4 Probleme/Projekte/Prozesse | Führer durch den Berliner Zoo |
Harro Strehlow
Schauerliches von der Schleiereule Die Führer durch den Berliner Zoo vor dem Ersten Weltkrieg Als der Zoologische Garten bei Berlin als erster in Deutschland am 1. August 1844 für das Publikum öffnete, fanden sich die Besucher in einem weitläufigen Gelände von rund 22 ha, das zum großen Teil mit Wald bedeckt war. Ein Netz von oft gewundenen Wegen führte zu den einzelnen Tierbehausungen.
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im Jubiläumsbuch abgedruckt.2) Der Tierbestand ist im wesentlichen derselbe, doch sind die Veränderungen sorgfältig aufgeführt, so daß sich noch heute daraus ableiten läßt, welche Tiere zwischen den beiden Auflagen hinzugekommen oder gestorben sind.3)
Diesen beiden Verzeichnissen folgten weitere, bis im August 1846 die sechste Ausgabe erschien. Ihr ist ein »Plan des zoologischen Gartens bei Berlin, 1845« beigefügt. Leider sind die vierte und fünfte Ausgabe bis heute verschollen, nur ein Supplement der fünften Ausgabe befindet sich im Zooarchiv.4) Noch ein Jahr später erschien ein richtiger »Führer im zoologischen Garten zu Berlin«. Mit 24 Seiten handelt es sich bereits um ein kleines Heft im Oktavformat. Soweit wir es heute nachvollziehen können, erschienen 1847 drei Auflagen, außerdem »Zusätze« über die neu angekommenen Tiere, erhalten ist ein zweiseitiges Blatt vom 19. September. Bis 1869 werden die Führer von L. Weyl & Comp. herausgegeben, ein Autor wird nicht vermerkt. Daß es der damalige Direktor Martin Heinrich Lichtenstein (1780-1857) selbst oder der Tierinspector - bis 1852 der Tierarzt Theodor Leisering (1820-1892) - waren, ist unwahrscheinlich. Zwei Kostproben aus dem Text des Führers von 1847 sollen das belegen. Über den Kondor schreibt der Autor auf Seite 11: »Die Indianer versichern, daß sie den Menschen nicht gefährlich sind. Stiere tödten sie, indem sie ihnen Augen und Zunge ausreißen; sie stürzen sich auf Hirsche und Löwen.« Zwei Seiten weiter |
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heißt es zur Schleiereule: »Die Schleiereule ist über 1F. (Fuß=0,31385 m) lang, rostfarben mit schwarzen und weißen Flecken, sie ist die schönste Art. Man erzählt sich viel Abergläubisches, Erwürgen der Kinder etc. von diesem Thiere.« Eher fühlt der Leser sich an Alfred Brehms (1829-1884) Kritik von 1866 an Zooführern erinnert: »Wir haben uns daran gewöhnt, unter einem >Führer durch den zoologischen Garten< nicht mehr als einen Anzeiger der zur Zeit in besagtem Garten lebenden Thiere zu verstehen ... Einzelne dieser Verzeichnisse verstiegen sich auch wohl bis zu einer Misshandlung der Lebensgeschichte der Thiere.«5)
Ab 1848 enthalten die Führer ein (unvollständiges) Verzeichnis der Tiere, ab 1849 auch einen Plan. In den fünfziger Jahren ist in den immer noch 24seitigen Führern ein Plan enthalten, aber kein Register mehr. In den sechziger Jahren steigt der Umfang der Führer an. Der Führer von 1864 besitzt schon 32 Textseiten, dazu 14 Holzdruck-Tafeln und einen wesentlich verbesserten Plan. Den Titel schmückt ein Druck des damals einzigen Zooeinganges, der nach der Stadt hin ausgerichtet etwa dort lag, wo heute der Weg zwischen dem Zebra- und dem Okapi-Gehege hindurch führt. Viele der Drucke sind in dem Buch »Der Zoo im Spiegel seiner Bauten«6) abgebildet. Dort findet sich auch auf den Seiten 400/401 ein Verzeichnis aller im Zooarchiv zusammengetragenen Führer. Es ist anzunehmen, daß die Führer bis 1869 |
Aufschlagseite des Führers von 1864 |
