84   Novitäten Einweihung der Schloßbrücke  Nächste Seite
Braut an Bord, aus Charlottenburg kommend, am Brandenburger Tor unter dem Donner von 72 Schüssen zu begrüßen.
     Alle Bäume der Linden und der Alleen im Tiergarten seien »mit Zuschauern bedeckt« gewesen, und es wären »fortwährend donnernde Lebehochs« erschallt.
     Vor der noch nicht ganz fertigen Schloßbrücke war auf der Lindenseite eine prächtige Ehrenpforte errichtet worden, eine bildnerisch und gärtnerisch reich geschmückte Säulenhalle, die der Schöpfer der neuen Brücke Karl Friedrich Schinkel, dem großen Ereignis angemessen, selbst entworfen hatte. Dreihundert Ehrenjungfrauen, gekleidet in den bayerischen Farben (»weiße Merinokleider mit breitem hellblauen Besatz und eine hellblaue Schärpe«) begrüßten huldvoll die Braut. Die Tochter des Oberbürgermeisters Johann Büsching (1761–1833, Oberbürgermeister 1814–1832) hielt eine Ansprache. Dann fuhren die Kronprinzessin und ihr Troß durch die Ehrenpforte und vorsichtig über die vorübergehend freigegebene Brücke hinweg zum Schloß, ohne daß es zu einem Zwischenfall gekommen wäre.
     Ein schreckliches Unglück sollte sich erst am Abend ereignen, bei dem etwa zwei Dutzend Menschenleben zu beklagen waren ... Seit den Mittagsstunden jenes 28. November 1823 aber hatte Berlin eine Attraktion mehr: »die schönste Brücke der Hauptstadt«, wie Leopold Freiherr von
Herbert Schwenk
28. November 1823:
Jubel und Panik auf der Schloßbrücke

Vor 175 Jahren wurde eine der bedeutendsten Brücken im Zentrum Berlins eingeweiht, die den ehemaligen Schloßbereich mit der Straße Unter den Linden verbindet: die nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) erbaute steinerne Schloßbrücke. Allerdings bedeutete die Einweihung noch nicht deren Fertigstellung. Letztere wurde erst einige Monate später, im März 1824, »nachgeholt«. Warum wurde die Brücke überhastet eingeweiht und zunächst nur provisorisch gesichert?
     Berlin stand wieder einmal vor einem Groß- Ereignis. Am 29. November 1823 sollte die Hochzeit des preußischen Thronfolgers und Königs in spe Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861, König seit 1840) mit Prinzessin Elisabeth von Bayern (1801–1873) stattfinden. Dementsprechend sollte die Kronprinzessin tags zuvor ihren festlichen Einzug in Berlin halten, nachdem sie schon am Vortag in Potsdam »festlich eingeholt« worden war. Eine große Volksmenge der 200 000- Einwohner- Residenz war seit dem Vormittag auf den Beinen, um den goldenen Achtspänner mit der

SeitenanfangNächste Seite


   85   Novitäten Einweihung der Schloßbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
Die Schloßbrücke
Zedlitz im 1834 erschienenen Neuesten Conversations- Handbuch schrieb.
     Ein primitiver hölzerner Steg als Übergang über den linken (Cöllnischen) Spreearm von der Gegend am Schloß in westliche Richtung bestand schon vor 1650, als ihn Johann Gregor Memhardt (1607–1678) auf seinem berühmten Stadtplan unter »y. Hundebrucken« einzeichnete. Jene Hundebrücke soll ihren Namen den kurfürstlichen
Jagdausritten in den Tiergarten verdanken, als sich dort die Jäger mit ihren Hunden sammelten, um das Signal zur Jagd zu erwarten. Der Holzsteg hatte im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen, als Kurfürst Johann Georg (1525–1598, Kurfürst seit 1571) 1573 einen Reit- und Jagdweg anlegen ließ, der vom Schloß über die schmale Brücke in den schon 1527 unter seinem Großvater
SeitenanfangNächste Seite


