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Jutta Schneider
Carl Ernst Fidicin, Stadtarchivar und Historiograph Berlins

»Was du erforschet, hast du miterlebt«, so lautet die Inschrift einer goldenen Medaille, die der Verein für die Geschichte Berlins 1872 für Ernst Fidicin, den langjährigen und verdienstvollen Stadtarchivar, einen der bedeutendsten Forscher Berliner und märkischer Geschichte, anläßlich seines 50jährigen Dienstjubiläums gestiftet hat. Von Kaiser Wilhelm I. höchstpersönlich wurde sie ihm am 15. Juni 1872 vor den versammelten Vereinsmitgliedern auf der Lennéhöhe des Babelsberger Parkes überreicht. Es war der Höhepunkt im Leben und Schaffen eines Mannes, dessen Name in den Annalen der Geschichte der Stadt Berlin immer lebendig bleiben wird.
     Ernst Fidicin wurde am 27. April 1802 als Sohn eines invalide gewordenen Unteroffiziers und späteren Zwirnmachers in Potsdam geboren. Seine erste Ausbildung genoß er in der höheren Bürger- und dann in der »großen Schule«, dem später zum Gymnasium umgestalteten Lyceum. Nach dem Wunsch des Vaters sollte er Theologie studieren. Die Neigung des sehr begabten

