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Häuser zwischen der Neuen Friedrichstraße (seit Mai 1951 Littenstraße) und Waisenstraße zufällig auf Mauerreste, die zweifelsfrei dem alten Mauerring zugeordnet werden konnten, der weit mehr als einem Dutzend Generationen von Berliner und Cöllner Bürgern vom 13. bis 17. Jahrhundert als Schutz gedient hatte.2) Die freigelegten Mauerzüge gehörten einst zu dem Bereich der Stadtbefestigung, der an der Ostseite des historischen Kerns von Berlin zwischen dem Stralauer und Oderberger Tor verlief. Obwohl in nachfolgenden Jahrhunderten die alte Stadtmauer beiderseitig, stadtwärts und feldwärts, durch An- und Umbauten sowie Durchbrüche teilweise erheblich verändert worden war, war die Bausubstanz der alten Befestigungsanlage im wesentlichen erhalten geblieben.
     Was vor 50 Jahren angesichts eines durch Blockade und Nachkriegselend geprägten Berliner Alltags belanglos erschien, erweist sich heute als einer der bedeutendsten archäologischen Funde zur Geschichte Berlins. Handelt es sich doch um Überreste eines der ältesten Bauwerke Berlins überhaupt, obendrein des bis dahin gewaltigsten, das in der Spreestadt gebaut worden war und auch später von nicht vielen übertroffen werden sollte. Diese wertvollen Zeugen des mittelalterlichen Berlins wurden unter Denkmalschutz gestellt und 1983/84 erneut sorgsam restauriert. »Der Wert dieses Bauwerks kann für die Geschichte Berlins kaum über-
Herbert Schwenk
»So waren die beiden Städte ... ringsum wohl versichert«

Die mittelalterliche Befestigung von Berlin und Cölln

Besucher von Berlin werden mit steinernen Zeugen aus der frühen Geschichte der Spreestadt nicht gerade verwöhnt. Während Metropolen wie Prag ihre komplette Altstadt vorzeigen können, hat Berlin nicht im entferntesten Ebenbürtiges zu bieten. Die Feststellung von Walther Kiaulehn, daß zwei Ursachen Berlin zerstört haben, »Bomben im Krieg und Mutwillen im Frieden«1), findet ihre Bestätigung nirgendwo krasser als im weitgehenden Fehlen von Zeugen des historischen Stadtkerns von Berlin. Um so wertvoller erscheint jeder steinerne Abdruck, den das Mittelalter in Berlin hinterlassen hat. Ein Juwel dieser Art sind die wenigen Überreste der frühesten Ummauerung Berlins, die der interessierte Besucher mitten im Stadtzentrum von Berlin, nur wenige Minuten vom Alexanderplatz entfernt, bestaunen kann.
     Vor 50 Jahren, im Sommer 1948, stieß man beim Abtragen von Ruinen alter kleiner

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schätzt werden. Die Restaurierung und stadtgärtnerische Gestaltung unterstützen die historische Bedeutung des Bauwerks. Die Stadtmauer zeugt von der Wehrhaftigkeit der Stadt, symbolisiert aber auch städtische Autonomie und persönliche Freiheit. (...) Dieser steinerne Zeuge der Stadtgeschichte verdient noch stärker in das Blickfeld gerückt zu werden«, schrieb Archäologe Heinz Seyer, der an bedeutenden Ausgrabungen zur mittelalterlichen Geschichte Berlins leitend beteiligt war, in seinem 1987 erschienenen Buch »Berlin im Mittelalter«.3) Nun konnten bisherige Erkenntnisse über die alte Stadtmauer überprüft, vertieft, ergänzt und auch korrigiert werden, die sich weitge- hend auf die ältesten Stadtpläne von Berlin und Cölln stützten: den Memhardt-Plan (um 1650), Lindholz-Plan (um 1660), La Vigne-Plan (1685) und Kauxdorff-Plan (1687).