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Jahr des Umbruchs. Der erste große Umbau des Gartens wurde eingeleitet, indem die exotischen Stilbauten und die Prachtbauten, wie die Elefantenpagode, die Bärenburg, das Raubtierhaus und das Antilopenhaus, entstanden. Die Verwaltungsform änderte sich, und zum erstenmal wurde ein wissenschaftlicher Direktor, Heinrich Bodinus (1814-1884), eingestellt.7) Leider ist diese Umbauperiode durch Führer nicht dokumentiert. Der erste bekannte Führer nach 1869 stammt aus dem Jahre 1872, als der Umbau fast vollendet war. Auch bei ihm ist der Autor nicht genannt. Die Führer erscheinen jetzt im Selbstverlag J. L. Fernbach. 1872 gab es mindestens neun Auflagen, von denen die zweite und die neunte erhalten sind, außerdem eine weitere 1873. Sie heißen jetzt »Führer durch den Zoologischen Garten«. Auf 25 Textseiten führen sie durch den Zoo. Weitere drei bis vier Seiten nennen kurz die Sehenswürdigkeiten Berlins und seiner Umgebung. Ein ausklappbarer Plan enthält eine einfache Panorama-Ansicht des Zoos mit der Darstellung der wichtigsten Bauten. Sonst sind keine Abbildungen vorhanden. Durch den stark angestiegenen Tierbestand werden zu den einzelnen Arten kaum noch Anmerkungen gemacht, es handelt sich fast um eine reine Aufzählung der Tiere, die in der jeweiligen Anlage zu sehen sind.
Offensichtlich waren die Herausgabe und der Verkauf von Zooführern ein lukratives Geschäft. Die Preise und die Auflagenhöhe |
sind nicht bekannt. Auch keine Verträge mit der Zoodirektion, die vermutlich der Herausgabe zustimmen mußte. Nachdem bereits 1851 ein Führer im Verlag Elsner & Migeod erschienen war, der sich aber anscheinend gegen die Konkurrenz nicht durchsetzen konnte, wechselte der Verlag jetzt jährlich. 1873 erschien ein Führer bei Wassermann, im Jahr darauf bei H. Boudouin, und schließlich 1875 bei A. Schulze. Die Kennzeichnung »Selbstverlag« weist vielleicht darauf hin, daß die genannten Herren nicht nur Herausgeber, sondern zugleich Autoren der Führer waren. Obwohl 1882 noch einmal ein Führer im Selbstverlag eines Herrn A. G. Knopf erschien, übernahm doch ab 1874 der Direktor des Zoos, Heinrich Bodinus, die Herausgabe.
Unter dem Titel »Die Thierwelt im Zoologischen Garten von Berlin, geschildert von H. Bodinus«, erschienen vermutlich jährlich Führer. Mit 110 Seiten boten sie genügend Platz für die Schilderung des Rundgangs, die Benennung der in den einzelnen Anlagen gehaltenen Tiere und kurze Beschreibungen der Tiere. Ein ausführliches Register von neun Seiten schließt jeweils den Band ab, der weder einen Plan noch Abbildungen enthält. Die wesentlich bessere Qualität der Kurztexte soll am Beispiel des Kondors verdeutlicht werden: »... lebt in Südamerica vorzugsweise auf den Cordilleren, vertilgt nicht allein Aas, sondern soll sich auch auf lebende Thiere stürzen und solche selbst von der Größe des Guanaco angreifen. Von vielen, |
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Plan des Zoologischen Gartens von 1890 | ||
zu denen auch wir gehören, wird dies bezweifelt, und wahrscheinlich ist es auch nur, dass er schwache und verendete Thiere tödtet.« Neu ist auch ein Abschnitt zur Geschichte des Gartens, der 1874 noch drei Seiten beträgt, 1884 aber bereits fünf Seiten.
Nach dem Tod von Heinrich Bodinus im November 1884 trat der vorherige Frankfurter Zoodirektor Maximilian Schmidt |
(1834-1888) sein Amt im Februar 1885 an. Von ihm sind zwei Führer, von 1887 und 1888, erhalten, die sich in ihrer Aufmachung nicht von ihren Vorgängern unterscheiden.
