61   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Nächstes Blatt
Hellerzahn - Europas größte Platte

Dorothee Ifland und Dieter Winkler zur Bildung des neuen Großbezirks im Osten

Berlin verändert sein Gesicht und auch seine Verwaltungsstruktur. Aus dreiundzwanzig Stadtbezirken werden zwölf. Nur Spandau, Neukölln und Reinickendorf bleiben unverändert erhalten. So sieht es das Gebietsreformgesetz vom 10. Juni 1998 vor. Was achtzig Jahre lang der Stadt eine »innere Ordnung« gab, erweitert nur durch die drei neuen Großsiedlungsbezirke Hohenschönhausen, Marzahn und Hellersdorf, ist nun bald perdu. In einer lockeren Folge unterhält sich Bernd S. Meyer mit Leitern von Heimatmuseen der Stadtbezirke, was diese Schnitte in die Berliner Seele bedeuten. Die Gesprächspartner diesmal: Dorothee Ifland (Marzahn) und Dieter Winkler (Hellersdorf).

Bekanntlich identifizieren sich die typischen Berliner vor allem mit ihrem Kiez, erst in zweiter Linie mit dem Bezirk und der Gesamtstadt. Trotzdem gab es überall heftige Diskussionen um die Zusammenlegung der Stadtbezirke. Wie war das in Marzahn und Hellersdorf?
     Dorothee Ifland: Zuerst war da ein relativ großer Vorbehalt: Eine riesige Großsiedlung,

wahrscheinlich das größte Plattenbaugebiet Europas, würde das werden, ein Moloch, der soziale Verwerfungen nicht aufhalten kann, sondern selber produziert. Aber da mit der letzten Entwicklung eine relative Beruhigung eingetreten ist und das Schreckensszenario nicht so stattfindet, kann man das alles ganz unaufgeregt sehen. Es war ja bis zur Ausgliederung Hellersdorfs 1986 schon mal ein Bezirk, und die drei damals voneinander getrennten Dörfer an der Ostbahn von Berlin nach Küstrin (Biesdorf/ Kaulsdorf/ Mahlsdorf) sind ja schon jahrhundertelang in gleichartiger Entwicklung.
     Dieter Winkler: Die bodenständigen Bewohner von Kaulsdorf und Mahlsdorf spotteten schon seit 1986, daß sie nun im dritten Bezirk wohnen, ohne auch nur einmal umgezogen zu sein. Jetzt kommt für sie der vierte. Bekanntlich gehörten die Siedlungen bis 1979 zu Lichtenberg, dann zu Marzahn, ab 1986 zu Hellersdorf. Eigentlich interessiert die Einwohner mehr, daß die Bürgerbüros gut arbeiten, die Wege kürzer werden, denn die Hellersdorfer Verwaltung liegt für sie verkehrsungünstig. Bei den Großsiedlungsbewohnern, die seit den achtziger Jahren alle aus anderen Berliner Bezirken und der DDR-Provinz in ein sehr großes Neubaugebiet zogen, das dann eine eigene Verwaltung bekam, entsprachen die Bedenken denen der Marzahner. Jetzt geht es aber eher um die Modalitäten dieser, sagen wir mal Wiedervereinigung, um Rathaussitze und so weiter.
BlattanfangNächstes Blatt