Jungen lag jedoch schon früh bei der Alter- tumskunde; außerdem reichte für ein Theo- logiestudium das Geld nicht. Er mußte zu- nächst die Laufbahn eines mittleren Beamten einschlagen und wurde am 9. März 1822 am damaligen Stadtgericht in Potsdam verpflich- tet, wo er seine Grundausbildung absol- vierte. 1828 wurde Fidicin Aktuarius beim Königlichen Kammergericht in der Berliner Lindenstraße. In der Hypotheken- und Lehnsabteilung fand er in den vielfältigen handschriftlichen Urkundenbüchern der brandenburgischen Lehnskanzlei reich- haltiges Material für seine historischen Forschungen. 1829 übernahm er die Stelle eines Registrators, später die eines Büro- vorstehers der Berliner Stadtverordneten- versammlung. Anfang 1847 wurde ihm das Berliner Stadtarchiv übertragen, für das, wie Ernst Kaeber (1882–1961) schreibt, mit Fidicin eine neue Zeit begann.1) Der Pots- damer, der auch später immer wieder den 1837 gegründeten Verein für Geschichte der Mark Brandenburg besuchte, war nun zum Berliner geworden. Er hat die Stadt bis zu seinem Tode nicht wieder verlassen. Schon 1837 erschien sein erstes bedeutendes Werk unter dem Titel »Historisch-Diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin«. Die ersten drei Bände dieses Urkunden- buches enthalten neben den vom Verfasser gesammelten Regesten und Urkunden eine der wichtigsten Quellen für die Rechts- und Verfassungsgeschichte, das 1397
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zusammengetragene und verloren geglaubte Berliner Stadtbuch. Nach mehr als 100 Jahren hat es Fidicin in der städtischen Bibliothek zu Bremen wiedergefunden.
     Fidicin war längst als guter Kenner der Quellen und der Geschichte Brandenburgs bekannt geworden. Nachdem er 1856 eine Neuausgabe des Landbuches Karl IV. herausgebracht hatte, erschienen 1857 und 1860 »Die Territorien der Mark Brandenburg«, ein Werk, das nach dem Urteil von Experten wohl noch heute für jeden Lokalforscher gültig und unentbehrlich ist. Nicht zuletzt wird in seiner Bibliographie deutlich, daß von Anfang an die Erforschung der Quellen zur Geschichte der Mark Brandenburg und Berlins in seiner Arbeit untrennbar verbunden waren. Nach Gerd Heinrich ist er der letzte Berliner Stadtarchivar gewesen, der es vermochte, gleichzeitig Fragen der Berliner und brandenburgischen Geschichte zu bearbeiten.2) In die Geschichte eingegangen ist allerdings auch eine »arge literarische Fehde« mit dem Historiker Karl Friedrich von Klöden (1786–1856) wegen der Gründungszeit Berlins.3) In diesem Streit, so Heinrich, vertrat Fidicin zweifellos »den besonneneren und quellennäheren Standpunkt«.
     Leben und Werk von Ernst Fidicin sind untrennbar verbunden mit der Geschichte und dem Wirken des Vereins für die Geschichte Berlins. Er gehörte zu jenen Persönlichkeiten, die sich am 28. Januar 1865 im
Café Royal Unter den Linden Nr. 33 versammelten, als sich dieser heute wohl traditionsreichste Berliner Geschichtsverein konstituierte. Ein Bericht über die Gründungsversammlung von Alexis Schmidt erschien am 31. Januar auf einer ganzen Großfolioseite in der Spenerschen Zeitung »Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen«. Ernst Kaeber irrte wohl, als er in seinen »Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin« bemerkte, daß Fidicin nicht zu den Gründern des Vereins gehörte.4) Am 15. Februar 1865, nur zwei Wochen nach der Gründung des Vereins, hielt Fidicin den ersten Vortrag zum Thema: »Die bisherige Geschichtsschreibung Berlins«; insgesamt hat er allein in diesem Verein elf Vorträge gehalten. Nach seiner Pensionierung 1878 bis zu seinem Tode war er Ehrenvorsitzender des Vereins. Herausgegeben hat er im Verein so bekannte Sammlungen wie die »Berlinische Chronik« (1868) und das »Urkundenbuch« (1880).
     In der Festschrift zum 100. Geburtstag des Vereins wird hervorgehoben, daß Ernst Fidicin in der Bedeutung für den Verein sowie für die Berliner Urkundenforschung und Geschichtsschreibung unter den Vorstandsmitgliedern der erste Rang zukomme.5) Auf Beschluß des Vorstandes wurde die »Fidicin-Medaille« ab 1873 mit der ver-änderten Inschrift auf der Rückseite »Für Förderung der Vereinszwecke« alljährlich in Silber und Bronze vergeben. Gestaltet hat
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sie der Berliner Königliche Münzmedailleur Emil Weigand (1837–1906). Wie der erste Vorsitzende Richard Béringuier (1854–1916) in seiner Festansprache anläßlich des 25jährigen Bestehens des Vereins im Jahre 1890 feststellte, war sie bis zu diesem Zeitpunkt 18mal verliehen worden.6) 100 Jahre nach ihrer Stiftung, am 29. November 1972, beschloß der Vorstand, die Medaille wieder in ihrer ursprünglichen Form zu verleihen. Statt der unterschiedlichen Metalle Gold, Silber und Bronze (in Gold ist sie nur einmal an Fidicin verliehen worden) wurde eine einheitliche Ausführung in Silber beschlossen. Damit sollte die 1945 abgebrochene Tradition der Anerkennung besonderer Verdienste um den Verein fortgeführt werden.
     Große Begabung und Willenskraft, Fleiß und Bescheidenheit prägten das Leben von Ernst Fidicin, das er voll und ganz in den Dienst seiner Archiv- und Forschungsarbeit stellte. Es wird berichtet, daß er zweimal das ehrenvolle Angebot
abgelehnt habe, in das Königliche Archiv als Archivar einzutreten. Er wollte den Aufbau des Stadt-Archivs nicht gefährden. Oberbürgermeister Krausnick (1797–1882), der Fidicin seinen »ältesten Schul- und Jugendfreund« nannte, hat dessen Arbeit besonders gefördert.
     Über das Privatleben Fidicins, der am 19. Dezember 1883 starb, ist nichts überliefert, es gibt nicht einmal einen Hinweis auf eine Familie. Dabei steht auf dem Grabstein auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof am Südstern: »Hier ruht in Gott unser geliebter Vater, Schwiegervater und Großvater, der Stadt-Archivar Carl Ernst Fidicin«. Darunter ist der Spruch der goldenen Medaille eingemeißelt: »Was du erforschet, hast du miterlebt«. Recherchen in Kirchen- und Adreßbüchern lassen keinen Zweifel daran, daß Carl Ernst Fidicin zwei eheliche Söhne hatte: Carl Ludwig Reinhardt Fidicin, geboren am 17. September 1829 in Berlin, und Friedrich Wilhelm Ernst Fidicin,
geboren am 16. Mai 1831 in Berlin, Ma-

Carl Ernst Fidicin
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gister und Sekretär, gestorben im Jahre 1900.7) Die Mutter der beiden Söhne ist laut Taufregister der Dreifaltigkeitskirche Marie Louise, geb. Wuschetzky. Die Schwiegertochter von Ernst Fidicin, Auguste Fidicin, geb. Tenner, überlebte ihren Mann, den jüngsten Sohn Fidicins; sie wohnten zuletzt in der Wissmannstraße 4 (heute Neukölln). Die Adreßbücher belegen, daß Vater Ernst Fidicin ziemlich oft seine Wohnung gewechselt hat; lange Zeit aber wohnte er in der Potsdamer Straße 97; gestorben ist er in der Lankwitzer Straße 12 – an Altersschwäche, wie im Kirchenbuch vermerkt ist. Weitere Spuren der Familie Fidicin nach 1900 konnten bisher nicht gefunden werden.
     1890 erhielt die Fidicinstraße in Kreuzberg ihren Namen.

