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Herbert Schwenk
Desaster am Gendarmenmarkt

Am 28. Juli 1781 stürzte bei den Bauarbeiten zum Deutschen Dom auf dem Berliner Gendarmenmarkt der Kuppelturm ein.
     »Er wird mit vollkommenem Rechte zu den schönsten Stadtplätzen Europa's gezählt«, urteilte der Schriftsteller und Publizist Leopold Freiherr von Zedlitz (1792–1864) in seinem 1834 erschienenen »Conversations-Handbuch« über den Gendarmenmarkt. In den Anfängen der Friedrichstadt als »Esplanade« angelegt, hieß der kleine Platz zunächst Linden-Markt, später Friedrichstädter oder Mittel-Markt, vorübergehend auch Neuer Markt. Martin Grünberg (1655–1706), Nachfolger Johann Arnold Nerings (1659–1695) im Amte des Hofbaumeisters, ließ seit 1701 die Neue (Deutsche) und Französische Kirche der französischen Kolonie auf dem Platz errichten. Nach dem Reiterregiment Gens d'armes, das bis 1773 neben den Kirchen seine Pferdeställe und bis 1782 seine Hauptwache hatte, erhielt der Platz den Namen Gensdarmenmarkt.
     Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts befahl Friedrich II. (1712–1786, König ab 1740) eine Umgestaltung des Platzes. Nach dem Abriß der Ställe des Regiments Gens d'armes errichtete Johann Boumann d.Ä. (1706–1776) 1774 das

Französische Komödienhaus. Von 1777 bis 1785 ließ der König den Platz mit zwanzig neuen Häusern bebauen, darunter mehrere palastartige Bauten wie die Gebäude der Seehandlung und der Lotterie-Direktion, die Achardschen Stiftungshäuser, das Haus des Präsidenten Rust und das französische Waisenhaus.
     Als Krönung des neugestalteten architektonischen Ensembles sollten nach dem Vorbild der beiden Marienkirchen auf der Piazza del Popolo in Rom den beiden Kirchen zwei architektonisch gleiche, hohe Kuppeltürme vorgesetzt werden. Entwurf und Bauleitung lagen in den Händen von Carl von Gontard (1731–1791), dem bedeutendsten Architekten des spätfriderizianischen Rokoko. Nachdem der Nachfahre eines alten Hugenottengeschlechts 1763 in die Dienste Friedrichs II. getreten und zunächst in Potsdam tätig gewesen war, siedelte er 1779 nach Berlin über. Er wurde Königlicher Baudirektor und Mitglied der (unmittelbar dem König unterstellten) Immediatbaukommission.
     Schon 1777 hatte Gontard den Auftrag zum Bau der Kuppeltürme am Gendarmenmarkt erhalten. 1780 begannen die Arbeiten mit der Errichtung von kreuzförmigen, mit Portikusvorbauten an den Kreuzarmen geschmückten Unterbauten, aus denen jeweils ein schlanker Tambour mit Kuppel herauswuchs. Da geschah das Desaster. Wie schon 1706 Andreas Schlüter (um 1660–1714) beim Bau des Münzturmes am Berliner Schloß und 1734 Johann Friedrich Grael (1707–1740) beim Bau des Turmes der Cöllner Petrikirche, der höher werden
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Der Gendarmenmarkt um 1883

sollte als das Straßburger Münster, ereilte nun Gontard das Mißgeschick: In der Nacht des 28.Juli 1781 stürzte mitten in den Bauarbeiten zur Deutschen Kirche auf dem Gendarmenmarkt der bereits bis zum Tambour errichtete Kuppelturm ein. Die Kunde vom Einsturz des Turmes verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und lockte zahlreiche Schaulustige an. Der König, der die Nachricht »mit philosophischer Ruhe« aufgenommen haben soll, befahl den sofortigen Wiederaufbau. 1785 waren die Türme vollendet. Baumeister Gontard wurde zwar verhaftet, mußte aber als schuldlos entlassen werden und die Bauleitung nach dem Desaster an seinen Schüler Georg Christian Unger (1743–1799) abgeben. Gontard konnte trotzdem weiter bauen und gestaltete als Meister des Berlin-Potsdamer Spätbarock maßgeblich den Übergang zum Klassizismus.
     Das traurige Ereignis vom 28. Juli 1781 wurde von mehreren Künstlern festgehalten, darunter von einem damals erst siebzehnjährigen Zeichenschüler – Johann Gottfried Schadow (1764–1850).

     Bildquelle: Max Ring, Die deutsche Kaiserstadt Berlin und Ihre Umgebung, Leipzig 1883

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