   62   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Was hat Ihr Bezirk im 20. Jahrhundert für die Entwicklung der Stadt bedeutet, welche Traditionen sind mit ihm verbunden?
     Dieter Winkler: Als selbständiger Stadtbezirk hat Hellersdorf es gerade auf fünfzehn Jahre Existenz gebracht. Aber vorher war natürlich auch schon was, denn die Urbanisierung geschah hier in zwei Phasen. Die erste von 1890-1914 entlang der Ostbahn. Im Südteil des heutigen Hellersdorfer Gebiets entwickelten sich in den zwanziger und auch noch in den dreißiger Jahren die größten geschlossenen Siedlungen von Ein-, Zwei- und kleinen Mehrfamilienhäusern in Berlin. Sie gehörten zu Lichtenberg und damit zum roten Berliner Osten. Hier hat es in der Nazizeit viel Widerstand gegeben, Heinrich Grüber (1891-1975), ab 1934 Pfarrer von Kaulsdorf, war dreieinhalb Jahre im Konzentrationslager. Er ist heute Berliner Ehrenbürger. In der Zeit des Faschismus sind hier auch jüdische Bürger versteckt und so vor Deportation und Tod gerettet worden. Die zweite Phase begann in den siebziger Jahren, fußte letztlich auf der Fortschreibung von Planungen zur Zeit der Weimarer Republik. Die ehemaligen landwirtschaftlich genutzten Rieselfeldflächen am Rand Berlins boten viel Platz. Hellersdorf ist schließlich die letzte Großsiedlung des DDR- Plattenbaus geworden, hier bauten damals die Wohnungsbaubetriebe aus allen Bezirken der östlichen deutschen Republik ihre unterschiedlichen Typenprojekte.
Obwohl aus Sparsamkeitsgründen vor allem Fünf- und sogar Sechsgeschosser ohne Fahrstuhl gebaut wurden, gibt es darum eine Vielfalt der Grundrisse, Wohnungsgrößen und Gebäudeformen, die schon als »Architekturmuseum der Platte« oder »Bibliothek des Plattenbaus« apostrophiert wurde. Aber es ist alles noch viel zu neu, um Museum zu sein, außerdem ganz in Bewegung. Die vorhandene Wohnbebauung ließ viele Freiflächen übrig, die Infrastruktur war noch nicht fertig. Aber wir besitzen mit der U 5 die einzige U-Bahn-Linie der Stadt, die bis an die Landesgrenze Brandenburg reicht. Hellersdorf gehört mit seinen vielen Grünflächen, den vielen Bäumen, alten wie neuen, zu den grünsten Bezirken der Hauptstadt, dank der Verkehrsführung auch zu den ruhigsten.
     Hier zogen viele junge Familien mit Kindern her, gutausgebildete Facharbeiter, Meister, Lehrer, also Arbeiterelite und mittlere Intelligenz, eine gute Mischung. Nach wie vor bedeutet das einen relativen Kinderreichtum, ein hohes Familieneinkommen über dem Gesamtberliner Durchschnitt (oft arbeiten beide Ehepartner) und eine etwas niedrigere Arbeitslosenrate.
     Dorothee Ifland: Unterscheiden muß man zwischen dem Süden - Biesdorf - und dem Norden - Marzahn. Biesdorf wurde Anfang des Jahrhunderts aufgrund der günstigen Verbindung nach Berlin eine Siedlung kleiner Angestellter und Arbeiter an der Ostbahn.
BlattanfangNächstes Blatt

   63   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Museumsleiter Dorothee Ifland und Dieter Winkler auf dem Marzahner Dorfanger vor dem neuen Bezirksmuseum
Damals galt es sogar als eine Ausflugsgegend mit Gartenlokalen vor den Toren der Stadt, mit entsprechender Werbung als Werder des Ostens. Zwischen 1940 und 1942 entstand im Norden, damals weit außerhalb der bebauten Stadt, die Rüstungsfirma Hasse & Wrede. Dort arbeiteten auch viele Zwangsarbeiter. Zu DDR-Zeiten war der Betrieb bekannt als BWF Berliner Werkzeugmaschinenfabrik, Stammbetrieb des Kombinats »7. Oktober«, jetzt ist er Sitz von Knorr-Bremse. Im Kultursaal dieses Betriebes fand übrigens zum 50. Jahrestag der faschistischen Pogromnacht am 9. November 1988 ein Benefizkonzert der bekanntesten DDR-Rockmusiker für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge statt, mitorganisiert von der FDJ-Betriebsorganisation. Das ringsum mit dem neuen Stadtbezirk entstandene Industriegebiet Marzahn-West besitzt eine Nord-Süd- Ausdehnung von über drei Kilometern, ist damit eines der größten Industriegebiete der Stadt. In den ersten drei Vierteln des Jahrhunderts gab es außerhalb des alten Marzahner Dorfkerns nur kleine Siedlungsgebiete. Das Dorf war auf drei Seiten von Rieselfeldern umgeben, die Bauern belieferten die Stadt mit Gemüse. 1953 wurde die spätere Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) «Edwin Hoernle« gegründet. 1973 begann in atemberaubendem
BlattanfangNächstes Blatt