   86   Novitäten Einweihung der Schloßbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
Joachim I. (1484–1535, Kurfürst seit 1499) angelegten kurfürstlichen Tiergarten führte.
     1647 hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620–1688, Kurfürst seit 1640) zwar den Reitweg befestigen, mit Linden und Nußbäumen bepflanzen lassen und damit die Urform der Straße Unter den Linden geschaffen – die hölzerne Hundebrücke indes blieb in ihrer alten Gestalt erhalten. Erst 1738 wurde der Steg mit einem Kostenaufwand von 1 950 Talern (»ohne die Materialien«) durch eine ebenfalls hölzerne Brücke ersetzt, die nun zwar »zum Aufziehen eingerichtet« war, den Zeitgenossen jedoch weiterhin »nicht weiter bewundernswert« erschien. 1804 wurde diese Zugbrücke noch einmal von Heinrich Gentz (1766–1811) nach einem Entwurf von Friedrich Gilly (1772–1800) umgebaut, aber sie erwies sich zunehmend den Verkehrsanforderungen in Richtung Friedrichstadt und Charlottenburg nicht gewachsen und nicht mehr vereinbar mit der Ästhetik des Klassizismus.
     Karl Friedrich Schinkel erhielt 1819 den Auftrag, ein Konzept für den Neubau der Brücke zu entwerfen. Kostproben seines Architekturstils hatte er seit 1816 mit dem gleichzeitigen Bau der Neuen Wache Unter den Linden und dem Umbau des barocken Doms, der 1747–1750 nach Entwürfen von Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699–1753) von Johann Boumann d. Ä. (1706–1776) erbaut worden war, geliefert.
Am 30. Juni 1819 legte Schinkel seine Brückenentwürfe vor, und am 29. Mai 1822 erfolgte die Grundsteinlegung, nachdem umfangreiche wasserbautechnische Vorbereitungen getroffen worden waren.
     Nach Schinkels Entwurf wurde sodann eine breite, flache dreibogige Steinbrücke von 49 Meter Länge und 32,5 Meter Breite errichtet, bei der statt des mittleren kleinen Bogens hölzerne Brückenklappen für begrenzten Schiffsdurchlaß eingebaut wurden, die erst nach dem Ausbau des Spreearmes um 1900 durch einen Steinbogen ersetzt wurden. Vier aus poliertem, dunkelrotem Granit geschaffene Sockel stützten die Brücke samt durchbrochenem gußeisernem Geländer mit maritimer Ornamentik. Auf den Sockeln erhoben sich die von Friedrich August Stüler (1800–1865) gezeichneten hohen Postamente, die aus grauem schlesischem Marmor gefertigt wurden. Diese trugen ihrerseits einen Figurenschmuck, der die Brücke berühmt machte. Vorbild dafür war die Engelsbrücke (Ponte Sant' Angelo) in Rom, die seit der Antike besteht und den Zugang zur Engelsburg (Castello Sant' Angelo) bildet, dem einstigen Grabmal römischer Kaiser, das später zur Festung umgebaut wurde und den Päpsten als Zufluchtsort, Schatzkammer und Kerker sowie seit dem 19. Jahrhundert militärischen Zwecken diente.
     Schinkel entwarf für die Schloßbrücke
SeitenanfangNächste Seite