Quellen:
1 Ernst Kaeber: Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin. Zugleich eine Skizze der Geschichte des Archivs. In: »Der Bär von Berlin«, 1961, S. 7 ff.
2 Gerd Heinrich: Ernst Fidicin. Werk und Lebensweg. Sonderdruck, Seite VIII
3 Ferdinand Meyer: Fidicin. In: »Der Bär«, Jahrgang 5 (1879), S. 198
4 Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin. In: »Der Bär von Berlin«, 1961, S. 7 ff.
5 Rudolf Danke: 100 Jahre Verein für die Geschichte Berlins. In: »Der Bär von Berlin«, Jahrbuch 1965, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Vereins für die Geschichte, S. 325 ff.

6 Walter Hoffmann-Axthelm: 100 Jahre Fidicin- Medaille. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1886, 67. Jahrgang, S. 259 ff.
7 Evangelisches Kirchenarchiv Jebenstraße, Akte 11/82 und 11/78: Verzeichniß der Gebohrnen und Getauften bei der Dreifaltigkeitskirche vom 1.ten Januar bis zum 31.ten Dezember 1829, Seite 165 und ebenda 1831, Seite 127

Bibliographie der Schriften
von Ernst Fidicin

– Die Umgegend Berlins. Berlin 1838
– Weitere Nachrichten über die Schöffen- rechte und Statuten der Stadt Berlin. Berlin 1835
– Historisch-diplomatische Beiträge zur Ge- schichte der Stadt Berlin. Teil 1–5, Abt. 1. Berlin 1837–1842. – Enthält: 1. Berli- nisches Stadtbuch. 2. Berlinische Urkun- den von 1261 bis 1550. 3. Berlinische Re- gesten von 949 bis 1550. 4. Berlinische Urkunden von 1232 bis 1700. 5. Fidicin: Geschichte der Stadt Berlin
– Die Gründung Berlins. Kritische Beleuch- tung der Schrift: Über die Entstehung ... der Städte Berlin und Kölln von K. F. Klöden. Berlin 1840
– Über die Autonomie der märkischen Städ- te, besonders in bezug auf die Raths- und Schöffenwahlen. In: Märkische For- schungen Bd. 1 (1841), S. 355–364

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– Berlin historisch und topographisch dar- gestellt. 1. Ausgabe Berlin 1843 VI, 202 S., 1Kt.: 2. unveränderte wohlfeile Ausgabe, Berlin 1852 – Berlin im Jahre 1435. Ein Beitrag zur Ge- schichte der Mark Brandenburg. Berlin 1856. 34 S.; auch in: Der Lesegarten Bd. 3 (1856)
– Kaiser Karls IV. Landbuch der Mark Bran- denburg. Herausgegeben von Ernst Fidi- cin. Berlin 1856
– Die Territorien der Mark Brandenburg oder Geschichte der einzelnen Kreise, Städte, Rittergüter, Stiftungen, Dörfer ..., als Fortsetzung des Landbuchs Kaiser Karls IV. Teil 1–4. Berlin 1857–1864. – (Nachdruck: Berlin 1974)
– Die Hauptmomente aus der Geschichte Berlins. Berlin 1858
– Das Berlinische Rathaus. In: Communalblatt 1 (1860), S. 150–151
– Das Berliner Rathaus. Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue Rathaus am 11. 6. 1861. Berlin 1861. - 2. Auflage Berlin 1862
– Das Potsdamer Stadtbuch. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams. 38. Sitzung, 4. 10. 1865.
Potsdam 1393 im märkischen Städtebunde. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams, Nr. 71 (1865), S. 291–297
– Die Chronik der Cöllner Stadtschreiber 1542–1605. – Die (Christian) Wend-
land'sche Chronik von 1648–1701. Berlin 1865. 104 S. (Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 1)
– Berlinische Chronik. Hrsg. v. d. Verein für die Geschichte Berlins durch E(rnst) Fidicin (T.1.2.) Berlin 1868–1882. Darin: Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik. Hrsg. v. d. Verein f. d. Gesch. Berlins.
1232–1550. Begonnen durch F(erdinand) Voigt. Fortgesetzt durch E(rnst) Fidicin. Berlin 1880. (Berlinische Chronik, T.2)
– F.(idicin): Die Berliner Gerichtslaube. In: Dt. Bauzeitung 4 (1870), S. 169–171, Grund- riß und Plan
– Beiträge zur Geschichte Berlins während des dreißigjährigen Krieges. Berlin 1872. 168 S. (Schr. d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, H. 6) – Die Wappen und Farben der Stadt Berlin. In: »Der Bär« 1 (1875), S. 13, 33, 93, 133, 161; 2 (1876), S. 17 u. 69 f.
– Bericht über die Gemeindeverwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1861–1876. H. 3, Berlin 1881, S. 198–201
– Tyle Wardenbergs Verurteilung. Sittenbild aus Berlins Vorzeit. In: »Der Bär« 7 (1881), S. 129–135

Bildquelle:
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins

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