   64   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Tempo die Planung der Großsiedlung mit 35 000 Wohnungen für rund 100 000 Bewohner. Hier baute ab 1975 (Tiefbau) und ab 1977 (Hochbau) zuerst allein das Berliner Bauwesen. Ende des Jahres 1977 wurde der erste Block Marchwitzastraße/Allee der Kosmonauten bezogen. Drei Wohngebiete von Süd nach Nord entstanden, später wurde dann in Marzahn West, Ost und Nord noch einmal erweitert und Hellersdorf ausgegliedert. Die westlichen Allierten hatten 1979 im Gegensatz zu einigen Westberliner Politikern und Journalisten nichts gegen die Gründung des neuen Stadtbezirks - innerhalb der im Londoner Protokoll von 1944 festgelegten Verwaltungsgrenzen Berlins. So informierte der »Tagesspiegel« am 7. 4. 1979. Zehn Jahre später wohnten rund 170 000 Leute in Marzahn, davon etwa drei Viertel in der Großsiedlung.

Was hat sich im Bezirk seit der Wiedervereinigung der Stadt verändert?
     Dieter Winkler: Natürlich hat ein gewisser Bevölkerungsaustausch stattgefunden, jetzt ziehen jüngere gutverdienende Fami lien aus den Plattenbauten weg, weil nach heutigen Bedürfnissen die Kinderzimmer der Wohnungen aus den späten Siebzigern zu klein sind. Manche ziehen bloß 1000 Meter weiter in die älteren Einfamilienhausgegenden des Stadtbezirks. Sie bauen, wenn sie es sich leisten können, dort eigene Häuser. In allen diesen Einfamilienhaussiedlungen hat eine deutliche Verdichtung stattgefunden,

wo früher nur ein Haus auf einem großen Grundstück stand, stehen jetzt drei oder vier. Dort sind auch viele neue Bewohner aus dem Westteil Berlins und aus Westdeutschland zugezogen. Hellersdorf hat einen für Berliner Verhältnisse unterdurchschnittlichen Ausländeranteil. Etwa achttausend Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion sind zugezogen, darunter viele hochgebilde Leute, Lehrer, Künstler, Ingenieure, die sich langsam in das kulturelle und politische Leben integrieren. Natürlich, es gibt Arbeitslosigkeit und zunehmend auch Sozialhilfeempfänger. Aber insbesondere Leute über 45, bei denen meist die Kinder aus dem Haus sind, schätzen das in eineinhalb Jahrzehnten gewachsene Wohnumfeld. Ihre Mieten sind trotz Sanierung moderat geblieben, und ihnen genügen die vorgegebenen Wohnungsgrößen. Die Anfang der neunziger Jahre vielerorts befürchtete Verslumung ist nicht eingetreten. Der Handel ist erwartungsgemäß auf einem völlig anderen Niveau, da wurde sehr viel gebaut, etwa das Zentrum Helle Mitte, auch manche Arbeitsplätze geschaffen. Und die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) ist sehr aktiv in der Verbesserung von Wohn- und Lebensqualität in der Großsiedlung, von der Sanierung der Typenbauten, etwa der Vergrößerung von Küchen und Bädern, der Zusammenlegung von Zimmern in den Wohnungen, aber auch von der ökologischen Erneuerung, etwa Regenwassernutzung, Solartechnik, Strategien der Müllvermeidung.
BlattanfangNächstes Blatt