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Bei den Funden von 1948 handelte es sich um fünf Mauerstücke von insgesamt etwa 120 Meter Länge (61,50 Meter, 25,10 Meter, 15,90 Meter, 13,50 Meter und 6,10 Meter).
     Die Höhe der zum Vorschein gelangten Mauer war äußerst unterschiedlich: Das mit 61,50 Metern längste Mauerteil war an einer Stelle 4,50 Meter hoch, an einer anderen nur 2,33 Meter; der 15,90 Meter lange Mauerrest maß sogar nur 0,90 Meter Höhe; das 25,1 Meter lange Teil erreichte 4,90 bis 5 Meter. Auch die Stärke der Mauerstücke war keineswegs einheitlich. Das 61,50-Meter-Teil sowie 13,50-Meter-Teil war unten 1,10 Meter und in 2 Meter Höhe noch 1 Meter dick; das kurze 6,10-Meter-Stück wies unten nur 0,72 Meter, in 2 Meter Höhe 0,65 Meter, jedoch in 4 Meter Höhe nur noch 0,35 bis 0,40 Meter Stärke auf.
     Auch über das Baumaterial gaben die freigelegten Mauersegmente wichtige Auskunft, insbesondere über die bis in unsere Zeit diskutierte Frage nach der Datierung der alten Stadtmauer. Wie bei vielen mittelalterlichen Bauwerken fanden sich auch bei den Mauerteilen an der Waisenstraße sogenannte Feldsteine und Backsteine, fest verbunden mit weißlich-grauem Kalkmörtel. Die Feldsteine, kaum bearbeitete Granit-Findlinge eiszeitlicher Herkunft in unterschiedlichen Größen, wurden in den unteren Mauerteilen als Sockel, teilweise als Füllmauerwerk, verbaut, die Backsteine im »Kloster«-Format, 28 mal 14 mal 9–10 Zentimeter meist im so-
genannten gotischen Verband (2 Läufer, 1 Binder) in den oberen Teilen der Wehranlage. Bei den freigelegten Mauerteilen war auf der der Stadt zugewandten Seite im oberen Bereich ein deutlicher Absatz im Backstein-Mauerwerk zu erkennen, »offenbar der Rest einer Brüstungsmauer, die einen auf dem Absatz aufsetzenden, nach hinten auskragenden Wehrgang gedeckt haben wird, für dessen Vorhandensein etwa 0,30 mal 0,20 Meter große und etwa 0,20 Meter tiefe Balkenlöcher im Abstand von 0,40 Metern voneinander in Höhe der 35. und 36. Schicht Zeugnis ablegen können«.4) An einem Mauerstück waren in knapp 4 Meter Höhe auch drei (später vermauerte) Schießscharten von etwa 0,45 Meter Höhe und 0,10 Meter Breite erkennbar, die in unregelmäßigen Abständen voneinander angebracht waren.

Immer wieder wurden Mauerreste entdeckt

Zu den Funden von 1948 kamen in der Folgezeit – meist bei Bauarbeiten – weitere hinzu: 1961 beim Wiederaufbau der historischen Gaststätte »Zur letzten Instanz« in der Waisenstraße 15, 1965 beim Bau einer Fernheizung im Bereich des Mauerstücks nahe der Klosterkirche, 1974 bei Arbeiten am Fundament zum »Palast der Republik« und 1983 bei der Restaurierung alter Mauerteile in Höhe der Voltairestraße, die

