren. Das Büro Ihne und Stegmüller kam mit dem Herrscherhaus schon früh in Berührung, etwa als es 1881 mit einer weiteren Firma die Festdekoration zum Einzug der Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig- Holstein (1858-1921), Gemahlin des Prinzen Wilhelm, in die Reichshauptstadt entwarf.
     Im Jahre 1896 zum Geheimen Oberhofbaurat ernannt, war Ihne auch außerhalb Berlins tätig. Zahlreiche Landschlösser alteingesessener Adelsgeschlechter und neuer Eliten wurden von ihm neu gebaut oder repräsentativ umgebaut. Das schuf Nähe zu den Hohenzollern, die sich gern des Talents und des künstlerischen Rates dieses
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Das Bode-Museum, im Hintergrund der Monbijou-Park
weitgereisten und hochgebildeten Architekten bedienten. Der »99-Tage- Kaiser« Friedrich III. hatte den bisherigen Privatarchitekten 1888 zum Hofbaurat und Hofarchitekten ernannt, sein Sohn Wilhelm II. machte ihn zum Oberhofbaurat und betraute ihn mit repräsentativen Aufträgen, zeichnete ihn mit Orden und Titeln aus. Wie sich Ihne und die Hohenzollern kennenlernten, muß von der Forschung noch geklärt werden. Otto Sander vermutet in einem Beitrag für das Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Bd. XXXV, Gebr. Mann Verlag Berlin 1999, S. 101), daß Ihnes Tätigkeit für Herzog Ernst I. von Sachsen- Altenburg beim Bau des Jagdschlosses Hummelshain die
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Aufmerksamkeit der Kronprinzessin Victoria und ihres Sohns erregt hat. Jedenfalls sah Viktoria in Ihne einen modernen Schlüter, und sie könnte es auch gewesen sein, die bei ihrem Mann die Beförderung des gerade Vierzigjährigen angeregt hat.
     Seinen Einsatz zur weltstädtischen Ausgestaltung der Hauptstadt hat die Kunstkritik Ihne nicht immer gedankt. Noch zu seinen Lebzeiten wurde der von ihm praktizierte neobarocke Stil als wilhelminischer Bombast verteufelt, und wenn man den Architekten angriff, meinte man eigentlich seinen Auftraggeber, Kaiser Wilhelm II. Auch andere Baumeister, wie der Schöpfer des Berliner Doms Julius Raschdorff oder der Architekt des Reichstagsgebäudes Paul Wallot, sahen sich solcher Kritik ausgesetzt. Denn zu ihren Zeiten etablierten sich neue, sachlichere Baustile ohne Anleihen an Formen einer im Untergang begriffenen Feudalepoche, in der alles auf den Herrscher und seine herausragende Stellung in der Gesellschaftshierarchie ausgerichtet war.
     So war Ihne nach der Novemberrevolution von 1918 in Verruf gekommen, und es sollte Jahrzehnte dauern, bis man die Qualität seiner rund 50 Bauten wiederentdeckte und anerkannte. So geschah es vor einigen Jahren bei der Staatsbibliothek, die inwendig modernisiert wird, und aktuell auch beim Kaiser-Friedrich- Museum, das 1904 mit großem Gepränge vom Kaiser auf der Museumsinsel eröffnet wurde und zum Vorbild für andere Museumsbauten werden sollte.
Wilhelm von Bode, der auf den Bau des heutigen Bodemuseums und mehr noch auf dessen Ausgestaltung mit Gemälden, Skulpturen, Möbeln, Architekturdetails und Kunsthandwerk Einfluß genommen hat, nannte in seinen Lebenserinnerungen nicht Ihne als Schuldigen an manchen Pannen und Mißgriffen an dem Bau, sondern dessen Baurat Max Hasak, weil der »darauf loszubauen« pflegte und damit das gemeinsame Programm »vergewaltigte«.