1888 wurde Ludwig Heck (1860-1951) Zoo-Direktor. Wie Heinrich Bodinus war er vorher im Zoo von Köln als Direktor tätig gewesen. Mehr als 43 Jahre nahm er diese Position ein und prägte wie kein anderer |
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den Berliner Zoo. Daß seine Position in den ersten Jahren nicht ganz einfach war und daß er einen Rückhalt in der Aufrechterhaltung der Tradition suchte, kommt in den von ihm seit 1889 herausgegebenen Zooführern zum Ausdruck. Als Autoren des Führers, der immer noch den von Bodinus eingeführten Titel »Die Thierwelt ...« trug, nannte er Dr. Bodinus, Dr. Max Schmidt und Dr. L. Heck. Diese Benennung behielt er bis 1898 bei.
Zeichnung aus dem Führer von 1899 |
Dennoch unterschieden sich die Hefte von ihren Vorgängern. Sie besaßen ein größeres Format (15,5 x 23,2 cm). 1890 betrug ihr Umfang 88 Seiten, wobei die Seitenzählung mit der Titelseite begann, 1893 war der Umfang auf 96 Seiten gestiegen, 1896 auf 95 Seiten zurückgegangen. Dafür entfallen in dieser Ausgabe die Leerseiten hinter dem Titelblatt und dem Inhaltsverzeichnis. Sie enthalten auch wieder einen Plan, dafür ist das Register entfallen.
Auffälligster Unterschied ist die Verwendung von Abbildungen. Das Titelblatt schmückt ein Blick vom Eingang auf die Bärenburg, weitere fünf Bilder zeigen beinahe halbseitig in den Text gestreut andere Prachtbauten. Obwohl die Führer zwischen 1889 und 1898 sehr ähnlich sind und sie nach 1890 keine Jahreszahl mehr enthalten, gibt es doch kleine Unterschiede im Text, aus denen sich das jeweilige Erscheinungsjahr herleiten läßt. Zwei Führer zeichnen sich durch eine Besonderheit aus, mit der in Zooführern wohl kaum gerechnet wird. Die Ausgabe von 1893, deren einziges bekanntes Exemplar im vorigen Sommer von einem Sammler auf einem Trödelmarkt entdeckt wurde, enthält am Ende der dreiseitigen Geschichte des Gartens einen Nachruf auf das am 19. Februar 1893 verstorbene Mitglied des Vorstandes Gerson von Bleichröder, der seit 1870 auch Schatzmeister war. |
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Der Führer von 1886 enthält sogar zwei, allerdings viel kürzere Nachrufe auf die beiden Vorstandsmitglieder Salomon Lachmann, gestorben am 24. November 1893, und Julius Helfft, gestorben am 28. März 1894.
Eine erneute große Umgestaltung des Zoologischen Gartens fand zwischen 1898 und 1901 statt. Es entstanden in diesem Zeitraum nur wenige neue Tierhäuser, aber die Zoolandschaft erfuhr eine entscheidende Änderung. Um die Wegeführung zu vereinfachen und den Ansprüchen des Unterhaltungsbetriebes der Gastronomie anzupassen, entstand die noch heute bestehende Dreisternpromenade. Die neue Waldschänke, das Elefantenportal, der Russische Musikpavillon und der Ausstellungsplatz für Völkerschauen sind nur einige Beispiele für den Um- und Ausbau in dieser Zeit. An Tierhäusern kamen das Nordische Hirschhaus, der Ägyptische Tempel für Strauße und die neue Fasanerie hinzu. | Aufschlagseite des Führers von 1899 |
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Auch in den Zooführern findet die neue Periode ihren Niederschlag. Der von 1899 ist bereits mit 11,5 x 17,5 cm wesentlich kleiner als seine Vorgänger. Sein Umfang beträgt 152Seiten. Sein Titel »Naturgeschichtlicher Führer durch den Berliner Zoologischen Garten« wird betont durch den Stich eines Löwenkopfes auf dem Titelblatt. Autor ist Ludwig Heck, herausgegeben wird der Führer jetzt vom Aktienverein des Zoologischen Gartens. Auf dem Titelblatt ist auch vermerkt: »1. bis 30. Tausend«. Ob es noch weitere Auflagen gegeben hat, ist unbekannt. Der nächste Führer erschien jedenfalls erst 1901.