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Berliner Stadtmauer

die Litten- und Alexanderstraße verbindet. Die Ausgrabungen beim Bau des »Palastes der Republik« ermöglichten auch Einblicke in den Cöllner Teil der Stadtmauer. Dabei zeigte sich, daß die Mauer auf einem einst viel tiefer gelegenen sumpfigen Terrain, das später aufgeschüttet wurde (die Mauer reichte bis 5,90 Meter unter die heutige Oberfläche), auf einem Pfahlrost aus zugespitzten, senkrechten Pfählen mit dazwischenliegenden waagerechten Hölzern erbaut worden war. Die Mauer war hier 1,70–2,10 Meter breit, und das vermörtelte Fundament bestand aus kleinen Findlingen von Faustbis Kopfgröße.5) Alle bis dahin vorliegenden Beschreibungen der ältesten Stadtmauer konnten nun mit den Ergebnissen archäologischer Untersuchungen verglichen werden. So auch die als »Klassiker« unter den Beschreibungen der Befestigung von Berlin geltende Arbeit von Friedrich Wilhelm Holtze (1820–1908). Der Oberlehrer am ehemaligen Königlichen Kadetten-Corps in der Neuen Friedrichstraße 13 und stiftendes Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins publizierte 1859 (Neuauflage 1874) die Schrift »Geschichte der Befestigung von Berlin«,6) die der Historiker Paul Clauswitz
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(1839–1927) als »wohl das Gediegenste, was zur Geschichte Berlins geschrieben«, würdigte.7) Und Holtzes Beschreibung der Stadtmauer konnte auch im Lichte der jüngsten Ausgrabungen bestehen! So etwa seine Angaben zur Mauerstärke, »meist 6 Fuß dick (das entspricht 1,88 Meter, H. Sch.); nicht überall jedoch ..., mit niedrigen, zum Theil ersichtlich später hinzugefügten Strebepfeilern. Mit sorgfältiger Fundamentierung hielt man sich nicht auf; eben so wenig mit kunstreichem Zinnenbau, zahlreiche kleine Schießlöcher mußten genügen ...«8)

Der Verlauf der Stadtmauer

Welches Bild ergibt sich nun über die mittelalterliche Stadtmauer von Berlin und Cölln? Sie umgab mit einer Gesamtlänge von 2,5 Kilometern die gesamte Fläche beider Städte: etwa 47 Hektar von Berlin und etwa 23 Hektar von Cölln. Sie schloß also auf Berliner Spreeseite auch den bis etwa 1250 entstandenen neuen Stadtteil Marienstadt oder Neustadt mit dem Neuen Markt und der Marienkirche (zuerst 1294 urkundlich erwähnt) ein. Überträgt man nun den in den historischen Plänen von Memhardt und Lindholz verzeichneten sowie bei F. W. Holtze beschriebenen Verlauf der alten Stadtmauer, ergänzt durch die Erkenntnisse der Ausgrabungen von 1948 an der Waisenstraße und 1974 beim Bau des