   65   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Auf der EXPO 2000 in Hannover wird der Bezirk als alleiniger Repräsentant Berlins mit dem Status »Weltweites Projekt« vertreten sein, das die »nachhaltige Entwicklung einer Siedlung in industrieller Bauweise« darstellt und damit Modellcharakter für zahllose Siedlungen in industrieller Bauweise auf der ganzen Welt bekommt. Von der WoGeHe wurde erfunden, daß junge Leute ein halbes Jahr mietfrei in den sonst womöglich leerstehenden sechsten Etagen wohnen können. Diese neuzeitliche Variante des altbekannten »Trockenwohnens« macht den Außenbezirk auch für Studenten annehmbar und freut die Vermieter.
     Eine wesentliche Bereicherung bedeutete der Umzug der Fachhochschule »Alice Salomon« von Schöneberg nach Hellersdorf, ihre sozialpolitische Kompetenz ist bereits in der Kommunalpolitik zu spüren. Ich habe in den Gremien der Bezirksverordneten- Versammlung zur Straßenumbenennung mit durchgesetzt, daß 1995 im neuen Zentrum Hellersdorfs erstmals ein Platz in Berlin nach Alice Salomon (1872-1948) benannt wurde. Auch die Lyrikerin Nelly Sachs (1891-1970) oder der deutsch- amerikanische Maler Lyonel Feininger (1871-1956) konnten so geehrt werden. Als Anfang der neunziger Jahre die Benennungen nach DDR- Funktionsträgern abgeschafft wurden, konnten wir damals schon manche Platz- und Straßennamen einführen, die es sonst nirgendwo gab.
Beispielsweise nach dem Dichter Peter Huchel (1903-1981), dem Philosophen Ernst Bloch (1885-1977). Frauennamen wurden gleichberechtigt. Frauen aus der evangelische Kirchgemeinde Kaulsdorf schlugen zum Beispiel damals Maxi Wander (1933-1977) vor, die mit ihren Büchern so wichtig für DDR-Frauen geworden war. Das alles findet man im Stadtplan!
     Dorothee Ifland: Nach wie vor haben wir ein relativ niedriges Durchschnittsalter der Einwohner, gutes Bildungsniveau. Das Haushaltseinkommen im Stadtbezirk liegt deutlich über dem Berliner Durchschnitt, weil meist beide Ehepartner arbeiten, die Arbeitslosigkeit entspricht dem Durchschnitt. Inzwischen sind zwei Drittel der Plattenwohnungen saniert, übrigens auch das über vierzig Jahre alte Studentenwohnheim der Humboldt- Universität in der Biesdorfer Oberfeldstraße. Ein Problem ist, daß die Wohnverhältnisse heutigen Bedürfnissen angepaßt werden müssen, um Leute mit gutem wirtschaftlichen Standard zu halten, auch solche, die keine große Vierraumwohnung mehr brauchen. Das ist wichtig, um die günstige soziale Mischung nicht zu gefährden. Im Entwicklungsgebiet Biesdorf Süd entsteht Wohneigentum. Leute, die in Marzahn seit 20 Jahren wohnen, haben eine sehr hohe Bindung, haben hier ihren Freundeskreis, mögen die Atmosphäre. Manche, die ihren Kindern nachzogen, sind später sogar wieder zurückgekommen.
BlattanfangNächstes Blatt

   66   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Das neuentstandene Netzwerk der Vereine fängt manche weggebrochene Struktur auf und schafft viele neue Kommunikationsmöglichkeiten. Typisch ist nach wie vor ein geringer Ausländer-, aber extrem hoher Aussiedleranteil von geschätzten acht Prozent. Die Aussiedler beginnen sich zu integrieren, am einfachsten die Kinder. Nicht zu vergessen ist: 30 000 Arbeitsplätze in Marzahn verschwanden, z. B. bei Elektroprojekt/ Anlagenbau, BWF, Stern-Radio. Berlin-Kosmetik (heute: »berlin cosmetics«) baute von 900 auf 40 Beschäftigte ab, die Großbäckerei nur von 380 auf 220 (heute: »Harry Brot«!) Aber mit der Entwicklung des Handels, der Dienstleistungen und der Ansiedlung neuer Firmen hat Marzahn sogar 6000 Arbeitsplätze mehr als vor 1990. Immer mehr wird der Bezirk zu einem der grünsten Bezirke Berlins. So wird im großen Erholungspark rund um den Kienberg (Berliner Gartenschau 1987) jetzt im Sommer der Chinesische Garten fertig. Übrigens haben wir nach und nach auch so etwas wie Kiez-Charakter in unsere großgerasterte Plattenbaulandschaft bekommen. Um die Ecke gibt es jetzt den Arzt, den Bäcker, kleine Läden.

Wie geht es mit dem Heimatmuseum im neuen Großbezirk weiter?
     Dorothee Ifland: Mit Eröffnung der neuen wunderschönen Ausstellungsräume im schon fertiggestellten Hauptgeschoß der alten Marzahner Dorfschule haben wir uns im September 1999 in Bezirksmuseum Marzahn umbenannt.