   87   Novitäten Einweihung der Schloßbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
acht überlebensgroße Figurengruppen nach Motiven der griechischen Mythologie. Sie beinhalten, an die Freiheitskriege erinnernd, »ideale Darstellungen aus dem Leben eines Kriegers«. Die Ausführung des Figurenschmucks verzögerte sich infolge königlichen Einspruchs erheblich. Erst nach Regierungsantritt des kunstbesessenen Königs Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1840, dessen Braut zu Ehren die Einweihung der Brücke 1822 vorgenommen worden war, schufen namhafte Bildhauer aus der Schule von Christian Daniel Rauch (1777–1857) in der Zeit von 1842 bis 1857 den Figurenschmuck der Schloßbrücke.
     Dies geschah etwas abweichend vom Schinkelschen Entwurf, und statt in Kupfertreibarbeiten wurden sie in weißem Carrara- Marmor ausgeführt.
     Die im Volksmund despektierlich »Schloßpuppen« genannten Figuren zeigen, wie die Siegesgöttinnen Pallas Athene, Nike und Iris jeweils einen Kriegshelden auf den Kampf vorbereiten und schließlich krönen. Die vier Skulpturen, linksseits vorn beginnend, schufen Ludwig Wilhelm Wichmann (1788–1867), Albert Wolff (1814–1892), Gustav Bläser (1813–1874) und August Wredow (1804–1891). Rechtsseits vorn beginnend, stammen die Skulpturen von Emil Wolff (1802–1879), Hermann Schievelbein (1817–1867), Karl Heinrich Möller (1802–1882) und Friedrich Drake (1805–1882), der 1853 das als besonders ge-
lungen geltende Kunstwerk der göttlichen Krönung des Siegers schuf.
     Wer heute über die Brücke geht und die Skulpturen betrachtet, kann nicht ahnen, welche Tragödie sich hier vor 175 Jahren im Schatten des Jubels in der festlich illuminierten Stadt abgespielt hat. Was am Abend des 28. November 1823 anläßlich der überhasteten Einweihung an der Brücke geschah, verbreitete sich nur spärlich durch Berichte von Augenzeugen.
     Die Zensur hatte alle Berichte in den Zeitungen verboten, um die »Glückseligkeit und Freude« der Hohenzollernhochzeit nicht zu trüben.
     Was aber war geschehen? Auch die Studentenschaft Berlins wollte die »Einholung der Kronprinzessin« festlich begehen und veranstaltete am Abend einen Fackelzug. Nachdem die fröhlich feiernden Studenten ihre Fackeln im Lustgarten auf einem Haufen verbrannt hatten und die schaulustige Menge zur Brücke zurückflutete, kam es zu einem panikartigen Gedränge und einer Überlastung der hölzernen Behelfsbrücke, die neben der am Abend gesperrten neuen steinernen Schloßbrücke errichtet worden war. Als durch den Druck der Menschen das Geländer der Behelfsbrücke brach, stürzten viele ins kalte Wasser, und zahlreiche fanden dabei den Tod.
     Zu denjenigen, die dem Tod mit knapper Not entronnen waren, gehörte Ludwig
SeitenanfangNächste Seite


   88   Novitäten Einweihung der Schloßbrücke  Vorige SeiteAnfang
Rellstab (1799–1860), der später bekannte Redakteur und Musikkritiker bei der »Vossischen Zeitung«, Romanschriftsteller und Opernlibrettist. In seiner zweibändigen Autobiographie »Aus meinem Leben«, die in seinem Todesjahr in Berlin erschien, berichtet er: »Das Wesentlichste, was geschehen war, ist mir heut nur ungefähr erinnerlich; es waren 26 oder 28 Todte, theils zermalmt, theils ertrunken; das Unglück war durch einen zerbrochenen Wagen, der die Brücke gesperrt hatte, veranlaßt. Der Kommandant soll die neu erbaute Schloßbrücke gesperrt gehalten haben. Vergeblich aber wird man durch die Zeitungen eine nähere Belehrung suchen; es ist kein Wort über den ganzen Vorfall darin enthalten! Ein Beweis, wie unsere Angelegenheiten damals verschleiert geführt wurden!« Der Vorfall wurde verschwiegen, weil er als böses Omen gedeutet würde: Beim Einzug der Marie Antoinette als Kronprinzessin in Paris 1770 gab es auch ein Unglück – und da sollten keine Parallelen gezogen werden!
     Merkwürdiges Detail am Rande: Ludwig Rellstab starb am 28. November 1860 – jenem Tag, an dem er 37 Jahre zuvor dem Tod schon einmal begegnet war ...
     Aber der Schloßbrücke sollte nicht nur das Unglück von 1823 widerfahren. Auch dieses historische Bauwerk erlitt im Zweiten Weltkrieg schwere Beschädigungen. Der nördliche Brückenbogen und die Marmorpostamente wurden zerstört, das gußeiserne
Geländer erheblich beschädigt. Die Skulpturen waren während des Krieges abgenommen worden und tauchten 1945 in Berlin-West wieder auf. 1960 war die Brücke, seit dem 13. April 1951 in »Marx- Engels- Brücke« umbenannt, wieder hergestellt. 1981/82 kehrten die weltberühmten Figuren nach Berlin-Ost zurück, wurden gründlich restauriert und 1983/84 auf neu errichteten Marmorpostamenten an ihren historischen Standorten wieder aufgestellt. Schließlich erhielt »die schönste Brücke der Hauptstadt« am 2. Oktober 1991 auch ihren alten Namen zurück – eine kleine Erinnerung an einen einst großartigen Stadtraum.

Bildquelle:
Max Ring, Die deutsche Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung, Leipzig 1883

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de