»Palastes der Republik«, in die heutige Topographie von Berlin, dann ergibt sich etwa folgendes Bild: Die Umwehrung Berlins begann an der Spree etwas unterhalb der Jannowitzbrücke, gegenüber dem Standort des 1901–1907 erbauten Märkischen Museums. Sie führte vom damaligen Stralauer Tor in einem sanften Bogen entlang der nachmaligen Neuen Friedrichstraße (heute Littenstraße) nach Nordwesten, umging in einer kleinen Ausbiegung den Chor der Klosterkirche9), führte über die Grunerstraße hinweg zum damaligen Oderberger Tor (später Georgen- und Königstor), verlief am Standort des Fernsehturmes vorbei über die Karl-Liebknecht-Straße hinweg, bog dann in die Rochstraße nach Westen zum damaligen Spandauer Tor ab, schloß das Heiliggeist-Hospital ein und stieß unterhalb des Standorts des Radisson-Hotels (ehemaliges Palasthotel, von 1976 bis 1979 errichtet auf dem früheren Gelände der kriegszerstörten Börse) bei der heutigen Friedrichsbrücke (erstmals 1719 als Große Pomeranzenbrücke angelegt) wieder auf die Spree, wobei die Stadtmauer allerdings einen Knick nach Süden machte und noch einmal in der Burgstraße parallel zur Spree bis vermutlich zur Ecke Karl-Liebknecht-Straße verlief, offenkundig zum Schutz vor Eindringlingen von der Spree her.
     »Über den gesamten Verlauf der Cöllner Stadtbefestigung läßt sich kein vollständiges Bild gewinnen«,10) weil der nördliche
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Teil durch die Errichtung der mittelalterlichen Schloßanlage an der Spree 1443–1451 unter Kurfürst Friedrich II. (1440–1470) beseitigt wurde, nachdem Berlin/Cölln am 29. August 1442 zur Hergabe des Grundes und Bodens einschließlich der darauf befindlichen Wehranlagen zum Schloßbau gezwungen worden waren. Auf dem ältesten überlieferten Stadtplan Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Stadtmauer in diesem Bereich nicht mehr verzeichnet. F. W. Holze vermutet, daß der Kurfürst »vor allen Dingen diese Mauer abriß, um sich die Stadt auf seine Weise zu >öffnen<, und daß die Bürger darauf, als sie sich gegen ihn erhoben, die erste That des Aufruhrs die sein ließen, daß sie den Riß, den der Landesherr in ihrer Befestigung gemacht, mit einem Blockzaun zu flicken versuchten«.11)
     Der durch Memhardt bekannte südliche Teil der Cöllner Umwehrung begann im Südosten der Spree-(Fischer-) Insel bei der heutigen Inselbrücke (erstmals 1693 erbaut), führte am rechten Ufer des östlichen Spreearms (»Cöllner Spreekanal«) entlang zum damaligen Cöpenicker Tor (etwa Roßstraße 14–15) in einem Bogen weiterhin parallel zum halbkreisförmigen Verlauf des Spreearms zum damaligen Teltower Tor (später Gertraudentor) am nordöstlichen Ende der alten Gertraudenbrücke und von dort nach Norden bis zur Höhe der Jungfernbrücke bei der Spreegasse (seit 1931 Sperlingsgasse). Der weitere Verlauf ist nicht
genau gesichert. Sicher aber ist, daß die Stadtmauer das Dominikanerkloster mit seiner Kirche12) – etwa am Standort des 1962–1964 erbauten ehemaligen DDR-Staatsratsgebäudes – einbezog und schließlich den späteren Schloßplatz (ein im Mittelalter noch sumpfiges Überschwemmungsgelände) durchquerte, wobei dessen größter Teil sowie der spätere Lustgarten außerhalb der Stadtmauer lagen. Am Standort des ehemaligen, 1973–1976 erbauten »Palastes der Republik« endete die Befestigung abermals an der Spree.