     Am Zusammenfluß von Spree und Kupfergraben auf der Nordspitze der Museumsinsel hatte Ihne mit Unterstützung auch des 1896 speziell für diesen Zweck von finanzkräftigen Kunstfreunden gegründeten Kaiser-Friedrich- Museumsvereins einen bemerkenswerten, überaus reich dekorierten Musentempel errichtet, dessen Gründung völlig im Wasser auf Beton zwischen Spundwänden, wie Hasak 1904 schrieb, bereits eine technische Meisterleistung war. In diesem palastartigen Bau zwischen Inselspitze und S-Bahn- Trasse wurde eine neuartige Kombination von Gemälden, Skulpturen, Architekturfragmenten und Kunstgewerbe zelebriert.
     Für 2004, wenn hundert Jahre Kaiser-Friedrich- Museum gefeiert wird, ist die Wiedereröffnung des innen und außen restaurierten Kunsttempels geplant. Für die Zeit danach gibt es Pläne, die erst vor einiger Zeit in der Neuen Gemäldegalerie am Kulturforum präsentierten Bilder (BM 4/1998) an ihren Ursprungsort auf der
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Inselspitze zurückzuführen und damit historische Zustände wieder herzustellen. Dieses »integrierte Museum« in einem Komplex mit fünf Innenhöfen und unterschiedlich langen Seitenflächen war eine Erfindung Wilhelm von Bodes, der mit der Präsentation unterschiedlicher Objekte eine ganzheitliche Sicht auf eine Kunstepoche anstrebte. Bestehend aus der Großen Kuppelhalle mit einer Nachbildung von Schlüters Reiterstandbild des Großen Kurfürsten und der Kleinen Kuppelhalle mit Standbildern Friedrichs des Großen und seiner Generäle, mit kirchenartigen Innenräumen, langen Galerien und kleinen Kabinetten mit Ober- und Seitenlicht, zählt das Bodemuseum zu den schönsten und am besten erhaltenen Bauten Ernst Eberhard von Ihnes.
     Wilhelm von Bode beurteilte übrigens das Kaiser-Friedrich- Museum günstiger als andere Kritiker, die sich über den etwas abgelegenen Standort, die verwinkelte Raumdisposition und die prunkvolle Ausgestaltung erregten. In seinen Erinnerungen »Aus meinem Leben« (1930) schrieb Bode: Die dem Architekten bei der Eröffnung gemachten Vorwürfe über die Mängel sowie über die unklare Disposition der Ausstellungsräume im Oberstock waren durchaus ungerechtfertigt.
     Daß der Stararchitekt bei Hofe eine bevorzugte Stellung innehatte, war für ihn im nachhinein eher schädlich, die Mit- und Nachwelt hat Ihne keine Kränze geflochten. Kritiker sahen in ihm einen »kalten Arrangeur«, verdächtigten ihn der Kulturlosigkeit
und Unfähigkeit, eine Säule ins Gefüge, ein Fenster in die Wand zu setzen. Bis heute hat sich das Urteil gehalten, Ihne sei Hauptvertreter der Staatsarchitektur des Kaiserreichs in den Formen des italienischen Neobarocks gewesen, mehr nicht. Obwohl in Berlin, Potsdam und anderswo mit wichtigen Bauten vertreten, fehlt bisher ein komplettes Werkverzeichnis. Es ist daher höchste Zeit, Ihne differenzierter zu betrachten. Dies hat Oliver Sander in dem schon erwähnten Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (S. 95-136) getan, wo auch mit Legenden und Mißverständnissen aufgeräumt und versucht wird, den von der Architekturgeschichte übersehenen Ihne aus dem Klischee zu erlösen, er sei nichts anderes als der willfährige Hofarchitekt namens »En-Hi« (Anagramm von Ihne) bei Harun al Raschid II., also Kaiser Wilhelm II., gewesen. Freilich sei Ihne kein Revolutionär gewesen, wie Sander nach der Analyse der Ihneschen Bauten zusammenfaßt, auch kein wegweisend Moderner, weder architektonisch noch politisch. Der Reiz neuer Bautypen wie der Geschäftshäuser, der Verkehrsbauten oder des Industriebaus hätten ihn kaum beschäftigt und auch nicht seinem gesellschaftlichen Selbstverständnis als Hofarchitekt entsprochen. Trotzdem, meint Sander, so durchgängig kühl, schematisch, wilhelminisch-monumental wie oft vereinfachend behauptet wurde, ist sein Werk nicht. Ernst von Ihne starb am 21. April 1917 in Berlin.

Bildquelle: Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
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