Der Text ist dem seiner Vorgänger noch sehr ähnlich. Die Geschichte des Zoos, nach dem Inhaltsverzeichnis, umfaßt acht Seiten. Eine Fülle von in den Text einfügten Stichen zeigt Vertreter der jeweils besprochenen Tiere. Ein Plan oder ein Register fehlen. Die Führer erschienen jetzt in zweijährigem Rhythmus. Einzige Ausnahme waren die von 1905 und 1906, in denen die Ausgabe von ungeraden zu geraden Jahreszahlen wechselte. Sie heißen jetzt »Führer durch den Berliner Zoologischen Garten«, wobei dieser Titel nur auf der Titelseite des Heftes von 1901 steht. Bei allen anderen steht auf dem Titelblatt nur noch »Zoologischer Garten Berlin«. Die Führer sind jetzt noch etwas kleiner geworden (10,5 x 16 cm). Ihr Umfang beträgt zwischen 99 und 144 Seiten. Das farbige Titelbild ist bis 1908 vom Jugendstil geprägt und zeigt 1901 einen Flamingo vor einer |
Lagunenlandschaft, 1903 bis 1906 einen Rothirsch und 1908 wieder einen Flamingo. 1910 und 1912 schmückt die obere Hälfte der Kopf eines Afrikanischen Elefanten, dessen Rüssel sich in der unteren Hälfte etwas um den Schriftzug herumwindet. 1914 zeigt ein Zebra auf grünem Grund. Die Titelbilder von 1901, 1910 und 1912 tragen den Schriftzug des Tiermalers Paul Neumann (1768-1961). Das Titelblatt von 1903 bis 1906 hat Zander gestaltet. Der Umschlag des Heftes von 1914 zeigt den Namen Ortmann.
Alle Führer dieser Zeit enthalten einen eingehefteten farbigen Plan und ein Inhaltsverzeichnis. Bis 1906 nennt das Inhaltsverzeichnis die Gebäude mit zugehöriger Seitenzahl, danach bildet es ein einfaches und nicht vollständiges Tierregister. Die größte Neuerung im Führer bildet die Verwendung von Fotos. 1901 sind am Schluß 16 Seiten mit ganz- oder halbseitigen Fotos eingebunden, die wesentliche Gebäude oder bemerkenswerte Tiere zeigen. Ansonsten enthält der Band nur drei Stiche, die dem Stil nach ebenfalls von Paul Neumann stammen und Überschriftsillustrationen zum Vogelhaus, Affenhaus und Elefantenhaus bilden. 1903 bis 1906 sind die 16 Bildseiten im Heft verteilt. Sie zeigen jetzt in halbseitigen Abbildungen Tiere. Die Gebäude und weitere Tiere sind in einer Vielzahl von Stichen in den Text eingegliedert. Bemerkenswerterweise gibt es zwei weitere kleinere Fotos innerhalb des Textes. |
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Sie zeigen einen Silberfasan und eine Henne mit Entenküken. Ab 1908 sind die Fotoseiten wieder am Ende gebündelt, während der Text durch Stiche belebt ist. Die beiden Fotos im Text sind nicht mehr vorhanden.
Als Autor tritt neben Ludwig Heck ab 1903 der erste wissenschaftliche Assistent des Zoos, Oskar Heinroth (1871-1945). Er arbeitete seit 1898 als unbezahlter Volontärassistent im Zoo. Diese Assistentenzeit unterbrach er für eine Südsee-Expedition (1900-1901). Erst zum 1. Juli 1904 gelang es Ludwig Heck, eine bezahlte Assistentenstelle einzurichten. Oskar Heinroth bleibt Mitautor des Führers bis 1912. Im Jahr darauf öffnete das Aquarium im Zoo, dessen Grundidee und Planung in Oskar Heinroths Händen lag, der 1913 auch die Leitung des Aquariums übernahm. Folgerichtig enthielt der Führer von 1914 seinen Namen nicht mehr. Im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg. Die verheerenden Auswirkungen des Krieges und der folgenden Wirtschaftskrise machten auch vor den Zoologischen Gärten nicht halt. Selbst an den Führern läßt sich das ablesen. Der Führer von 1914 sollte für lange Zeit die letzte Ausgabe bleiben. Die Zooführer des Berliner Zoologischen Gartens erfüllten vor allem die Aufgabe, den Besuchern des Zoos ein Wegweiser zu sein und ihnen zu zeigen, welche Tiere sie auf ihrem Rundweg finden können. Die Entwicklung des Zoologischen Gartens als Bestandteil der kulturellen und wirtschaftlichen |
Entwicklung Berlins läßt sich an ihnen gut erkennen.
Quellen und Anmerkungen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2000
www.berlinische-monatsschrift.de