Umfangreiche Wehranlagen schützten Berlin und Cölln

Die Stadtmauer wurde also an zwei Stellen von der Spree durchbrochen. Um auch hier Schutz und Kontrolle zu gewährleisten (der massive Mühlendamm hatte ohnehin den Schiffsdurchlaß verhindert), versperrte ein »Pfahlwerk aus eisenbewehrten, eingeschlagenen Eichenpfählen mit Ausnahme eines schmalen Durchlasses«13) den Spreelauf, wobei nachts ein beweglicher waagerechter Schwimmbalken (»Baum«) den Durchlaß schloß. Ursprünglich lagen also beide Kontrollstellen im Bereich der alten Städte Berlin und Cölln: der Oberbaum am »Spreekessel« bei der Abzweigung des Spreekanals in Höhe der ehemaligen Waisenbrücke und der Unterbaum unweit des heutigen Domes und der heutigen

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Friedrichsbrücke. Mit dem Bau der letzten Stadtmauer im 18. Jahrhundert, der »Akzisemauer«, wurden auch der Ober- und Unterbaum um einige Kilometer weiter nach außen verlagert, so daß der heutige Standort der Oberbaumbrücke in der Nähe des S-Bahnhofs Warschauer Straße nicht mehr identisch ist mit der mittelalterlichen Topographie des Oberbaums.
     Aber die Stadtbefestigung von Berlin und Cölln im Mittelalter bestand nicht nur aus der relativ hohen Wehrmauer mit ihrer geschätzten ursprünglichen Höhe zwischen 6 und 7 Metern, die wegen der ursprünglich etwa einen Meter tiefer gelegenen alten Stadtoberfläche also noch um etwa einen Meter höher war als die 1948 gefundenen Mauerreste. Zum Bauwerk gehörten neben den erwähnten fünf Stadttoren jeweils am Ausgang der wichtigsten mittelalterlichen Straßen von Berlin und Cölln auch mehrere bis zu 25 Meter hohe mehrstöckige Rundtürme sowie etliche innen offene Halbtürme, sogenannte Weichhäuser (oder Wikhäuser), die – ähnlich den »Bastionen« der 1658–1683 erbauten Berliner Fortifikation (vgl. BM 8/1996) – bessere Beobachtungs- und Verteidigungsmöglichkeiten boten.
     Nach F. W. Holtze standen allein zwischen dem Cöpenicker und Teltower Tor, »7 viereckige Weichhäuser, ohne Symmetrie vertheilt, und zwei größere Thürme ... für die Flankenvertheidigung«.14)
     Zu den markantesten Rundtürmen gehör-
ten der sogenannte Mönchsturm, der am »Unterbaum«, etwa an der heutigen Friedrichsbrücke, stand, und der sogenannte »Grüne Hut«, an dem vermutlich die Cöllner Stadtmauer im Norden auf die Spree stieß und der 1443–1451 beim Schloßbau mit einbezogen wurde. Seine Fundamente wurden, wie bereits vermerkt, 1974 beim Bau des »Palastes der Republik« untersucht. Dabei wurden auch Blöcke von erheblicher Größe gefunden, und die Zwischenräume waren hier ausschließlich mit Dachziegelresten gefüllt.15)
     Schließlich gehörten zur mittelalterlichen Wehranlage seit dem 15. Jahrhundert zwei parallel verlaufende Wehrgräben, deren Wasser aus der Spree abgezweigt und zwischen denen noch ein Erdwall aufgeschüttet worden war. An den fünf Stadttoren führten hölzerne Aufzugsbrücken über die Gräben, flankiert von viereckigen Torhäusern, von denen aus der Zugang zur Stadt kontrolliert wurde. Bis heute umstritten ist die Frage, ob die Doppel-Stadtgräben auf Berliner und Cöllner Seite sogenannten glazialen Altwässern, das heißt natürlichen Spreearmen, folgten. Während dies beim Cöllner Spreearm (»Spreekanal«) schwer zu bestreiten ist, ist die Situation beim Berliner Befestigungsgraben (»Stadtgraben«) offener. Jedoch scheinen geologische Untersuchungen zu belegen, daß der Wasserlauf auch hier einem alten Arm der Spree folgte, der allerdings als »Stadtgraben« hergerichtet worden war.16)
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Fehlende Urkunden erschweren Datierung

Schließlich gehört auch die Datierung der mittelalterlichen Stadtbefestigung zu den Problemen, die reichlich Kopfzerbrechen bereiten. Sicher scheint, daß sich der Bau des für mittelalterliche Verhältnisse gigantischen Bauwerkes über einen langen Zeitraum, wahrscheinlich über mehrere Generationen, erstreckte. Urkunden, aus denen der Beginn der Errichtung einer Wehranlage hervorgeht, existieren nicht.
     Ältere Annahmen, daß schon in der Frühzeit Anlagen als »Ringwälle« und »Wendenburgen« im Bereich des heutigen Stadtkerns existierten17), sind unbelegt. Wahrscheinlicher sind die Vermutungen, wonach der Stadtmauer eine ursprünglich palisadierte Wehranlage, ein Ringwall von eingerammten Palisaden mit vorgelagertem Wassergraben, vorausgegangen sein könnte. Als frühester indirekter Beleg für die Existenz der Stadtmauer gilt eine Urkunde vom Jahre 1319, in der das Heiliggeist-Hospital »domus St. Spiritus intra muros civitatis Berlin« (also innerhalb der Mauer der Stadt Berlin gelegen) genannt wird.18)
     Eine weitere Eingrenzung der Entstehungszeit ermöglicht der Verlauf der Wehranlage an der Franziskaner-Klosterkirche. Dort macht die Stadtmauer, wie schon erwähnt, eine kleine Ausbiegung um den ver-