Die seitdem laufende Ausstellung »20 Jahre Marzahn. Geschichte- Bauen- Leben« zeigt den Blick auf die Großsiedlung auch aus der Planerwie aus der Bewohnerperspektive und bietet ein breitgefächertes Panorama jüngster Geschichte. Unsere Ausstellung über historische Stadtplanung für den Berliner Nordosten ist seit 1997 auf Wanderschaft innerhalb und außerhalb Berlins und wird vermutlich noch eine Weile wandern. Die nächste Ausstellung ab September dieses Jahres soll anläßlich der urkundlichen Ersterwähnung von Marzahn vor 700 Jahren und der von Biesdorf vor 625 Jahren die ältere Geschichte der Siedlungen ausbreiten. Wir freuen uns, daß das schöne Haus auf dem Marzahner Dorfanger einschließlich eines Leseraums für Archivnutzer bald ganz fertig ist. Unser sehr engagierter Förderverein hat es maßgeblich geschafft, daß wir aus der räumlichen Enge des Marzahner »KulturGuts« zu diesen neuen Möglichkeiten kamen.
     Dieter Winkler: Beide Bezirke haben - von 15 Jahren Eigenständigkeit Hellersdorfs abgesehen - eine gemeinsame Geschichte. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, daß in der alten Marzahner Dorfschule ein gemeinsames regionalgschichtliches Museum des Großbezirks entsteht. Hier im Hellersdorfer Neubau, in unserer »Pyramide« wäre ein idealer Platz für Ausstellungen zur Baugeschichte der Ostberliner Großsiedlungen, so wie wir derzeit auch die Marzahner Ausstellung zur über hundertjährigen Stadtplanungsgeschichte des Berliner Nordostens zeigen. Die beiden bisherigen Museen arbeiten übrigens schon seit Jahren zusammen und gestalten gemeinsame Projekte.
BlattanfangNächstes Blatt

   67   Berliner Gespräche Vier Dörfer und eine Stadt  Voriges BlattArtikelanfang
Das Heimatmuseum fühlt sich zuständig für den Kiez und seine Tradition, wie kann man den Menschen im neuen Großbezirk dieses Heimatgefühl erhalten?
     Dieter Winkler: Wir haben aus Anlaß der Ortsteiljubiläen zu 650 Jahre erste urkundliche Nennung von Mahlsdorf 1995 und Kaulsdorf 1997 große Projekte mit Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen gehabt. Sowohl die Bewohner der Einfamilienhaus- Wohngebiete um die alten Ortskerne als auch die in den Plattenbausiedlungen freuen sich, wenn sie im Museum historisches Material zur Identifikation mit ihrem näheren Wohnumfeld finden können.
     Dorothee Ifland: Im flächenmäßig großen Bezirk muß Geschichtsarbeit auch dezentral präsent sein. Das bedeutet vielfältige Angebote, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Wir haben schon ein Dutzend eigene Publikationen herausgegeben, darunter auch zu den Ausstellungen. Die Leute sollen die Widersprüche begreifen, Interessen ausprägen. Wir sind nicht die Lehrmeister, können aber Anstöße zur Auseinandersetzung geben. Auch der Mühlenverein, mit dem wir zusammenarbeiten, bietet solche Identifikationsmöglichkeiten. Im Zuge der Neubebauung war 1977/78 die Marzahner Bockwindmühle abgetragen worden.
Und nachdem man schon zu DDR-Zeiten und auch nach 1990 eine wiederaufbaubare Mühle kaufen wollte, wurde schließlich 1994 eine neue Mühle gebaut, die im Unterschied zu manch anderer auch funktioniert. Der Marzahner Windmüller Jürgen Wolf produziert Mehl, daraus bäckt der Marzahner Dorfbäcker das Marzahner Mühlenbrot.

Obwohl die Namen der neuen Bezirke noch nicht feststehen, wurde gerade um sie heftig gestritten. Welcher Name des neuen Bezirks wäre Ihnen am liebsten?
     Dorothee Ifland: Das vielbeschworene Hellerzahn wird's wohl nicht, Wuhletal ist auch nicht schlecht. Der Vorteil einer »Bindestrich-Variante« wäre vielleicht, daß beide Bezirke sichtbar bleiben, etwa M.-H. oder H.-M.
     Dieter Winkler: Mein Bürgermeister favorisiert »Wuhletal«. Dem stimme ich zu, wenn es gelingt, das Wuhletal als Naturlandschaft in der Mitte des künftigen Großbezirks zu erhalten. Dann würde die Wuhle nicht mehr zwei Bezirke trennen, sondern zu einem verbinden.

Foto: B. S. Meyer

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
www.berlinische-monatsschrift.de