mutlich um 1290 errichteten Chor der Klosterkirche. Das aber heißt, daß die steinerne Wehranlage bereits um 1290 vorhanden gewesen sein muß! Die Behauptung des märkischen Chronisten Peter Hafftiz (vor 1530 bis nach 1600), Berlin sei schon 1247 ummauert gewesen, läßt sich nicht nachprüfen. »Vielmehr weist das in seiner Ursprünglichkeit erhaltene Fundament der Cöllner Stadtmauer beim >Palast der Republik< nur spätere Merkmale auf.
     Es müssen für die Errichtung des steinernen Mauerringes die siebziger oder achtziger Jahre des 13. Jh. angenommen werden«, schlußfolgert Archäologe Heinz Seyer.19) Das Standardwerk »Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler« des Kunsthistorikers Georg Dehio (1850–1932) spannt einen Zeitrahmen, der eine noch frühere Datierung offenhält: Berlin und Cölln waren zwischen 1260 und 1280 ummauert. (Neubearbeitung von 1994, S. 83)
     Mag auch das eine oder andere Detail zur mittelalterlichen Befestigung Berlins noch korrigiert werden: Das Fazit von F. W. Holtze: »So waren die beiden Städte ...
     ringsum wohl versichert«, 20) wird dabei ebensowenig in Frage gestellt werden wie das Resümee des märkischen Chronisten, Forschers und Dichters Oskar Schwebel (1845–1891): Die mittelalterliche Berliner Befestigung war ein wichtiges und großes Werk.21)
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Quellen und Anmerkungen:
1     Walther Kiaulehn: Berlin. Schicksal einer Weltstadt, dritte Auflage, München und Berlin (West) 1958, S. 58
2     Vgl. Günter Stein: Berlins Stadtmauer. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, hrsg. i. A. der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e. V. von Martin Henning und Dr. Heinz Gebhardt, Bd. 2, Berlin 1951, S. 1–3. – Die folgenden Angaben beruhen auf dieser Quelle
3     Heinz Seyer: Berlin im Mittelalter. Die Entstehung der mittelalterlichen Stadt, Berlin 1987, S. 119. – Unter der Leitung von H. Seyer fanden z. B. auch 1967 die Ausgrabungen auf dem Alt-Cöllner Petriplatz statt
4     Günter Stein, a. a. O., S. 2
5     Heinz Seyer, a. a. O., S. 75
6     Friedrich W. Holtze, Geschichte der Befestigung von Berlin. In: Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin, Heft X, Berlin 1874, S. 3–24
7     Zit. nach Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 1896, Nr. 11, S. 120
8     Friedrich W. Holtze, a. a. O., S. 19
9     Etwa 1249 hatte der Bettelorden der Franziskanermönche (»Graue Brüder«) seinen Berliner Konvent gegründet. Um 1250 wurde ein frühgotischer Backstein-Kirchenbau begonnen und um 1290 ein repräsentativer Chor angefügt. Zwischen 1271 und 1519 waren nördlich der Kirche weitere Klostergebäude entstanden. Nach mehrfachem Umbau wurde das Kloster 1539 geschlossen und zum »Berlinischen Gym-
nasium zum Grauen Kloster« (Eröffnung 1574) umfunktioniert
10     Heinz Seyer, a. a. O., S. 74
11     Friedrich W. Holtze, a. a. O., S. 11
12     1297 gründeten die »Schwarzen Brüder« auch an der Spree einen Dominikanerkonvent und erbauten in Cölln auf der Spreeinsel zwischen Brüderstraße und Breiter Straße, hinter dem späteren Schloß, ihr Kloster. Etwa 1345 erfolgte der Bau der Dominikanerkirche. Der Dominikanerkonvent wurde 1536 aufgelöst und das Domstift von der Schloßkapelle in die alte Dominikanerkirche verlegt. 1716 wurden die letzten Klostergebäude abgebrochen, 1747 folgte der Abriß der 1717/18 noch einmal erneuerten dreischiffigen gotischen Hallenkirche
13     Heinz Seyer, a. a. O., S. 74
14     Friedrich W. Holtze, a. a. O., S. 9
15     Vgl. Heinz Seyer, a. a. O., S. 75
16     ebenda
17     Freidrich W. Holtze, a. a. O., S. 4/5
18     ebenda, S. 17
19     Heinz Seyer, a. a. O., S. 78
20     Freidrich W. Holtze, a. a. O., S. 13
21     Vgl. Oscar Schwebel, Geschichte der Stadt Berlin, Berlin 1888, S. 106

Bildquelle: Willy Jäger/Helmuth Steinhardt: Der Weg zur Weltstadt Berlin, Kulturbuch-Verlag Berlin 1969; LBV, Detlef Christel

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